T 1109/19 () of 22.7.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T110919.20210722
Datum der Entscheidung: 22 Juli 2021
Aktenzeichen: T 1109/19
Anmeldenummer: 07114900.9
IPC-Klasse: F24C 15/02
F25D 23/02
E05B 1/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Handgriff für ein Hausgerät
Name des Anmelders: BSH Hausgeräte GmbH
Name des Einsprechenden: Electrolux Rothenburg GmbH Factory and Development
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 123(3)
European Patent Convention R 80
RPBA2020 Art 013(2)
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag (entspricht Hilfsantrag 1 des Einspruchsverfahrens)
Neuheit - (nein)
Änderungen - Zwischenverallgemeinerung
Änderungen - zulässig (nein)
Änderungen - Hilfsanträge 2-5, 7
Änderungen - zulässig (ja)
Änderungen - Hilfsantrag 6
Patentansprüche - Deutlichkeit (ja)
Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein)
Spät eingereichter Einwand - zugelassen (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/14
J 0014/19
T 0728/98
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das Europäische Patent 1 898 157 ("das Patent") in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung betrifft einen Handgriff für ein Hausgerät umfassend ein Griffteil und zwei separate Befestigungsteile, wobei das Griffteil und die Befestigungsteile aus demselben Material bestehen und als Aluminium-Strangpressprofile ausgebildet sind.

II. Die Einspruchsabteilung hatte bezüglich des Europäischen Patents mit der angefochtenen Zwischenentscheidung festgestellt, dass der damalige Hilfsantrag 1 den Erfordernissen des EPÜ genügt.

III. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Einsprechende ("Beschwerdeführerin") mit der Beschwerde.

IV. Am 22. Juli 2021 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Die Verhandlung wurde ohne Einwände seitens der Verfahrensbeteiligten in Form einer Videokonferenz durchgeführt. Die Schlussanträge lauteten wie folgt:

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Patentinhaberin ("Beschwerdegegnerin") beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung (Hauptantrag), hilfsweise auf Grundlage der Hilfsanträge 2 bis 7, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung.

V. Die folgenden für die Entscheidung relevanten Dokumente waren bereits Bestandteil des Einspruchsverfahrens:

E1: DE 103 08 629 Al;

E2: DE 10 2004 020 140 Al;

E3: US 2005/066 479 Al;

E6: US 2003/056334 Al.

VI. Wortlaut der Anträge

Im Folgenden ist jeweils die Merkmalsgliederung gemäß der Beschwerdeführerin in "[]" hinzugefügt.

a) Der für die Entscheidung relevante unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags (Hilfsantrag 1 des Einspruchsverfahrens) lautet (die Änderungen gegenüber Anspruch 1 des Patents wie erteilt sind fett hervorgehoben):

"[M1] Handgriff für ein Hausgerät

[M2] mit einem vorzugsweise als lang gestreckte Stange ausgebildeten Griffteil (1)

[M3] und mit zwei separaten Befestigungsteilen (2) zum Befestigen des Griffteils (1) mit Abstand an einem Element (3) des Hausgerätes,

[M4] wobei, der Griffteil (1) und die zwei Befestigungsteile (2) eine aus demselben Material gebildete einheitliche Oberflächenstruktur aufweisen,

[M4B] wobei Griffteil (1) und die Befestigungsteile (2) aus demselben Material bestehen,

dadurch gekennzeichnet,

[M5] dass Griffteil (1) und die Befestigungsteile (2) als Aluminium-Strangpressprofile ausgebildet sind

[M6] und die zwei Befestigungsteile (2) als Hohlprofil ausgebildet sind

[M7] und im jeweiligen Hohlraum ein Befestigungs- und/oder Führungselement (5) einstückig ausgebildet ist."

b) Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 weist folgende Änderungen gegenüber dem Hauptantrag auf (fett hervorgehoben).

Anspruch 1: "... einstückig ausgebildet ist,

[M8] wobei je ein Befestigungsteil (2) an den beiden Enden des Griffteils (1) direkt befestigt ist."

Anspruch 3: "... einstückig ausgebildet ist,

[M9] wobei an beiden Enden des Griffteils (1) abgeflachte Befestigungsstellen (4) für die Befestigung der Befestigungsteile (2) vorhanden sind, auf welche die Befestigungsteile (2) aufgesetzt und durch Schraubverbindung befestigt werden können."

c) Anspruch 3 des Hilfsantrag 3 weist folgende Änderungen gegenüber Hilfsantrag 2 auf (fett hervorgehoben). Anspruch 1 ist unverändert zu Hilfsantrag 2.

"... durch Schraubverbindung fugenlos befestigt werden können."

d) Hilfsantrag 4 entspricht Hilfsantrag 3, wobei die Ansprüche 1 und 2 gestrichen und die Ansprüche 3 und 4 entsprechend umnummeriert wurden.

e) Hilfsantrag 5 weist folgende Änderungen gegenüber Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 auf (fett hervorgehoben).

"... fugenlos befestigt werden können,

[M10] und wobei der Griffteil (1) ein halbkreisförmiges Profil hat und an der Griffseite abgeflacht ist."

f) Hilfsantrag 6 weist folgende Änderungen gegenüber Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 auf (fett hervorgehoben).

"... an der Griffseite abgeflacht ist,

[M11] und wobei eine Wandung des Hohlprofils jedes Befestigungsteils {2) am griffteilseitigen Ende gewölbt ausgeführt ist, sodass es mit dem halbrundförmigen Profil des Griffteils (1) korrespondiert."

g) Hilfsantrag 7 weist folgende Änderungen gegenüber Anspruch 1 des Hilfsantrags 6 auf (fett und durchgestrichen hervorgehoben).

"... wobei je ein Befestigungsteil (2) an den beiden Enden des Griffteils (1) befestigt ist und/oder

[M9] an beiden Enden des Griffteils (1) abgeflachte Befestigungsstellen (4) für die Befestigung der Befestigungsteile (2) vorhanden sind, auf welche die Befestigungsteile (2) aufgesetzt und durch Schraubverbindung, insbesondere fugenlos, befestigt werden können,

[M10] [deleted: wobei] und/oder der Griffteil (1) ein halbkreisförmiges Profil hat und an der Griffseite abgeflacht ist,

[M11] [deleted: und] wobei insbesondere eine Wandung des Hohlprofils jedes Befestigungsteils (2) am griffteilseitigen Ende gewölbt ausgeführt ist, sodass es mit dem halbrundförmigen Profil des Griffteils (1) korrespondiert."

VII. Das Beschwerdevorbringen der Beschwerdeführerin, soweit für die Entscheidung relevant, lässt sich wie folgt zusammenfassen.

a) Hauptantrag - Neuheit

Der Gegenstand von Anspruch 1 sei nicht neu gegenüber der Offenbarung von E3. Die Vorsehung von zwischengeordneten Eckteilen sei im Anspruch 1 nicht ausgeschlossen, was auch durch Absatz [0012] des Patents explizit gestützt werde.

b) Hilfsanträge 2 bis 5 und 7 - Unzulässige Erweiterung

Der Gegenstand von Anspruch 3 des Hilfsantrags 2 und der korrespondierenden Ansprüche der Hilfsanträge 3 bis 5 und 7 gehe über die ursprünglich eingereichte Fassung hinaus, da mit der Merkmalsgruppe M9 Merkmale der Verbindung Griffteil-Befestigungsteile aus der in Absatz [0009] der ursprünglich eingereichten Fassung beschriebenen Ausführungsform isoliert von weiteren funktionell und strukturell miteinander verbundenen Merkmalen dieser Ausführungsform in den Anspruch aufgenommen wurden. Daher liege eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vor.

c) Hilfsantrag 6 - Unzulässige Erweiterung und Erweiterung des Schutzbereichs

Zumindest durch das Weglassen der Merkmale "quadratisches Profil" und "einstückige Befestigungs- und/oder Führungselemente im Innern" läge immer noch eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vor. Insbesondere würden diese Merkmale eine Funktion zum Schutz vor Verdrehung bewirken, die das patentgemäß erforderliche einheitliche Erscheinungsbild gewährleisteten. Auch die Merkmale "lang gestreckte Stange" und "Handgriff lediglich bestehend aus Griffteil und zwei Befestigungsteilen" seien unzulässigerweise weggelassen.

Die Hinzufügung des Merkmals M9 führe weiterhin zu einer Erweiterung des Schutzbereichs des Patents bezüglich Anspruch 2, da aufgrund der Formulierung "befestigt werden können" nun auch ein Handgriff mit einem "kit-of-parts" nicht zusammengebauter Griffteile unter den Anspruch falle.

d) Hilfsantrag 6 - Klarheit

Anspruch 1 des Hilfsantrags 6 sei nicht klar. Es sei einerseits unklar, was unter die Begrifflichkeit "bestehen aus demselben Material" in Merkmal M4B falle. Diese sei mehrdeutig, kein stehender Fachbegriff und zudem im Widerspruch mit dem Begriff "Material" in Merkmal M4. Beispielsweise könnten verschiedene Aluminiumlegierungen oder auch elektrochemisch behandeltes oder lediglich unbehandeltes Aluminium darunter fallen. Weiterhin sei nicht klar, wie der relative Begriff "fugenlos" zur eindeutigen Abgrenzung verwendet werden könne. Außerdem seien die Merkmale "abgeflacht", "Griffteil", "an der Griffseite", "gewölbt", "Wandung", "korrespondiert", "halbkreisförmig" und "halbrundförmig" unklar oder mehrdeutig. Auch stützten die Absätze [0007] und [0011] auf Grund von Widersprüchen mit dem Anspruchswortlaut ("vorzugsweise einstückig", "vorzugsweise als Hohlprofil ausgebildet") nicht den Anspruch. Der Bezug von "es" in Merkmalsgruppe M11 sei zudem mehrdeutig.

e) Hilfsantrag 6 - Zulassung von Einwänden mangelnder erfinderischer Tätigkeit

Der Gegenstand von Anspruch 1 ergebe sich in naheliegender Weise ausgehend von E3 oder E6 jeweils in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen oder mit der Lehre von E2. Hilfsantrag 6 sei aus Sicht der Beschwerdeführerin so unklar und über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehend gewesen, dass ein Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit nicht vor der Klärung dieser Einwände in der Verhandlung möglich gewesen sei. Somit lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Zulassung dieser Angriffe in das Verfahren auch zu einem späten Verfahrenszeitpunkt rechtfertigten.

VIII. Das Beschwerdevorbringen der Beschwerdegegnerin, soweit für die Entscheidung relevant, lässt sich wie folgt zusammenfassen.

a) Hauptantrag - Neuheit

Der Gegenstand von Anspruch 1 sei neu gegenüber der Offenbarung von E2, da zumindest nicht offenbart sei, dass die Befestigungsteile direkt an dem Griffteil befestigt seien, wie es von Merkmal M3 gefordert werde. Zudem seinen die Eckteile in E2 dafür vorgesehen, den Abstand zu einem Element herzustellen und nicht die Haltestangen und seien somit als anspruchsgemäße Befestigungselemente anzusehen, die jedoch nicht aus demselben Material bestünden. In jedem Fall stellten die Haltestangen hier nicht den Abstand her.

b) Hilfsanträge 2 bis 5 und 7

Es liege kein funktionaler Zusammenhang der Merkmale M9 mit den weiteren Merkmalen M10 und M11 vor, da die abgeflachten Befestigungsstellen nicht mit diesen funktionell zusammenwirkten. Somit sei keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung gegeben.

Auch liege keine Erweiterung des Schutzbereichs im Sinne von Artikel 123(3) EPÜ vor, da sich die Teile des Griffes ohnehin erst bei Montage an dem Element miteinander verbinden ließen, was - wie auch anhand des Ausführungsbeispiels ersichtlich - bereits gemäß dem erteilten Anspruchs 1 der Fall gewesen sei.

c) Hilfsantrag 6 - Klarheit

Anspruch 1 verwende eine im technischen Gebiet übliche Bezeichnung und sei daher klar und stehe nicht im Widerspruch zu der Beschreibung. Die Verwendung eines breiten, nicht auf bestimmte chemische Zusammensetzungen oder Legierungen beschränkten Materialbegriffs sei im technischen Gebiet üblich und hinreichend deutlich, wie beispielsweise D1, Absatz [0010] zeige. Der Begriff "fugenlos" sei im Zusammenhang mit den Merkmalen der korrespondierenden Teile ebenfalls eindeutig. Auch die weiteren gerügten Begrifflichkeiten seinen direkt und eindeutig aus dem Anspruchswortlauf verständlich.

d) Hilfsantrag 6 - Zulassung von Einwänden mangelnder erfinderischer Tätigkeit

Die neuen Einwände seien nicht zuzulassen. Sie hätten bereits direkt als Antwort auf die mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge vorgebracht werden können und sollen. Sie seien somit verspätet, ohne dass diesbezüglich stichhaltige Gründe für außergewöhnliche Umstände vorlägen.

Entscheidungsgründe

Hauptantrag - Neuheit

1. Der einzige Neuheitseinwand, den die Beschwerdeführerin gegen den Hauptantrag geltend gemacht hat, beruht auf Dokument E2.

1.1 E2 offenbart (vgl. Figur 1) einen Handgriff mit einem Griffteil (10), der über Eckstücke (15,16) an Haltestangen (48, 49) angebracht ist. Die Haltestangen werden dabei als Befestigungsteile im Sinne des Anspruchs angesehen. Zusätzliche Eckstücke sind von Anspruch 1 nicht ausgeschlossen, da dieser nicht fordert, dass Griffteil und Befestigungsteile direkt und unmittelbar aneinander angeordnet sind. Absatz [0012] des Patents führt diesbezüglich explizit aus, dass "selbstverständlich" zwischen Griffteil und Befestigungsteilen "Teile" eingefügt werden können, was in den Figuren nicht gezeigt sei.

1.2 Es ist unstreitig, dass gemäß E2 der Griffteil (10) und die Haltestangen (48,49) aus dem gleichen Material gefertigt sein können (Absatz [0021], letzter Satz), und zwar aus stranggepresstem Aluminium (Absatz [0013] und Anspruch 10). Sie sind in Form von Hohlprofilen (Figur) ausgeführt. Daher kann für die Neuheitsbetrachtung die Auslegung der Merkmale M4 und M4B dahingestellt bleiben. Somit ist bezüglich der Offenbarung von E2 lediglich streitig, ob die Haltestangen 48 und 49 als Befestigungsteile zum Befestigen des Griffteils mit Abstand an einem Element (Merkmal M3) anzusehen sind.

1.3 Die Kammer kommt zu dem Schluss, dass die "Haltestangen" in E2 als Befestigungsteile im Sinne von Merkmal M3 anzusehen sind. Im Gegensatz zur Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung (angefochtene Entscheidung, Punkt II.17.3) sieht die Kammer keinen Widerspruch zum Anspruchswortlaut darin, dass die Größe des Abstands gegebenenfalls im Wesentlichen oder ausschließlich durch das Eckteil festgelegt werden kann, wie dies in E2, Absatz [0023] beispielhaft dargelegt wird. Auch in dieser Ausführungsform erfolgt gemäß Absatz [0023] die Befestigung (der Eckteile, und damit auch des Griffteils) jedoch an den Haltestangen 48, 49. Somit kann der Griffteil mittelbar mit Abstand an den Haltestangen befestigt werden. Die Haltestangen sind also im Sinne von Merkmal M3 zum Befestigen des Griffteils mit Abstand an einem Element des Hausgerätes geeignet. Gemäß E2, Absatz [0024] können die Haltestangen dabei - wie auch für die Befestigungsteile gemäß der Ausführungsform des Patents offenbart - von dem Befestigungsmittel vollständig durchgriffen und an einer Anschraubfläche angeschraubt werden.

1.4 Das Argument der Einspruchsabteilung, die offenbarten Haltestangen seien außerhalb des räumlichen Erstreckens des Griffteils angeordnet und daher nicht als Befestigungselemente im Sinne des Anspruchs anzusehen, ist nicht überzeugend, da eine derartige Anordnung vom Anspruch nicht ausgeschlossen wird. Auch stimmt die Kammer nicht zu, dass ein Unterschied darin liege, dass gemäß E2 der Griffteil "eher mittels der Eckstücke fixiert wird". Wie die Beschwerdeführerin zutreffend argumentiert, ist für jeden Griff eine geschlossene Kraft-Übertragungskette notwendig, um dessen Funktion zu gewährleisten. Dabei sind die einzelnen Teile direkt oder indirekt und mittel- oder unmittelbar aneinander zu befestigen. Anspruch 1 weist diesbezüglich keinerlei Einschränkungen auf.

1.5 Da somit auch Merkmal M3 in der Ausführungsform der Figur von E2 offenbart wird, ist der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags nicht neu.

Hilfsantrag 2 - Unzulässige Erweiterung

2. Die Merkmalsgruppe M9 führt in Anspruch 3 von Hilfsantrag 2 mit den abgeflachten Befestigungsstellen an beiden Enden des Griffteils Merkmale ein, die in der ursprünglich eingereichten Fassung lediglich in Absatz [0009] im Zusammenhang der Beschreibung der Ausführungsform in der Figur offenbart waren. Weitere Merkmale der Ausführungsform wurden nicht in den Anspruch aufgenommen.

2.1 Gemäß ständiger Rechtsprechung (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9.Auflage, 2019, II.E.1.9) ist eine Zwischenverallgemeinerung nur zu rechtfertigen, wenn keinerlei eindeutig erkennbare funktionale oder strukturelle Verbindung zwischen den Merkmalen der spezifischen Kombination besteht.

2.2 Die hinzugefügte Merkmalsgruppe M9 präzisiert die Verbindung "Griffteil- Befestigungsteile" durch Aufnahme ausgewählter Merkmale aus Absatz [0009]. Diese Merkmale stehen jedoch in funktionellem und strukturellen Zusammenhang mit den weiteren dort offenbarten Merkmalen dieser Verbindung. Insbesondere das in Merkmal M11 gemäß Hilfsantrag 6 definierte "Korrespondieren" einer am griffteilseitigen Ende gewölbt ausgeführten Wandung des Hohlprofils jedes Befestigungsteils mit dem halbrundförmigen Profil des Griffteils ist funktionell und strukturell mit der Verbindung Griffteil-Befestigungsteil und den diese Verbindung weiter charakterisierenden Merkmalen verbunden, da diese gemeinsam zu einem fugenlosen, einheitlichen Erscheinungsbild und einer kraftschlüssigen Verbindung beitragen.

2.3 Die isolierte Einfügung der Merkmalsgruppe M9 in Anspruch 3 stellt somit eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar und ist unter Artikel 123(2) EPÜ nicht gewährbar.

Hilfsanträge 3 bis 5 und 7 - Unzulässige Erweiterung

Keiner der zu Anspruch 3 von Hilfsantrag 2 korrespondierenden Ansprüche in Hilfsantrag 3 bis 5 enthält die Merkmale M11 zusätzlich zu den Merkmalen M9. Hilfsantrag 7 enthält diese lediglich als fakultative Merkmale. Das Weglassen der in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung in Absatz [0009] enthaltenen Merkmale M11 stellt somit auch für die Hilfsanträge 3 bis 5 und 7 eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar. Daher sind auch diese Anträge nicht gewährbar unter Artikel 123(2) EPÜ.

Hilfsantrag 6 - Keine unzulässige Erweiterung

3. Die Kammer kommt im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerdeführerin zu dem Schluss, dass die folgenden Merkmale nicht im funktionalen Zusammenhang mit dem einheitlichen Erscheinungsbild und auch sonst in keinem funktionalen Zusammenhang stehen:

- quadratisches Profil der Befestigungsteile,

- Befestigungs- und/oder Führungselemente einstückig im Innern des Hohlraumes angeformt.

3.1 Anspruch 1 von Hilfsantrag 6 weist mit den Merkmalsgruppen M9 bis M11 alle diejenigen Merkmale der Ausführungsform der Figur auf, die in Absatz [0009] der ursprünglich eingereichten Fassung zur funktionellen Definition der Befestigungsflächen zwischen Griffteil und Befestigungsteilen offenbart wurden.

3.2 Die Kammer sieht keinen funktionalen Zusammenhang zwischen der Gestaltung des Hohlprofilquerschnitts und den weiteren Merkmalen in Absatz [0009]. Solange eine korrespondierende gewölbte Ausformung an der Wandung vorhanden ist, ergibt sich ein einheitliches Erscheinungsbild und eine kraftschlüssige Verbindung. Der Hinweis der Beschwerdeführerin, dass beispielsweise Befestigungsteile mit runden Querschnitten nicht verdrehsicher seien und dann gegebenenfalls Spalte ausbilden könnten, die einem fugenlosen, einheitlichen Erscheinungsbild entgegenstünden, folgt die Kammer nicht. Durch die korrespondierende Wölbung ergibt sich inhärent eine Verdrehsicherung im montierten Zustand, unabhängig vom Querschnitt der Befestigungsteile.

3.3 Auch die inneren Befestigungs- und Führungselemente stehen diesbezüglich nicht in einem funktionalen Zusammenhang, bzw. sind hinreichend durch das in dieser Allgemeinheit ursprünglich offenbarte Merkmal M7 (vgl. Anspruch 4 wie ursprünglich eingereicht) definiert.

3.4 Ein Griffteil mit an beiden Enden befestigten Befestigungsteilen muss weiterhin ausreichend langgestreckt ausgebildet sein, damit er durch die Hand des Benutzers auch tatsächlich gegriffen werden kann. Es ist daher nicht erforderlich, diese Eigenschaft zusätzlich explizit im Anspruch zu definieren.

3.5 Zudem weist der im Ausführungsbeispiel beschriebene Handgriff Befestigungsbolzen auf, so dass aus dem Ausführungsbeispiel keine Notwendigkeit für eine Formulierung "Handgriff bestehend aus einem Griffteil und zwei separaten Befestigungsteilen" abgeleitet werden kann.

3.6 Demzufolge liegt durch das Weglassen dieser Merkmale keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vor.

Hilfsantrag 6 - Keine Erweiterung des Schutzbereichs

4. Gemäß Artikel 123(3) EPÜ darf das europäische Patent nicht in der Weise geändert werden, dass sein Schutzbereich erweitert wird. Für Anspruch 2 von Hilfsantrag 6 liegt jedoch keine unzulässige Erweiterung des Schutzbereichs vor.

4.1 Die Beschwerdeführerin sah dieses Erfordernis verletzt, da durch die Hinzufügung der Merkmalsgruppe M9 jetzt die Teile des Griffes in Anspruch 1 lediglich als unverbundener "Kit-of-Parts" definiert seien, während Anspruch 1 des Patents einen Handgriff mit tatsächlich verbundenen Teilen definiere.

4.2 Die Kammer legt im Gegensatz zur Beschwerdeführerin den Wortlaut aus Merkmalsgruppe M9 "...auf welche die Befestigungsteile (2) aufgesetzt und durch Schraubverbindung befestigt werden können" so aus, dass es sich hierbei um ein funktionelles Merkmal handelt, das die Lage der abgeflachten Befestigungsstellen relativ zu den Befestigungsteilen definiert.

4.3 Zudem merkt die Beschwerdegegnerin zu Recht an, dass der in Anspruch 1 des erteilten Patents definierte Schutzbereich nicht darauf beschränkt ist, dass die Einzelteile des Handgriffs in bereits verbundenem Zustand vorliegen. Gemäß des nach Artikel 69(1) EPÜ zur Auslegung des Schutzbereichs heranzuziehenden Ausführungsbeispiels (Figuren und Absatz [0009] des Patents) wird die Verbindung der Teile nämlich erst bei der Montage mit dem Element des Hausgeräts über einen Befestigungsbolzen hergestellt, der die Befestigungselemente im Führungsrohr 5 durchgreift.

Hilfsantrag 6 - Klarheit von Anspruch 1

5. Merkmal "bestehend aus demselben Material"

5.1 Gemäß ständiger Rechtsprechung (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, a.a.O., II.A.3.1) sind Ansprüche nicht deutlich gefasst, wenn sie den Schutzbereich nicht genau erkennen lassen. In der Entscheidung T 728/98 (ABI 2001, 319) kam die Kammer zu dem Schluss, dass die Deutlichkeit beispielsweise dann nicht gegeben ist, wenn der Anspruch ein unklares technisches Merkmal enthält, für das es auf dem betreffenden Fachgebiet keine allgemein anerkannte Bedeutung gibt. Eine solche mangelnde Deutlichkeit machte die Beschwerdeführerin auch für die Verwendung des Begriffes "Material" in dem während des Einspruchsverfahren hinzugefügten Merkmal M4B geltend.

5.2 Zunächst ist der Beschwerdeführerin zuzustimmen, dass sich für den Begriff "Material" keine eindeutige allgemeingültige Definition angeben lässt. In verschiedenen Kontexten und verschiedenen technischen Gebieten wird dieser Begriff unterschiedlich verwendet. So wird beispielsweise in E1, einem Dokument aus dem gleichen technischen Gebiet wie das Patent, der Begriff eines bestimmten "Materials" mit den Oberbegriffen von Materialgruppen wie Holz, Aluminium, Stahl oder Kunststoff gleichgesetzt (E1, Absatz [0010]). Hier kommt es offensichtlich nicht auf bestimmte detaillierte Materialeigenschaften an, sondern lediglich auf eine auch für den Laien einfach erkennbare Zuordnung. In anderen Zusammenhängen mag der Begriff "gleiches Material", wie von der Beschwerdeführerin argumentiert, nur auf Gegenstände der gleichen chemischen Zusammensetzung lesbar sein.

5.3 Die Kammer folgt jedoch der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht, dass der Begriff "Material" im Anspruch durch die Zufügung des Merkmals M4B im Anspruch selbst zu Unklarheiten führt. In den Merkmalen M4 und M4B wird der Begriff "Material" wie folgt verwendet:

- M4: "Material der Oberflächenstruktur",

- M4B: "Material, aus dem die Teile bestehen".

5.4 Während Merkmal M4 lediglich fordert, die Oberflächenstruktur der Teile solle aus demselben Material gebildet werden, fordert das im Einspruchsverfahren hinzugefügte Merkmal M4B, dass der Griffteil und die Befestigungsteile aus demselben Material bestehen. Hierdurch ist eine klare Hierarchie der Einschränkung gegeben, die im Ergebnis bedeutet: die Teile bestehen einschließlich ihrer Oberflächenstruktur aus demselben Material. Merkmal M5 definiert zudem, dass die Teile als Aluminium-Strangpressprofile ausgebildet sind. Hieraus folgt, dass die Teile und deren Oberflächenstruktur aus demselben Material, und zwar aus stranggepresstem Aluminium bestehen. Durch die Kombination der Merkmale entsteht somit kein Widerspruch. Was unter stranggepresstem Aluminium zu verstehen ist, ist der Fachperson bekannt. Eine engere Spezifizierung des Materials der Teile, z.B. als bestimmte Aluminiumlegierungen, nennt der Anspruch nicht.

5.5 Auch die Berücksichtigung der Beschreibung bei der Auslegung des Materialbegriffs (vergleiche T 728/98, Punkt 3.2.2), wofür der Anspruch im vorliegenden Fall allerdings keinen Anlass gibt, ergibt kein anderes Auslegungsergebnis. Das Begriffsverständnis der Kammer ist konsistent mit Absatz [0006] der ursprünglich eingereichten Fassung, da es bei der Materialauswahl gemäß des Patents auf ein einheitliches Erscheinungsbild ankommt, das durch die Verwendung von stranggepresstem Aluminium, gegebenenfalls mechanisch nachbehandelt, erzielbar ist. Die Beschwerdeführerin hat nicht nachgewiesen, dass verschiedene stranggepresste Aluminiumsorten diese Anforderung nicht erfüllen.

5.6 Mit einem Fremdmaterial beschichtete Aluminiumteile wie beispielsweise verchromtes Aluminium fallen durch die mit Merkmal M4B eingefügte Beschränkung "aus demselben Material bestehen" nicht unter den Anspruch (zur Auslegung des Begriffs "bestehend aus" vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, a.a.O., II.E.1.15). Diese Auffassung wurde auch von der Beschwerdegegnerin geteilt. Sie gilt nach Auffassung der Kammer in gleicher Weise für die im Patent ursprünglich erwähnten elektrochemischen Bearbeitungen oder Oberflächenveredelungen im Allgemeinen (wie z.B. Galvanisieren, ggf. auch für bestimmte Eloxierverfahren), durch die ebenfalls Fremdmaterial bzw. Fremdatome auf oder in die Oberfläche der Aluminiumteile eingebracht werden.

5.7 Durch die Streichung der im erteilten Patent noch vorhandenen Verweise auf "elektrochemische Behandlung z.B. durch Eloxieren", "in elektrochemischer Weise z.B. Eloxieren" und "Oberflächenveredelung" in den Absätzen [0006], [0007] und [0011] besteht jedoch im vorliegenden Hilfsantrag 6 mit angepasster Beschreibung kein Widerspruch zu den Merkmalen M4 und M4B und Anspruch 1 ist im Sinne von Artikel 84, Satz 2 EPÜ von der Beschreibung gestützt.

5.8 Die Fachperson weiß zudem, dass unter üblichen Umgebungsbedingungen inhärent ein Oxidationseffekt an der Materialoberfläche des Aluminiums auftritt. Die hieraus entstehende "natürliche" Aluminiumoxid-Schicht stellt für die Fachperson keinen Widerspruch zu dem Merkmal "aus demselben Material bestehend" dar. Ein Klarheitsmangel ergibt sich hieraus daher ebenfalls nicht.

6. Merkmal "fugenlos"

6.1 Die Kammer teilt die Auffassung der Beschwerdeführerin nicht, dass der Begriff "fugenlos", welcher der Merkmalsgruppe M9 zugefügt wurde, unklar sei. Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass bei der kraftschlüssigen Verbindung zweier Teile stets eine Restfuge verbleibe. Da diese bezüglich ihrer Dimension nicht spezifiziert sei, sei der Begriff eine relative Begrifflichkeit, ungeeignet zur Abgrenzung vom Stand der Technik.

6.2 Nach Auffassung der Kammer erkennt die Fachperson jedoch direkt und eindeutig, dass ein fugenloses Fügen der Befestigungsteile auf den abgeflachten Befestigungsstellen des Griffteils zum Ergebnis eines einheitlichen Erscheinungsbildes beiträgt (Absatz [0006] des Patents). Somit soll die Ausbildung von Fugen im Rahmen der fertigungstechnischen Möglichkeiten vermieden werden, was die Ausfertigung korrespondierender Auflageflächen erfordert (Merkmalsgruppe M11), die aneinander anliegen. Die Quantifizierung einer Spaltbreite ist daher nicht erforderlich. Die Fachperson versteht zudem direkt und eindeutig, dass der Begriff "fugenlos" nicht bedeutet, dass die Fügungsstelle gar nicht mehr sichtbar oder nachweisbar wäre.

6.3 Eine fugenlose Ausführung schließt weitere Teile wie beispielsweise Dichtungen zwischen dem Griffteil und den Befestigungsteilen aus. Die Streichung von Absatz [0012] ist somit eine geeignete Anpassung der Beschreibung zur Stützung des Anspruchs im Sinne von Artikel 84 EPÜ.

7. Weitere Klarheitseinwände

Keiner der weiteren Klarheitseinwände gegen Anspruch 1 hat die Kammer überzeugt.

7.1 Anspruch 1 fordert, dass der Griffteil ein "halbkreisförmiges Profil" aufweist und "an der Griffseite", also der gegenüberliegenden Seite abgeflacht ist. Zudem weisen die Enden des Griffteils "abgeflachte Befestigungsstellen" auf. Da der Begriff "Abflachung" als abgeflacht relativ zu einer nicht abgeflachten Stelle zu interpretieren ist, geht klar aus dem Anspruch hervor, dass die abgeflachten Stellen auf der Seite des halbkreisförmigen Profils liegen, welche demzufolge gegenüber der Griffseite des Griffteils liegt.

7.2 Die Tatsache, dass der Begriff der "Abflachung" optional einen Bearbeitungsschritt des Aluminiumprofils implizieren kann, steht nicht im Widerspruch zu den weiteren Merkmalen und führt somit nicht zu einer Mehrdeutigkeit.

7.3 Die Kammer sieht in den Begriffen "halbkreisförmig" und "halbrund" äquivalente Begrifflichkeiten. Die Fachperson versteht, dass sich die Begriffe auf die äußere Erscheinung der einen Griffseite beziehen. Wie das Profil im Weiteren im Querschnitt ausgeformt ist, ist durch die Begriffe nicht eingeschränkt, solange insgesamt ein Hohlprofil ausgeformt ist.

7.4 Die Kammer kann nicht nachvollziehen, warum sich nach Ansicht der Beschwerdeführerin eine Unklarheit daraus ergebe, dass Anspruch 1 nicht darauf eingeschränkt sei, dass der Griff nur aus den drei Teilen Griffteil und Befestigungsteile bestehe. Schon die Tatsache, dass zumindest Befestigungselemente 5 benötigt werden, steht im Widerspruch zu einer solchen Lesart (siehe Punkt 3.5).

7.5 Die Kammer sieht auch keine Mehrdeutigkeit hinsichtlich der Frage, auf welches Merkmal sich der Begriff "es" in Merkmalsgruppe M11 bezieht. Aus dem Zusammenhang erschließt sich der Fachperson eindeutig, dass das Hohlprofil des Befestigungsteils gemeint ist, welches durch die Wölbung mit dem halbrundförmigen Profil des Griffteils korrespondiert.

7.6 Die Einschränkung auf eine "lang gestreckte Stange", da laut der Beschwerdeführerin "Enden" im Anspruch definiert seien", ist zur Klarstellung auch nicht erforderlich, da durch die Kombination des Begriffes "Handgriff" und den zwei Befestigungsmitteln der Anspruch hinreichend klar eine Längendimension des Griffteils geeignet für einen Handeingriff impliziert wird (s. Punkt 3.4).

7.7 Die Beschwerdeführerin erachtete weiterhin die Begriffe "Wandung", "gewölbt" und "korrespondiert" als jeweils nicht eindeutig. Nach Ansicht der Kammer sind diese Begriffe jedoch im Zusammenhang gemäß Merkmalsgruppe M11 eindeutig zu verstehen. Hier wird definiert, dass "eine Wandung des Hohlprofils jedes Befestigungsteiles am griffteilseitigen Ende gewölbt ausgeführt" ist, "sodass es mit dem halbrundförmigen Profil des Griffteils korrespondiert". Dabei führt die Tatsache, dass das Profil nicht auf einen quadratischen Querschnitt beschränkt ist, nicht dazu, dass eine fugenlose Ausführung nicht mehr möglich ist. Im Zusammenhang mit den vorgenannten zwei gekrümmten Flächen stellt der Begriff "korrespondieren" den Fachmann vor keine Auslegungsschwierigkeiten.

7.8 Die von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwände eines Widerspruchs des Anspruchswortlauts zur Beschreibung Absatz [0007] ("vorzugsweise einstückig") und Absatz [0011] ("vorzugsweise als Hohlprofil ausgebildet") sind gemäß Regel 80 EPÜ nicht einer Klarstellung zugänglich. Sie beziehen sich auf Anspruchsmerkmale, die bereits in Anspruch 1 wie erteilt vorhanden waren und unterliegen somit nicht den in G 03/14 definierten Ausnahmen.

Nichtzulassung von Einwänden mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegen Hilfsantrag 6

8. Die Beschwerdeführerin machte erstmalig im Beschwerdeverfahren in der mündlichen Verhandlung Einwände unter Artikel 56 EPÜ gegen Hilfsantrag 6 geltend.

8.1 Die neuen Einwände unter Artikel 56 EPÜ sind eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdeführerin im Sinne von Artikel 13(2) VOBK 2020 (vgl. J 14/19, Punkte 1.4 und 1.5), die stichhaltige Gründe erfordern, welche zeigen, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

8.2 Die Kammer sieht keine außergewöhnlichen Umstände in der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin gegen Hilfsantrag 6 ausführliche Einwände bezüglich mangelnder Klarheit sowie unzulässiger Erweiterung vorgebracht hatte. Es überzeugt nicht, dass sich die Beschwerdeführerin hierdurch nicht in der Lage sah, Ausführungen zur Patentierbarkeit zu machen. Die Kammer kann zum einen nicht erkennen, dass die vorgebrachten Einwände gegen Hilfsantrag 6 so schwerwiegend wären, dass eine sinnvolle Auslegung als Grundlage für einen Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit nicht mehr möglich war. Zum anderen machte die Beschwerdeführerin in Reaktion auf die Beschwerdeerwiderung mit Schreiben vom 1. April 2020 (Punkt B.IV) auch tatsächlich Einwände mangelnder Patentierbarkeit zumindest gegen Hilfsantrag 2 geltend, welchen sie ebenfalls bezüglich der Klarheit und unzulässiger Erweiterung gerügt hatte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte sie auch zur Patentierbarkeit von Hilfsantrag 6 ausführen können und sollen.

8.3 Auch stellt die Tatsache, dass die Kammer in der Mitteilung zur Ladung zur erfinderischen Tätigkeit bezüglich Hilfsantrag 6 nicht Stellung genommen hat, keinen außergewöhnlichen Umstand dar. In einer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 bezieht sich die Kammer in der Regel im Wesentlichen auf das Beschwerdevorbringen der Beteiligten.

8.4 Daher hat die Kammer die neuen Einwände gegen Hilfsantrag 6 unter Artikel 56 EPÜ nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen.

9. Nach alledem ist Hilfsantrag 6 gewährbar.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:

- Patentansprüche 1 und 2 gemäß Hilfsantrag 6, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung;

- Beschreibung Seiten 2 und 3, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer;

- Zeichnungen 1-3 wie erteilt

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