European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2020:T105019.20200720 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 20 Juli 2020 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1050/19 | ||||||||
Anmeldenummer: | 10181051.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | F21S8/00 F21V21/40 F21V23/04 F21W131/205 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Operationsleuchte mit steriler Bedieneinrichtung | ||||||||
Name des Anmelders: | TRUMPF Medizin Systeme GmbH + Co. KG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Drägerwerk AG & Co. KGaA | ||||||||
Kammer: | 3.2.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Antrag auf mündliche Verhandlung - nicht verspätet Verspätetes Vorbringen - Beweismittel erstinstanzlich zugelassen (ja) Verspätetes Vorbringen - Rechtfertigung der Verspätung (nein) Verspätetes Vorbringen - nicht zugelassen Teile der Entscheidung in gekürzter Form (Zustimmung der Beteiligten) Neuheit - Hauptantrag (ja) Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, das Streitpatent zu widerrufen.
II. Die Einspruchsabteilung hatte entschieden, dass
a) der Gegenstand der Ansprüche in der im Einspruchsverfahren geänderten Fassung vom 22. November 2018 gemäß Hauptantrag bzw. einem der Hilfsanträge 1, 2 und 4 bis 8 nicht neu sei,
b) der Gegenstand der Ansprüche in der im Einspruchsverfahren geänderten Fassung vom 22. November 2018 gemäß Hilfsantrag 3 nicht erfinderisch sei, und
c) der Gegenstand der Ansprüche in der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Fassung gemäß Hilfsantrag 9 nicht klar sei.
III. Mit Ladung vom 30. April 2020 wurden die Beteiligten zur mündliche Verhandlung am 20. Juli 2020 geladen.
IV. In der Mitteilung vom 12. Juni 2020 gemäß Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern wurde die vorläufige Meinung der Kammer erläutert, wonach das Patent auf der Grundlage des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrags 1 aufrechterhalten werden könnte.
V. Mit Schreiben vom 24. Juni 2020 teilte die Beschwerdeführerin mit, dass sie den Antrag auf mündliche Verhandlung unter der Voraussetzung, dass der Beschwerde gemäß Hilfsantrag 1 stattgegeben wird, zurücknehme.
VI. Da die Beschwerdegegnerin zunächst keinen Antrag auf mündlichen Verhandlung gestellt hatte, wurde die mündliche Verhandlung am 2. Juli 2020 aufgehoben.
VII. Mit Schreiben vom 6. Juli 2020 erklärte die Beschwerdegegnerin, sie stelle nun Antrag auf mündliche Verhandlung, worauf die Parteien, die auf die Einhaltung der Ladungsfrist verzichtet hatten, erneut auf den 20. Juli 2020 geladen wurden.
VIII. Die mündliche Verhandlung fand am 20. Juli 2020 statt.
IX. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des bisherigen Hilfsantrags 1, der zum Hauptantrag erhoben wurde, hilfsweise auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 2 oder 3, die zu Hilfsanträgen 1 und 2 aufrückten. Der bisherige Hauptantrag wurde zurückgenommen. Die Beschwerdeführerin beantragte ferner die Nichtzulassung der Dokumente D8 und D9, sowie des Vortrags der Beschwerdegegnerin im Schriftsatz vom 17. Juni 2020.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und die Zulassung der Dokumente D8 und D9, sowie des Vortrags im Schriftsatz vom 17. Juni 2020.
X. Die Merkmale des unabhängigen Anspruchs 1 des Hauptantrags lauten:
1.1 Operationsleuchte (1)
1.2 mit einem Leuchtenkörper (2), der mindestens eine Lichtquelle (3) aufweist,
1.3 wobei aus dem Leuchtenkörper (2) mindestens ein Lichtbündel (11) abgegeben wird,
1.4 und einer Bedieneinrichtung (7),
1.5 die an der Operationsleuchte (1) angeordnet ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
1.6 eine Fokussiereinrichtung (5) in dem Leuchtenkörper (2) zum Fokussieren des Lichtbündels (11) oder der Lichtbündel (11) vorgesehen ist,
1.7 die Bedieneinrichtung (7) direkt oder indirekt mit der Fokussiereinrichtung (5) verbunden ist,
1.8 und die Bedieneinrichtung (7) mit einer sterilisierbaren Abdeckung abdeckbar ist,
1.9 wobei die Bedieneinrichtung (7) angepasst ist, berührungslos einen vorbestimmten Bewegungsablauf von einem Bediener zu erkennen
1.10 und daraufhin die Fokussiereinrichtung (5) anzusteuern,
1.11 wobei die Bedieneinrichtung mit der sterilisierbaren Abdeckung abgedeckt ist.
XI. In der vorliegenden Entscheidung wird auf die folgenden Dokumente Bezug genommen:
D3: WO 2003/080291 A2
D4: WO 2009/59464 A1
D6: Das Operationsleuchte-System Harmony® LC (STERIS)
D8: D1 10 2008 039 772 A1
D9: EP 2 065 634 A1
XII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin in Bezug auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die von der Einspruchsabteilung als neuheitsschädlich für Anspruch 1 des Hauptantrags angesehenen Dokumente D3, D6, D8 und D9 würden vor allem nicht das Merkmal 1.9 offenbaren. Insbesondere das Merkmal des berührungslosen Erkennens eines Bewegungsablaufes durch die Bedieneinrichtung sei in keinem der Dokumente offenbart. Darüber hinaus sei der Gegenstand des Anspruchs 1 erfinderisch. Ausgehend vom nächstliegenden Stand der Technik D3, gebe es für den Fachmann weder in D3 noch in den anderen genannten Dokumenten einen Hinweis, die bekannte Operationsleuchte so weiterzuentwickeln, dass eine intuitive Bedienung der Operationsleuchte mit und ohne Berührung einer sterilisierbaren Abdeckung möglich sei.
XIII. Die Beschwerdegegnerin entgegnete im wesentlichen wie folgt: Da in keinem der Dokumente D3, D6, D8 und D9 ein Sensor oder ein Bedienelement der Bedieneinrichtung von einem Bediener direkt berührt werde, sei Merkmal 1.9 offenbart. Somit sei der Gegenstand des Anspruchs 1 weder gemäß Hauptantrag noch gemäß einem der Hilfsanträge neu.
Entscheidungsgründe
1. Zulassung des Antrags auf mündliche Verhandlung der Beschwerdegegnerin und Zulassung der Entgegenhaltungen D8, D9
Hinsichtlich dieser Fragen haben die Beteiligten während der mündlichen Verhandlung ihre Zustimmung zu einer Begründung in gekürzter Form gegeben (Artikel 15(7) VOBK 2020; siehe Protokoll der mündlichen Verhandlung).
Es genügt daher an dieser Stelle zu erwähnen, dass der spät gestellte Antrag auf mündliche Verhandlung zugelassen wurde, da es sich dabei nicht um eine Änderung des Beschwerdevorbringens nach Artikel 13(1) VOBK 2020 handelt, sondern um eine Ausübung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, und dass die Kammer keinen Grund sieht, die Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung hinsichtlich der Zulassung von D8 und D9 aufzuheben, da diese das richtige Kriterium der prima facie Relevanz angewendet hat.
2. Zulassung des schriftlichen Vortrags der Beschwerdegegnerin vom 17. Juni 2020
Die Kammer hat den schriftlichen Vortrag zugelassen (Artikel 13(1) VOBK), insbesondere weil dadurch die Verfahrensökonomie nicht beeinträchtigt wird. Weitere Details hierzu erübrigen sich aber, da auch unter Berücksichtigung dieser Argumente dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin stattzugeben ist.
3. Neuheit des Anspruchs 1 des Hauptantrags
Entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung kommt die Kammer zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 neu ist gegenüber D3, D6, D8 und D9. Umstritten ist das Merkmal 1.9, wobei die Auslegung des Begriffs "berührungslos" in M1.9 durch die Kammer von der der Einspruchsabteilung abweicht: Das Merkmal verlangt eine Bedienung unter Ausschluss nicht nur direkter, sondern auch mittelbarer Berührungen der Bedieneinrichtung.
3.1 M1.9 "berührungslos"
Die Parteien beziehen sich bei der Auslegung auf Absatz [0010] der Patentschrift, der wie folgt lautet:
"Berührungslos heißt in diesem Zusammenhang, dass zwar die Bedieneinrichtung selbst, insbesondere ein Sensor der Bedieneinrichtung, nicht berührt wird, sterile Bauteile des Leuchtenkörpers, die den Sensor der Bedieneinrichtung abdecken, jedoch berührt werden können."
Die Patentinhaberin widerspricht der Interpretation der Einspruchsabteilung, dass sich der Begriff "berührungslos" gemäß Absatz [0010] der Patentschrift lediglich auf das direkte Berühren eines Sensors der Bedieneinrichtung durch den Bediener beziehe. Die Auslegung der Einspruchsabteilung stehe im Widerspruch zu Absatz [0038] und habe zur Folge, dass eine indirekte Berührung, z.B. über eine sterilisierbare Abdeckung, bereits unter das Merkmal 1.9 falle. Weiterhin lasse die Auslegung der Einspruchsabteilung eine direkte Berührung der Bedieneinrichtung selbst zu, solange nur die Sensoren der Bedieneinrichtung nicht direkt vom Bediener berührt würden (vgl. z.B. Entscheidung der Einspruchsabteilung, Punkt 2.4.1 zu D8 und Punkt 4.1.3 zu D3).
Die Einsprechende führte in der mündlichen Verhandlung aus, dass die in Absatz [0021] der Streitschrift beschriebene Schutzabdeckung 13 dazu diene, die Bedienfolie 17 u.a. vor mechanischer Beschädigung zu schützen. Zusammen mit Fig. 3, aus der die elastische Abdeckung 14, die Schutzabdeckung 13 und die Bedienfolie 17 hervorgehe, und mit Absatz [0037], worin als vorbestimmter Bewegungsablauf z.B. Tippen aufgeführt sei, ergebe sich eindeutig, dass unter den beanspruchten Gegenstand sowohl eine Funktion wie bei einem Touchscreen falle, als auch ein Erkennen über ein mittelbares Berühren der Bedienfolie über die Abdeckung und die Schutzfolie.
Hierzu brachte die Patentinhaberin vor, dass die Schutzabdeckung 13 lediglich dem Schutz der Bedienfolie 17 diene, wenn z.B. die sterilisierbare Abdeckung 14 ausgetauscht werde. Es könne aus der Erwähnung des Schutzcharakters der Abdeckung 13 nicht gefolgert werden, dass schon der normalen Betrieb eine mittelbare Berührung der Bedienfolie beinhalte. Um Missverständnisse bzgl. des Hinweises in Absatz [0037], wonach zur Bedienung von Zusatzfunktionen neben der Fokussiereinrichtung ein Tippen vorgesehen sein kann, zu vermeiden, lösche die Patentinhaberin im Rahmen der eingereichten angepassten Beschreibung den entsprechenden Satz in Absatz [0037].
Anspruch 1 fordere schließlich, dass die Fokussiereinrichtung berührungslos funktionieren müsse.
Gemäß Absatz [0008] des Streitpatents werde damit verhindert, dass bereits bei einem Umpositionieren der Operationsleuchte, bei dem der Handgriff, sprich die sterilisierbare Abdeckung 14, gegriffen werden müsse, unbeabsichtigt die Fokussierung verändert wird. Ein Greifen des Handgriff werde jedoch nicht als ein vorbestimmter Bewegungsablauf gemäß M1.9 erkannt.
Die Auslegung der Einspruchsabteilung und der Beschwerdegegnerin kann aus den folgenden Gründen nicht überzeugen:
Die Auslegung eines Merkmals hat sich zunächst am Wortlaut des Anspruchs und dem allgemeinen technischen Verständnis dieses Wortlauts zu orientieren. Das Merkmal 1.9 ist mit der Bedieneinrichtung und nicht dem Bediener als Subjekt formuliert. Die Bedieneinrichtung ist angepasst, berührungslos einen Bewegungsablauf des Bedieners zu erkennen. Das Merkmal stellt daher nicht in den Fokus, was der Bediener berührt, sondern vielmehr, ob die Bedieneinrichtung zum Erkennen eines Bewegungsablaufs berührt werden muss oder nicht. Die Definition in Absatz [0010] ändert diese Perspektive nicht, auch wenn sie im zweiten Halbsatz hinzufügt, dass andere Bauteile berührt werden können. Denn damit wird noch nicht ausgedrückt, dass mittelbar über diese Bauteile auch eine Berührung der Bedieneinrichtung erfolgen darf, die dann erst die Erkennung auslöst.
Auch sonst lässt sich der Beschreibung an keiner Stelle ein Hinweis entnehmen, dass die Bedieneinrichtung durch ein anderes Bauteil, etwa die vom Bediener bewegte Abdeckung, mittelbar zu berühren wäre. Das in Merkmal 1.9 definierte berührungslose Erkennen eines Bewegungsablaufes eines Bedieners erfolgt gemäß Absatz [0038] vielmehr entweder ganz ohne Kontakt der Operationsleuchte oder durch Entlangfahren entlang der sterilisierbaren Abdeckung (Handgriff 14). Die Abdeckung ist jedoch nicht als Teil der Bedieneinrichtung definiert und wird zum Bedienen auch nicht benötigt. Auch beim Entlangfahren entlang der Abdeckung wird die Bedieneinrichtung (7; 17) nicht kontaktiert, auch nicht indirekt über die Abdeckung 14. Selbst wenn ein Greifen des Handgriffs 14 zu einem Berühren der Schutzabdeckung und folglich zu einem indirekten Berühren der Bedienfolie 17 führen könnte, wird hierdurch die Fokussiereinrichtung nicht bedient.
Weiterhin ist zu beachten, dass der Wortlaut "insbesondere ein Sensor" in Absatz [0010] den Begriff "berührungslos" nicht auf den Sensor beschränkt, sondern dass "berührungslos" klar auf die ganze Bedieneinrichtung bezogen bleibt. Der Begriff "insbesondere ein Sensor" ist daher im Sinne von "dass insbesondere auch ein Sensor nicht berührt wird" zu lesen.
Der Lehre der Patentschrift folgend ist "berührungslos" im Anspruch 1 daher derart zu verstehen, dass die Bedieneinrichtung als Einheit zum Erkennen des Bewegungsablaufs des Bedieners weder direkt noch indirekt, d.h. weder durch den Bediener, noch durch ein anderes Bauteil kontaktiert oder berührt wird.
3.2 Neuheit gegenüber D3
D3 offenbart auf S. 45, Z. 19-28 mögliche Ausführungen von Bedieneinrichtungen ("user interfaces"). Der darin aufgeführte Touchscreen fällt nach Ansicht der Einspruchabteilung (Punkt 4.1.3 der Entscheidung) unter M1.9, da durch die abdeckende Scheibe der Sensor selbst nicht berührt werde.
Der Touchscreen ist in D3 jedoch explizit der Bedieneinrichtung zugeordnet. Auch wenn die Scheibe des Touchscreens als sterilisierbare Abdeckung betrachtet werden könnte, bildet sie mit dem Touchscreen die Einheit der Bedieneinrichtung. Eine künstlich definierte Trennung der Scheibe von dem Rest des Touchscreen als Bedieneinrichtung wäre eine rückschauende Betrachtungsweise. Zum Erkennen des Bewegungsablaufs muss der Touchscreen berührt werden.
Zur sterilisierbaren Abdeckung der Bedieneinrichtung (Touchscreen) verweist die Einsprechende auf D3, S. 64, Z. 23-26: "a manual control can be adapted for placement in the sterile field by covering the manual control with a sterile plastic bag or sheet so the microsurgeon can manipulate the control manually without compromising sterile technique.". Abgesehen davon, dass sich kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Abdeckung der "manual control" und des auf S. 45 beschriebenen "user interface" erkennen lässt, würde sich daraus jedoch lediglich ein indirektes Berühren des Touchscreens ergeben, jedoch kein berührungsloses Erkennen.
Die Einsprechende führte aus, dass bei einem kapazitiven Touchscreen eine Änderung in der Kapazität bereits festgestellt werden könne, bevor ein Finger den Touchscreen berühre. Die Kammer ist jedoch der Ansicht, dass ein Fachmann diesen Effekt bei einem Touchscreen nicht als ein berührungsloses Erkennen zur Steuerung der Fokussiereinrichtung bezeichnet, sondern der Berührungsempfindlichkeit des Bildschirms zuordnet. Darüber hinaus fehlt es in D3 an einer eindeutigen und unmittelbaren Offenbarung dahin, dass bei den dort in einer Liste möglicher Eingabegeräte erwähnten "touch screens" bereits Bewegungen in Annäherung aber ohne Berührung des Bildschirms detektiert würden, wenn ein solcher "touch screen" überhaupt an der Operationsleuchte selbst angeordnet würde, was auch nicht eindeutig und unmittelbar offenbart ist.
Anspruch 1 ist daher neu gegenüber D3.
3.3 Neuheit gegenüber D6
Die Einspruchabteilung sah ein berührungsloses Erkennen des Bewegungsablaufs im Sinne des Merkmals 1.9 darin, dass die Bedienknöpfe durch eine Hülle (S. 7, oben, S.8, Abb. rechts unten) abgedeckt sind, so dass anstelle der Bedienknöpfe nur die Hülle berührt werde. Somit sei die Erkennung durch die Bedieneinrichtung berührungslos, wobei das Drücken der Knöpfe als vorbestimmter Bewegungsablauf angesehen wird.
Gemäß der Auslegung der Kammer kann dieser Argumentation nicht gefolgt werden. Die Bedienknöpfe sind eindeutig der Bedieneinrichtung zuzuordnen. Die Hülle stellt die sterilisierbare Abdeckung dar. Der Begriff "Bedienknöpfe" impliziert, dass die Bedieneinrichtung zum Erkennen des Eindrückens von der Hülle berührt werden muss. Ein berührungsloses Erkennen ist der D6 folglich nicht entnehmbar.
Anspruch 1 ist daher neu gegenüber D6.
3.4 Neuheit gegenüber D8
Die Einspruchabteilung war der Ansicht, dass ein berührungsloses Erkennung des Bewegungsablaufs im Sinne des Merkmals 1.9 gegeben sei, da der Bediener die Sensoren nicht direkt berühre, sondern lediglich die sterilisierte Abdeckung (Punkt 2.4.1 der Entscheidung).
Gemäß der Auslegung der Kammer kann dieser Argumentation nicht gefolgt werden. Weder der Schwenkhebel 22 noch die Sensoren 40, 42 erkennen berührungslos einen vorbestimmten Bewegungsablauf eines Bedieners (D8, Fig. 1, 2 mit Absatz [0024]). Der Schwenkhebel 22 ist mechanisch mit der Griffhülse 24 in Verbindung und die Sensoren 40, 42 werden von dem Schwenkhebel 22 kontaktiert. Somit erfolgt immer eine Berührung der Bedieneinrichtung.
Anspruch 1 ist daher neu gegenüber D8.
3.5 Neuheit gegenüber D9
Die Einsprechende argumentierte, dass den Absätzen [0067] bis [0071] zu entnehmen sei, dass durch Drehen oder Auslenken des Griffs die Fokussiereinrichtung angesteuert werde. Die Variante gemäß Absatz [0069] könne z.B. ähnlich der D8 ausgeführt sein. In der Variante gemäß Absatz [0068] würde der Fachmann einen Sensor zur Ermittlung des Drehwinkels mitlesen. Da der Bediener in beiden Varianten lediglich den Griff und keinen Sensor berühre, sei M1.9 offenbart.
D9 definiert den Handgriff jedoch eindeutig als Teil der Bedieneinrichtung (siehe Anspruch 8 und Absatz [0051] "l'interface de réglage du diamètre de focalisation comprend une poignée" sowie "La rotation de cette poignée dans un sens ou un autre par rapport à un axe de rotation permet alors de réduire ou d'agrandir le diamètre de focalisation."). Der beschriebene Aufbau der Bedieneinrichtung ermöglicht nach Ansicht der Kammer kein berührungsloses Erkennen, da der Handgriff als Teil der Bedieneinrichtung in jedem Fall direkt oder indirekt berührt und gedreht werden muss. Eine künstlich definierte Trennung des Handgriffs von der Bedieneinrichtung wäre der Lehre von D9 entgegengestellt und somit eine rückschauende Betrachtungsweise.
Anspruch 1 ist daher neu gegenüber D9.
4. Erfinderische Tätigkeit des Anspruchs 1 des Hauptantrags
4.1 Die Kammer sieht die Erfordernisse des Art. 56 EPÜ als erfüllt an.
In ihrer Beschwerdebegründung geht die Patentinhaberin von D3 als nächstliegenden Stand der Technik aus und erklärt, warum der Gegenstand des Anspruchs 1 von den restlichen Dokumenten nicht nahegelegt wird.
4.2 Bzgl. der Einwände zur erfinderischen Tätigkeit in Bezug auf Anspruch 1 des Hauptantrags bezieht sich die Beschwerdegegnerin lediglich pauschal auf das Vorbringen im Einspruchsverfahren (siehe Seite 5, Punkt 1.4 der Erwiderung der Beschwerdegegnerin). Ein solches Vorbringen wird im Beschwerdeverfahren regelmäßig nicht berücksichtigt (siehe auch Artikel 12 (1), (2) VOBK 2007). Es ist anzumerken, dass auch ein rein formeller Einwand wie auf S. 6 im dritten Absatz der Beschwerdeerwiderung formuliert, völlig unsubstantiiert ist und nicht als Vortrag zur erfinderischen Tätigkeit gewertet werden kann. Auch die Erwiderung der Beschwerdegegnerin vom 17. Juni 2020 auf die vorläufige Meinung der Kammer enthält keinen Vortrag zur erfinderischen Tätigkeit bzgl. Anspruch 1 des Hauptantrags. Auch hier ist anzumerken, dass ein rein formeller Einwand wie auf S. 17 dieses Schreibens ("Hilfsweise wird beantragt, Anspruch 1 des Hauptantrags und des 1. Hilfsantrags augrund mangelnder Erfindungshöhe unter Verwendung von D9, in Kombination mit dem Fachwissen des Fachmanns, zu widerrufen") völlig unsubstantiiert ist und daher nicht als Vortrag zur erfinderischen Tätigkeit gewertet werden kann.
4.3 Zwar erklärte die Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung nach dem Hinweis, dass die Kammer an ihrer Auslegung des Merkmals "berührungslos" wie im Bescheid vom 12. Juni 2020 und der Einschätzung, dass die Ansprüche gemäß jetzigem Hauptantrag daher neu seien, festhalte, sie wolle nun einen Vortrag zur fehlenden Erfindungshöhe bringen. Die Beschwerdegegnerin erklärte, sie sei zunächst davon ausgegangen, die Kammer durch den Hinweis auf die im Patent enthaltenen Ausführungsbeispiele, die als erfindungsgemäß angesehen würden, noch umstimmen zu können. Erst heute wisse sie, dass dies nicht gelungen sei.
Unter Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 13(1) VOBK 2020 hat die Kammer in der mündlichen Verhandlung aus folgenden Gründen keinen neuen Vortrag zur erfinderischen Tätigkeit zugelassen:
Die Einschätzung der Kammer konnte die Beschwerdegegnerin nicht überraschen, sondern entspricht der aus dem Bescheid. Trotz Kenntnis dieser vorläufigen Einschätzung der Kammer wurde vor der mündlichen Verhandlung kein Vortrag zur erfinderischen Tätigkeit unterbreitet. Auch wurde in der mündlichen Verhandlung keine Rechtfertigung vorgebracht, warum solcher Vortrag aufgrund außergewöhnlicher Umstände früher nicht möglich war. Dies wäre auch kaum darstellbar gewesen; denn ein Vortrag der Beschwerdeführerin zur Neuheit des vorliegenden Hauptantrags lag bereits in der Beschwerdebegründung vor, so dass ein (vollständiger) Vortrag zur erfinderischen Tätigkeit seitens der Beschwerdegegnerin, für den Fall dass die Kammer der Argumentation der Beschwerdeführerin zur Neuheit folgen würde, bereits als Reaktion dazu mit der Beschwerdeerwiderung möglich war und angebracht gewesen wäre.
4.4 Die Kammer sieht auch von Amts wegen keine Aspekte, die die erfinderische Tätigkeit in Frage stellen würden. Der Argumentation der Beschwerdeführerin kann daher gefolgt werden.
4.5 Anspruch 1 des Hauptantrags unterscheidet sich vom nächstliegenden Stand der Technik D3 durch das Merkmal 1.9. Der Erfindung liegt folglich die Aufgabe zugrunde, die sterile Bedienbarkeit der Operationsleuchte weiterzuentwickeln, um die Patientensicherheit zu erhöhen.
4.6 Der D3 alleine ist wie von der Patentinhaberin vorgetragen kein Hinweis auf ein berührungsloses Erkennen eines vorbestimmten Bewegungsablaufes eines Bedieners zu entnehmen. D4 offenbart hingegen allgemein ein Lampensystem, bei dem zur Steuerung einer Fokussiereinrichtung eine Bedieneinrichtung berührungslos vorbestimmte Bewegungen eines Bedieners erkennt (Fig. 11-14 mit S. 19, Z. 11-30). Die Kammer erachtet es jedoch weder als naheliegend, das Lampensystem der D4 als Operationslampe zu nutzen, noch die in D4 beschriebene Bedieneinrichtung 5 an der in D3 offenbarten Operationsleuchte anzuordnen. Im medizinischen Bereich werden zusätzliche Anforderungen z.B. an Funktionen, Ausleuchtung und Hygiene gestellt, die sich z.B. auch im Merkmal 1.11 widerspiegeln. Demnach erkennt der Fachmann, dass weitere Modifikationen notwendig sind.
Selbst bei einer Kombination von D3 mit D4 würde der Fachmann nicht zum beanspruchten Gegenstand gelangen, da die Bedieneinrichtung 5 in D3 nicht von einer sterilisierbaren Abdeckung abgedeckt ist.
Weiterhin ist die Kammer der Auffassung, dass aufgrund der konstruktiven Unterschiede des Lampensystems der D3 (vgl. Fig. 2 mit S. 6, Z. 25 - S. 7, Z. 13, S. 8, Z. 1-5, Fig. 19 mit S. 58, Z. 5-26) mit einem Touchscreen 4908 als Bedieneinrichtung und der D4 (z.B. Fig. 11, 12) mit Ultraschallsensoren 5 als Bedieneinrichtung keine unmittelbare Übertragbarkeit der D4-Bedieneinrichtung in die D3-Operationsleuchte möglich ist.
4.7 Die Kammer ist weiterhin der Ansicht, dass die gleiche Argumentation auch ausgehend von D6, D8 oder D9 in Kombination mit D4 gilt. Aufgrund der aufgeführten Argumente ist D4 auch nicht als geeigneter Ausgangspunkt anzusehen, um den Fachmann zu Erfindung zu führen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent auf der Grundlage der folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:
- Ansprüche 1 bis 13 gemäß Hauptantrag (eingereicht als Hilfsantrag 1 mit der Beschwerdebegründung) - Beschreibungsspalten 1 bis 10 wie in der mündlichen Verhandlung eingereicht - Figuren 1 bis 4 wie erteilt.| |