European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2021:T061219.20210514 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 14 Mai 2021 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0612/19 | ||||||||
Anmeldenummer: | 08843523.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | B22C 1/04 B22C 1/16 B22C 9/12 B22C 1/26 B22C 1/18 B22C 1/24 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | FORMSTOFFMISCHUNG MIT VERBESSERTER FLIESSFÄHIGKEIT | ||||||||
Name des Anmelders: | ASK Chemicals GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Steinhäuser, Thomas Peak International Products B.V. |
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Kammer: | 3.2.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein) Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 5 (nein) Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände Änderung nach Ladung - Hilfsantrag 5a (nein) Hilfsanträge 9 und 10 - nicht substantiiert - berücksichtigt (nein) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent Nr. 2 209 572 betrifft eine Formstoffmischung zur Herstellung von Gießformen für die Metallverarbeitung und ein Verfahren zur Herstellung von Gießformen für die Metallverarbeitung unter Verwendung der Formstoffmischung sowie eine mit dem Verfahren erhaltene Gießform.
II. Es wurden zwei Einsprüche eingereicht, die sich gegen das Patent im gesamten Umfang richteten und sich auf die Einspruchsgründe mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit gemäß Artikel 100 a) EPÜ und mangelnder Offenbarung gemäß Artikel 100 b) EPÜ stützten. Das Patent wurde von der Einspruchsabteilung gemäß dem damaligen ersten Hilfsantrag, eingereicht als fünfter Hilfsantrag mit dem Schreiben vom 2. März 2018, aufrechterhalten.
Die Patentinhaberin und die Einsprechende 2 haben gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent in geändertem Umfang aufrechterhalten wurde, form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt.
Nachdem einige Verfahrensbeteiligte sowohl Beschwerdeführerin als auch Beschwerdegegnerin sind, werden sie im Folgenden in ihrer Eigenschaft als Patentinhaberin bzw. Einsprechende 1 oder 2 benannt.
III. Mit der Beschwerdebegründung beantragte die Patentinhaberin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Basis eines der Anspruchssätze eingereicht während dem Einspruchsverfahren als Hauptantrag oder Hilfsanträge 1 bis 8 mit Schreiben vom 2. März 2018, oder als Hilfsanträge 9 und 10 mit Schreiben vom 26. Oktober 2018.
IV. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 3. August 2020 teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Meinung mit, dass das Patent widerrufen werden könnte.
V. Während der mündlichen Verhandlung am 14. Mai 2021 nahm die Patentinhaberin die Hilfsanträge 1-4 sowie Hilfsanträge 6-8 zurück. Ferner wurde die Sach- und Rechtslage erörtert, insbesondere im Hinblick auf die Vereinbarkeit des Hauptantrags sowie des Hilfsantrags 5 mit den Erfordernissen von Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ, die Zulassung ins Verfahren des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 5a gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 sowie die Berücksichtigung der Hilfsanträge 9 und 10 gemäß Artikel 12 (2) und (4) VOBK 2007.
Für weitere Einzelheiten zum Verlauf der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll Bezug genommen.
VI. Am Schluss der mündlichen Verhandlung lagen daher folgende Anträge vor:
Die Patentinhaberin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Basis eines der mit Schreiben vom 2. März 2018 eingereichten Anspruchssätze gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag 5, oder auf Basis des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Anspruchssatzes gemäß Hilfsantrag 5a, sowie auf Basis der mit Schreiben vom 26. Oktober 2018 eingereichten Anspruchssätze gemäß Hilfsanträgen 9 und 10.
Für den Fall der Nichtzulassung der Hilfsanträge 9-10 beantragte die Patentinhaberin weiter, die Angelegenheit zur Prüfung dieser beiden Hilfsanträge an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.
Die Einsprechende 2 beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Sie beantragte zudem, die Hilfsanträge 5a, 9 und 10 nicht in das Verfahren zuzulassen.
Die Einsprechende 1, die gemäß Artikel 107, zweiter Satz, EPÜ Verfahrenbeteiligte ist, hat kein Vorbringen eingereicht oder Anträge formuliert.
VII. In der vorliegenden Entscheidung sind die folgenden Dokumente aus dem Einspruchsverfahren genannt:
D9: DE 10 2004 057 669 B;
D12: WO 95/15229 A;
D13: WO 2006/024540 A.
VIII. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet mit der von den Verfahrensbeteiligten verwendeten Merkmalsgliederung a. bis e. wie folgt:
"a. Formstoffmischung zur Herstellung von Gießformen
für die Metallverarbeitung, mindestens umfassend:
b. - einen feuerfesten Formgrundstoff;
c. - ein auf Wasserglas basierendes Bindemittel;
d. - einen Anteil eines teilchenförmigen Metalloxids,
wobei das teilchenförmige Metalloxid ein
synthetisch hergestelltes amorphes
Siliciumdioxid ist;
dadurch gekennzeichnet, dass
e. der Formstoffmischung ein Anteil zumindest eines
Tensids zugesetzt ist,
das Tensid im Bindemittel gelöst ist und
das Tensid eine Sulfat- oder eine Sulfonatgruppe trägt."
Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 lautet mit der von den Verfahrensbeteiligten verwendeten Merkmalsgliederung (A) bis (I) wie folgt:
"(A)Verfahren zur Herstellung von Gießformen für die
Metallverarbeitung, mit zumindest den folgenden Schritten:
(B) Herstellen einer Formstoffmischung mindestens
umfassend:
(C) - einen feuerfesten Formgrundstoff;
(D) - ein auf Wasserglas basierendes Bindemittel;
(E) - einen Anteil eines teilchenförmigen Metalloxids,
wobei das teilchenförmige Metalloxid ein
synthetisch hergestelltes amorphes Siliciumdioxid
ist;
(F1) wobei das Bindemittel als Zwei-Komponenten-System
bereitgestellt wird,
(F2) wobei eine erste flüssige Komponente das
Wasserglas enthält und
(F3) eine zweite feste Komponente das teilchenförmige
Metalloxid,
(G) wobei der Formstoffmischung ein Anteil zumindest
eines in der flüssigen Komponente des Bindemittels gelösten Tensids zugesetzt wird und das Tensid eine Sulfat- oder eine Sulfonatgruppe trägt;
(H) Formen der Formstoffmischung, wobei die
Formstoffmischung mittels einer Kernschießmaschine mit Hilfe von Druckluft in ein Formwerkzeug geschossen wird;
(I) Aushärten der geformten Formstoffmischung, indem
die geformte Formstoffmischung erwärmt wird, um das im Bindemittel enthaltene Wasser zu verdampfen, wobei die Gießform erhalten wird."
Im Vergleich zu Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 enthält Anspruch 1 des Hilfsantrags 5a zusätzlich am Ende des Anspruchs das folgende Merkmal:
", wobei das Tensid ausgewählt ist aus der Gruppe von Octylsulfat und 2-Ethylhexylsulfat."
Zudem wurde das Wort "wird" in Merkmal (F1) gestrichen.
Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 9 lautet wie folgt:
"Verwendung eines Tensids zur Erhöhung der Heißfestigkeit und der Feuchtestabilität einer Gießform für den Leichtmetallguss, wobei die Gießform durch Herstellen und Formen einer Formstoffmischung in einem Formwerkzeug und durch Erwärmen der geformten Formstoffmischung hergestellt wird, wobei die Formstoffmischung mittels einer Kernschießmaschine mit Hilfe von Druckluft in das Formwerkzeug geschossen wird und die Formstoffmischung anschließend in dem Formwerkzeug ausgehärtet wird, und die Formstoffmischung mindestens umfasst:
- einen feuerfesten Formgrundstoff;
- ein auf Wasserglas basierendes Bindemittel;
- einen Anteil eines teilchenförmigen Metalloxids, wobei das teilchenförmige Metalloxid ein synthetisch hergestelltes amorphes Siliciumdioxid ist;
dadurch gekennzeichnet, dass der Formstoffmischung ein Anteil zumindest eines Tensids zugesetzt ist, das Tensid im Bindemittel gelöst ist und das Tensid eine Sulfat-Gruppe trägt."
Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 10 lautet wie folgt:
"Verwendung eines Tensids zur gleichzeitigen Erhöhung der Heißfestigkeit, des Kerngewichts, der Kaltfestigkeit und der Feuchtestabilität einer Gießform für den Leichtmetallguss, wobei die Gießform durch Herstellen und Formen einer Formstoffmischung in einem Formwerkzeug und durch Erwärmen der geformten Formstoffmischung hergestellt wird, wobei die Formstoffmischung mittels einer Kernschießmaschine mit Hilfe von Druckluft in das Formwerkzeug geschossen wird und die Formstoffmischung anschließend in dem Formwerkzeug ausgehärtet wird, und die Formstoffmischung mindestens umfasst:
- einen feuerfesten Formgrundstoff;
- ein auf Wasserglas basierendes Bindemittel;
- einen Anteil eines teilchenförmigen Metalloxids, wobei das teilchenförmige Metalloxid ein synthetisch hergestelltes amorphes Siliciumdioxid ist;
dadurch gekennzeichnet, dass der Formstoffmischung ein Anteil zumindest eines Tensids zugesetzt ist, das Tensid im Bindemittel gelöst ist und das Tensid eine Sulfat-Gruppe trägt."
IX. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Patentinhaberin lässt sich wie folgt zusammenfassen und wird im Übrigen im Detail in den Gründen diskutiert.
Hauptantrag
D12 habe als Ziel, die Fließfähigkeit zu erhöhen. Die Erhöhung der Fließfähigkeit sei für die vorliegende Erfindung nicht die entscheidende Größe, sondern die Erhöhung der Festigkeit. D12 könne somit nicht den nächstliegenden Stand der Technik darstellen. Stattdessen sei D13 der nächstliegende Stand der Technik.
D12 offenbare alle Merkmale des Anspruchs 1 des Hauptantrags außer Merkmal d. ("synthetisch hergestelltes amorphes Siliziumdioxid").
Es sei nicht die Aufgabe des Patents gewesen, eine Formstoffmischung mit guter Fließfähigkeit hinsichtlich der Heiß- oder Sofortfestigkeit und der Lagerstabilität zu verbessern. Ausgehend von der D12 als nächstliegendem Stand der Technik könne die Aufgabe nicht so umformuliert werden, weil diese Aufgabenstellung voraussetze, dass die Heißfestigkeiten der Formstoffmischungen der D12 bereits auf einem Niveau seien, das eine industrielle Herstellung mittels Kernschießmaschinen ermögliche.
Sollte der Fachmann ausgehend von D12 Formstoffmischungen hinsichtlich ihrer Festigkeit wählen, würde er Ausführungsformen mit anderen Aushärtungssystemen (Kohlendioxid) sowie anderen Tensiden (mit Phosphatgruppe) auswählen.
Nur durch die kombinierte Zugabe von Tensid und Siliziumdioxid gemäß dem beanspruchten Bindersystem könne eine Synergie erzielt werden, und zwar eine Erhöhung der Heißfestigkeit und Festigkeit nach Lagerung sowie ein gutes Kerngewicht. Da D13 die Zugabe von Tensid überhaupt nicht offenbare oder zumindest nahelege, gelange der Fachmann durch die Kombination der Lehren von D12 und D13 nicht zum beanspruchten Gegenstand ohne erfinderisch tätig zu werden.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags beruhe daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Hilfsantrag 5
D9 könne nicht nächstliegender Stand der Technik sein, weil sich die dort offenbarten Formstoffmischungen durch den Einsatz von Fluoriden ("Calciumfluorid") statt amorphem Siliziumdioxid von der erfindungsgemäßen Formstoffmischung unterschieden.
Die folgenden Merkmale (E), (F1) und (F3) seien in D9 nicht offenbart:
(E) [die Formstoffmischung umfasst] einen Anteil eines
teilchenförmigen Metalloxids, wobei das
teilchenförmige Metalloxid ein synthetisch
hergestelltes amorphes Siliciumdioxid ist;
(F1) das Bindemittel wird als Zwei-Komponenten-System
bereitgestellt; und
(F3) eine zweite feste Komponente [des Bindemittels
enthält] das teilchenförmige Metalloxid.
Ferner enthielten die Formstoffmischungen der Beispiele 1, 5, 6 und 7 der D9 "Calciumfluorid", das mit dem flüssigen Natriumsilikat zu einer Dispersion führe. Da eine Dispersion nicht flüssig sei, seien die in D9 offenbarten Formstoffmischungen aus Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 ausgeschlossen.
Zudem gehöre das in dem Verfahren der D9 verwendete Tensid "Natriumlaurylethersulfat" zu den eine Ethersulfatgruppe tragenden Tensiden, die nicht gleich zu setzen seien mit den eine Sulfatgruppe tragenden Tensiden gemäß Merkmal (G). Daher sei Merkmal (G) als ein weiteres Unterscheidungsmerkmal zu betrachten.
In Bezug auf die Beispiele der D9 werde nicht gezeigt, welche Funktion die dort eingesetzten Tenside hätten und zu welchem Effekt diese führen. Auch sei es nach der D9 unkritisch, welches Tensid eingesetzt werde. Eine klarer Zusammenhang zwischen den Unterscheidungsmerkmalen (Tensiden) und einer erhöhten Festigkeit sei nicht belegt worden.
Ferner werden in D9 andere Maßnahmen vorgeschlagen wie z.B. die Zugabe von Metallsalzen (Calciumfluorid) gemäß den Absätzen 6 und 7, um die Festigkeit zu erhöhen.
Durch die erfindungsgemäßen Ausführungsbeispiele 1.6, 1.8 und 1.11 sei belegt worden, dass die Gießformen eine gute Festigkeit sowie eine gute Feuchtestabilität aufweisen, so dass dünnwandige Gießformen hergestellt werden können. Die objektiv zu lösende technische Aufgabe könne somit darin gesehen werden, das aus der D9 bekannte Verfahren zur Herstellung von Gießformen so zu ändern, dass dünnwandige Gießformen hergestellt werden können.
D13 offenbare kein Tensid. Es sei in Hinblick auf D13 völlig ungewiss, ob und welches Tensid in der Zusammensetzung der D13 als "Härter" oder auch nur als Fließverbesserer fungiere.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 5 beruhe daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Hilfsantrag 5a
Im Lichte der angefochtenen Entscheidung könne D9 nicht als relevant bzw. als nächstliegender Stand der Technik für die beanspruchten Gegenstände vorgesehen werden.
Ferner habe die Einsprechende 2 zum ersten Mal während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer neue Argumente gegen Hilfsantrag 5 vorgebracht. Dies rechtfertige die Zulassung des Hilfsantrags 5a ins Verfahren.
Zudem fokussiere die in Anspruch 1 des Hilfsantrags 5a durchgeführte Einschränkung auf zwei spezielle Tenside lediglich den beanspruchten Gegenstand auf die erfindungsgemäßen Ausführungsbeispiele des Patents, die immer besprochen worden seien. Daher stelle Hilfsantrag 5a keine Änderung des Vorbringens der Patentinhaberin dar.
Hilfsantrag 5a sei somit ins Verfahren zuzulassen.
Hilfsanträge 9 und 10
Mittels der für die anderen Anträge vorgebrachten Argumente, insbesondere zum Hauptantrag und Hilfsantrag 5, seien die Hilfsanträge 9 und 10 implizit mit der Beschwerdebegründung sowie Beschwerdeerwiderung substantiiert worden.
Gegen die Hilfsanträge 9 und 10 seien keine Einwände erhoben worden, so dass eine Begründung für deren Patentierbarkeit nicht vorzubringen bzw. nicht erforderlich gewesen sei.
Hilfsanträge 9 und 10 seien somit zuzulassen.
X. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Einsprechenden 2 lässt sich wie folgt zusammenfassen und wird im Übrigen im Detail in den Gründen diskutiert.
Hauptantrag
Es könne mehrere gleichwertige Ausgangspunkte für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit geben. Es sei dann notwendig, für alle Ausgangspunkte, d.h. für alle gangbaren Lösungswege, den Aufgabe-Lösungs-Ansatz durchzuführen. Relevant sei allein die Frage, ob das gewählte Dokument ein geeigneter Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sei. Die Gießformen der D12 zeigten eine zweckmäßige und ausreichende Festigkeit. Daher sei D12 ein geeigneter Ausgangspunkt.
D12 offenbare alle Merkmale des Anspruchs 1 des Hauptantrags außer Merkmal d. ("synthetisch hergestelltes amorphes Siliziumdioxid").
Im Lichte des mit dem Unterscheidungsmerkmal d. verbundenen technischen Effekts könne die objektiv zu lösende technische Aufgabe darin gesehen werden, die aus der D12 bekannte Formstoffmischung so zu ändern, dass Gießformen mit erhöhter Festigkeit hergestellt werden können.
Der Fachmann ziehe D13 in Betracht, weil sie auf demselben technischen Gebiet wie D12 und Anspruch 1 des Hauptantrags liege. D13 offenbare die beanspruchte Lösung sowie deren Effekt. Es liege für den vor die zugrundeliegende Aufgabe gestellten Fachmann in Abwesenheit von erwartbaren technischen Schwierigkeiten auf der Hand, amorphes Siliciumdioxid gemäß der Lehre von D13 der aus D12 bekannten Formstoffmischung zuzugeben.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags beruhe daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Hilfsantrag 5
D9 betreffe wie auch Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 ein Verfahren zur Herstellung von Gießformen für die Metallverarbeitung. Daher stelle D9 einen geeigneten nächstliegenden Stand der Technik dar.
Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 unterscheide sich von der Offenbarung der D9 nur durch die Merkmale (E), (F1) und (F3).
Eine Dispersion sei flüssig, selbst wenn Partikel darin nicht gelöst vorlägen. Ferner falle das in dem aus D9 bekannten Verfahren verwendete Tensid "Natriumlaurylethersulfat" unter die Tenside gemäß Merkmal (G) des Anspruchs 1.
Im Lichte des mit den Unterscheidungsmerkmalen (E), (F1) und (F3) verbundenen Effekts könne die objektiv zu lösende technische Aufgabe darin gesehen werden, das aus der D9 bekannte Verfahren zur Herstellung von Gießformen so zu ändern, dass Gießformen mit erhöhter Festigkeit hergestellt werden können.
Der Fachmann ziehe D13 in Betracht, weil sie auf demselben technischen Gebiet wie D9 und Anspruch 1 des Hauptantrags liege. D13 offenbare die Merkmale (E), (F1) und (F3) sowie deren Effekt.
Es sei für den vor die zugrundeliegende Aufgabe gestellten Fachmann in Abwesenheit erkennbarer technischer Schwierigkeiten naheliegend, amorphes Siliciumdioxid gemäß der Lehre von D13 mit dem aus D9 bekannten Verfahren zu kombinieren.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 5 beruhe daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Hilfsantrag 5a
Die Einschränkung auf die bevorzugten Tenside sei unvorhersehbar erstmals während der mündlichen Verhandlung erfolgt. Bis zu diesem Zeitpunkt seien immer die Tenside im Allgemeinen adressiert worden. Die durchgeführte Einschränkung stelle daher eindeutig eine Änderung des Vorbringens der Patentinhaberin dar.
Ferner sei bereits im Ladungsbescheid der Kammer angedeutet worden, dass D9 als nächstliegender Stand der Technik angesehen werden könne. Ein solcher Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von D9 als nächstliegender Stand der Technik gegen das Verfahren des Hilfsantrags 5, worauf Hilfsantrag 5a basiert, sei zudem im Rahmen des schriftlichen Vorbringens bereits erhoben worden. Die Patentinhaberin könne somit nicht von der während der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansicht bzw. den Argumenten der Einsprechende 2 überrascht worden sein.
Die Einsprechende 2 habe bloß auf die von der Patentinhaberin selbst zum ersten Mal während der mündlichen Verhandlung neu vorgebrachten Argumente reagiert.
Hilfsantrag 5a sei somit nicht ins Verfahren zuzulassen.
Hilfsanträge 9 und 10
Eine Begründung bezüglich der Patentierbarkeit der Hilfsanträge 9 und 10 sei im Beschwerdeverfahren wie auch schon im Einspruchsverfahren nicht eingereicht worden. Eine implizite Substantiierung durch das Vorbringen zu den anderen Anträgen sei nicht zu erkennen.
In Lichte dieses Mangels seien die Hilfsanträge 9 und 10 im Verfahren nicht zu berücksichtigen.
Entscheidungsgründe
1. Anzuwendendes Recht
1.1 Die revidierte Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) ist am 1. Januar 2020 in Kraft getreten. Vorbehaltlich der Übergangsbestimmungen (Artikel 25 VOBK) ist die revidierte Fassung auch auf am Tag des Inkrafttretens bereits anhängige Beschwerden anwendbar. Sie ist somit im vorliegenden Fall anzuwenden.
1.2 Im vorliegenden Fall wurden die Beschwerdebegründungen und die Erwiderungen darauf fristgerecht vor dem 1. Januar 2020 eingereicht. Daher ist Artikel 12 (4) bis (6) VOBK 2020 nicht anzuwenden. Stattdessen ist Artikel 12 (4) VOBK 2007 sowohl auf die Beschwerdebegründungen als auch auf die Erwiderungen anzuwenden (Artikel 25 (2) VOBK 2020).
1.3 Da die Ladung zur am 14. Mai 2021 stattgefundenen mündlichen Verhandlung sowie die Mitteilung der Kammer nach Regel 100 (2) EPÜ für deren Vorbereitung im Jahre 2020 zugestellt wurde, d.h. nach dem Inkrafttreten der revidierten Fassung, ist Artikel 13 (2) VOBK 2020 anzuwenden (Artikel 25 (3) VOBK 2020).
2. Hauptantrag - erfinderische Tätigkeit
2.1 D12 - nächstliegender Stand der Technik
2.1.1 Die Patentinhaberin vertritt die Meinung, dass D12 nicht den nächstliegenden Stand der Technik darstellen könne, weil die darin genannte Erfindung zum Ziel habe, die Fließfähigkeit zu erhöhen. Dieser Effekt sei im Streitpatent nur zweitrangig. Laut der Patentinhaberin sei die Erhöhung der Fließfähigkeit für die vorliegende Erfindung nicht die entscheidende Größe, sondern die Erhöhung der Festigkeit, insbesondere die Heißfestigkeit und die Festigkeit nach Lagerung im (luftfeuchten) Klimaraum.
Die Festigkeiten sowie die Stabilität in dünnen Bereichen der Gießformen, die mit der aus D12 bekannten Formmischung erreicht werden, seien so schlecht, dass der Fachmann D12 nicht als Ausgangspunkt für die Erfindung in Betracht ziehe. D12 stelle eine überholte und vergessene Technik dar, die für die Herstellung von Gießformen unbrauchbar sei.
Ferner seien in D12 unterschiedliche Tenside offenbart, die eine Auswahl für den Fachmann erforderlich machten (siehe D12, Anspruch 14). Dabei ziehe der Fachmann ein anionisches Tensid gemäß Anspruch 1 nicht in Betracht, weil es zu einer Verschlechterung der Festigkeit führe. D12 zeige in Tabelle I in Bezug zu Beispiel 1, bei dem kein Tensid zugegeben werde, dass die Fließfähigkeit mit zunehmender Festigkeit sinke. Im Vergleich dazu zeige D12 in Tabelle II in Beispiel 2, bei dem ein eine Sulfatgruppe tragendes Tensid ("sodium laurly sulfate") zugegeben werde, dass die Fließfähigkeit mit Tensid steige. Allerdings verschlechtere sich die Festigkeit. Zudem zeige D12, dass andere Tenside, wie z.B. ein eine Phosphatgruppe tragendes Tensid (vgl. Beispiel 3), bessere Ergebnisse im Hinblick auf die Festigkeit lieferten oder dass eine Aushärtung der Formstoffmischung durch Kohlendioxid auch eine mögliche Alternative sei (vgl. Beispiel 6 und 7).
Dagegen werde durch die kombinierte Zugabe des Tensids mit dem amorphen Siliziumdioxid gemäß der Erfindung ein synergetischer Effekt erreicht, und zwar eine Erhöhung der Heißfestigkeit sowie der Festigkeit nach Lagerung, siehe Tabelle 2 des Streitpatents, Ausführungsbeispiele 1.6, 1.8 und 1.11. Dazu sei die Fließfähigkeit unverändert. Diese Ergebnisse würden in D12 nicht erreicht.
Beispiel 1.3 der Tabellen 1 und 2 des Streitpatents entspreche der Lehre der D12, während Beispiel 1.2 der Tabellen 1 und 2 des Streitpatents der Lehre der D13 entspreche. Im Vergleich zu D13 stelle D12 somit keinen gleichwertigen Ausgangspunkt für die Betrachtung der erfinderischen Tätigkeit dar, so dass D13 der nächstliegende Stand der Technik sei.
2.1.2 Dieser Meinung kann sich die Kammer nicht anschließen.
Die Argumente der Patentinhaberin unterstellen, dass der Aufgabe-Lösungs-Ansatz ausgehend von nur einem einzigen Dokument bzw. einem einzigen Ausführungsbeispiel des Standes der Technik, und zwar aus dem zunächst auszuwählenden nächstliegenden Stand der Technik, angewendet werden kann. Dies entspricht nicht der ständigen Rechtsprechung.
Wenn dem Fachmann mehrere gangbare Wege offenstehen, d.h. von mehreren unterschiedlichen Dokumenten bzw. Ausführungsbeispielen ausgehende Wege, die zur Erfindung führen könnten, erfordert nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern die Ratio des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes, die Erfindung in Bezug auf alle diese Wege zu prüfen, bevor ihr die erfinderische Tätigkeit zugesprochen wird. Ist die Erfindung für den Fachmann im Hinblick auf mindestens einen dieser Wege naheliegend, so ist sie nicht erfinderisch. Wenn die erfinderische Tätigkeit verneint wird, muss die Wahl des Ausgangspunkts zudem nicht konkret begründet werden (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, I.D.3.1).
Selbst wenn ein Stand der Technik vorliegt, der sich auf denselben Zweck bezieht, ist es nicht ausgeschlossen, dass ein weiteres Dokument zu einem ähnlichen Zweck als besserer - oder zumindest gleichermaßen plausibler - nächstliegender Stand der Technik betrachtet wird, sofern für den Fachmann auf Anhieb klar wäre, dass dessen Offenbarung direkt und allein mithilfe des allgemeinen Fachwissens für die Zwecke der beanspruchten Erfindung angepasst werden kann (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, supra, I.D.3.4.1, T 1841/11).
Die Entgegenhaltungen D9, D12 und D13 liegen alle auf dem technischen Gebiet des Anspruchs 1 des Hauptantrags und betreffen Formmischungen zur Herstellung von Gießformen für die Metallverarbeitung (siehe z.B. Ansprüche 1 der zitierten Entgegenhaltungen). Im Lichte der oben angegebenen Grundsätze kann daher jede der Entgegenhaltungen D9, D12 und D13 im Gegensatz zur Meinung der Patentinhaberin als ein plausibler nächstliegender Stand der Technik für die Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes angesehen werden. Dieses Grundprinzip ist auch innerhalb der Lehre von D12 in Bezug auf dessen unterschiedliche Ausführungsbeispiele anwendbar, insbesondere für die Auswahl der Beispiele 2 und 4 sowie der Ansprüche 11-14 jeweils als nächstliegender Stand der Technik unter Berücksichtigung der darin offenbarten verschiedenen Tenside bzw. Aushärtungskomponenten.
Entgegen der Meinung der Patentinhaberin zielt das Streitpatent zudem darauf ab, gleichzeitig eine Erhöhung der Heißfestigkeit und des Kerngewichts zu erreichen. Diese Aufgabe wird gemäß Absatz 153 des Streitpatents durch Zugabe sowohl von amorphen Siliziumdioxid als auch oberflächenaktiven Substanzen gelöst. Das Kerngewicht gibt einen Aufschluss über die Fließfähigkeit, siehe Streitpatent, Absatz 151. Der Zusammenhang der durch das Streitpatent zu lösenden Aufgabe mit der Erhöhung der Fließfähigkeit wird auch explizit in den Absätzen 32 und 33 in Bezug auf die zunehmende Komplexität der Kerngeometrien offenbart. Die dafür vorgeschlagene Lösung scheint die Zugabe zumindest eines oberflächenaktiven Stoffs zu sein, siehe Absatz 35 und kennzeichnender Teil des Anspruchs 1 des Streitpatents. Deshalb stellt auch die Erhöhung der Fließfähigkeit eine dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe dar.
Wie von der Einsprechenden 2 geltend gemacht, ermöglichen die aus D12 bekannten Formstoffmischungen auch, eine gute Festigkeit zu erreichen, siehe Seite 3, Zeilen 24-27, bzw. einen Kompromiss zwischen erhöhter Fließfähigkeit und Festigkeit zu erzielen, siehe Seite 4, Zeilen 27-37. Aus diesen Textstellen geht hervor, dass D12 darauf ausgerichtet ist, eine Formstoffmischung zur Herstellung von Gießformen bereitzustellen, die eine hohe Fließfähigkeit hat und zweckmäßige Festigkeiten erzielt. Deshalb ist D12 auf den gleichen Zweck wie das Patent gerichtet und weist die gleiche Zielsetzung auf.
2.2 Offenbarung von D12
Beispiel 2 in Bezug auf Beispiel 1 (Seiten 10, Zeile 1 bis Seite 11, Zeile 10), Beispiel 4 (Seite 12, Zeile 30 bis Seite 15, Zeile 26) und Ansprüche 11-14 von D12 offenbaren jeweils eine
a. Formstoffmischung zur Herstellung von Gießformen für die Metallverarbeitung (Seite 1, Zeilen 3-8 "foundry binder"; Seite 3, Zeile 10 "manufacture of a foundry mould or core"; Seite 8, Zeilen 34-35 "moulding composition"; Anspruch 11 "foundry mold or core"), mindestens umfassend:
b. einen feuerfesten Formgrundstoff (Seite 10, Zeile 9 "Chelford 60 sand" in Beispiel 2; Seite 13, Zeilen 11-12 "Wedron 530 silica sand" in Beispiel 4; Anspruch 12 "foundry sand");
c. ein auf Wasserglas basierendes Bindemittel (Seite 8, Zeilen 31-32 und Seite 10, Zeilen 9-10 "sodium silicate binder" für Beispiel 2; Seite 12, Zeilen 33-35 "sugar modified sodium silicate no-bake binder" für Beispiel 4; Anspruch 11, "binder comprising alkali metal silicate"); und
e. einen Anteil zumindest eines Tensids, wobei das Tensid im Bindemittel gelöst ist und das Tensid eine Sulfat- oder Sulfonatgruppe trägt (Seite 10, Zeile 6 und Zeilen 9-12 "sodium lauryl sulfate" in Beispiel 2; Seite 12, Zeile 32 bis Seite 13, Zeilen 16 "sodium 2-ethylhexyl sulphate" in Beispiel 4; Ansprüche 13-14 "anionic surfactant", "...organic sulfates, organic sulphonates...").
Folglich offenbaren Beispiel 4, Beispiel 2 und die Ansprüche 11-14 der D12 jeweils die Merkmale a., b., c. und e. von Anspruch 1 des Hauptantrags.
2.3 Unterscheidungsmerkmal
Die Kammer teilt somit die Auffassung der Einsprechenden 2, dass sich Anspruch 1 des Hauptantrags nur durch Merkmal d. ("synthetisch hergestelltes amorphes Siliziumdioxid") von der Offenbarung von D12 (Beispiel 2, Beispiel 4 oder Ansprüche 11-14) unterscheidet. Dies wurde von der Patentinhaberin nicht bestritten.
2.4 Technischer Effekt - zu lösende Aufgabe
2.4.1 Der mit dem Unterscheidungsmerkmal d. verbundene technische Effekt ist eine Erhöhung der Festigkeit der Gießform. Der Effekt kann den Tabellen 1 und 2 des Streitpatents entnommen werden, wobei der Vergleich zwischen Beispiel 1.3 einerseits, das laut der Patentinhaberin der Offenbarung von D12 entspricht, und den erfindungsgemäß Ausführungsbeispielen 1.6 und 1.8 sowie 1.11 andererseits zeigt, dass die Zugabe von amorphem Siliziumdioxid die Heißfestigkeit sowie die Festigkeit nach Lagerung erhöht. Dagegen bleibt das Kerngewicht im Wesentlichen unverändert.
Dieser Effekt wird durch den Vergleich zwischen dem amorphes Siliziumdioxid enthaltenden Beispiel 1.2 und dem kein amorphes Siliziumdioxid enthaltenden Beispiel 1.1 auch bestätigt, siehe Tabellen 1 und 2 des Streitpatents.
2.4.2 Deshalb kann die objektiv zu lösende technische Aufgabe darin gesehen werden, die aus D12 bekannte Formstoffmischung so zu ändern, dass Gießformen mit erhöhter Festigkeit hergestellt werden können.
2.5 Kombination mit D13
2.5.1 D13 liegt auf demselben technischen Gebiet wie D12 und Anspruch 1 des Hauptantrags und betrifft Formstoffmischungen zur Herstellung von Gießformen für die Metallverarbeitung, siehe Seite 1, erster Absatz und Anspruch 1. D13 würde daher vom Fachmann ausgehend von D12 in Betracht gezogen werden.
2.5.2 D13 offenbart, dass die Zugabe von synthetisch hergestelltem amorphem Siliciumdioxid die Festigkeit - die Heißfestigkeit sowie die Festigkeit nach Lagerung - von Gießformen mit Quarzsand und Alkaliwasserglas erhöht, siehe den die Seiten 7 und 8 überbrückenden Absatz; Seite 24, erster Absatz; Seite 28, erster Absatz; Ansprüche 1 und 2; Tabellen 1 bis 4.
Dies wird auch bestätigt durch die erreichte hohe Festigkeit des Beispiels 2.3 der D13, das Vergleichbeispiel 1.2 in den Tabellen 3 und 4 des Streitpatents ähnelt, im Vergleich z.B. zu Vergleichsbeispiel 2.1 von D13.
Wie von der Einsprechenden 2 vorgebracht, setzt auch D13, analog zu D12, ein Wasserglas basierendes Bindemittel mit einem feuerfesten Grundstoff ein. Für den Fachmann ist daher eindeutig und unmittelbar erkennbar, dass deren Lehren kompatibel sind.
In Abwesenheit von erkennbaren technischen Schwierigkeiten bei der Umsetzung würde der vor die oben definierte zugrundeliegende Aufgabe gestellte Fachmann daher amorphes Siliciumdioxid der aus D12 bekannten Formstoffmischung zugeben, um den in D13 beschriebenen, damit verbundenen Festigkeitsgewinn zu erzielen.
Die Zugabe eines teilchenförmigen Metalloxids in Form eines synthetisch hergestellten amorphen Siliciumdioxids zu der Formstoffmischung von D12 ist daher naheliegend. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
Die Kammer vermag keinen Fehler in der von der Einspruchsabteilung durchgeführten Erwägung der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 des Hauptantrags ausgehend von D12 in Punkt 18.2.2 der angefochtenen Entscheidung zu erkennen.
2.5.3 Die Patentinhaberin argumentiert, dass D12 andere Aushärtungssysteme (Kohlendioxid) sowie andere Tenside (beispielsweise mit einer Phosphatgruppe) offenbare, die besser geeignet wären, die zugrundeliegende Aufgabe zu lösen.
Laut der Patentinhaberin sei in D12 von der Heißfestigkeit überhaupt nicht die Rede, denn die Gießformen würden abgekühlt, bevor deren Festigkeit gemessen werde. Dies habe damit zu tun, dass das in D12 beschriebene Verfahren keine Kernschießmaschine für die Herstellung der Gießformen verwende, sondern Maschinen, die das Formstoffgemisch einblasen (siehe z.B. Seite 11, Zeilen 4-6 "The mix was...blown"). Daraus resultierten maßgeblich unterschiedliche Anforderungen an die Formstoffgemische. Bei Verwendung von Kernschießmaschinen würden die Gießformen noch heiß entnommen. Zudem sei die mittels Kernschießmaschinen erreichte Taktung viel höher. Dafür müssten die Gießformen eine ausreichende Heißfestigkeit aufweisen, was in D12 nicht wesentlich bzw. der Fall sei. Falls der Fachmann die Heißfestigkeit als wesentlich ansehe, wähle er somit das Aushärtungssystem mit Kohlendioxid in der Offenbarung der D12 aus, weil die Festigkeit der Gießformen früher gemessen werde, und zwar nach einer Minute anstatt nach Stunden, vgl. z.B. Tabelle V (2 und 8 Stunden) mit Tabellen IX und XI (1 Minute).
D12 zeige ferner, dass Gießformen, die ein eine Phosphatgruppe tragendes Tensid enthalten, eine höhere Festigkeit aufwiesen, als Gießformen, die ein eine Sulfat- oder Sulfonatgruppe tragendes Tensid enthalten, vgl. Beispiel 3, Tabelle III mit Beispielen 2 und 4, Seite 11, Zeilen 8-9 und Tabelle V.
Deshalb vertritt die Patentinhaberin die Meinung, dass der vor die oben definierte zugrundeliegende Aufgabe gestellte Fachmann nicht zur beanspruchten Lösung ("synthetisch hergestelltes amorphes Siliziumdioxid") gelange, weil er andere Lösungen als die beanspruchte mit besseren Ergebnissen zur Verfügung habe, und zwar andere Aushärtungssysteme (Kohlendioxid) sowie andere Tenside (mit einer Phosphatgruppe).
Die Patentinhaberin argumentiert weiter, dass ein Vergleich zwischen den Ergebnissen der Beispiele 1.3 und 1.1 des Streitpatents zeige, dass die Zugabe des Tensids allein keinen Effekt auf die Festigkeit habe. Nur die Zugabe von beiden Bestandteilen gemäß dem beanspruchten Bindersystem, d.h. Tensid zusammen mit Siliziumdioxid, ermögliche eine Synergie durch Wechselwirkung zu erreichen, und zwar eine Erhöhung der Heißfestigkeit und Festigkeit nach Lagerung sowie ein gutes Kerngewicht. Da D13 die Zugabe von Tensid überhaupt nicht offenbare bzw. nahelege, gelange der Fachmann durch die Kombination der Lehren von D12 und D13 nicht zum beanspruchten Gegenstand ohne erfinderisch tätig zu werden.
2.5.4 Dieser Meinung kann sich die Kammer nicht anschließen.
Aus der Tatsache, dass in D12 weitere Lösungen für die gestellte Aufgabe, die Festigkeit der Formstoffmischung zu verbessern, offenbart sind, kann nicht unweigerlich gefolgert werden, dass eine weitere bekannte und übliche Lösung, wie im vorliegenden Fall die Zugabe von synthetisch hergestelltem amorphen Siliziumdioxid im Lichte der Offenbarung der D13, eine erfinderische Tätigkeit begründen kann (siehe Punkt 2.5.2 oben).
Die von der Patentinhaberin behauptete Synergie bzw. Wechselwirkung zwischen dem Tensid gemäß Merkmal e. und dem amorphen Siliciumdioxid gemäß Merkmal d. wurde nicht belegt. Die Beispiele des Streitpatents zeigen insbesondere keine Effekte, die über eine rein additive Wirkung der beiden bekannten Bindemittelbestanteile Siliciumdioxid und Sulfattensid hinausgeht. Wie im obigen Punkt 2.4.1 ausgeführt, geht lediglich der von Merkmal d. als solches erzielte Effekt klar aus dem Streitpatent hervor.
2.6 Da der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ausgehend von D12 als nächstliegendem Stand der Technik in Kombination mit der Lehre von D13 als nicht erfinderisch betrachtet wird, erübrigt es sich, die von der Einsprechenden 2 gegen diesen Antrag weiteren erhobenen Einwände zu diskutieren.
3. Hilfsantrag 5 - erfinderische Tätigkeit
3.1 D9 - nächstliegender Stand der Technik
D9 betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Gießformen für die Metallverarbeitung, siehe Ansprüche 1 und 11, und liegt somit auf dem selben technischen Gebiet wie Anspruch 1 des Hilfsantrags 5. Ferner wird in diesem Verfahren gemäß Absatz 38 von D9 eine Kernschießmaschine wie in Anspruch 1, Merkmal (H), verwendet. Daher stellt D9 einen geeigneten nächstliegenden Stand der Technik dar (siehe auch Punkt 2.1.2 oben).
3.2 Offenbarung der D9
D9 (Beispiel 1, 5, 6 und 7, Absätze 31, 32, 37, 38 und 39) offenbart ein Verfahren zur Herstellung von Gießformen für die Metallverarbeitung ("Aluminiumschmelze") mit zumindest den folgenden Schritten:
Herstellen einer Formstoffmischung mindestens umfassend:
- einen feuerfesten Formgrundstoff ("Quarzsand");
- ein auf Wasserglas basierendes Bindemittel ("Natriumsilikat");
wobei eine flüssige Komponente das Wasserglas enthält ("von 70% flüssigem Natriumsilikat", Absatz 32, Zeilen 1-2) und
wobei der Formstoffmischung ein Anteil zumindest eines in der flüssigen Komponente des Bindemittels gelösten Tensids zugesetzt wird und das Tensid eine Sulfatgruppe trägt ("mit 0,4% Tensid (Natriumlaurylethersulfat) als weiterem Zusatz", Absatz 32, Zeilen 4-5);
Formen der Formstoffmischung, wobei die Formstoffmischung mittels einer Kernschießmaschine mit Hilfe von Druckluft in ein Formwerkzeug geschossen wird ("Mischungen werden...in Form- oder Kernwerkzeuge eingeschossen", Absatz 38, Zeilen 2-3);
Aushärten der geformten Formstoffmischung, indem die geformte Formstoffmischung erwärmt wird, um das im Bindemittel enthaltene Wasser zu verdampfen, wobei die Gießform erhalten wird ("bei ca. 130°C zu "grünen" Formen oder Kernen ausgehärtet", "eine schnelle Aushärtung...durch die Einbringung von Hitze und/oder von heißer Spülluft", Absatz 38).
3.3 Unterscheidungsmerkmale
Die Kammer teilt somit die Auffassung der Einsprechenden 2, dass sich Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 nur durch die folgenden Merkmale (E), (F1) und (F3) von der Offenbarung von D9 unterscheidet:
(E) [die Formstoffmischung umfasst] einen Anteil eines
teilchenförmigen Metalloxids, wobei das
teilchenförmige Metalloxid ein synthetisch
hergestelltes amorphes Siliciumdioxid ist;
(F1) das Bindemittel wird als Zwei-Komponenten-System
bereitgestellt; und
(F3) eine zweite feste Komponente [des Bindemittels
enthält] das teilchenförmige Metalloxid.
3.4 Die Patentinhaberin vertritt die Meinung, dass die Formstoffmischung der Beispiele 1, 5, 6 und 7 der D9 "Calciumfluorid" enthalte, siehe Absatz 31, welches mit dem flüssigen Natriumsilikat zu einer Dispersion führe, weil Calciumfluorid unlösbar sei, siehe Absatz 7 ("schwerlösliche Metallsalze"). Die in D9 offenbarte Dispersion mit Calciumfluorid falle nicht unter den Wortlaut des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 5, weil eine Dispersion unter kein beanspruchtes Zwei-Komponenten-System (flüssige und feste Bestandteile) falle. Laut der Patentinhaberin sei eine Dispersion nicht flüssig.
Ferner gehöre das in dem aus D9 bekannten Verfahren verwendete Tensid "Natriumlaurylethersulfat" zu den eine Ethersulfatgruppe tragenden Tensiden, die nicht gleichzusetzen seien mit eine Sulfatgruppe tragenden Tensiden gemäß Merkmal (G). Daher sei Merkmal (G) als ein weiteres Unterscheidungsmerkmal zu betrachten.
3.5 Dieser Meinung kann sich die Kammer nicht anschließen.
Wie von der Einsprechenden 2 vorgebracht, ist auch die Kammer der Auffassung, dass eine Dispersion flüssig ist, selbst wenn Partikeln darin nicht gelöst sind. Deshalb ist die Verwendung von Calciumfluorid gemäß der Offenbarung in D9 als weitere Komponente des Bindemittels aus flüssigem Natriumsilikat, das zudem Tensid enthält, von Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 nicht ausgeschlossen.
Ferner stimmt die Kammer der Auffassung der Einsprechenden 2 zu, dass die Ethersulfatgruppe eine Untergruppe der Sulfatgruppe darstellt. Daher fällt das in dem aus D9 bekannten Verfahren verwendete Tensid "Natriumlaurylethersulfat" unter die Tenside gemäß Merkmal (G) des Anspruchs 1.
3.6 Technischer Effekt - zu lösende Aufgabe
3.6.1 Wie für Anspruch 1 des Hauptantrags unter Punkt 2.4.1 oben diskutiert, betreffen die Unterscheidungsmerkmale (E), (F1) und (F3) die Zugabe von synthetisch hergestelltem amorphem Siliziumdioxid. Der mit diesen verbundene technische Effekt ist daher eine Erhöhung der Festigkeit der Gießform.
3.6.2 Deshalb kann die objektiv zu lösende technische Aufgabe darin gesehen werden, das aus D9 bekannte Verfahren zur Herstellung von Gießformen so zu ändern, dass Gießformen mit erhöhter Festigkeit hergestellt werden können.
3.6.3 Die Patentinhaberin vertritt die Meinung, dass der in Beispiel 5 der D9 in Absatz 38 in Bezug auf die Beispiele 1 bis 4 offenbarte breite Wertebereich für die Festigkeit von 200 bis 500 N/cm**(2) für die Festigkeit in Bezug auf Beispiele 1 bis 5 nicht eine Erhöhung der Festigkeit durch die Unterscheidungsmerkmale begründen könne.
Entweder sei die dort offenbarte Festigkeit (200 N/cm**(2)) zu niedrig im Vergleich zu der Kaltfestigkeit von ca. 400 N/cm**(2) gemäß dem Streitpatent, siehe Beispiele 1.6, 1.8 und 1.11 in der Tabelle 2, oder zu hoch (500 N/cm**(2)) um die vorgeschlagene Aufgabe formulieren zu können.
Es sei in D9 nicht zu erkennen, welche Formstoffmischung der verschiedenen Beispiele 1 bis 4 gut sei. Eine klare Verbindung der Unterscheidungsmerkmale mit einer erhöhten Festigkeit sei nicht belegt worden.
Laut der Patentinhaberin sei durch die erfindungsgemäßen Ausführungsbeispiele 1.6, 1.8 und 1.11 vielmehr belegt worden, dass die Gießformen eine gute Festigkeit sowie eine gute Feuchtestabilität aufweisen, so dass dünnwandige Gießformen hergestellt werden können. Daher könne die objektive technische zu lösende Aufgabe darin gesehen werden, als das aus D9 bekannte Verfahren zur Herstellung von Gießformen so zu ändern, dass dünnwandige Gießformen hergestellt werden können.
3.6.4 Dieser Meinung kann sich die Kammer nicht anschließen.
Die Kammer stimmt der Patentinhaberin zu, dass der in Absatz 38 von D9 angegebene Wertebereich für die erzielten Festigkeiten nicht einer der verschiedenen Formstoffmischungen gemäß den Beispielen 1 bis 4 zuzuordnen ist. Daraus ist aber nicht ableitbar, dass deshalb der im Streitpatent für die Zugabe von amorphem Siliziumdioxid gezeigte Effekt bei der Formulierung der objektiven technischen Aufgabe zu vernachlässigen ist. Deshalb sieht die Kammer keine Veranlassung, die zu lösende Aufgabe wie von der Patentinhaberin vorgeschlagen umzuformulieren.
3.7 Kombination mit D13
3.7.1 D13 liegt auf demselben technischen Gebiet wie D9 und Anspruch 1 des Hilfsantrags 5, und zwar von Verfahren zur Herstellung von Gießformen für die Metallverarbeitung, siehe Seite 1, erster Absatz und Anspruch 1. D13 würde daher von einem Fachmann ausgehend von D9 in Betracht gezogen werden.
3.7.2 Wie schon unter Punkt 2.5.2 oben diskutiert, offenbart D13 die Zugabe von synthetisch hergestelltem amorphem Siliciumdioxid mit einer damit erreichten Erhöhung der Festigkeit von Gießformen (Merkmal (E)).
D13 offenbart weiter die Bereitstellung des Bindemittels als Zwei-Komponenten-System und die Zugabe von synthetisch hergestelltem amorphem Siliciumdioxid als feste Komponente zur Wasserglas enthaltenden flüssigen Komponente entsprechend den Merkmalen (F1) und (F3), siehe Seite 24, erster Absatz sowie Seite 19, dritter Absatz.
D13 offenbart somit alle Unterscheidungsmerkmale sowie deren Effekte auf die Festigkeit der Gießformen.
In Abwesenheit von erkennbaren technischen Schwierigkeiten bei der Umsetzung, würde der vor die oben definierte zugrundeliegende Aufgabe gestellte Fachmann daher amorphes Siliciumdioxid in dem aus D9 bekannten Verfahren einsetzen, um den in D13 beschriebenen, damit verbundenen Festigkeitsgewinn zu erzielen.
3.8 Laut der Patentinhaberin habe der Fachmann keine Motivation, die Lehre von D13 mit dem aus D9 bekannten Verfahren zu kombinieren, weil D13 kein Tensid offenbare.
3.9 Dieser Meinung kann sich die Kammer nicht anschließen.
Zum einen offenbart D13 explizit die Lösung für die zugrundeliegende Aufgabe mit deren Effekten bzw. Vorteilen (siehe Punkt 3.7.2 oben).
Zudem ist dieses Argument auch nicht nachvollziehbar, da in Beispiel 1 von D9 bereits ein Tensid mit Sulfatgruppe eingesetzt wird. Der Einsatz eines Tensids mit Sulfatgruppe stellt daher kein Unterscheidungsmerkmal dar. Mithin ist es unerheblich, dass D13 keine Formstoffmischung offenbart, die neben amorphen Siliciumdioxid auch ein Tensid mit Sulfatgruppe enthält.
3.10 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 5 beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
3.11 Da der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 5 ausgehend von D9 als nächstliegendem Stand der Technik in Kombination mit der Lehre von D13 als nicht erfinderisch beurteilt wird, erübrigt es sich, die von der Einsprechenden 2 gegen diesen Antrag weiteren erhobenen Einwände zu diskutieren.
4. Hilfsantrag 5a
4.1 Hilfsantrag 5a wurde zum ersten Mal während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht. Deshalb ist dessen Zulassung ins Verfahren dem Ermessen der Kammer unterworfen gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 (siehe Punkt 1.3 oben).
4.2 Nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
4.3 Als außergewöhnliche Umstände macht die Patentinhaberin geltend, dass sie im Lichte der angefochtenen Entscheidung nicht gerechnet habe, dass D9 als relevant bzw. als nächstliegender Stand der Technik für die beanspruchten Gegenstände sein könne.
Sie sei weiter zum ersten Mal mit dem Argument der Einsprechenden 2 konfrontiert worden, dass das in dem aus D9 bekannten Verfahren verwendete Tensid "Natriumlaurylethersulfat" als ein Tensid anzusehen sei, das eine Sulfatgruppe trage. Weiterhin sei auch das von der Einsprechenden 2 vorgebrachte Argument neu, wonach das in der Formstoffmischung der D9 verwendete Calciumfluorid von Anspruch 1 nicht ausgeschlossen sei bzw. eine dadurch hergestellte Dispersion als flüssig anzusehen sei.
Ferner seien die in Anspruch 1 des Hilfsantrags 5a durchgeführten Änderungen bloß eine Einschränkung auf die zwei Tenside der erfindungsgemäßen Ausführungsbeispiele des Patents, siehe Beispiele 1.6, 1.8 und 1.11 in der Tabelle 1 (Octylsulfat und 2-Ethylhexylsulfat). Da sich die Diskussion immer um diese zwei Tenside gedreht habe, stelle Hilfsantrag 5a keine Änderung des Vorbringens der Patentinhaberin dar.
4.4 Dieser Meinung kann sich die Kammer nicht anschließen.
4.4.1 Die Einsprechende 2 wie auch die Kammer waren zum ersten Mal während der mündlichen Verhandlung mit der Einschränkung auf zwei bevorzugte Tenside konfrontiert. Eine Fokussierung auf diese zwei bestimmten Tenside allein war nicht vorhersehbar, da die Wahl bestimmter Tenside mit Sulfatgruppe bis zu diesem Verfahrenszeitpunkt in keiner Weise als wesentlich für die Erzielung eines bestimmten Effekts herausgearbeitet wurde. In der Tat war in Anspruch 1 der vorherigen Anträge nur von Tensiden im Allgemeinen bzw. von eine Sulfat- oder eine Sulfonatgruppe tragenden Tensiden die Rede. Die von der Patentinhaberin durchgeführte Einschränkung auf zwei bevorzugten Tenside stellt daher eine Änderung des Vorbringens der Patentinhaberin dar.
4.4.2 Diese Änderung ist ferner nicht durch einen angeblich überraschenden Verfahrensablauf gerechtfertigt.
Bereits in dem Ladungsbescheid der Kammer wurde angedeutet, dass D9 als nächstliegender Stand der Technik angesehen werden könnte, siehe Punkte 8.3.3 und 10.3.1. Ein solcher Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von D9 als nächstliegender Stand der Technik gegen das Verfahren des Hilfsantrags 5, worauf Hilfsantrag 5a basiert, wurde zudem in der Beschwerdebegründung der Einsprechenden 2 erhoben, siehe Seiten 15-17 (siehe auch Bescheid der Einspruchsabteilung vom 20. April 2018, Punkte 5.2.6 und 5.2.9). Der Argumentation der Einsprechenden 2 war klar zu entnehmen, dass sie die Auffassung vertrat, dass
i) nur die Merkmale (E), (F1) und (F3) als Unterscheidungsmerkmale angesehen werden
ii) das gemäß D9 verwendete Tensid "Natriumlaurylethersulfat" einem Tensid gemäß Merkmal (G) entspricht und
iii) das in der Formstoffmischung von D9 verwendete Calciumfluorid von Anspruch 1 nicht ausgeschlossen wird.
Die Patentinhaberin konnte somit nicht von der Ansicht bzw. den Argumenten der Einsprechende 2 überrascht werden.
Die weiteren von der Patentinhaberin als vermeintlich neues Vorbringen seitens der Einsprechenden 2 identifizierten Argumente, wonach das in der Formstoffmischung der D9 verwendete Calciumfluorid von Anspruch 1 nicht ausgeschlossen sei bzw. eine dadurch hergestellte Dispersion als flüssig anzusehen sei, stellen eine bloße Reaktion der Einsprechenden 2 während der mündlichen Verhandlung auf die seitens der Patentinhaberin erstmalig vorgebrachten Argumente dar. Die Patentinhaberin selbst hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung erstmals die im obigen Punkt zusammengefassten Argumente in Bezug auf die erfinderische Tätigkeit ausgehend von D9 erörtert, siehe Schreiben vom 17. September 2019, Punkt 4.3.
4.5 Hilfsantrag 5a wird somit nicht ins Verfahren zugelassen (Artikel 13 (2) VOBK 2020).
5. Hilfsanträge 9 und 10
5.1 Hilfsanträge 9 und 10, die während dem Einspruchsverfahren mit Schreiben vom 5. September 2018 eingereicht wurden, wurden mit der Beschwerdebegründung der Patentinhaberin wieder eingereicht.
5.2 Nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 wird das gesamte Vorbringen der Beteiligten von der Kammer berücksichtigt, wenn und soweit es sich auf die Beschwerdesache bezieht und die Erfordernisse nach Absatz 2 erfüllt. Gemäß Absatz 2 müssen die Beschwerdebegründung und die Beschwerdeerwiderung den vollständigen Sachvortrag eines Beteiligten enthalten.
5.3 Gemäß der ständigen Rechtsprechung werden nicht substantiierte Hilfsanträge im Beschwerdeverfahren nicht berücksichtigt (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, supra, V.A.4.12.5).
5.4 Die Patentinhaberin hat für Hilfsanträge 9 und 10 keine Begründung bezüglich ihrer Patentierbarkeit im schriftlichen Beschwerdeverfahren eingereicht, d.h. es wurde keine Erklärung abgegeben, wie und warum die in dem jeweiligen Anspruch 1 durchgeführten Änderungen die von der Einsprechenden 2 erhobenen Einwände zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit überwinden können. Im Übrigen wurde eine solche Begründung auch im Einspruchsverfahren nicht vorgelegt.
In Lichte dieses Mangels an Substantiierung sind die Erfordernisse des Artikels 12 (2) VOBK 2007 nicht erfüllt.
Hilfsanträge 9 und 10 werden somit nicht im Verfahren berücksichtigt (Artikel 12 (4) VOBK 2007).
5.5 Die Patentinhaberin ist der Meinung, dass die Hilfsanträge 9 und 10 implizit durch das Vorbringen zu den anderen Anträgen, insbesondere zum Hauptantrag und Hilfsantrag 5, mit der Beschwerdebegründung sowie Beschwerdeerwiderung substantiiert worden seien. Die in Anspruch 1 durchgeführten Änderungen der Hilfsanträge 9 und 10 beträfen die Verwendung des Tensids und die dadurch auf die Gießformen erreichten Effekte. Dies sei immer Gegenstand der Diskussion gewesen.
Ferner macht die Patentinhaberin geltend, dass die Einsprechende 2 nie Einwände gegen die Hilfsanträge 9 und 10 erhoben habe. In Abwesenheit von auf die Hilfsanträge 9 und 10 gerichteten Einwänden sei keine Begründung von ihrer Seite vorzubringen bzw. erforderlich gewesen.
Hilfsanträge 9 und 10 seien somit zuzulassen.
5.6 Dieser Meinung kann sich die Kammer nicht anschließen.
Es ist für die Kammer anhand der eingefügten Änderungen nicht ersichtlich, aus welchen Gründen die in den Anspruchssätzen der Hilfsanträge 9 und 10 durchgeführten Änderungen die gegen höherrangige Anträge erhobenen Einwände ausräumen sollen. Auch die Patentinhaberin hat nicht aufgezeigt, wie das schriftliche Vorbringen der Beteiligten oder die während der mündlichen Verhandlung durchgeführten Diskussionen Hilfsanträge 9 und 10 implizit substantiieren könnten.
Insbesondere lässt das schriftliche und mündliche Vorbringen der Patentinhaberin in keiner Weise erkennen, aus welchem Grund die unter Punkt 2 und 3 oben diskutierten Einwände zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit gegen den Hauptantrag sowie Hilfsantrag 5 durch die vorgenommenen Änderungen in den Anspruchssätzen der Hilfsanträge 9 und 10 und insbesondere durch den Wechsel der Anspruchskategorie ausgeräumt werden könnten.
5.7 Nach ständiger Rechtsprechung können im Beschwerdeverfahren unberücksichtigte Anträge auch keine Zurückverweisung zur Prüfung an die Einspruchsabteilung rechtfertigen. Schließlich kommt eine weitere Prüfung des Einspruchs seitens der Einspruchsabteilung nur dann in Betracht, wenn in das Verfahren zugelassene Anträge vorliegen, die einer weiteren Prüfung zugrundegelegt werden können.
Dem Antrag der Patentinhaberin, die Angelegenheit zur Prüfung der Hilfsanträge 9 und 10 an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen für den Fall deren Nichtzulassung, kann somit nicht stattgegeben werden.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.