T 0608/19 (Bewegliche Führung eines Stuhls/GORACON ENGINEERING GMBH) of 17.3.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T060819.20200317
Datum der Entscheidung: 17 März 2020
Aktenzeichen: T 0608/19
Anmeldenummer: 13003584.3
IPC-Klasse: A47C9/02
A47C1/023
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Vorrichtung zur Abstützung und zur beweglichen Führung eines Stuhles
Name des Anmelders: goracon engineering gmbh
Name des Einsprechenden: Trendelkamp Technologie GmbH
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 108 (2007)
European Patent Convention Art 122(1) (2007)
European Patent Convention R 101(1) (2007)
European Patent Convention R 136(1) (2007)
European Patent Convention R 136(2) (2007)
European Patent Convention R 144(d) (2007)
Schlagwörter: Zulässigkeit der Beschwerde - Beschwerdebegründung
Zulässigkeit der Beschwerde - fristgerecht eingelegt (nein)
Wiedereinsetzung - erforderliche Sorgfalt - (nein)
Ausnahme von der Akteneinsicht
Kostenerstattung - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/86
J 0005/80
J 0017/03
J 0003/08
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Mit der am 2. Januar 2019 zur Post gegebenen Entscheidung wurde der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. EP-B-2 687 129 zurückgewiesen. Hiergegen legte die Einsprechende (Beschwerdeführerin) am 25. Februar 2019 Beschwerde ein und entrichtete am 7. März 2019 die Beschwerdegebühr. Am 19. Juni 2019 wurde die Beschwerdebegründung eingereicht. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin zwei eidesstattliche Versicherungen im Zusammenhang mit einer geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung ein und beantragte diese von der Akteneinsicht auszunehmen, da sie schutzwürdige persönliche und wirtschaftliche Interessen der betroffenen Personen beeinträchtigten.

II. Mit Bescheid vom 1. Juli 2019 informierte die Beschwerdekammer die Beschwerdeführerin, dass die Beschwerde voraussichtlich als unzulässig verworfen werde, da die Beschwerdebegründung nicht rechtzeitig eingereicht worden sei. Am 5. Juli 2019 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Wiedereinsetzung und zahlte am 8. Juli 2019 die Wiedereinsetzungsgebühr.

III. Zur Begründung trug sie Folgendes vor: Für die Fristenüberwachung arbeite der Vertreter der Beschwerdeführerin seit mehr als 12 Jahren mit der Patentanwaltskanzlei Dr W. zusammen. In diesem Zuge sei der Kanzlei Dr W., auf ausdrücklichen Wunsch der Mandantschaft, die Fristenüberwachung übertragen worden, wozu ein Fristensystem mit doppelter Absicherung eingeführt und etabliert worden sei. Die Kanzlei Dr W. notiere sämtliche Fristen elektronisch und zusätzlich händisch in einem EPA Tischkalender. Im vorliegenden Fall sei das Datum zur Einreichung der Beschwerdebegründung versehentlich auf 4 Monate nach Einreichung der Beschwerde vom 25. Februar 2019 notiert worden. Dieser Fehler sei auf eine private und extrem einschneidende Lebenssituation des Herrn Dr W. zurückzuführen.

IV. Zur Glaubhaftmachung wurden u.a. eine eidesstattliche Versicherung von Herrn Dr W. und Kopien der Fristenkalender eingereicht. Die Beschwerdeführerin beantragte zudem das Schreiben vom 5. Juli 2019 samt der enthaltenen Anhänge von der Akteneinsicht auszunehmen.

V. Mit Schreiben vom 1. August 2019 beantragte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Weiterhin beantragte sie der Beschwerdeführerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen. Durch das verfahrensmissbräuchliche und leichtfertige Verhalten seien der Beschwerdegegnerin Kosten in Höhe einer Vertretungsgebühr im Beschwerdeverfahren entstanden.

VI. In einer Mitteilung vom 7. Oktober 2019 teilte die Beschwerdekammer ihre vorläufige Auffassung mit. Sie wies insbesondere darauf hin, dass sowohl der bestellte Vertreter als auch ein mit dem Verfahren betrauter Dritter die erforderliche Sorgfalt walten lasse müssten. Auch wenn ein Dritter mit der Fristüberwachung beauftragt werde, entbinde dies den bevollmächtigten Vertreter nicht von einer eigenständigen Fristennotierung und Überwachung, weshalb die von einem Vertreter geforderte Sorgfalt nicht anerkannt werden könne.

VII. Die Beschwerdeführerin hat auf diesen Bescheid nicht reagiert. Die Beschwerdegegnerin hielt mit ihrem Schreiben vom 14. Oktober 2019 an ihrem Kostenantrag fest.

Entscheidungsgründe

1. Gemäß Artikel 108, Satz 1 EPÜ ist die Beschwerde innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Entscheidung einzulegen und gemäß Satz 3 ist sie innerhalb von vier Monaten zu begründen. Die Beschwerdebegründungsfrist lief am 13. Mai 2019 ab (Regel 126 (2), 132 (2) und (4) und 134 (1) EPÜ), so dass die am 19. Juni 2019 eingereichte Beschwerdebegründung verspätet ist. Die Beschwerde kann deshalb nur dann als zulässig angesehen werden, wenn dem Wiedereinsetzungsantrag stattgegeben werden kann.

Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrags

2. Der am 5. Juli 2019 eingereichte Wiedereinsetzungsantrag ist zulässig. Gemäß der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 1/86 (ABl. EPA 1987, 447) kann auch ein Einsprechender in die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung wiedereingesetzt werden. Das Hindernis i.S.d. Regel 136 (1) EPÜ ist mit Erhalt des Bescheids der Beschwerdekammer vom 1. Juli 2019, in dem die Beschwerdeführerin über die verspätete Einreichung der Beschwerdebegründung informiert wurde, entfallen. Der Wiedereinsetzungsantrag wurde innerhalb von 2 Monaten nach Wegfall des Hindernisses eingereicht und die Wiedereinsetzungsgebühr wurde ebenfalls innerhalb dieser Frist entrichtet. Somit sind die Frist- und Formerfordernisse der Regel 136 (1) und (2) EPÜ erfüllt.

Begründetheit des Wiedereinsetzungsantrags

3. Gemäß Artikel 122 (1) EPÜ wird ein Anmelder, der trotz Beachtung aller nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt verhindert worden ist, gegenüber dem Europäischen Patentamt eine Frist einzuhalten, auf Antrag wieder in den vorigen Stand eingesetzt, wenn die Versäumung der Frist einen unmittelbaren Rechtsverlust zur Folge hat. Daraus folgt in erster Linie, dass der Anmelder die erforderliche Sorgfalt walten lassen muss. Wird ein Vertreter bestellt, erstreckt sich die Sorgfaltspflicht sowohl auf den Anmelder als auch auf den Vertreter (J 5/80, ABl. EPA 1981,343, Punkt 4, J 17/03, Punkt 5). Die erforderliche Sorgfalt muss auch von einem Dritten beachtet werden, wenn er mit der Anmeldung betraut wird (J 3/08, Punkt 4). Dieselben Grundsätze gelten für einen Einsprechenden.

4. Im vorliegenden Fall ist Herr Steffen als Vertreter der Einsprechenden benannt. Er ist damit der im Verfahren vor dem EPA zuständige Vertreter und ihm obliegen die Verfahrenshandlungen. Damit fällt die Fristüberwachung und rechtzeitige Einreichung der Beschwerdebegründung in seinen Verantwortungsbereich. Nur er, und nicht Dr W. als Dritter, kann wirksam die Beschwerdebegründung einreichen und er muss sicherstellen, dass dies rechtzeitig geschieht. Betraut er damit eine andere Person, entbindet ihn dies nicht von seiner Verpflichtung, selbst wenn dies auf Wunsch der Mandantschaft geschieht, da nur er postulationsfähig ist. Die erforderliche Sorgfalt gebietet somit eine eigenständige Fristnotierung und Überwachung. Die Beschwerdeführerin hat bezüglich der Sorgfalt des bestellten Vertreters weder in dem Wiedereinsetzungsantrag noch in Antwort auf den Bescheid der Beschwerdekammer etwas vorgetragen. Gemäß Artikel 122 (1) EPÜ obliegt es der Partei den Nachweis der erforderlichen Sorgfalt des Vertreters zu führen. Dies ist aber nicht geschehen, so dass bereits aus diesem Grunde dem Wiedereinsetzungsantrag nicht stattgegeben werden kann. Insofern spielt die Frage, ob es sich seitens des Herrn Dr W. um ein entschuldbares Versehen handelte, keine Rolle.

5. Dementsprechend ist der Antrag auf Wiedereinsetzung nicht gewährbar, mit der Folge, dass die Beschwerde gemäß Regel 101 (1) EPÜ als unzulässig zu verwerfen ist.

Ausnahme von der Akteneinsicht

6. Die Beschwerdeführerin beantragte weiterhin, die mit der Beschwerdebegründung eingereichten eidesstattlichen Versicherungen von der Akteneinsicht auszunehmen. Nach Veröffentlichung der Anmeldung kann die Akteneinsicht nur unter den Voraussetzungen der Regel 144 EPÜ eingeschränkt werden. Gemäß Regel 144 d) EPÜ kann der Präsident des Europäischen Patentamts bestimmte Schriftstücke von der Akteneinsicht ausschließen, allerdings nur solche, die nicht dem Zweck dienen die Öffentlichkeit über das europäische Patent zu unterrichten. Dadurch soll vor allem die private Sphäre geschützt werden, aber auch bestimmte wirtschaftliche Interessen, die nichts mit dem technischen Inhalt des europäischen Patents zu tun haben (Stauder in Singer/Stauder Europäisches Patentübereinkommen, 8. Auflage, 2019, Artikel 128, Rdn.32). Schriftstücke, die zum Stand der Technik gehören oder, wie hier, dem Nachweis des Stands der Technik dienen, spielen eine Rolle für die Bestandskraft des Patents und dienen deshalb dem Zweck der Unterrichtung der Öffentlichkeit über das Patent. Somit können sie nicht von der Akteneinsicht ausgeschlossen werden.

7. Die Beschwerdeführerin hat darüber hinaus beantragt, die mit Schreiben vom 5. Juli 2019 eingereichte Begründung sowie die Anhänge von der Akteneinsicht auszunehmen. Nach Regel 144 d) EPÜ i.V.m. Artikel 1 Nr. 2 a) der Entscheidung der Präsidentin des EPA über die von der Akteneinsicht ausgeschlossenen Unterlagen (Sonderausgabe Nr. 3, ABl. EPA 2007, 125), können Schriftstücke von der Akteneinsicht ausgeschlossen werden, wenn sie schutzwürdige persönliche oder wirtschaftliche Interessen einer Person betreffen. Sowohl die Begründung als auch die dafür eingereichten Nachweise enthalten persönliche Angaben, die nichts mit der Wirksamkeit des Patents zu tun haben und an denen ein Interesse der Öffentlichkeit nicht gegeben ist, so dass sie von der Akteneinsicht auszunehmen sind.

Antrag auf Kostenerstattung

8. Die Beschwerdegegnerin beantragte der Beschwerdeführerin die Kosten in Höhe einer Vertretungsgebühr im Beschwerdeverfahren aufzuerlegen, da das Versäumnis der rechtzeitigen Einreichung der Beschwerdebegründung auf einem leichtfertigen Verhalten beruhe und ein verfahrensmissbräuchliches Verhalten darstelle. Eine Kostenauferlegung ist gemäß Artikel 104 (1) EPÜ nur möglich, wenn dies der Billigkeit entspricht. Ansonsten trägt jeder Beteiligte seine Kosten selbst. Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern entspricht eine anderweitige Kostenverteilung dann der Billigkeit, wenn Kosten durch leichtfertiges oder gar böswilliges Verhalten verursacht wurden (Rechtsprechung der Beschwerdekammern 2019, 9. Auflage, III.R.2). Dies vermag die Kammer hier nicht zu erkennen. Einer Partei steht es frei Beschwerde gegen eine sie beschwerende Entscheidung einzulegen. Dies entspricht einem normalen prozessualen Verhalten. Wenn ihr hierbei ein Fehler unterläuft, weil sie, wie im vorliegenden Fall, eine Frist falsch notiert, geht das zu ihren Lasten und das ist ein Risiko, das sie zu tragen hat. Es besteht aber keine Verpflichtung gegenüber der Patentinhaberin nur eine zulässige Beschwerde einzulegen. Nur unter diesem Gesichtspunkt könnte ein leichtfertiges Handeln allenfalls zu einer anderweitigen Kostenverteilung führen. Der Umstand sich von Fall zu Fall gegen letztendlich unbegründete oder unzulässige Beschwerden verteidigen zu müssen, liegt im Bereich des allgemeinen Lebensrisikos. Dieser Umstand rechtfertigt daher, wenn nicht weitere Umstände hinzutreten, keine abweichende Kostenverteilung (Rechtsprechung der Beschwerdekammern 2019, 9. Auflage, III.R.2.3).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.

2. Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.

3. Der Antrag auf Kostenerstattung wird zurückgewiesen.

4. Der Antrag die mit der Beschwerdebegründung eingereichten eidesstattlichen Versicherungen von der Akteneinsicht auszunehmen wird zurückgewiesen.

5. Das Schreiben vom 5. Juli 2019 samt der enthaltenen Anhänge wird von der Akteneinsicht ausgenommen.

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