European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2020:T060119.20200901 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 01 September 2020 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0601/19 | ||||||||
Anmeldenummer: | 14730738.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | B05D5/00 C23C14/00 C09D5/28 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | GLANZGRADEINSTELLUNG VON KUNSTSTOFFSUBSTRATEN MIT METALLISCHEM FINISH | ||||||||
Name des Anmelders: | Oerlikon Surface Solutions AG, Pfäffikon | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.2.07 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: | |||||||||
Schlagwörter: | Patentansprüche - Klarheit Patentansprüche - Hauptantrag (ja) Patentansprüche - Deutlichkeit (ja) Zurückverweisung an die erste Instanz - (ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Anmelderin (Beschwerdeführerin) legte frist- und formgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 21. September 2018 ein, welche die europäische Patentanmeldung 14 730 738.3 zurückgewiesen hatte.
II. Die Anmeldung wurde als nicht patentfähig angesehen, weil sie nicht den Erfordernissen der Artikel 83 und 84 EPÜ genügte. Die Begründung der Zurückweisungsentscheidung erfolgte durch Bezugnahme auf drei Mitteilungen der Prüfungsabteilung gemäß Artikel 94 (3) EPÜ vom 29. September 2016, 2. Juni 2017 und 4. Januar 2018.
III. In einem Telefonat am 30. Juni 2020 informierte der Berichterstatter den Vertreter der Beschwerdeführerin über den Stand der vorläufigen Prüfung der Beschwerde und wies darauf hin, dass es bei einer geänderten Antragslage möglich werde, über die Beschwerde unmittelbar im schriftlichen Verfahren zu entscheiden.
IV. Mit Schriftsatz datiert auf den 24. Juli 2020, elektronisch eingereicht am 22. Juli 2020, überreichte die Beschwerdeführerin neue Anträge und nahm den mit Beschwerdeeinlegung gestellten Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr zurück.
V. Die Beschwerdeführerin beantragt zuletzt sinngemäß
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und
die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Prüfungsabteilung zur weiteren Prüfung der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit,
hilfsweise
die Prüfung des Gegenstands der Patentansprüche auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit im schriftlichen Verfahren vor der Beschwerdekammer und
weiter hilfsweise
die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.
VI. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:
Verfahren zur Herstellung einer Komponente mit vorgegebenem Glanzgrad mit den Schritten:
- Bereitstellen einer Komponente mit metallischer Oberfläche
- Herstellen eines Matt-Glanz-Gemisches durch Mischen von Glanzlack und Mattlack in einem vorbestimmten Mischungsverhältnis
- Aufbringen des Matt-Glanz-Gemisches auf die metallische Oberfläche der Komponente
- Vernetzen des Matt-Glanz-Gemisches.
VII. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Beschwerdeführerin, die sich gegen die Feststellungen der Prüfungsabteilung zur mangelnder Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ) bzw. mangelnden Klarheit (Artikel 84 EPÜ) wendet, wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.
Entscheidungsgründe
1. Die vorliegende Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung gemäß Artikel 12 (8) VOBK 2020 unter Wahrung der Verfahrensrechte der Verfahrensbeteiligten nach Artikel 113 und 116 EPÜ.
Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113 (1) EPÜ ist uneingeschränkt beachtet, da die Verfahrensbeteiligte umfangreich zur Sache vorgetragen und die Kammer diesen Vortrag ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat.
Der von der Verfahrensbeteiligten hilfsweise gestellte Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß Artikel 116 (1) EPÜ steht unter der Bedingung, dass die Kammer nicht schon ihrem Hauptantrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Angelegenheit an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückzuverweisen, stattgibt. Da die Kammer mit der vorliegenden Entscheidung dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin folgt, wird der vorgenannte Hilfsantrag verfahrensrechtlich nicht wirksam.
2. Deutliche und vollständige Offenbarung (Artikel 83 EPÜ)
2.1 Die Prüfungsabteilung hat in ihrer zweiten Mitteilung gemäß Artikel 94 (3) EPÜ erstmals den Einwand der unzureichenden Offenbarung (Artikel 83 EPÜ) zusammen mit einem Einwand zur Klarheit des Anspruchs (Artikel 84 EPÜ) erhoben. Auf diese Einwände hat die Prüfungsabteilung in ihrer späteren dritten Mitteilung gemäß Artikel 94 (3) EPÜ erneut Bezug genommen.
2.2 Aus den Feststellungen der Prüfungsabteilung ist dabei nicht eindeutig erkennbar, welche Argumente genau den Einwand unzureichender Offenbarung stützen sollen. Dieses ist umso bemerkenswerter, als die Beschwerdeführerin insbesondere in ihrer Stellungnahme vom 1. Dezember 2017 auf die zweite Mitteilung der Prüfungsabteilung ausführlich vortrug, weshalb aus ihrer Sicht die beanspruchte Erfindung deutlich und vollständig im Sinne von Artikel 83 EPÜ offenbart ist.
Die Kammer ist zu der Ansicht gekommen, dass alle von der Prüfungsabteilung vorgetragenen Gründe nicht geeignet sind, den Einwand aus Artikel 83 EPÜ zu stützen, da sie sich allein auf die Klarheit einzelner Merkmale des Anspruchs 1 beziehen. Wie von der Beschwerdeführerin überzeugend argumentiert, sind auch im Übrigen unter Berücksichtigung der ursprünglich eingereichten Anmeldung für die Kammer keine offensichtlichen Gründe erkennbar, dass die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
2.3 Der derzeit beanspruchten Erfindung steht daher der von der Prüfungsabteilung pauschal und ohne substantiierte Begründung erhobene Einwand einer unzureichend deutlichen und vollständigen Offenbarung gemäß Artikel 83 EPÜ nicht entgegen.
3. Klarheit des Anspruchs 1 (Artikel 84 EPÜ)
3.1 Hinsichtlich der Klarheit des Anspruchs 1 gemäß Artikel 84 EPÜ hat die Prüfungsabteilung in ihrer Entscheidung festgestellt, dass die Begriffe "vorgegebener Glanzgrad", "...vorbestimmten Mischungsverhältnis...", "...Matt-Glanz-Gemisch...", "Glanzlack" sowie "Mattlack" vag und unklar seien, ohne eine weitere Erläuterung zu dieser Feststellung zu machen (siehe Punkte 1.1 und 1.2 der zweiten Mitteilung sowie Punkte 1.1 und 1.2 der dritten Mitteilung).
3.2 Die Kammer geht hingegen davon aus, dass die Begriffe "Glanzlack" und "Mattlack" sowie "Glanzgrad" dem Fachmann verständlich sind, nämlich zumindest als Begriffe im Rahmen des Reflexionsverhaltens einer Lackoberfläche bei einfallenden Licht. Demnach reflektiert die Oberfläche eines Mattlack einfallendes Licht eher diffus (unregelmäßig streuend), während die Oberfläche eines Glanzlacks Licht eher gerichtet (winkeltreu streuend) reflektiert. Ein "Glanzgrad" kann in diesem Zusammenhang als ein Maß für den Anteil des reflektierten Lichts verstanden werden, der winkeltreu gestreut wird. Auch der Begriff "Matt-Glanz-Gemisch" kann von dem Fachmann entsprechend in sinnvoller Weise als ein Gemisch aus einem Mattlack und einem Glanzlack verstanden werden.
3.3 Dass den Begriffen in der Anmeldung keine weitere Bedeutung gegeben wurde und beispielsweise hinsichtlich des Begriffs "Glanzgrad" offen gelassen ist, wie dieser ermittelt wird, betrifft im Ergebnis bloß die Breite des Anspruchs 1, nicht aber seine Klarheit und kann später bei der Frage der Neuheit bzw. erfinderischen Tätigkeit dessen Gegenstands relevant sein.
3.4 Die Kammer folgt entsprechend auch dem Argument der Beschwerdeführerin, dass sich die Begriffe "vorgegebener Glanzgrad" und "vorbestimmtes Mischungsverhältnis" dem Fachmann aus dem Kontext im Anspruch und aus der Beschreibung ergeben. Nach Ansicht der Kammer ist ebenfalls die Breite des Anspruchs 1 betroffen, nicht aber seine Klarheit. Dieses mögliche breite Verständnis kann später bei der Frage der Neuheit bzw. erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Gegenstands ebenfalls relevant sein.
3.5 Angesichts der oben angegebenen Gründe erfüllt Anspruch 1 entgegen den diesbezüglichen Feststellungen der Prüfungsabteilung die Erfordernisse der Klarheit gemäß Artikel 84 EPÜ.
4. Zurückverweisung der Angelegenheit
4.1 Die angefochtene Entscheidung ist folglich aufzuheben, da die Beschwerdeführerin überzeugend die Unrichtigkeit der die Zurückweisung der Patentanmeldung tragenden Feststellungen der Prüfungsabteilung dargetan hat.
4.2 Die weiteren Patentierbarkeitsvoraussetzungen bleiben in der angefochtenen Entscheidung und den in ihr in Bezug genommenen Mitteilungen völlig ungeprüft. Soweit die Prüfungsabteilung in ihrer ersten Mitteilung gemäß Artikel 94 (3) EPÜ einen Neuheitseinwand bezogen auf die Offenbarung der deutschen Gebrauchsmusterschrift DE 20 2013 010250 U1 (D3) kursorisch erwähnte (dort Punkt 1.1), stellt diese Erwähnung ohne jeglichen Begründungsansatz keine substantielle Prüfung dar.
Im Übrigen hat die Beschwerdeführerin die Erheblichkeit der D3 als Entgegenhaltung nach Artikel 54 (3) EPÜ unter Hinweis auf den identischen Prioritätstag der Anmeldung und Anmeldetag des Gebrauchsmusters (10. Mai 2013) bestritten, ohne dass die Prüfungsabteilung die geltend gemachte Priorität und damit deren Wirkung nach Artikel 89 EPÜ in Zweifel gezogen oder den Neuheitseinwand erneut erhoben hätte. Eine inhaltliche Erörterung zur Frage von Neuheit und erfinderische Tätigkeit hat zu keinem Zeitpunkt stattgefunden.
Vor diesem Hintergrund gelangt die Kammer unter Berücksichtigung des vorrangigen Ziels des Beschwerdeverfahrens einer gerichtlichen Überprüfung der angefochtenen Entscheidung gemäß Artikel 12(2) VOBK 2020 und nach Abwägung aller relevanten Umstände des vorliegenden Falles zum Ergebnis, dass die für die Patentierbarkeit maßgeblichen Fragen, insbesondere zur Neuheit und erfinderischen Tätigkeit des Anspruchsgegenstandes, eben nicht mit angemessenem Aufwand im Beschwerdeverfahren entschieden werden können, sondern vielmehr im nunmehr fortzusetzenden Prüfungsverfahren erst einmal die dafür notwendigen Grundlagen zu schaffen sind.
Folglich liegen zur Überzeugung der Kammer besondere Gründe im Sinne von Artikel 11, Satz 1 VOBK 2020 vor, dem ausdrücklichen Antrag der Beschwerdeführerin zu folgen und gemäß Artikel 111 (1) EPÜ die Angelegenheit an die Prüfungsabteilung zur weiteren Prüfung der Patentierbarkeitsvoraussetzungen zurückzuverweisen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung zu weiteren Entscheidung zurückverwiesen.