T 0571/19 (Heizvorrichtung/Mahle) of 11.2.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T057119.20210211
Datum der Entscheidung: 11 Februar 2021
Aktenzeichen: T 0571/19
Anmeldenummer: 11791569.4
IPC-Klasse: C21D1/42
C21D9/30
F27D11/06
H05B6/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: HEIZVORRICHTUNG
Name des Anmelders: Mahle International GmbH
Name des Einsprechenden: ThyssenKrupp Presta TecCenter AG
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 108 (2007)
European Patent Convention R 111(2) (2007)
European Patent Convention Art 111(2) (2007)
Schlagwörter: Zulässigkeit der Beschwerde - Beschwerde hinreichend begründet (ja)
Angefochtene Entscheidung - ausreichend begründet (nein)
Angefochtene Entscheidung - wesentlicher Verfahrensmangel (ja)
Beschwerdeentscheidung - Zurückverweisung an die erste Instanz (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/91
G 0009/91
G 0010/91
G 0003/14
T 0274/95
T 0648/96
T 1302/06
T 1805/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden (Beschwerdeführerin) betrifft die Entscheidung der Einspruchsabteilung, dass der damalige Hilfsantrag 3 den Erfordernissen des EPÜ genüge.

II. Mit der Beschwerdeerwiderung reichte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) einen neuen Hauptantrag ein.

III. Die Beschwerdeführerin brachte mit Schreiben vom 27. Dezember 2019 weitere Argumente vor.

IV. Die Beschwerdegegnerin reichte mit Schreiben vom 3. März 2020 den mit der Beschwerdeerwiderung gestellten Hauptantrag, sowie einen Hilfsantrag ein.

V. In der Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK war die Beschwerdekammer der vorläufigen Meinung, dass die Beschwerde zulässig, und eine sofortige Zurückverweisung der Sache an die Einspruchsabteilung mit Rückerstattung der Beschwerdegebühr erforderlich sei.

VI. Daraufhin nahmen mit Schreiben vom 18. Januar 2021 (Beschwerdegegnerin) und vom 22. Januar 2021 (Beschwerdeführerin) die Parteien ihre Anträge auf mündliche Verhandlung zurück.

VII. Die für diese Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden:

Die Beschwerde sei nicht zulässig, da sie sich nicht mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandersetze.

Die Einspruchsabteilung sei nicht verpflichtet alle Einspruchsgründe zu überprüfen, insbesondere deshalb nicht, weil Artikel 123(2) EPÜ keinen ursprünglichen Einspruchsgrund darstellte. Auch müsse sie sich nicht zwangsweise an den Aufgabe-Lösungs-Ansatz halten.

Zudem argumentiert sie, dass die Sache an die Einspruchsabteilung zurück zu verweisen sei, falls die Dokumente D27 bis D31 berücksichtigt würden.

VIII. Die Beschwerdeführerin beantragt die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin beantragt das Patent gemäß Hauptantrag oder hilfsweise gemäß Hilfsantrag 1, beide Anträge eingereicht mit Schreiben vom 3. März 2020, aufrechtzuerhalten.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerde (Artikel 108 EPÜ)

Die Kammer sieht die Beschwerde aus folgenden Gründen als ausreichend begründet an.

1.1 Die Prüfung der Anforderungen des Artikels 108 EPÜ in Verbindung mit Regel 99(2) EPÜ hat auf der Grundlage des Inhalts sowohl der Beschwerdebegründung als auch der angefochtenen Entscheidung zu erfolgen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, 2019, V.A.2.6.3 a)).

1.2 Im vorliegenden Fall ist einerseits die Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht ausreichend begründet (siehe Punkt 2) und andererseits legt die Beschwerdeführerin dar, wieso die erfinderische Tätigkeit ausgehend von Dokument D14, das gemäß der angefochtenen Entscheidung von der Beschwerdeführerin als nächstliegender Stand der Technik gewählt wurde, nicht als erfinderisch angesehen wird (Beschwerdebegründung, Seite 16, Punkt 3.).

1.3 Zudem ist eine Beschwerde, die einen völlig anderen Sachverhalt als den der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden einführt - vorbehaltlich sonstiger Mängel - dann zulässig, wenn sie sich noch auf denselben Einspruchsgrund stützt (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, 2019, V.A.2.6.5 a)). Dies ist hier der Fall, da die neuen Einwände sowohl die Neuheit als auch die erfinderische Tätigkeit betreffen. Beide Einspruchsgründe waren in der Einspruchsschrift geltend gemacht worden. Ob die neuen Einwände dann gemäß Artikel 12(4) VOBK 2007 in das Beschwerdeverfahren zugelassen d.h. bei der Begründetheitsprüfung berücksichtigt werden, wird erst in diesem Rahmen entschieden und ist keine Frage der Zulässigkeit der Beschwerde.

2. Begründung der angefochtenen Entscheidung (Regel 111(2) EPÜ)

2.1 Gemäß Artikel 101(3) a) EPÜ ist bei neuen Anträgen zu überprüfen, ob sie die Bedingungen des EPÜ erfüllen. Dies betrifft nicht die Klarheit im Falle der Kombination von - wie im vorliegenden Fall - erteilten Ansprüchen (G 3/14, Gründe 81) und das Erfordernis der Einheitlichkeit (G 1/91, Leitsatz). Jedoch ist auf jeden Fall das Erfordernis des Artikels 123(3) EPÜ zu prüfen (siehe G 9/91 und G 10/91, Gründe 19; T 648/96, Gründe 2.4; T 1302/06, Gründe 2), was im vorliegenden Fall nicht geschah. Aus der Entscheidung geht jedenfalls nicht hervor, wieso die Einspruchsabteilung die Bedingungen des Artikels 123(3) EPÜ für die Ansprüche des der Entscheidung zu Grunde liegenden Hilfsantrags 3 und insbesondere für Anspruch 6 dieses Antrags als erfüllt ansah.

Die Tatsache, dass Artikel 100(c) EPÜ kein Einspruchsgrund war und seitens der Einsprechenden kein Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ vorlag, ist für die Prüfung der geänderten Ansprüche auf die Erfordernisse des Artikels 123(3) EPÜ durch die Einspruchsabteilung irrelevant.

2.2 Auch ist die Entscheidung so zu begründen, dass sowohl die Parteien, als auch die Beschwerdekammer verstehen, ob die Entscheidung gerechtfertigt ist, oder nicht (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, 2019, III.K.3.4.1).

Die Entscheidung geht nicht darauf ein, wieso die Kombination des erteilten Anspruchs 1 mit den Ansprüchen 2 und 6 die Neuheit bedingen soll, obwohl der erteilte Anspruch 1 als nicht neu gegenüber D6 angesehen wurde. Zudem sind die weiteren in der Einspruchsschrift als neuheitsschädlich gegenüber dem erteiltem Anspruch 1 zitierten Dokumente D7, D8, D9, D10 und D17 überhaupt nicht erwähnt, sodass nicht nachvollzogen werden kann, wieso Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 als neu angesehen wurde. Obwohl die Einsprechende anscheinend keinen Neuheitseinwand gegen Hilfsantrag 3 vorbrachte (siehe angefochtene Entscheidung, Punkt 9 und Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, Punkt 6, sechster Absatz), obliegt es der Einspruchsabteilung mindestens anzugeben, wieso die ursprünglich gegen die Neuheit eingereichten Dokumente nicht mehr für die Prüfung unter Artikel 101(3) EPÜ relevant sind. Somit liegt prima facie auch ein Grund für die Überprüfung der Neuheit im Sinne der G 10/91 (Leitsatz 2) vor.

Die Kammer ist der Meinung, dass der Begründungspflicht nicht genüge getan ist, wenn nur darauf verwiesen wird, dass die Einsprechende für den spezifischen Antrag keine Einwände mehr hatte. Artikel 101(3) EPÜ setzt vielmehr voraus, dass die Einspruchsabteilung eine Überprüfung der geänderten Anträge von Amts wegen durchführt. Diese sollte dann, jedenfalls in knappen Worten, auch anschließend in der Begründung der Entscheidung wiederzufinden sein.

Der von der Beschwerdegegnerin zitierte Fall T 274/95 unterscheidet sich vom vorliegenden Fall dadurch, dass dort der Einspruchsgrund unter Artikel 100(c) EPÜ insgesamt, also auch für das erteilte Patent, zurückgenommen wurde, während im vorliegenden Fall die Neuheit ein Einspruchsgrund war und für den Hauptantrag sowie Hilfsantrag 1 durchgriff. Deshalb wäre es für das Verständnis der angefochtenen Entscheidung wesentlich gewesen, dass die Einspruchsabteilung mindestens angibt, was sie - für den der Entscheidung zu Grunde liegenden Hilfsantrag 3 - als Unterscheidungsmerkmal, gegenüber den in der Einspruchsschrift als neuheitsschädlich für das Streitpatent erwähnten Dokumenten, ansieht.

Die Begründung betreffend die erfinderische Tätigkeit des Hilfsantrags 3 enthält zudem keine logische Kette, die basierend auf dem etablierten Aufgabe-Lösungs-Ansatz ausgehend vom nächstliegenden Stand der Technik erläutert, wieso eine erfinderische Tätigkeit vorliegt. Die kurze Abhandlung von D16 und D8, sowie der nicht begründete Hinweis, dass den Argumenten des Patentinhabers beizupflichten sei (Absatz, der die Seiten 10 und 11 der Entscheidung verbindet), kann nicht als ausreichende Begründung angesehen werden. Insbesondere im Hinblick auf die zusätzlich von der Einsprechenden zitierten Entgegenhaltungen D6 und D11 wurden keine Entscheidungsgründe durch die Einspruchsabteilung gegeben. Selbst wenn von einem Verständnis ausgegangen wurde, wonach der Aufgabe-Lösungs-Ansatz nicht zwingend der Begründung zugrunde zu legen sei, so wäre es trotzdem erforderlich gewesen zu erklären, wieso den Argumenten des Patentinhabers zugestimmt wurde, damit verstanden werden kann, wieso die Bedingungen des Artikels 56 EPÜ als erfüllt angesehen wurden.

3. Angesichts der unzulänglichen Begründung der Entscheidung und der nicht kompletten Prüfung auch im Rahmen der vorgebrachten Einspruchsgründe des während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsantrags 3, kommt die Kammer zum Schluss, dass das Verfahren vor der Einspruchsabteilung wesentliche Mängel aufweist, die eine sofortige Zurückverweisung der Sache mit Rückerstattung der Beschwerdegebühr geboten erscheinen lassen (Artikel 111(2) EPÜ und Artikel 11 VOBK 2020, sowie Regel 103(1)a) EPÜ; siehe auch T 1805/14, Gründe 2.).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

3. Die Beschwerdegebühr wird zurückerstattet.

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