T 0463/19 () of 15.6.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T046319.20230615
Datum der Entscheidung: 15 Juni 2023
Aktenzeichen: T 0463/19
Anmeldenummer: 11187979.7
IPC-Klasse: G01G 21/28
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 816 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Nahtlose Wagenkörper und Verfahren zur Herstellung
Name des Anmelders: Janner, Siegfried
Name des Einsprechenden: Soehnle Industrial Solutions GmbH
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54(1)
European Patent Convention Art 54(2)
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 111(1)
European Patent Convention Art 123(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 011
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
Schlagwörter: Änderungen - zulässig (ja)
Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit (ja)
Spät eingereichte Beweismittel - Verfahrensmissbrauch (nein)
Spät eingereichte Beweismittel - Dokument hätte bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht werden können (nein)
Spät eingereichte Beweismittel - prima facie relevant (ja)
Spät eingereichte Beweismittel - zugelassen (ja)
Zurückverweisung - besondere Gründe für Zurückverweisung
Orientierungssatz:

Aufgrund folgender außergewöhnlicher Umstände ist das von der Einsprechenden verspätet eingereichte Dokument E65a im Sinne der Artikel 13 (1) und (2) VOBK 2020 im Verfahren zu berücksichtigen:

- Das Dokument war objektiv schwer auffindbar.

- Es wurde zweifellos nicht absichtlich zurückgehalten, sondern von einem Dritten erstmals in einem vom vorliegendem Einspruchsverfahren getrennten Einspruchsverfahren entgegengehalten und ist hierdurch der Einsprechenden bekannt geworden.

- Es gehört prima facie zum Stand der Technik.

- Es ist prima facie sehr relevant.

(Siehe Punkt 3.3 der Entscheidungsgründe)

Angeführte Entscheidungen:
T 0709/16
T 2429/17
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0719/22

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechende hat gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent Nr. 2453217 in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, Beschwerde eingelegt.

II. Mit dem Einspruch war das Patent in gesamtem Umfang im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 54 (1) und 56 EPÜ sowie auf Artikel 100 b) und c) EPÜ angegriffen worden.

III. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass unter Berücksichtigung der vom Patentinhaber im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen gemäß einem in der mündlichen Verhandlung eingereichten zweiten Hilfsantrag das europäische Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügten.

IV. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020, die als Anlage einer Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügt war, teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige und unverbindliche Meinung zu bestimmten, wesentlichen Aspekten des vorliegenden Beschwerdeverfahrens mit.

V. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 15. Juni 2023 statt.

VI. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents.

VII. Der Patentinhaber (Beschwerdegegner) beantragte als Hauptantrag die Zurückweisung der Beschwerde, d. h. die Aufrechterhaltung des Patents in der von der Einspruchsabteilung als gewährbar erachteten geänderten Fassung. Hilfsweise beantragte er die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung oder weiter hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Grundlage der Ansprüche gemäß einem der Hilfsanträge III oder IV, eingereicht im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren mit Schreiben vom 25. April 2018.

VIII. Die vorliegende Entscheidung nimmt Bezug auf die folgenden Dokumente:

D4: US 4,565,255,

E1: WO 2009/012742 A2,

E2: DE 198 41 025 A1,

E4: DE 692 32 155 T2,

E8: Fotos der Waage TONAVA (6 Seiten),

E17: Konstruktionszeichnung "Halter für Biegestab" (1 Seite),

E33: Konstruktionszeichnung der Soehnle Kompaktwaage (1 Seite),

E40: Fotos der Soehnle Rohwaage (3 Seiten),

E43: Fotos der Soehnle Kompaktwaage (5 Seiten),

E54: EP 0 296 907 A1,

E55: KR 10-2010-0095493,

E55a: Maschinenübersetzung von E55,

E56: US 5,228,527,

E57: EP 0 544 858 B1,

E58: FR 2 554 229,

E59: DE 195 24 571 A1,

E61: DE 20 2011 110 345 U1,

E64: DE 296 05 602 U1,

E65a: Benutzerhandbuch: "QC-3265 Checkweigher, Service Manual", Avery Weigh-Tronix, Juli 2008 (52 Seiten),

E65b: Ausdruck der Webseite des Herstellers Avery Weigh-Tronix, Internetarchiv vom 21. September 2007,

E65c bis E65e: Fotos der Waage QC-3265 (3 Seiten),

E66a: Werbebroschüre der Waage CW-90 X Over/Under Washdown Checkweigher des Unternehmens Rice Lake Weighing Systems, November 2009 (4 Seiten),

E66b und E66c: Fotos der Waage CW-90 X Over/Under Washdown Checkweigher (2 Seiten),

E66d: Ausdruck der Webseite von Phantom Scales, Manchester, Internetarchiv vom 23. Juni 2010.

Die von der Einsprechenden geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzungen werden wie folgt mit O1 bis O5 bezeichnet:

O1: Waagen des Unternehmens TONAVA, akciovä spolecnost, Modell TLA 5, dokumentiert u.a. in E8,

O2: Küchenwaage Gala, Küchenwaage Hippo, Feinwaage und Diätcomputerwaage des Unternehmens Soehnle Waagen GmbH & Co. KG, dokumentiert u.a. in E17 und E40,

O3: Kompaktwaage 7744, 7745 und 7746 des Unternehmens Soehnle Waagen GmbH & Co. KG, dokumentiert u.a. in E33 und E43,

O4: Wägebrücken 2880.10.100, 2880.30.100 und 2880.31.100 des Unternehmens Soehnle Waagen GmbH & Co. KG,

O5: Referenzwaage 2878 und 2879 des Unternehmens Soehnle Professional GmbH & Co. KG,

E65: Waage QC-3265 Checkweigher des Unternehmens Avery Weigh-Tronix, dokumentiert in E65a bis E65e,

E66: Waage CW-90 X Over/Under Washdown Checkweigher des Unternehmens Rice Lake Weighing Systems, dokumentiert in E66a bis E66d.

IX. Die Eingaben der Einsprechenden werden wie folgt mit A1 bis A5 bezeichnet:

A1: Beschwerdebegründung, eingereicht mit Schreiben vom 11. März 2019,

A2: Schreiben vom 11. September 2019,

A3: Schreiben vom 7. Dezember 2021,

A4: Schreiben vom 11. Januar 2022,

A5: Schreiben vom 15. November 2022.

Die Eingaben des Patentinhabers werden wie folgt mit B1 bis B4 bezeichnet:

B1: Beschwerdeerwiderung, eingereicht mit Schreiben vom 30. Juli 2019,

B2: Schreiben vom 16. Januar 2022,

B3: Schreiben vom 9. Februar 2022,

B4: Schreiben vom 15. Mai 2023.

X. Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag lautet (Nummerierung M1 bis M8 der Merkmale des Anspruchs 1):

"Tisch- oder Plattformwaage

M1: mit einer einzigen Wägezelle (8),

M2: einer oberen Rahmenkonstruktion (2) und

M3: einer unteren Rahmenkonstruktion (3),

M4: die über die Wägezelle (8) miteinander so verbunden sind, dass die untere Rahmenkonstruktion (3) und die obere Rahmenkonstruktion (2) an der Wägezelle (8) befestigt sind,

M5: wobei beide Rahmenkonstruktionen jeweils einstückig aus einer ebenen, monolithischen Platte gefertigt sind,

M6: wobei jede Rahmenkonstruktion (2,3) eine homogene, abgewinkelte Platte ohne stoffschlüssige Verbindungen aufweist

M7: und Ausnehmungen (21, 24, 25) und /oder abgewinkelte Bereiche (15 bis 20, 22) umfasst,

dadurch gekennzeichnet, dass

M8: jede Rahmenkonstruktion (2,3) an ihrem äußeren Umfangsrand teilweise abgewinkelte Bereiche aufweist, die quer zur Hauptfläche der Platte angeordnet sind, so dass Kantenwinkel ausgebildet sind".

Entscheidungsgründe

1. Änderungen

Der Gegenstand des Anspruchs 1 geht nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (Artikel 123 (2) EPÜ).

1.1 Merkmal: "mit einer einzigen Wägezelle"

Anspruch 1 in der ursprünglichen Anmeldung und in der Patentschrift definiert allgemein eine Waage mit einer Wägezelle. Der vorliegende Anspruch 1 wurde im Laufe des Einspruchsverfahrens vor der Einspruchsabteilung auf eine Waage mit einer einzigen Wägezelle eingeschränkt.

Die Einsprechende argumentiert, dass weder aus der Formulierung "eine Wägezelle" des ursprünglichen Anspruchs 1 noch aus der davon abgeleiteten Formulierung "wenigstens eine Wägezelle" die spezielle Mengenangabe "eine einzige Wägezelle" abgeleitet werden könne (A3, Seite 1). Darüber hinaus sei das Merkmal einer einzigen Wägezelle ursprünglich nur im Zusammenhang mit (i) einer unmittelbaren Befestigung der Wägezelle an den Rahmenkonstruktionen und (ii) dem Vorhandensein von Aussparungen offenbart gewesen. Durch das Weglassen dieser beiden Merkmale (i) und (ii) im vorliegenden Anspruch 1 sei eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung erfolgt (A1, Punkt 5.1).

Die Kammer teilt jedoch die Meinung des Patentinhabers und der Einspruchsabteilung, dass der Fachmann im Lichte der Gesamtoffenbarung der Patentanmeldung das Merkmal einer einzigen Wägezelle eindeutig aus der ursprünglichen Patentanmeldung ableiten würde, insbesondere weil das Ausführungsbeispiel nur eine einzige Wägezelle aufweist und auch weil an keiner Stelle der ursprünglichen Anmeldung eine Waage mit mehreren Wägezellen erwähnt wird. Darüber hinaus kann die Kammer im Fehlen der Merkmale (i) und (ii) in dem vorliegenden Anspruch 1 keine zusätzlichen, technisch relevanten Informationen erkennen, die über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehen, da bereits der ursprüngliche Anspruch 1 eine Waage mit wenigstens einer Wägezelle ohne die Merkmale (i) und (ii) offenbart hatte. Aus welchem Grund eine Einschränkung auf eine einzige Wägezelle das Vorhandensein der Merkmale (i) und (ii) zwingend nach sich ziehen sollte, erschließt sich der Kammer nicht.

Die Kammer ist daher der Ansicht, dass die Einschränkung des Anspruchs 1 auf eine Waage mit einer einzigen Wägezelle in der ursprünglichen Patentanmeldung offenbart ist und auch keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung darstellt.

1.2 Merkmale "jeweils", "jede", "eben", "monolithisch"

1.2.1 Argumente der Einsprechenden

Das einzige von der Einsprechenden schriftlich vorgetragene Argument im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ zu den Merkmalen "jeweils", "jede", "eben", "monolithisch" lautet: "Die Behauptung in Abschnitt 2.8 der Entscheidungsbegründung, die Unterscheidung zwischen der Ausgangsmaterialplatte (vor der Herstellung), aus der gefertigt wird, und der Platte, die eine fertig hergestellte Rahmenkonstruktion aufweist, sei 'künstlich' ist unzutreffend. Sie ergibt sich ganz objektiv aus dem gewählten Anspruchswortlaut und aus dem Absatz [0008] der Patentschrift" (A1, Punkt 5.2). Darüber hinaus wird pauschal und unsubstanziiert auf Eingaben der Einsprechenden aus dem erstinstanzlichen Verfahren verwiesen.

In der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer erklärte die Einsprechende, dass gemäß dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1 eine einzige monolithische Platte als Ausgangsmaterial offenbart gewesen sei. Daraus könne nicht eindeutig abgeleitet werden, dass die beiden Rahmenkonstruktionen jeweils aus einer monolithischen Platte gefertigt seien. Da in der ursprünglichen Anmeldung nicht offenbart sei, dass die beiden Rahmenkonstruktionen aus zwei monolithischen Platten gefertigt würden, gehe das Hinzufügen des Wortes "jeweils" im Merkmal M5 über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus.

1.3 Die Argumente der Einsprechenden sind nicht nachvollziehbar.

1.3.1 Hinsichtlich des Merkmals "jeweils" stellt die Kammer fest, dass es sich bei dem vorliegendem Anspruch 1 um einen Vorrichtungsanspruch handelt. So lässt sich bei den beiden fertigen Rahmenkonstruktionen der beanspruchten Waage nicht feststellen, ob sie ursprünglich aus einer einzigen großen monolithischen Platte oder aus zwei kleineren monolithischen Platten gefertigt wurden. Beide Möglichkeiten fallen unter den Wortlaut des Vorrichtungsanspruchs 1. Da aus der ursprünglich eingereichten Anmeldung eindeutig hervorgeht, dass beide Rahmenkonstruktionen aus einer monolithischen Platte gefertigt wurden, wobei es dahingestellt bleiben kann, ob es sich dabei um eine große oder um zwei kleine Platten handelt, geht das Hinzufügen des Worts "jeweils" im Merkmal M5 nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus.

1.3.2 Des Weiteren geht, wie von dem Patentinhaber in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, aus Anspruch 1 der ursprünglich eingereichten Anmeldung, in Zusammenschau mit dem ersten Absatz auf Seite 8, eindeutig hervor, dass beide Rahmenkonstruktionen einstückig aus einer ebenen, monolithischen Platte gefertigt sind. Der Fachmann wird verstehen, dass es sich bei der Verwendung der ebenen Platte in dem Ausführungsbeispiel (siehe ursprünglich eingereichte Anmeldung, Seite 8, Zeile 6) um die monolithische Platte des Anspruchs 1 handelt. Somit geht das Hinzufügen der Wörter "eben" und "monolithisch" im Merkmal M5 nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus.

1.3.3 Aus der Gesamtoffenbarung der ursprünglich eingereichten Anmeldung geht eindeutig hervor, dass die verschiedenen Eigenschaften einer Rahmenkonstruktion, insbesondere das Aufweisen einer homogenen, abgewinkelten Platte ohne stoffschlüssige Verbindungen, nicht nur für eine, sondern für jede Rahmenkonstruktion gelten, siehe die ursprünglich eingereichte Patentanmeldung, Seite 2, Zeile 15 bis Seite 3, Zeile 3. Somit geht das Hinzufügen des Worts "jede" im Merkmal M6 nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus.

2. Ausreichende Offenbarung

Die in Anspruch 1 definierte Erfindung ist so deutlich und vollständig offenbart, dass der Fachmann sie ausführen kann (Artikel 83 EPÜ).

Der von der Einsprechenden erstmalig im Beschwerdeverfahren erhobene Einwand unzureichender Offenbarung hinsichtlich der Dicke der Platten, die eine Mindeststeifigkeit gewährleistet (A2, Punkt 2), wurde von der Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung nicht aufrechterhalten. Auch die Kammer sieht keinen Grund, die Ausführbarkeit der in Anspruch 1 definierten Erfindung in Frage zu stellen.

3. Zulassung von E65a bis E65e

Die mit den Dokumenten E65a bis E65e dokumentierte offenkundige Vorbenutzung E65 der Waage QC-3265 Checkweigher, sowie das Dokument E65a zugleich als Stand der Technik, sind in dem Verfahren zu berücksichtigen (Artikel 13 VOBK 2020).

3.1 Argumente der Einsprechenden für die Berücksichtigung der Dokumente E65a bis E65e im Verfahren

Mit Schriftsatz A5 machte die Einsprechende erstmalig die mit den Dokumenten E65a bis E65e dokumentierte Vorbenutzung der Waage QC-3265 Checkweigher geltend. In der mündlichen Verhandlung trug die Einsprechende vor, dass das Dokument E65a allein bereits zum Stand der Technik gehöre und brachte folgende Umstände und Argumente für die Zulassung der verspätet eingereichten Dokumente E65a bis E65e im Verfahren und für deren technische Relevanz vor:

a) Die Waage QC-3265 Checkweigher sei der Einsprechenden bis zum Zeitpunkt des Einreichens der Dokumente E65a bis E65e unbekannt gewesen.

b) Nichtpatentdokumente seien wesentlich schwieriger aufzufinden, insbesondere da sie nicht wie Patentdruckschriften in Datenbanken recherchierbar seien. Es wäre ein "gigantischer" Aufwand gewesen, sämtliche Benutzerhandbücher aller weltweit angebotenen Waagen einzeln aus dem Internet herunterzuladen und durchzusehen. Insbesondere habe es im vorliegenden Fall keine markanten Schlüsselwörter gegeben, die die wesentlichen Merkmale der beanspruchten Waage beschrieben hätten und nach denen die Einsprechende hätte suchen können.

c) E65 sei der Einsprechenden nur durch Zufall aus dem Einspruchsverfahren gegen das Patent EP 2 905 588 B1, welches aufgrund einer Teilanmeldung zu der vorliegenden Patentanmeldung erteilt worden sei, bekannt geworden. Eine weitere Einsprechende gegen das Patent EP 2 905 588 B1, die MinebeaMitsumi Technology Center Europe GmbH, hätte die Dokumente E65a bis E65e in ihrer Einspruchsschrift vom 10. Oktober 2022 eingereicht.

d) Das Benutzerhandbuch E65a trägt das Druckdatum "Juli 2008". Da Benutzerhandbücher kein Selbstzweck seien und grundsätzlich dazu dienten, den Käufern übergeben zu werden, sei aufgrund der Wahrscheinlichkeitsabwägung davon auszugehen, dass zumindest E65a zum Stand der Technik gehöre.

e) E65a bis E65e seien prima facie hoch relevant und nähmen die beanspruchte Waage neuheitsschädlich vorweg, insbesondere nähme die auf Seite 41 von E65a gezeigte Waage die beanspruchte Waage neuheitsschädlich vorweg.

3.2 Gemäß Artikel 13 (1) VOBK 2020 stehen Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung im Ermessen der Kammer. In Satz 4 der genannten Vorschrift werden einige Kriterien genannt, die bei dieser Ermessensentscheidung durch die Kammer berücksichtigt werden können.

Gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung, wie zum Beispiel das verspätete Einreichen der Dokumente E65a bis E65e durch die Einsprechende, grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

3.3 Aufgrund der folgenden Aspekte ist die Kammer der Ansicht, dass im vorliegenden Fall außergewöhnliche Umstände vorliegen, die die Berücksichtigung der verspätet eingereichten Dokumente E65a bis E65e rechtfertigen (Artikel 13 (1) und (2) VOBK 2020):

3.3.1 Kein Verfahrensmissbrauch

Die Umstände, dass

- es sich um die Dokumentation einer Vorbenutzung eines Massenprodukts, bzw. dessen Benutzerhandbuchs, eines außereuropäischen, von dem Hauptstandort der Einsprechenden in Deutschland weit entfernten Herstellers handelt,

- es weltweit eine Vielzahl von Waagenherstellern gibt, deren zahlreiche Waagen der Einsprechenden nicht alle bekannt sein konnten, und darüber hinaus

- die Dokumente E65a bis E65e der Einsprechenden erst während eines Einspruchsverfahrens betreffend ein aus einer Teilanmeldung zu der hiesigen Patentanmeldung erteiltes Patent durch einen Dritten zur Kenntnis gebracht wurden,

zeigen erstens, dass ein gezieltes Auffinden der Dokumente E65a bis E65e schwierig bis unmöglich war und eigentlich nur zufällig erfolgen konnte, und zweitens, dass keinerlei Anhaltspunkte für ein absichtliches Zurückhalten der Dokumente E65a bis E65e durch die Einsprechende ersichtlich sind.

3.3.2 Öffentliche Zugänglichkeit von E65a und offenkundige Vorbenutzung von E65

Die öffentliche Zugänglichkeit des Dokuments E65a vor dem Prioritätstag des Streitpatents und damit seine Zugehörigkeit zum Stand der Technik im Sinne des Artikels 54 (2) EPÜ ist durch das Druckdatum "Juli 2008" auf Seite 51 von E65a zunächst hinreichend dokumentiert. Dies schließt nicht aus, dass zu einem späteren Zeitpunkt eine vollständige und endgültige Überprüfung der öffentlichen Zugänglichkeit des Dokuments E65a mit offenem Ergebnis durchzuführen wäre.

Gleiches gilt für die offenkundige Vorbenutzung der Waage QC-3265 Checkweigher, welche anhand der Dokumente E65a bis E65e zunächst hinreichend dokumentiert wurde. Die Entscheidung, ob die offenkundige Vorbenutzung E65 ausreichend bewiesen ist, erfolgt erst nach einer vollständigen Überprüfung zu einem späteren Zeitpunkt.

3.3.3 Technische Relevanz

Um ein verspätet eingereichtes Dokument im Verfahren gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 berücksichtigen zu können, ist es regelmäßig erforderlich, dass nicht nur überzeugende Gründe für die verspätete Einreichung vorliegen, sondern auch, dass das Dokument inhaltlich hinreichend relevant ist. Dies geht sinngemäß aus Artikel 13 (1), letzter Absatz, VOBK 2020, hervor, wo u.a. die Eignung der Änderung zur Lösung der aufgeworfenen Fragen, d.h. die Relevanz der Änderung, angesprochen wird. Im Hinblick auf die auf Seite 41 von E65a gezeigte Waage, die alle beanspruchten Bauteile zu enthalten scheint, ist das Dokument E65a in der Tat prima facie sehr relevant für die Frage der Neuheit der beanspruchten Waage.

3.4 Der Patentinhaber brachte folgende Argumente gegen die Berücksichtigung der Dokumente E65a bis E65e vor:

3.4.1 Der Patentinhaber beantragte, das (teilweise erst in der mündlichen Verhandlung erfolgte, s.o. Punkt 3.1) Vorbringen der Einsprechenden zu den Gründen für die Berücksichtigung der verspätet eingereichten Dokumente E65a bis E65e ebenfalls als verspätet nicht zu berücksichtigen.

Die Einsprechende brachte die wesentlichen Gründe für die Verspätung der Dokumente E65a bis E66e bereits gleichzeitig mit deren Einreichung vor (A5, Punkt 1). Des Weiteren berücksichtigt die Kammer aus den oben in Punkt 3.3 genannten Gründen gemäß Artikel 13 VOBK 2020 den gesamten Vortrag der Einsprechenden im Zusammenhang mit der verspäteten Einreichung der Dokumente E65a bis E65e. Eine künstliche Trennung zwischen einerseits der verspäteten Einreichung der Dokumente selbst einschließlich einer ersten Begründung für die Verspätung und andererseits einer ergänzenden Begründung für die Verspätung in der mündlichen Verhandlung erscheint nicht angebracht; vielmehr ist hier eine einheitliche Behandlung hinsichtlich der Frage der Zulassung sinnvoll.

3.4.2 Die Einsprechende sei ein großes Unternehmen im Bereich der Herstellung von Waagen und habe genügend Zeit und Möglichkeiten gehabt, die in den Dokumenten E65a bis E65e dokumentierte Waage QC-3265 Checkweigher rechtzeitig zu finden. Der Markt für Waagen sei nicht so groß und unübersichtlich wie von der Einsprechenden behauptet. Insbesondere sei die Zahl der eigentlichen Hersteller von Waagen, d.h. ohne die Waagenhändler, in Deutschland kleiner als zwanzig und damit überschaubar. Darüber hinaus erwähne E65b einen patentierten Torsionsstab, woraus zu schließen sei, dass es leicht auffindbare Patentschriften zu der Waage QC-3265 Checkweigher gäbe. Es könne nicht sein, dass jedes schwierig auffindbare Dokument zu jedem verspäteten Zeitpunkt in das Verfahren eingeführt werden dürfe.

Die Kammer ist von den Argumenten des Patentinhabers nicht überzeugt. Wie die Einsprechende in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, gibt es auf der vom Patentinhaber angegebenen Basis von ca. 20 Herstellern in Deutschland Hunderte von Herstellern weltweit. Da jeder Hersteller viele verschiedene Waagen herstellt, ist der Markt tatsächlich sehr groß und sehr unübersichtlich. Die bloße Erwähnung eines patentierten Torsionsstabes in E65b bedeutet nicht, dass eine Patentschrift existiert, die die gesamte Waage QC-3265 Checkweigher beschreibt. Die Einsprechende bestätigte während der mündlichen Verhandlung, dass sie keine diesbezügliche Patentschrift gefunden habe. Die Kammer teilt die Auffassung des Patentinhabers, dass nicht jedes schwierig auffindbare Dokument zu jedem verspäteten Zeitpunkt in das Verfahren eingeführt werden dürfe. Im vorliegenden Fall liegen jedoch zwei weitere besondere Umstände vor, die für die Berücksichtigung der verspätet eingereichten Dokumente E65a bis E65e eine wesentliche Rolle spielen, nämlich die sehr hohe Relevanz der Dokumente und die Überzeugung der Kammer, dass die Dokumente von der Einsprechenden nicht absichtlich zurückgehalten wurden (siehe oben Punkte 3.3.1 und 3.3.3).

3.4.3 Die Dokumente E65a bis E65e seien aus den folgenden Gründen nicht relevant, da sie weder die Neuheit noch die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 ernsthaft in Frage stellen könnten:

- Bei dem in der Figur auf Seite 41 von E65a mit den Bezugszeichen 4 und 5 bezeichneten Bauteil "Shroud" handele es sich lediglich um ein Gehäuse und nicht, wie von der Einsprechenden behauptet, um eine Rahmenkonstruktion im Sinne des Anspruchs 1. Die Rahmenkonstruktionen im Sinne des Anspruchs 1 seien die mit den Bezugszeichen 8 und 9 bezeichneten Bauteile.

- Die Dokumente E65b bis E65e stellten unterschiedliche Waagen dar. Daher sei der Sachvortrag der Einsprechenden zu der Vorbenutzung E65 inkonsistent und nicht nachvollziehbar.

- Es gebe keinen Beleg für die Echtheit des gedruckten Datums "July 2008" auf der letzten Seite von E65a. Es könne daher nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei dem gedruckten Datum um einen Druckfehler handele.

Die Argumente des Patentinhabers überzeugen die Kammer aus folgenden Gründen nicht:

- Aus dem Wortlaut des Anspruchs 1 scheint sich keine Einschränkung zu ergeben, die es ausschließt, dass das auf Seite 41 von E65a offenbarte Waagengehäuse (4, 5) unter den allgemeinen Begriff "Rahmenkonstruktion" des Anspruchs 1 fällt.

- Die Einsprechende erklärte, E65c zeige ein Foto der in E65a beschriebenen Waage und E65d ein Foto eines neueren Modells. Die Kammer ist der Auffassung, dass die genaue Zuordnung der Fotos E65c und E65d zu einer bestimmten Waage für die Frage der bloßen Berücksichtigung der Dokumente vorerst offen bleiben kann. Wie oben in Punkt 3.3.2 dargelegt, ist die offenkundige Vorbenutzung aufgrund der Dokumente E65a bis E65e zunächst ausreichend dokumentiert.

- Die Möglichkeit, dass es sich bei dem auf der letzten Seite von E65a aufgedruckten Datum "July 2008" um einen Druckfehler handelt, ist unwahrscheinlich. Der Patentinhaber hat diesbezüglich keine Belege vorgelegt.

3.4.4 In dem Schreiben vom 15. Mai 2023 brachte der Patentinhaber folgendes Argument vor: "Da bei einer Berücksichtigung des verspätet vorgebrachten Standes der Technik der Patentinhaber Gelegenheit haben muss, in angemessener Weise darauf zu reagieren, beispielsweise durch Abänderung der Patentunterlagen, würde die Zulassung auch zu einer Verzögerung des Verfahrens führen" (B4, Seite 2, erster Absatz).

Die Kammer teilt die Meinung des Patentinhabers, dass Verfahrensverzögerungen zu vermeiden sind. Durch die Berücksichtigung der Dokumente E65a bis E65e wird jedoch überprüft, ob das angefochtene Patent in Bezug auf diese Dokumente Bestand hat. Dies erhöht die Rechtssicherheit im Geschäftsverkehr. Die Kammer ist der Auffassung, dass im vorliegenden Fall eine Verzögerung des Verfahrens zur Erreichung einer erhöhten Rechtssicherheit hinnehmbar ist.

3.5 Es folgt, dass die mit den Dokumenten E65a bis E65e dokumentierte offenkundige Vorbenutzung E65 der Waage QC-3265 Checkweigher, sowie das Dokument E65a zugleich als Stand der Technik, in dem Verfahren zu berücksichtigen sind (Artikel 13 VOBK 2020).

Dabei wird zunächst zu klären sein, ob die offenkundige Vorbenutzung E65, sowie das Dokument E65a allein, tatsächlich zum Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ gehören. Falls ja, wird zu klären sein, ob die offenkundige Vorbenutzung E65 oder das Dokument E65a allein tatsächlich neuheitsschädlich ist, und wenn nicht, ob der Gegenstand des Anspruchs 1 nahegelegt ist.

4. Zulassung von E66a bis E66d

4.1 Die in den Dokumenten E66a bis E66d dokumentierte offenkundige Vorbenutzung E66 der Waage CW-90 X, sowie das Dokument E66a zugleich als Stand der Technik, sind schon mangels prima facie technischer Relevanz nicht in dem Verfahren zu berücksichtigen (Artikel 13 VOBK 2020).

Der Patentinhaber hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass E66a nicht zwei Rahmenkonstruktionen mit den Merkmalen M5, M6 und M8 zeige. Die untere Rahmenkonstruktion sei in den Bildern von E66a nicht gut einsehbar und scheine, entgegen dem Merkmal M8, aus einer geschlossenen Wanne ohne teilweise abgewinkelte Bereiche zu bestehen. Die Kanten der abgewinkelten Bereiche der unteren Rahmenkonstruktion seien, entgegen dem Merkmal M6, zusammengeschweißt. Die Kammer schließt sich diesen Ausführungen und daher der Auffassung des Patentinhabers an, dass wesentliche Merkmale in E66a nicht offenbart sind und somit die Dokumente E66a bis E66d nicht hinreichend technisch relevant sind, um im Verfahren berücksichtigt zu werden. Insbesondere sieht die Kammer keinen offensichtlichen Grund, warum der Fachmann eine Veränderung des Aufbaus der Waage von E66a in Erwägung ziehen würde.

4.2 Nach Ansicht der Einsprechenden sollten die Dokumente E66a bis E66d aus den gleichen bzw. ähnlichen Gründen wie die Dokumente E65a bis E65e berücksichtigt werden, siehe oben Punkt 3.1.

4.2.1 Entsprechend dem in Punkt 3.1 d) oben angegebenen Grund hinsichtlich des Druckdatums des Dokuments E65a vor dem Prioritätstag des Patents weise das Dokument E66a auf der letzten Seite ebenfalls das Druckdatum "2009" und "11/09" auf. Daher könne davon ausgegangen werden, dass das Dokument E66a und die geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung E66 vor dem Prioritätstag des Patents öffentlich zugänglich gewesen seien.

Inwieweit die Angaben "2009" und "11/09" in E66a die Mindestanforderungen an den Nachweis der öffentlichen Zugänglichkeit der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung E66 vor dem Prioritätstag des Patents und des Dokuments E66a als Stand der Technik erfüllen, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Denn bereits mangels technischer Relevanz (siehe sogleich) sind die Dokumente E66a bis E66d im Verfahren nicht zu berücksichtigen.

4.2.2 Technische Relevanz

Die Einsprechende scheint davon auszugehen, dass E66a eine Waage offenbare, die alle Merkmale des Anspruchs 1 aufweise, ausgenommen das Merkmal M8: die Waage von E66a "weist eine untere Rahmenkonstruktion auf, bei der am äußeren Umfangsrand nach oben umgebogene Bereiche an den senkrechten Kanten, an denen sie sich nach dem Umbiegen berühren, miteinander verschweißt sind. Dieses Zuschweißen [...] hat den technischen Zweck, das Eindringen von Wasser in die kastenförmige untere Rahmenkonstruktion, in der auch die Wägezelle angeordnet ist, bei einem intensiven Waschvorgang zu verhindern" (A5, Seite 12, zweiter Absatz), d.h. E66a weise an dem äußeren Umfangsrand der unteren Rahmenkonstruktion keine teilweise abgewinkelte Bereiche auf. Die Waage von E66a "ist speziell für solche Waschvorgänge ausgelegt" (A5, Seite 12, letzter Absatz). "Derartige Waagen werden insbesondere in der Nahrungsmittelindustrie [...] verwendet" (A5, Seite 13, erster Absatz). "Dieser Unterschied hat den Effekt, dass die untere Rahmenkonstruktion einfacher hergestellt werden kann" (A5, Seite 15, dritter Absatz). Der Fachmann würde zur Lösung des Problems der Herstellungsvereinfachung anstelle der unteren Rahmenkonstruktion der Waage von E66a die untere Rahmenkonstruktion der Waage von E65a verwenden und somit auf offensichtliche Weise zu dem Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen.

Wie bereits oben in Punkt 4.1 erläutert, gibt es für den Fachmann keinen ersichtlichen, naheliegenden Grund, eine Änderung der grundsätzlich gut funktionierenden Waage CW-90 X in Betracht zu ziehen. Wie von der Einsprechenden vorgebracht, wird die Waage von E66a in der Lebensmittelindustrie verwendet und ist daher speziell für intensive Waschvorgänge ausgelegt. Der Verzicht auf das Verschweißen der Eckbereiche würde jedoch zu Lücken in der unteren Rahmenkonstruktion führen, die der Verwendung der Waage von E66a in der Lebensmittelindustrie entgegenstehen würden, wo intensive Waschvorgänge der Waage vorgesehen sind.

4.2.3 Da zumindest die Argumente der Einsprechenden hinsichtlich der hohen technischen Relevanz die Kammer nicht überzeugen, übt die Kammer ihr Ermessen nach Artikel 13 VOBK 2020 dahingehend aus, die verspätet eingereichten Dokumente E66a bis E66d nicht in das Verfahren zuzulassen.

5. Zulassung von E54 bis E58

5.1 Die Dokumente E54 bis E58 sind aus den folgenden Gründen nicht in das Verfahren zuzulassen (Artikel 12 (4) VOBK 2007):

5.1.1 E54 bis E58 wurden von der Einsprechenden erstmalig mit der Beschwerdebegründung eingereicht, d.h. außerhalb der neunmonatigen Einspruchsfrist und daher grundsätzlich verspätet (Artikel 114 (2) EPÜ). Entgegen Artikel 12 (3), 25 (1) VOBK 2020 (entspricht Artikel 12 (2) VOBK 2007) hat die Einsprechende in der Beschwerdebegründung die verspätete Einreichung der Dokumente E54 bis E58 nicht begründet. Auch in ihren darauffolgenden schriftlichen Eingaben A3 bis A5 hat die Einsprechende das verspätete Einreichen der Dokumente E54 bis E58 nicht begründet.

5.1.2 Das strittige Merkmal, aufgrund dessen E54 bis E58 eingereicht wurden, bezieht sich auf eine Waage mit einer einzigen Wägezelle. Dieses Merkmal war jedoch bereits in dem damaligen zweiten Hilfsantrag enthalten, der am 25. April 2018, also zwei Monate vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, eingereicht wurde. Die Einsprechende hatte daher in genügendem Maße Gelegenheit, E54 bis E58 im erstinstanzlichen Verfahren einzureichen.

5.1.3 Da die Dokumente E54 bis E58 im erstinstanzlichen Verfahren nicht eingereicht wurden, liegt keine erstinstanzliche Entscheidung über ihre technische Relevanz vor. Erstmalig seit Einlegung des Einspruchs wird nun die Frage aufgeworfen, ob wenigstens eines der Dokumente E54 bis E58 die Neuheit und/oder die erfinderische Tätigkeit des beanspruchten Gegenstands ernsthaft in Frage stellt. Es läge somit an der Kammer, sich erstmalig mit dieser Fragestellung zu beschäftigen. Angesichts der hohen Anzahl (fünf) der Dokumente E54 bis E58 und des uneindeutigen, auslegungsbedürftigen Wortlauts von Anspruch 1 stellt die Klärung dieser Frage ein Maß an Komplexität dar, das mit dem vorrangigen Ziel des Beschwerdeverfahrens, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen (vgl. Artikel 12 (2) VOBK 2020), nicht vereinbar ist.

5.1.4 Aus diesen Gründen kommt die Kammer zu dem Schluss, dass die Dokumente E54 bis E58 bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgelegt werden können und müssen. Die Kammer übt daher ihr Ermessen gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 dahingehend aus, die Dokumente E54 bis E58 nicht in das Verfahren zuzulassen.

5.2 Die Einsprechende vertrat in der mündlichen Verhandlung die Auffassung, dass nach der Entscheidung der Einspruchsabteilung, "die Karten neu gemischt werden" und sie die Möglichkeit haben müsse, neuen Stand der Technik zu recherchieren und in das Verfahren einzuführen. Außerdem sei der geänderte Anspruch 1 des damaligen zweiten Hilfsantrags mit dem neuen Merkmal der einzigen Wägezelle erst kurz vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereicht worden, obwohl der Patentinhaber die Möglichkeit gehabt hätte, diese Änderung viel früher einzureichen.

5.3 Die Kammer kann die Argumentation der Einsprechenden nicht nachvollziehen. Es ist keineswegs so, dass erst mit der Beschwerde eingeführter Vortrag stets Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sein muss, wie die Ermessensvorschrift gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 zeigt; die Kammern haben daher in ständiger Rechtsprechung in Anwendung dieser Vorschrift und in Ausübung ihres entsprechenden Ermessens solchen neuen Vortrag nicht zugelassen, der bereits in der ersten Instanz hätte vorgebracht werden können und müssen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 10. Aufl. 2022, V.A.5.2.1 und V.A.5.11.3). So liegt der Fall auch hier. Die Kammer kann keine hinreichenden Gründe erkennen, warum die fraglichen Dokumente nicht bereits im erstinstanzlichen Verfahren entgegengehalten wurden, denn ein Anspruch mit dem geänderten Merkmal einer einzigen Wägezelle wurde bereits zwei Monate vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereicht. Es ist nicht ersichtlich, warum es der Einsprechenden innerhalb dieser zwei Monate unmöglich oder jedenfalls wesentlich erschwert gewesen wäre, die fraglichen Dokumente im Rahmen einer Recherche aufzufinden.

6. Berücksichtigung von E59, E61 und E64

Die Dokumente E59, E61 und E64 sind im Verfahren nicht zu berücksichtigen (Artikel 13 (2) VOBK 2020).

6.1 Das Dokument E59 wurde von der Einsprechenden erstmalig mit dem Schreiben A3 eingereicht, d.h. nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung. Gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 bleiben solche Änderungen des Beschwerdevorbringens grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn stichhaltige Gründe werden aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

In ihrem schriftlichen Vortrag hat die Einsprechende nur allgemein darauf hingewiesen, dass ihr "im Rahmen des parallel anhängigen Gebrauchsmusterlöschungsverfahrens [...] das Dokument [E59] bekannt geworden [ist], das in Bezug auf die Frage der Schutzfähigkeit prima facie hochrelevant ist" (Hervorhebung im Original, A3, Seite 2, zweiter Absatz). In der mündlichen Verhandlung trug die Einsprechende weiterhin vor, dass E59 schwierig aufzufinden gewesen sei, weil im Titel von E59 nur eine Wägezelle, aber nicht eine Waage erwähnt ist.

Die Kammer ist nicht überzeugt von diesen Argumenten der Einsprechenden. Die Tatsache allein, dass E59 erst in einem Parallelverfahren bekannt wurde, und das angebliche Fehlen eines klareren Hinweises im Titel von E59 stellen keine außergewöhnlichen Umstände dar, die eine Berücksichtigung des verspätet eingereichten Dokuments E59 rechtfertigen würden. E59 ist nämlich eine deutsche Patentanmeldung, deren Auffindung im Gegensatz zur offenkundigen Vorbenutzung E65 (siehe oben Punkt 3.) grundsätzlich nicht schwierig ist.

6.2 Das Dokument E61 wurde von der Einsprechenden erstmalig mit dem Schreiben A3 eingereicht, d.h. nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung. Gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 bleiben solche Änderungen des Beschwerdevorbringens grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn stichhaltige Gründe werden aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

E61 ist ein deutsches Gebrauchsmuster, das aus dem angefochtenen europäischen Patent abgezweigt wurde. Zur Auslegung des Wortlauts des Anspruchs 1 verweist die Einsprechende auf E61 und das entsprechende Gebrauchsmusterlöschungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt. Die Kammer sieht keine außergewöhnlichen Umstände, das verspätet eingereichte Dokument E61 im Verfahren zu berücksichtigen. Die Einsprechende hat auch keine derartigen Umstände vorgetragen.

6.3 Das Dokument E64 wurde von der Einsprechenden erstmalig mit dem Schreiben A4 eingereicht, d.h. nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung. Gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 bleiben solche Änderungen des Beschwerdevorbringens grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn stichhaltige Gründe werden aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

In ihrem schriftlichen Vortrag hat die Einsprechende nur allgemein darauf hingewiesen, dass sie "zufällig auf Dokument [E64] aufmerksam geworden [ist], das in Bezug auf die Frage der Patentfähigkeit des Einspruchspatent prima facie hochrelevant ist" (Hervorhebung im Original, A4, Seite 1, erster Absatz). E64 sei bei den zuvor durchgeführten Recherchen nicht gefunden worden, weil es in Klassen "einklassifiziert war, in denen man keine Tisch- oder Plattformwaagen vermutet" (A4, Seite 1, dritter Absatz).

Die Kammer ist von diesen Argumenten der Einsprechenden nicht überzeugt. Die vorgebrachten Tatsachen, dass E64 der Einsprechenden zufällig bekannt wurde, bzw. angeblich falsch klassifiziert war, stellen keine außergewöhnlichen Umstände dar, die eine Berücksichtigung des verspätet eingereichten Dokuments E64 rechtfertigen würden.

7. Stand der Technik O1 bis O5

7.1 Die Zugehörigkeit der Vorbenutzungen O1 bis O3 zum Stand der Technik unter Artikel 54 (2) EPÜ ist unstrittig.

7.2 Die geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzungen O4 und O5 sind nicht als zum Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ gehörend zu betrachten.

7.2.1 Die Einspruchsabteilung hat den Vortrag der Einsprechenden zu den behaupteten Verkäufen der zur geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung O4 zugehörigen Waagen und zu den sonstigen Umständen der offenkundigen Vorbenutzung O5 als nicht ausreichend substanziiert angesehen und daher unberücksichtigt gelassen, vgl. angefochtene Entscheidung, Gründe Nr. 4.2 und 5.2.

7.2.2 Hinsichtlich der Vorbenutzungen O4 und O5 argumentiert die Einsprechende gegen deren Nicht-Berücksichtigung durch die Einspruchsabteilung (Beschwerdebegründung, Punkt 4, Seiten 3 und 4). Es handele sich bei O4 und O5 um Massenprodukte, bei denen "kein weiterer Nachweis erforderlich sei, um zu belegen das [sic] das entsprechende Gerät der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde". Schriftsätzlich hat die Einsprechende keine weiteren Argumente für die Zugehörigkeit der Vorbenutzungen O4 und O5 zum Stand der Technik vorgebracht. Während der mündlichen Verhandlung wiederholte die Einsprechende lediglich ihre Ansicht, dass die in O4 und O5 beschriebenen Waagen Massenprodukte seien, jedoch ohne Beweise oder weitere Argumente diesbezüglich vorzubringen.

7.2.3 Die Kammer folgt der Ansicht der Einspruchsabteilung und des Patentinhabers, wonach "die Einsprechende (...) einen Nachweis schuldig [bleibt], dass es sich tatsächlich um Massenprodukte handelt" (Beschwerdeerwiderung, Seite 4, vierter Absatz).

Aus der Beschwerdebegründung geht nicht hervor, auf welche spezifischen Dokumente, Tatsachen und/oder Argumente die Einsprechende ihre Behauptung stützt, dass sich O4 und O5 auf Massenprodukte beziehen. Die alleinigen Aussagen der Einsprechenden in der Beschwerdebegründung, dass sich die genaue Identifikation der Waage in O5 hätte leicht aufklären lassen und dass die beiden der offenkundigen Vorbenutzung O5 zugehörigen Waagen 2878 und 2879 vollkommen baugleich seien, sind nicht (allein) relevant für die Frage, ob die Einspruchsabteilung auf Basis der ihr zum damaligen Zeitpunkt der Entscheidung vorliegenden Dokumente, Tatsachen und/oder und Argumente zu Recht die behauptete offenkundige Vorbenutzung O5 als nicht ausreichend substanziiert angesehen hat.

Daher schließt sich die Kammer der Entscheidung der Einspruchsabteilung an, die geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzungen O4 und O5 unberücksichtigt zu lassen.

8. Neuheit

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist neu im Hinblick auf den vorliegenden Stand der Technik (Artikel 54 (1) EPÜ), mit Ausnahme der in den Dokumenten E65a bis E65e dokumentierten offenkundigen Vorbenutzung E65 der Waage QC-3265 Checkweigher sowie des Dokuments E65a zugleich als Stand der Technik; im Hinblick auf diesen Stand der Technik wird die Neuheit in der vorliegenden Entscheidung nicht geprüft.

8.1 Neuheit gegenüber D4

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist neu gegenüber D4 (Artikel 54 (1) EPÜ).

8.1.1 D4 offenbart nicht das Merkmal M8.

Wie vom Patentinhaber vorgetragen, handelt es sich bei der Platte (1, 2) der beiden Rahmenkonstruktionen in D4 "um ein tiefgezogenes Blech mit entsprechend vollständig umlaufendem Rand" (B1, Seite 12, zweiter Absatz; siehe D4, Figur 5; Hervorhebung durch die Kammer). Gemäß technisch sinnvoller Auslegung des Merkmals M8 ist die Platte des Anspruchs 1 nur in Teilbereichen abgewinkelt und nicht, wie in D4, entlang des gesamten Umfangs der Platte.

8.1.2 Es ist unstrittig, dass beide Rahmenkonstruktionen in D4 eine Hauptfläche aufweisen. Die Hauptfläche der oberen Rahmenkonstruktion ist die Fläche mit der größten Abmessung, auf der das zu wiegende Objekt aufliegt. Die Hauptfläche der unteren Rahmenkonstruktion ist die Fläche, die der Hauptfläche der oberen Rahmenkonstruktion gegenüber liegt. Darüber hinaus besitzt jede Rahmenkonstruktion von D4 vier rechtwinklig abgewinkelte, rechteckige Seitenflächen kleineren Ausmaßes. Jede rechteckige Seitenfläche weist einen Umfangsrand auf. An drei der vier Rändern der rechteckigen Seitenfläche ist ein Bereich abgewinkelt. An dem vierten Rand der rechteckigen Seitenfläche ist kein Bereich abgewinkelt.

8.1.3 Die Einsprechende hat sowohl schriftlich (A1, Punkt 10, Seiten 17 bis 21; A3, Punkt 2.2, Seiten 4 und 5) als auch in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgetragen, dass "[e]in Umfangsrand [...] die äußere Kontur des Bauteils [ist], die man beim Betrachten des Bauteils wahrnimmt. Ein dreidimensionales Bauteil, wie eine Rahmenkonstruktion, hat naturgemäß nicht nur einen Umfangsrand. In Abhängigkeit [der Blickrichtung] gibt es bei Bauteilen, die keine Drehsymmetrie aufweisen, naturgemäß unterschiedliche Umfangsränder". Insbesondere aus einer seitlichen Blickrichtung sei der Umfangsrand einer Seitenfläche der Rahmenkonstruktion von D4 auch gleichzeitig der äußere Umfangsrand der Rahmenkonstruktion von D4. Da dieser Umfangsrand nur an drei der vier Ränder einen abgewinkelten Bereich aufweise, weise jede Rahmenkonstruktion von D4 an ihrem äußeren Umfangsrand teilweise abgewinkelte Bereiche auf. Da somit das Merkmal M8 in D4 offenbart sei, nehme D4 die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 vorweg.

8.1.4 Die Kammer ist von der Argumentation der Einsprechenden nicht überzeugt, sondern teilt die Auffassung des Patentinhabers, "[d]en äußeren Umfangsrand einer Platte [hier Rahmenkonstruktion] im Bereich des umgebogenen Randes zu suchen, ist für den Fachmann völlig fernliegend und widersinnig zur unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung des technischen Offenbarungsgehalts" (B2, Seite 8, letzter Absatz).

Würde man der Auslegung der Einsprechenden folgen, so hätte jede Rahmenkonstruktion eine Vielzahl von äußeren Umfangsrändern, nämlich für jede Blickrichtung einen anderen äußeren Unfangsrand. Der Wortlaut des Merkmals M8 steht dieser Auslegung jedoch entgegen, denn laut Merkmal M8 weist jede Rahmenkonstruktion an ihrem äußeren Umfangsrand teilweise abgewinkelte Bereiche auf. Im Merkmal M8 wird also Bezug genommen auf einen bestimmten und einzigen äußeren Umfangsrand der Rahmenkonstruktion. Die Kammer sieht die einzig technisch sinnvolle Auslegung des Wortlauts von Anspruch 1 darin, dass mit dem Begriff "äußerer Umfangsrand der Rahmenkonstruktion" der "äußere Umfangsrand der Hauptfläche der Platte der Rahmenkonstruktion" gemeint ist. Denn allein die Hauptfläche der Platte der Rahmenkonstruktion hat durch die große Abmessung und der Auflagefunktion beim Wiegen eine dominante Bedeutung in der Rahmenkonstruktion, und allein bei dem äußeren Umfangsrand der Hauptfläche der Platte üben alle abgewinkelte Bereiche eine technisch sinnvolle Funktion aus, nämlich die Verbesserung der Biegesteifigkeit der Platte, auf der das Wägegut aufliegt.

8.2 Neuheit gegenüber E4

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist neu gegenüber E4 (Artikel 54 (1) EPÜ).

8.2.1 E4 offenbart nicht das Merkmal M6.

Der Begriff "Rahmenkonstruktion", der sich nur aus den allgemeinen Begriffen "Rahmen" und "Konstruktion" zusammensetzt, hat eine vage bzw. breite Bedeutung. Aus dem Begriff "Rahmenkonstruktion" allein lassen sich keine konkreten technischen Merkmale oder Funktionen ableiten. Allenfalls kann aus seiner wiederholten Verwendung im Anspruch 1 abgeleitet werden, dass es sich um ein zentrales oder wesentliches Bauteil der beanspruchten Waage handelt. Darüber hinaus definiert Anspruch 1 lediglich, dass die beiden (M2 und M3) Rahmenkonstruktionen miteinander und an einer einzigen Wägezelle befestigt sind (M1 und M4), einstückig aus einer ebenen, monolithischen Platte gefertigt sind (M5) und eine homogene Platte ohne stoffschlüssige Verbindungen (M6), aber mit an ihrem äußeren Umfangsrand teilweise abgewinkelten Bereichen (M7 und M8) aufweisen. Wie die Einsprechende schriftsätzlich (A3, Punkt 2.3.3) und in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, entsprechen die beiden in Figur 2 der E4 mit den Bezugszeichen 12 und 22 bezeichneten Bauteile der Waage von E4 den beiden in Anspruch 1 definierten Rahmenkonstruktionen.

Auch der in Anspruch 1 verwendete Begriff "Wägezelle" hat nur eine vage bzw. breite Bedeutung, im Sinne eines allgemeinen Kraftaufnehmers. Der Begriff "Wägezelle" wird im Anspruch 1 nur dadurch etwas genauer definiert, dass die beiden Rahmenkonstruktionen an ihr befestigt sind (M4). Wie die Einsprechende schriftsätzlich (A3, Seite 14, erster Absatz) und in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, entspricht der plattenartige Körper (30) in E4, Figur 2, der einen Dehnungssensor (40) enthält, der in Anspruch 1 allgemein definierten "Wägezelle".

Nach dieser Auslegung des Anspruchs 1 kommt die Kammer zu dem Schluss, dass die beiden Bauteile (12, 22) der Waage von E4, Figur 2, alle Merkmale des Anspruchs 1 mit Ausnahme von Merkmal M6 aufweisen. Denn die beiden Platten (12, 22) in E4 sind sowohl miteinander punktverschweißt als auch mit dem plattenartigen Körper (30) verschweißt (E4, Seite 14, Zeilen 13 bis 24), d.h. die Platten in E4 weisen im Gegensatz zu den Rahmenkonstruktionen des Anspruchs 1 stoffschlüssige Verbindungen auf.

8.2.2 Gegenargumente der Einsprechenden

Nach Ansicht der Einsprechenden beruht die Begründung der Kammer, dass E4 das Merkmal M6 nicht offenbart, auf einer unzutreffenden Auslegung. "Insbesondere entspricht die Auslegung des Merkmals M6 nicht der Auslegung, die der Patentinhaber (und hiesige Beschwerdegegner) selbst und die das Landgericht München I [im Rahmen seines Urteils im parallelen Verletzungsverfahren zwischen den hiesigen Parteien] zu Grunde legt" (A3, Seite 5, dritter Absatz).

Der weitere schriftsätzliche Sachvortrag der Einsprechenden gibt angeblich die Auffassungen des Patentinhabers und des Landgerichts wieder (A3, Punkt 2.3.1, Seiten 5 bis 10). Insbesondere trägt die Einsprechende vor, dass nach Auffassung des Landgerichts bei der Auslegung des Merkmals M6 "'maßgeblich auf den Herstellungsprozess abzustellen' sei" (A3, Seite 9, dritter Absatz; Hervorhebung im Original) und dass "es für den Fachmann in Bezug auf die Frage, 'ob die Platte, die Teil der Rahmenkonstruktion ist, keine stoffschlüssige Verbindung aufweist, auf das Ende eines Herstellungsprozess'" ankommt (A3, Seite 9, fünfter Absatz). Es sei unerheblich, ob nach Abschluss des Herstellungsprozesses einer Rahmenkonstruktion ein oder mehrere Gegenstände stoffschlüssig an der grundsätzlich zum Wiegen geeigneten Rahmenkonstruktion angebracht würden (A3, Seite 10, zweiter Absatz).

Ob diese vorgebrachten Auffassungen ebenfalls der Auffassung der Einsprechenden entsprechen, geht aus dem Sachvortrag der Einsprechenden nicht eindeutig hervor. In der mündlichen Verhandlung hat sich die Einsprechende damit begnügt, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Kammer die in E4, Seite 14, Zeilen 13 bis 24, erwähnte Verschweißung als stoffschlüssige Verbindung ansieht.

8.2.3 Die Kammer ist nicht überzeugt von den Gegenargumenten der Einsprechenden.

Zunächst ist festzustellen, dass die Auslegung des Wortlauts des Anspruchs 1 durch das Landgericht keine präjudizielle Wirkung auf das vorliegende Einspruchs(beschwerde)verfahren und damit auf die Auslegung des Wortlauts des Anspruchs 1 durch die Kammer hat.

Die angebliche Argumentation des Landgerichts zur Auslegung des Merkmals M6, die die Einsprechende in ihrem Schriftsatz A3 vorgebracht hat, überzeugt die Kammer nicht. Der vorliegende Anspruch 1 ist kein Verfahrensanspruch, bei dem die einzelnen Schritte des Anspruchs den beanspruchten Gegenstand definieren, sondern ein Vorrichtungsanspruch. Das Herstellungsverfahren der Waage wirkt sich somit nur insoweit auf die beanspruchte Waage aus, als sich aus dem Herstellungsverfahren tatsächlich konkrete technische Merkmale der Waage ableiten lassen. Insbesondere kann ein bestimmtes Ende des Herstellungsverfahrens der beiden Rahmenkonstruktionen nicht aus Anspruch 1 abgeleitet werden. Eine vollständig fertiggestellte, zum Wiegen geeignete Waage, deren Rahmenkonstruktionen eine homogene, abgewinkelte Platte mit stoffschlüssigen Verbindungen aufweisen, fällt nicht unter den Wortlaut des Anspruchs 1. Denn der Zeitpunkt, zu dem stoffschlüssige Verbindungen während des Herstellungsverfahrens der Waage an der Platte der Rahmenkonstruktionen aufgebracht wurden, ist an der fertiggestellten Waage nicht mehr nachträglich feststellbar.

8.2.4 Gegenargumente des Patentinhabers

a) Nach Auffassung des Patentinhabers ist der Anspruch 1 so auszulegen, "dass die einstückige, homogene, abgewinkelte Platte dann zum Einbau in eine Waage geeignet ist, wenn Sie [sic] eine ausreichende Steifigkeit aufweist" (B2, Seite 6, erster Absatz, Zeilen 5 und 6). Der Patentinhaber ist somit der Ansicht, dass die in Merkmal M6 definierte Platte nur bis zu dem Zeitpunkt im Herstellungsprozess der Waage keine stoffschlüssigen Verbindungen aufweisen muss, in dem die Platte ausreichend steif ist. Wenn nach diesem Zeitpunkt "sonstige Teile, wie Typenschilder an der Rahmenkonstruktion z.B. durch Kleben angeordnet sein können" (B2, Seite 6, erster Absatz, Zeilen 18 und 19), habe dies keinen Einfluss darauf, dass die Platte weiterhin die Eigenschaft "ohne stoffschlüssige Verbindungen", d.h. Merkmal M6, aufweise.

Die Kammer kann diesem Argument nicht folgen. Wie oben in Punkt 8.2.3 dargelegt, ist aus Anspruch 1 kein bestimmter Zeitpunkt des Herstellungsprozesses definiert, an dem die Rahmenkonstruktion eine Platte ohne stoffschlüssige Verbindungen aufweisen darf.

b) Der Patentinhaber trägt vor, dass "das Dokument E4 lediglich den Aufbau einer Wägezelle beschreibt" (B2, Seite 7, letzter Absatz) und somit keinen Hinweis auf eine zusätzliche obere und untere Rahmenkonstruktion gibt. Insbesondere seien die beiden Bauteile (12, 22) in der Figur 3 von E4 keine Rahmenkonstruktionen einer funktionierenden Waage, sondern lediglich Bauteile der Wägezelle. Die rein zufällige Offenbarung der Bauteile (12, 22, 30) in der Figur 2 von E4 könne die Neuheit der Waage des Anspruchs 1 nicht vorwegnehmen.

Die Kammer kann die Argumente des Patentinhabers nicht nachvollziehen. Unabhängig davon, dass in E4 die Gesamtheit der drei in der Figur 2 gezeigten Bauteile (12, 22, 30) als Wägezelle bezeichnet wird, sind in der Figur 2 von E4 drei Bauteile (12, 22, 30) offenbart, die, mit Ausnahme von M6, alle Merkmale des Anspruchs 1 aufweisen.

Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass die Aussage des Patentinhabers "[d]er strukturelle Aufbau und die Funktion der im Dokument E4 beschriebenen Bauteile entspricht also ganz nach der Meinung der Beschwerdekammer unter Punkt 10.4.2 der vorläufigen Stellungnahme nicht einer Waage" (B2, Seite 7, letzter Absatz) nicht zutrifft. Der Teilsatz "weil die oberen und unteren Balken (4) von E4 Teil der Wägezelle sind" in Punkt 10.4.2 der vorläufigen Stellungnahme der Kammer gibt die Auffassung der Einspruchsabteilung wieder und nicht die der Kammer.

8.3 Neuheit gegenüber O1

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist neu gegenüber der offenkundigen Vorbenutzung O1 (Artikel 54 (1) EPÜ).

8.3.1 O1 offenbart nicht das Merkmal M6.

Wie in der angefochtenen Entscheidung auf Seite 36, Punkt 2.3.3, festgestellt, weist die in E8 gezeigte Waage an der Platte der Rahmenkonstruktion angeschweißte Streben auf. Diese angeschweißten Streben sind stoffschlüssige Verbindungen. Daher offenbart die Waage der offenkundigen Vorbenutzung O1 nicht das Merkmal M6.

8.3.2 Gegenargumente der beiden Beteiligten

Bezüglich der Auslegung des Merkmals M6 brachten die Einsprechende und der Patentinhaber die gleichen Argumente vor wie bei der Neuheitsdiskussion im Hinblick auf E4 und wie oben in den Punkten 8.2.2 und 8.2.4 dargestellt.

Die Kammer kann die Argumente der Beteiligten hinsichtlich der Auslegung des Merkmals M6 nicht nachvollziehen. Wie oben in Punkt 8.2.3 dargelegt, geht aus dem Wortlaut des Anspruchs 1 nicht hervor, dass die in Merkmal M6 definierte Platte der Rahmenkonstruktion eine Platte in dem Zustand ist, in dem sie sich befindet, sobald sie eine ausreichende Steifigkeit gewährleistet. Anspruch 1, insbesondere Merkmal M6, definiert eine Waage in einem allgemein zum Wiegen geeigneten Zustand. Wesentlich ist dabei, dass in diesem Zustand der fertiggestellten Waage die Platte der Rahmenkonstruktion ohne stoffschlüssige Verbindungen vorliegt.

8.4 Neuheit gegenüber O2

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist neu gegenüber der offenkundigen Vorbenutzung O2 (Artikel 54 (1) EPÜ).

Die Kammer folgt der Meinung der Einspruchsabteilung (angefochtene Entscheidung, Seite 37, Punkt 2.4.3), wonach O2 nicht neuheitsschädlich ist, weil der äußere Umfangsrand der Platte in O2 flach und nicht teilweise abgewinkelt ist. Der Begriff "teilweise" in M8 bezieht sich auf die Länge des Umfangsrands und nicht, wie von der Einsprechenden ursprünglich vorgetragen, auf einen von 90° abweichenden Winkel. Somit ist wenigstens Merkmal M8 in O2 nicht offenbart.

Die Einsprechende hat in der mündlichen Verhandlung keine Gegenargumente vorgebracht, sondern den Einwand der fehlenden Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 in Bezug auf O2 zurückgezogen.

8.5 Die Einsprechende hat keine weiteren Einwände fehlender Neuheit aufgrund von weiterem Stand der Technik erhoben. Die Kammer sieht auch keinen Anlass, die Neuheit der beanspruchten Waage im Hinblick auf den vorliegenden weiteren Stand der Technik in Frage zu stellen.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Frage der Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 im Hinblick auf die in den Dokumenten E65a bis E65e dokumentierte offenkundige Vorbenutzung E65 der Waage QC-3265 Checkweigher sowie das Dokument E65a zugleich als Stand der Technik noch offen ist (siehe oben Punkt 3.5).

9. Erfinderische Tätigkeit

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) im Hinblick auf den vorliegenden Stand der Technik, mit Ausnahme der offenkundigen Vorbenutzung E65, sowie des prima facie relevanten Dokuments E65a allein. Im Hinblick auf diesen Stand der Technik wird die erfinderische Tätigkeit in der vorliegenden Entscheidung nicht geprüft.

9.1 Erfinderische Tätigkeit ausgehend von O3 in Kombination mit E1

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf O3 in Kombination mit E1.

9.1.1 Nächstliegender Stand der Technik und Unterscheidungsmerkmal

Es ist unstreitig zwischen den Beteiligten, dass O3 als nächstliegender Stand der Technik angesehen werden kann. Unstreitig ist auch, dass sich die Waage des Anspruchs 1 von der in O3 offenbarten nur dadurch unterscheidet, dass jede Rahmenkonstruktion an ihrem äußeren Umfangsrand teilweise abgewinkelte Bereiche aufweist (Merkmal M8). Denn die Rahmenkonstruktionen in O3 sind an ihrem äußeren Umfangsrand vollständig von abgewinkelten Bereichen umgeben.

9.1.2 Technischer Effekt und objektive technische Aufgabe

Wie von der Einsprechenden schriftsätzlich (A1, Seite 26, dritter Absatz bis Seite 27, zweiter Absatz) und in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, besteht der technische Effekt des Unterscheidungsmerkmals darin, dass die Rahmenkonstruktionen der Waage einfacher hergestellt werden können.

Die objektive technische Aufgabe besteht somit darin, eine Waage des Typs von O3 "einfach und kostengünstig und schnell herzustellen" (A1, Seite 27, erster Absatz).

9.1.3 Fehlendes Naheliegen der beanspruchten Lösung

Die Einsprechende ist der Auffassung, dass die beanspruchte Lösung durch Heranziehen der Lehre von E1 naheliegend sei (siehe unten Punkt 9.1.4). Wie der Patentinhaber schriftsätzlich (B2, Seite 14) und in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, besteht jedoch für den Fachmann, ausgehend von O3, keine Veranlassung zur Lösung der genannten Aufgabe auf E1 zurückzugreifen. Denn E1 offenbart eine Waage mit einem so grundlegend anderen Aufbau, der insbesondere dadurch bedingt ist, dass die Waage in E1 zwei Wägezellen aufweist, dass der Fachmann keine Gemeinsamkeiten zwischen den Waagen von O3 und E1 erkennen kann.

Auch weist die Waage von E1 tatsächlich einen vollständig umlaufenden Rand (1, 8) ohne Lücken auf (E1, Figur 2), d.h. der äußere Umfangsrand der Waage von E1 weist keine teilweise abgewinkelten Bereiche auf. Wie von dem Patentinhaber vorgebracht, wird der Fachmann nicht ohne Weiteres erkennen, dass die beiden L-Profile (4, 5) eines Lagerelements (3) der Waage von E1 (E1, Figur 1) den beiden Rahmenkonstruktionen der Waage von O3 entsprechen.

Würde der Fachmann dennoch E1 zur Lösung der Aufgabe heranziehen, so würde er lediglich erfahren, dass eine Wägezelle (2) in einem Hohlraum eines schienenförmigen Lagerelements (3) anzuordnen ist, das von zwei als einfaches L-Profil ausgeführten Trägern (4, 5) gebildet ist (E1, Figur 1). Eine allgemeine Lehre, dass die Anordnung von teilweise abgewinkelten Bereichen an einem äußeren Umfangsrand einer als Rahmenkonstruktion dienenden Platte die Herstellung der Platte vereinfacht, lässt sich aus E1 jedoch nicht ableiten. Schon die Überlegung, dass ein einfaches L-Profil als teilweise abgewinkelter Bereich angesehen werden kann, ist nicht naheliegend. Insbesondere würde, wie von dem Patentinhaber geltend gemacht, die komplexe Form ("Asymmetrie") der Platten von O3 den Fachmann davon abhalten, die in E1 offenbarten, rechteckigen L-Profile anstelle der Rahmenkonstruktionen von O3 zu verwenden (B2, Seite 14, letzter Absatz). Die Kammer teilt ebenfalls die in der angefochtenen Entscheidung vertretene Auffassung (Seite 42, vierter Absatz), dass E1 keine Lehre enthält, wie die Rahmenkonstruktion von O3 durch einfaches Abbiegen einer Platte hergestellt werden kann.

Zusammenfassend ist die Kammer der Meinung, dass der Fachmann, ausgehend von O3, in Kombination mit E1, die Rahmenkonstruktionen von O3 nicht in naheliegender Weise so umformen oder ersetzen würde, dass sie teilweise abgewinkelte Bereiche aufweisen.

9.1.4 Gegenargumente der Einsprechenden für die erfinderische Tätigkeit

a) Die Einsprechende ist der Auffassung, dass der Fachmann E1 heranziehen würde, "weil E1 dasselbe technische Gebiet betrifft", weil E1 die genannte Aufgabe behandelt und weil die aus O3 bekannte Waage von demselben Typ ist wie die in Figur 1 von E1 offenbarte Waage (A1, Seite 29, zweiter und dritter Absatz).

Die Kammer ist nicht überzeugt von diesen Argumenten. Wie oben in Punkt 9.1.3 dargelegt, ist der Aufbau der Waagen von O3 und E1 bereits aufgrund der Verwendung von einer unterschiedlichen Anzahl von Wägezellen grundlegend verschieden und nicht vergleichbar. Darüber hinaus betrifft O3 nicht wie E1 das Gebiet der Babywaagen. Außerdem würde die vollständig andere Gestaltung und Herstellungsart der Rahmenkonstruktion von O3 (vollständig umlaufender abgewinkelter Rand; relativ komplexe zweidimensionale Hauptfläche; Herstellung durch Präge-/Tiefziehprozess) im Vergleich zu den Lagerelementen von E1 (einfaches, längliches L-Profil; keine zweidimensionale Hauptfläche; Herstellung durch Abkanten), dem Fachmann nicht nahelegen, E1 zur Lösung der genannten Aufgabe heranzuziehen.

b) Die Einsprechende führte weiter aus, dass der Fachmann die Lösung in E1 finde. "E1 lehrt den Fachmann nämlich, dass er durch einfaches Abkanten schnell und kostengünstig eine Rahmenkonstruktion herstellen kann. (...) Der Fachmann muss lediglich die Dimensionierung der abgekanteten Teile hinsichtlich Größe und hinsichtlich Last anpassen, was für den Fachmann absolut fachüblich ist" (A1, Seite 28, letzter Absatz).

Die Kammer kann dieser Argumentation nicht folgen, da das in E1 offenbarte einfache Abkanten eines L-Profils nicht auf die Herstellung der relativ komplexen Form der zweidimensionalen Rahmenkonstruktion von O3 in naheliegender Weise anwendbar ist.

9.2 Berücksichtigung der Einwände fehlender erfinderischer Tätigkeit ausgehend von O1 bzw. E4

Die Kammer lässt die von der Einsprechenden erhobenen Einwände fehlender erfinderischer Tätigkeit ausgehend von O1 bzw. E4 gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 unberücksichtigt.

9.2.1 Die Einwände fehlender erfinderischer Tätigkeit ausgehend von O1 bzw. E4 wurden von der Einsprechenden erstmals während der mündlichen Verhandlung vorgebracht. Diese Einwände stellen somit eine Änderung des Beschwerdevorbringens im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 dar. Gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 bleiben solche Änderungen grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, die Einsprechende hat stichhaltige Gründe aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen. Gemäß gefestigter Rechtsprechung kann die Kammer bei der Anwendung des Artikels 13 (2) VOBK 2020 auch die Kriterien, die in den Artikeln 13 (1) und 12 (4) bis (6) VOBK 2020 genannt werden, heranziehen (siehe z.B. T 2429/17, Punkt 2.2 der Entscheidungsgründe).

9.2.2 Die Einsprechende trug während der mündlichen Verhandlung vor, dass ihr erst während der mündlichen Verhandlung bewusst geworden sei, welche Auslegung die Kammer dem Begriff "stoffschlüssige Verbindung" zugrunde lege. Aufgrund dieser für die Einsprechende überraschenden Auslegung sei ihr bis zur mündlichen Verhandlung nicht bewusst gewesen, dass Einwände fehlender erfinderischer Tätigkeit ausgehend von O1 bzw. E4 erforderlich seien.

Des Weiteren seien laut der Einsprechenden die Einwände fehlender erfinderischer Tätigkeit ausgehend von O1 bzw. E4 sehr relevant. Insbesondere würde der Fachmann offensichtlich auf angeschweißte Streben in der Rahmenkonstruktion von O1 verzichten, wenn er eine Waage für leichtere Objekte benötige. Ausgehend von E4 würde der Fachmann, um eine bessere Wartung der Wägezelle zu gewährleisten, die beiden Rahmenkonstruktionen von E4 miteinander verschrauben, anstatt sie zu verschweißen.

9.2.3 Die Kammer ist nicht überzeugt von den Argumenten der Einsprechenden.

Die Kammer akzeptiert, dass ihre Auslegung des Begriffs "stoffschlüssige Verbindungen" nicht mit der Auslegung übereinstimmt, die in der ersten Instanz zugrunde gelegt wurde. Diese (neue) Auslegung wurde jedoch bereits in der Mitteilung der Kammer nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 6. November 2020 (siehe Punkte 10.4.1 und 10.5.2) bei der Beurteilung der Neuheit des Merkmals M6 eindeutig zugrunde gelegt. Die Einsprechende kannte daher die Auslegung des Begriffs "stoffschlüssige Verbindungen" durch die Kammer seit mehr als zweieinhalb Jahren vor der mündlichen Verhandlung vor der Kammer. In diesem Zeitraum hat die Einsprechende drei Schriftsätze in Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung eingereicht, ohne jedoch aufgrund der für sie neuen Auslegung des Begriffs "stoffschlüssige Verbindungen" Einwände fehlender erfinderischer Tätigkeit ausgehend von O1 bzw. E4 vorzubringen. Da die Einsprechende somit ausreichend Gelegenheit gehabt hatte, diese neuen Einwände gemäß Artikel 56 EPÜ frühzeitig zu erheben, kann die Kammer die Tatsache, dass eine neue Auslegung des Begriffs "stoffschlüssige Verbindungen" den Beteiligten erstmals in einer Mitteilung der Kammer mitgeteilt wurde, nicht als außergewöhnlichen Umstand ansehen, der eine Berücksichtigung der neuen Einwände der Einsprechenden, die erstmals während der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurden, rechtfertigen würde.

Selbst wenn eine neue Auslegung eines wesentlichen Begriffs des Anspruchswortlauts, die den Beteiligten erstmals in einer Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 mitgeteilt wurde, als außergewöhnlicher Umstand anzusehen wäre, liegt die Berücksichtigung eines geänderten Vorbringens eines Beteiligten im Ermessen der Kammer (siehe z.B. T 709/16, Punkt 5.4 der Entscheidungsgründe). Im vorliegenden Fall sind die neuen Einwände der Einsprechenden auch nach dem Kriterium der Eignung der Einwände, die erfinderische Tätigkeit des beanspruchten Gegenstands ernsthaft in Frage zu stellen, d.h. der prima facie Relevanz der Einwände, nicht zuzulassen. Denn die Kammer sieht prima facie keine naheliegende Veranlassung für den Fachmann, auf die stoffschlüssigen Verbindungen der Rahmenkonstruktionen von O1 und E4 zu verzichten.

9.3 Die Einsprechende erhebt keine weiteren Einwände gegen die erfinderische Tätigkeit auf der Grundlage der Dokumente, die dem erstinstanzlichen Verfahren zugrunde lagen. Auch die Kammer sieht keinen Grund die erfinderische Tätigkeit auf der Grundlage dieser Dokumente in Frage zu stellen.

Wie oben im Punkt 3.5 erläutert, bleibt jedoch die Frage der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 gegenüber der prima facie relevanten offenkundigen Vorbenutzung E65, sowie des prima facie relevanten Dokuments E65a allein, offen.

10. Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung

Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen (Artikel 111 (1) EPÜ und Artikel 11 VOBK 2020).

10.1 Die Einsprechende hat mit Schreiben A5 neue Dokumente E65a bis E65e eingereicht. Die Kammer hat entschieden, dass die mit den Dokumenten E65a bis E65e dokumentierte offenkundige Vorbenutzung E65 der Waage QC-3265 Checkweigher, sowie das Dokument E65a zugleich als Stand der Technik, prima facie relevant sind und in dem Verfahren zu berücksichtigen sind (siehe oben Punkt 3.). Die Auswirkung dieser Dokumente in Bezug auf die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit des beanspruchten Gegenstands ist bislang nicht abschließend geprüft. Weiterhin weicht die von der Kammer vorgenommene Auslegung des Begriffs "stoffschlüssige Verbindungen" grundsätzlich von derjenigen ab, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde lag. Diese neuen Dokumente sowie die neue Auslegung der Kammer könnten sich erheblich auf die Beurteilung der Patentfähigkeit des beanspruchten Gegenstands auswirken. Aus diesen Gründen liegt ein neuer Sachverhalt vor, dessen erstmalige Überprüfung durch die Kammer nicht mit dem vorrangigen Ziel des Beschwerdeverfahrens, nämlich der gerichtlichen Überprüfung der angefochtenen Entscheidung, vereinbar ist.

10.2 Der Patentinhaber machte geltend, dass er einer Erörterung der konkreten Auswirkung der Dokumente E65a bis 65e im Rahmen der Artikel 54 und 56 EPÜ in der mündlichen Verhandlung zugestimmt hätte.

Aus den oben (unter Nr. 10.1) genannten Gründen ist die Kammer der Auffassung, dass eine umfängliche und abschließende Prüfung, ob die Vorbenutzung E65 oder das Dokument E65a zum Stand der Technik gehören, und wenn ja, ob die Vorbenutzung E65 oder das Dokument E65a die Neuheit oder die erfinderische Tätigkeit des beanspruchten Gegenstands in Frage stellen, mit dem Hauptzweck des Beschwerdeverfahrens, nämlich der gerichtlichen Überprüfung der angefochtenen Entscheidung, nicht vereinbar ist. Sollten die neuen Dokumente E65a bis E65e der Aufrechterhaltung des Patents gemäß der Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung entgegenstehen, ist außerdem zu beachten, dass der Patentinhaber möglicherweise neue Hilfsanträge einreichen möchte.

10.3 Die Einsprechende erhob keinen Einwand gegen die Zurückverweisung.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

Quick Navigation