T 0234/19 (SORBITOL / DHW) of 3.8.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T023419.20220803
Datum der Entscheidung: 03 August 2022
Aktenzeichen: T 0234/19
Anmeldenummer: 03023425.6
IPC-Klasse: C07C 31/26
C07C 29/78
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung von sprühgetrocknetem Sorbitol
Name des Anmelders: DHW Deutsche Hydrierwerke GmbH
Rodleben
Name des Einsprechenden: Merck Patent GmbH
Kammer: 3.3.10
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 83
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
European Patent Convention R 76(2)(c)
European Patent Convention R 81(1)
European Patent Convention Art 84
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung - (ja)
Ausreichende Offenbarung - Einspruchsgrund vorgebracht und begründet
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Ausreichende Offenbarung - durchgreifend
Ausreichende Offenbarung - (nein)
Beschwerdebegründung - im Laufe des Einspruchsverfahrens aufgegebene Einwände zugelassen
Beschwerdebegründung - (nein)
Beschwerdebegründung - Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0010/91
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Einsprechende) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, ihren Einspruch gegen das Patent EP 1 413 567 unter Artikel 101(2) EPÜ zurückzuweisen.

II. Im Einspruchsverfahren war das Patent unter Artikeln 100(a)(b) EPÜ wegen mangelnder Neuheit (Artikel 54 EPÜ, mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) und mangelnder Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ) angegriffen worden.

In der angefochtenen Entscheidung kam die Einspruchsabteilung zu dem Schluss, die Ansprüche des erteilten Patents seien neu gegenüber D1-D4 und auch erfinderisch ausgehend von D3 als nächstem Stand der Technik. Der Einspruchsgrund unter Artikel 100(b)/83 EPÜ wurde wegen mangelnder Substantiierung unter Regel 76(2)(c) nicht zugelassen. Verschiedene Dokumente wurden nicht ins Verfahren zugelassen, insbesondere D7 und D8.

III. Auf folgende Dokumente wird verwiesen:

D1: |DE 32 45 170 A1 |

D2:D3:|WO97/39739 A2DD 252 003 |

D4: |DD 277 176 |

D7: |E-Mail von Herrn Schoenwetter, Hosokawa Alpine, an Herrn Dr. Ohrem, Merck KGaA, von 27.03.2006 |

D8: D8': |Broschüre der Niro A/S zum Thema "Sprühtrocknung", Seiten 70-121V. Westergaard, Milk Powder Technology - Evaporation and Spray Drying, Broschüre der Niro A/S|

D14: |K. Leschonski, W. Alex, B. Koglin, "Teilchengrößenanalyse 6. Trennverfahren"; Chem. Ing. Techn. 46(19), 821-824|

D15: |Encyclopedia of Pharmaceutical Technology, Vol. 22, 1997, Seiten 256-267 |

D16:|Vergleichsversuche zur Lösezeit |

IV. Die unabhängigen Ansprüche des Streitpatents lauten wie folgt:

Anspruch 1:

"Verfahren zur Herstellung von sprühgetrocknetem Sorbitol durch Versprühen einer 65 bis 75%igen Sorbitollösung mittels eines Rotationszerstäubers in einem Sprühturm im Gleichstrom mit feinverteiltem Sorbitol-Kreislaufkristallisat unter Zuführung von Warmluft und einem nachgeschalteten Fließbett zur weiteren Trocknung der Sorbitolpartikel, dadurch gekennzeichnet, dass die Sorbitollösung vor der Zuführung zu dem Zerstäuber auf eine Viskosität von 8 bis 50 mPa.s eingestellt wird, der Zerstäuber mit einer Drehzahl von 5000 bis 15000 U/min betrieben wird, Kreislaufkristallisat in einer Menge von 3 bis 4 kg/kg Endprodukt zugeführt wird und am Sprühturmaustritt die Temperatur der Abluft kontinuierlich gemessen und über eine Regelstrecke die Temperatur der zugeführten Warmluft in einem Bereich von 105 bis 150 °C verändert wird, derart, dass die Ablufttemperatur auf einem konstanten Wert von 55 bis 57 °C gehalten wird, wobei Warmluft in einer Menge von 14 bis 22 m**(3)/kg Endprodukt zugeführt wird, und abschließend am Sprühturmaustritt anfallender Sorbitol direkt dem nachgeschalteten Fließbett zugeführt, mittels Warmluft mit einer Temperatur von 85 bis 90 °C getrocknet und abschließend mit entfeuchteter Kaltluft auf eine Temperatur von 20 bis 40 °C abgekühlt wird."

Anspruch 8:

"Sorbitol, hergestellt nach mindestens einem der vorliegenden Ansprüche, mit folgenden Eigenschaften:

- einer durchschnittlichen Korngröße von 0,12 bis 0,60 mm

- einer Schüttdichte von 0,53 bis 0,61 kg/l

- einer Fließgeschwindigkeit von mindestens 20 ml/s

- einem Böschungswinkel von maximal 33°

- einer spezifischen Oberfläche von mindestens 1,4 m**(2)/g

- einer Lösezeit (1g Sorbitol in 200 ml Wasser bei 30°C unter Rühren) von maximal 5 s."

V. In ihrer Beschwerdeschrift bringt die Beschwerdeführerin zu den entscheidungsrelevanten Fragen folgendes vor:

Der Einspruchsgrund unter Artikel 100(b)/83 EPÜ hätte von der Einspruchsabteilung zugelassen werden müssen, da er substantiiert war. Er sei außerdem auch begründet. Der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 8, sowie der Ansprüche 6 und 7 sei nämlich nicht ausführbar.

Das in Anspruch 1 des erteilten Patents definierte Verfahren sei nicht erfinderisch ausgehend von D1 als nächstem Stand der Technik. Das in Anspruch 8 des erteilten Patents definierte Produkt sei nicht erfinderisch ausgehend von D4 als nächstem Stand der Technik. Der Einspruchsgrund unter Artikel 100(a)/56 EPÜ greife daher durch.

VI. In ihrer Beschwerdeerwiderung bringt die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) zu den entscheidungsrelevanten Fragen folgendes vor:

Der Einspruchsgrund unter Artikel 100(b)/83 EPÜ sei von der Einspruchsabteilung zurecht nicht ins Einspruchsverfahren zugelassen worden.

Die vorgebrachten Einwände unter Artikel 100(a)/56 EPÜ seien nicht die, die in der Einspruchsentscheidung abgehandelt wurden. Überdies seien sie nicht zutreffend.

VII. Am 14. Oktober 2021 lud die Kammer die Parteien für den 22. September 2022 zu einer mündlichen Verhandlung.

VIII. Am 13. Januar 2022 erging eine Mitteilung unter Artikel 15(1) VOBK, in der die Kammer den Parteien ihre vorläufige Einschätzung der Sach- und Rechtslage erläuterte. Die Kammer kam zu dem vorläufigen Schluss, die Beschwerde sei zurückzuweisen.

IX. Mit Schreiben vom 12. Mai 2022 teilte die Beschwerdeführerin mit, dass sie an der anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen würde.

X. Am 23. Mai 2022 wurde der Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben.

XI. Die Anträge der Parteien sind wie folgt:

Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Hilfsweise beantragt sie mündliche Verhandlung. Sie beantragt weiterhin, die von der Beschwerdeführerin zitierten Dokumente D7, D8' und D14-D16 nicht ins Verfahren zuzulassen bzw. deren Nichtzulassung durch die Einspruchsabteilung zu bestätigen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Entscheidung im schriftlichen Verfahren

Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Beschwerdeschrift mündliche Verhandlung gemäß Artikel 116 EPÜ hilfsweise für den Fall beantragt, dass das Patent nicht im schriftlichen Verfahren widerrufen wird.

Die Kammer hatte demgemäß zu einer Verhandlung geladen und in ihrer Mitteilung unter Artikel 15(1) VOBK 2020 begründet, weshalb ein Widerruf des Patents nicht zu erwarten sei. Die Beschwerdeführerin hat daraufhin angekündigt, zur angesetzten Verhandlung nicht zu erscheinen, was einer Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung gleichkommt.

Die Beschwerdegegnerin hat mündliche Verhandlung hilfsweise nur für den Fall beantragt, dass ihrem Antrag auf Zurückweisung der Beschwerde nicht entsprochen wird. Da die Kammer jedoch diesem Antrag folgt, wie weiter unten ausgeführt wird, ist dieser Hilfsantrag gegenstandslos.

Die Kammer erachtet die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung von Amts wegen im vorliegenden Fall nicht für sachdienlich, Artikel 116(1) EPÜ, da nach dem Vorbringen der Parteien die Entscheidung im schriftlichen Verfahren getroffen werden kann.

3. Ausführbarkeit (Artikel 100(b) und 83 EPÜ)

3.1 Zulassung des Einspruchsgrunds

3.1.1 Der Einspruchsgrund mangelnder Ausführbarkeit wurde von der Einspruchsabteilung unter Regel 76(2)(c) EPÜ nicht ins Einspruchsverfahren zugelassen. Ihrer Ansicht nach war der Einspruchsgrund in der Einspruchsschrift nicht ausreichend substantiiert worden (siehe Punkt 14 der angefochtenen Entscheidung).

3.1.2 Gemäß Regel 81(1) EPÜ, erster Satz, prüft die Einspruchsabteilung die von der Einsprechenden geltend gemachten Gründe. Allerdings prüft die Einspruchsabteilung gemäß G 10/91 (ABl. EPO 1993, 420) nur solche Gründe, die von der Einsprechenden gemäß Artikel 99(1) in Verbindung mit Regel 55(c) EPÜ 1973 (jetzt Regel 76(2)(c) EPÜ), ordnungsgemäß vorgebracht und begründet worden sind.

3.1.3 Im vorliegenden Fall wurde der Einspruchsgrund unter Artikel 100(b) EPÜ vorgebracht, denn auf Seiten 1 und 12 der Einspruchsschrift wird der Widerruf des Patents aufgrund mangelnder Ausführbarkeit unter Artikel 83 EPÜ beantragt. Dies war unstrittig und ist auch in der angefochtenen Entscheidung so festgestellt.

Es ist korrekt, dass, wie von der Einspruchsabteilung festgestellt, der Einspruchsgrund unter Artikel 83 EPÜ nicht in einem eigenen Kapitel in der Einspruchsschrift abgehandelt wird.

Andererseits ist aber zumindest in dem Abschnitt der Einspruchsschrift, der sich mit Ansprüchen 6 und 7 befasst (Seiten 8 und 9) ausgeführt, dass diese Ansprüche nicht ausführbar seien. Als Grund wird angegeben, dass wegen der mangelhaften Angaben zu den Bedingungen des Siebens im Patent die im Anspruch definierte Korngrößenverteilung nicht ausreichend offenbart ist.

Schon deshalb wurde der Einspruchsgrund unter Artikel 83 EPÜ begründet und hätte daher geprüft werden müssen. Ob der Einwand überzeugend ist oder nicht, ist das Ergebnis der materiellen Prüfung durch die Einspruchsabteilung, nicht deren Voraussetzung. Ob auch noch andere Stellen in der Einspruchsschrift, etwa die Ausführungen zur Art der verwendeten Anlage auf Seite 6 oben, als Begründung des Einspruchsgrunds gelesen werden können oder nicht, ist daher unerheblich.

3.1.4 Der Einspruchsgrund der mangelnden Ausführbarkeit befindet sich daher im Verfahren.

3.2 Die im Einspruchsverfahren von der Beschwerdeführerin vorgebrachten und in ihrer Beschwerdebegründung bekräftigten Einwände mangelnder Ausführbarkeit unter Artikel 83 EPÜ waren die folgenden:

a) Die Abmessungen der verwendeten Anlage, die Verfahrensbedingungen und die sich in der Anlage einstellenden Größen wie Temperaturprofile, Stoffströme und Feuchtigkeitsmengen seien nicht detailliert beschrieben. Das Verfahren gemäß Anspruch 1 könne daher nicht nachgearbeitet werden.

b) Die in Ansprüchen 6 und 7 definierten Wassergehalte und Korngrößenverteilungen könnten vom Fachmann nicht bestimmt werden werden.

c) Die im Produktanspruch 8 definierten Parameter der Lösezeit und der Korngröße könnten vom Fachmann nicht, oder nicht mit der erforderlichen Genauigkeit bestimmt werden.

3.3 Unter Berücksichtigung der von den Parteien vorgebrachten Argumente kommt die Kammer zu dem Schluss, dass die beanspruchte Erfindung ausreichend offenbart ist. Die Gründe dafür sind die folgenden:

3.3.1 Anspruch 1 bezieht sich auf ein Verfahren zur Sprühtrocknung von Sorbitol, das durch einzelne Verfahrensschritte definiert ist. Die Frage ist daher, ob ein Fachmann dieses Verfahren mittels der Beschreibung im Patent und unter Zuhilfenahme seines allgemeinen Fachwissens durchführen kann.

Der Oberbegriff des Anspruchs definiert ein Verfahren zur Sprühtrocknung von Sorbitol durch Versprühen einer Sorbitollösung mittels Rotationszerstäuber in einem Sprühturm. Dabei wird im Gleichstrom gearbeitet, feinverteiltes Sorbitol-Kristallisat im Kreis geführt, Warmluft zugeführt und ein Fließbett zur nachgeschaltenen Trocknung der Partikel verwendet. Dies stellt keine unüberwindliche apparative Hürde dar; die Beschwerdeführerin hat in ihren Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit selbst vorgebracht, aus D1 und D2 sei so ein Verfahren bekannt (Merkmale (a) bis (d) der von ihr gewählten Merkmalsauflistung). Der kennzeichnende Teil des Anspruchs bezieht sich auf die Viskosität der verwendeten Sorbitollösung, die Drehzahl des Zerstäubers und Temperaturen von Stoffströmen, die auf im Anspruch definierte Werte eingestellt werden sollen. Exemplarische Verfahrensparameter sind in Tabelle 1 angegeben.

Es wurde von der Beschwerdeführerin kein Grund angeführt, weshalb ein Fachmann nicht in der Lage sein sollte, einen Prozess in der beanspruchten Weise zu führen. Es mag sein, dass, wie von der Beschwerdeführerin argumentiert, die Abmessungen der verwendeten Anlage einen Einfluss darauf haben, auf welche Weise die im beanspruchten Verfahren definierten Parameter eingestellt werden müssen. Es wurde aber nicht dargelegt, weshalb die Einstellung von etwa Temperaturen, Kristallisatmengen oder Zerstäuberdrehzahlen für den Fachmann ein unüberwindbares Hindernis darstellen würde.

3.3.2 Ansprüche 6 und 7 definieren, dass nach der Fließbettbehandlung bzw. als Endprodukte Sorbitol mit einem bestimmten Wassergehalt und einer bestimmten Korngrößenverteilung erhalten wird. In Absatz [0004] des Patents ist beschrieben, durch welche Maßnahmen diese Eigenschaften des Produkts erreicht werden, unter anderen dadurch, dass durch die angegebenen Bedingungen der Wassergehalt des Sorbitols beim Verlassen des Sprühturms bereits relativ niedrig ist, so dass sich im Verfahren keine größeren Aggregate bilden.

Die Beschwerdeführerin hat eingewandt, die Korngröße sei in Abhängigkeit von der Siebfraktion verschieden und abhängig von der Vorbehandlung und der Dauer der Siebung.

Die Beschwerdegegnerin hat hierzu vorgebracht, und die Kammer stimmt zu, ein Fachmann wisse, dass die Siebung bis zur Siebkonstanz auf den einzelnen Sieben durchgeführt wird. Maschinelles Sieben ist ein Standardverfahren und in Tabelle 2 sind Korngrößen und deren Verteilungen angegeben. Die verschiedenen Korngrößen werden nach Tabelle 1 abhängig von den verwendeten Verfahrensparametern erhalten. Ob die Messung der Korngrößen dabei mit Ungenauigkeiten behaftet ist, wie von der Beschwerdeführerin vorgebracht, ist, falls überhaupt, ein Klarheitsproblem, das hier unbeachtet bleiben muss. Mangelnde Klarheit unter Artikel 84 EPÜ ist kein Einspruchsgrund unter Artikel 100 EPÜ.

3.3.3 Anspruch 8 definiert ein Sorbitol, das mit dem beanspruchten Verfahren hergestellt werden kann und verschiedene Spezifikationen erfüllt. Ein solches Sorbitol wird etwa in den in Tabelle 2 aufgeführten Beispielen erhalten.

Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass das Sorbitol erhalten werden kann. Sie bestreitet aber, dass die in Anspruch 8 definierten Parameter, insbesondere die Korngröße und die Lösezeit, mit ausreichender Genauigkeit bestimmt werden können. Es gebe verschiedene Möglichkeiten zu deren Bestimmung und die im Patent verwendete Methode sei nicht ausreichend offenbart. Zu diesem Punkt wurde auch auf die Dokumente D7 und D14-D16 verwiesen.

Dieses Vorbringen betrifft allerdings die Frage, ob ein Fachmann in der Lage ist zu entscheiden, ob ein bestimmtes ihm vorliegendes Produkt die erforderlichen Parameter erfüllt oder nicht, d. h. ob es unter den Anspruch fällt oder nicht. Unklar definierte Anspruchsgrenzen sind aber, falls dies im vorliegenden Fall zuträfe, ein Klarheitsproblem unter Artikel 84 EPÜ. Die Frage, ob ein Fachmann das beanspruchte Produkt mit dem im Patent beschriebenen Verfahren erhalten kann oder nicht, ist davon unberührt. Klarheit ist aber, wie oben bereits angeführt, kein Einspruchsgrund. Die von der Beschwerdeführerin angeführten Dokumente, die die Genauigkeit der Messmethoden betreffen, sind daher unbeschadet von Zulässigkeitsfragen für die Entscheidung unerheblich.

4. Neuheit (Artikel 100(a) und 54 EPÜ)

Die Einspruchsabteilung hat in ihrer Entscheidung festgestellt, dass der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche das Kriterium der Neuheit erfüllt, siehe Punkt 15 der angefochtenen Entscheidung.

Dies wurde in der Beschwerdebegründung nicht bestritten. Neuheit ist daher gegeben.

5. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 100(a) und 56 EPÜ)

5.1 Im Einspruchsverfahren hatte die Beschwerdeführerin als Einsprechende in der mündlichen Verhandlung erfinderische Tätigkeit ausgehend von D3 als nächstem Stand der Technik angegriffen, siehe Seiten 2 und 3 des Verhandlungsprotokolls. Andere in der Einspruchsschrift oder im weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens vorgebrachte Argumentationslinien wurden nicht weiterverfolgt. Dementsprechend wurde erfinderische Tätigkeit in der angefochtenen Entscheidung ausschließlich ausgehend von D3 behandelt, siehe Punkt 16 der Entscheidungsgründe.

5.2 In ihrer Beschwerdebegründung geht die Beschwerdeführerin auf die Entscheidung der Einspruchsabteilung überhaupt nicht ein. Weder argumentiert sie, der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche sei ausgehend von D3 für den Fachmann naheliegend, noch argumentiert sie, dass und warum D3 entgegen der von beiden Parteien in der Einspruchsverhandlung vertretenen und demzufolge in der Einspruchsentscheidung so übernommenen Ansicht nicht den nächstliegenden Stand der Technik darstelle.

Stattdessen bringt die Beschwerdeführerin Einwände ausgehend von D1 (Anspruch 1) oder D4 (Anspruch 8) vor, die zwar in ihrer Einspruchsschrift oder in späteren Eingaben im Einspruchsverfahren vorgebracht, in dessen weiteren Verlauf aber nicht weiterverfolgt wurden. In diesem Rahmen wird auch das Dokument D8' angeführt.

5.3 Die Kammer lässt dieses Vorbringen unter Artikel 12(4) VOBK 2007, der hier gemäß der Übergangsbestimmungen in Artikel 25 VOBK 2020 zur Anwendung kommt, nicht ins Beschwerdeverfahren zu.

Gemäß Artikel 12(2) VOBK 2007, auf den sich vorgenannter Artikel 12(4) bezieht, ist in der Beschwerdebegründung anzugeben, aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung aufzuheben ist. Dies ist in Bezug auf Artikel 56 EPÜ nicht geschehen. Das Beschwerdeverfahren dient in erster Linie dazu, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen, und nicht dazu, im Verlauf des Einspruchsverfahrens aufgegebene und daher in der angefochtenen Entscheidung nicht behandelte Argumentationslinien wiederzubeleben und erstmals im Beschwerdeverfahren einer Entscheidung zuzuführen.

5.4 Die Beschwerdeführerin hat sich zu diesem in der Mitteilung der Kammer unter Artikel 15(3) VOBK 2020 angesprochenen Punkt im weiteren Verlauf nicht weiter geäußert.

5.5 Die Entscheidung der Einspruchsabteilung, dass D3 das Dokument ist, das den nächsten Stand der Technik repräsentiert und dass der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche ausgehend von D3 auf erfinderischer Tätigkeit beruht, ist unbestritten.

5.6 Erfinderische Tätigkeit ist daher gegeben.

6. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch zurückzuweisen, auch nach dem Vorbringen der Parteien im Beschwerdeverfahren Bestand hat.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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