T 0071/19 () of 11.12.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T007119.20191211
Datum der Entscheidung: 11 Dezember 2019
Aktenzeichen: T 0071/19
Anmeldenummer: 14198300.7
IPC-Klasse: B60R 1/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Anzeigeeinrichtung für Sichtfelder eines Nutzfahrzeugs
Name des Anmelders: MEKRA LANG GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Stoneridge GmbH / Orlaco GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(c)
Schlagwörter: Einspruchsgründe - Gegenstand geht über den Inhalt der früheren Anmeldung hinaus (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0002/10
T 1462/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, das Streitpatent zu widerrufen.

II. Im Einspruchsverfahren hatte die Einsprechende Artikel 100(a) EPÜ (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit), Artikel 100(b) EPÜ und Artikel 100(c) EPÜ als Einspruchsgründe angeführt.

III. Die Einspruchsabteilung hat entschieden, dass der Gegenstand der Ansprüche in der erteilten Fassung über den Inhalt der Stammanmeldung hinausgehe, Artikel 100(c) in Verbindung mit Artikel 76 EPÜ.

IV. Am 11. Dezember 2019 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.

V. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt. Für den Fall, dass die Kammer von ihrer vorläufigen Meinung betreffend Artikel 100(c) EPÜ abrücken, aber Bedenken hinsichtlich der weiteren Patentierungserfordernisse haben sollte, beantragte sie die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung.

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

VI. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:

1.1 Anzeigeeinrichtung (100) für gesetzlich vorgeschriebene Sichtfelder (210, 220, 230, 235, 240, 250) eines Nutzfahrzeugs in einem Fahrerhaus des Nutzfahrzeugs, enthaltend

1.2 mindestens eine Aufnahmeeinheit (130),

1.3 eine Berechnungseinheit (120) und

1.4 mindestens eine Anzeigeeinheit (110), wobei

1.5 die Anzeigeeinrichtung (100) dazu angepasst ist, die von der mindestens einen Aufnahmeeinheit (130) erfasste Information derart mittels der Berechnungseinheit (120) zu bearbeiten und an die mindestens eine Anzeigeeinheit (110) weiterzugeben, dass mindestens zwei der im Fährbetrieb zur permanenten Anzeige gesetzlich vorgeschriebenen Sichtfelder (210, 220, 230, 235, 240, 250) dauerhaft, zeitlich ununterbrochen, jederzeit von einem Fahrer des Nutzfahrzeugs einsehbar und in Echtzeit auf der Anzeigeeinheit (110) im Fahrerhaus angezeigt werden, wobei

1.6 die mindestens zwei Sichtfelder (210, 220, 230, 235, 240, 250) in einer gemeinsamen Darstellung gezeigt werden, wobei

1.7 die gesetzlich vorgeschriebenen Sichtfelder (210, 220, 230, 235, 240, 250) das Sichtfeld (210, 230) eines Hauptspiegels und das Sichtfeld (220, 235) eines Weitwinkelspiegels beinhalten, die in der gemeinsamen Darstellung angezeigt werden

dadurch gekennzeichnet dass

1.8 die mindestens zwei Sichtfelder (210, 220, 230, 235, 240, 250) in der gemeinsamen Darstellung auch in Fahrzuständen angezeigt werden, in denen das Nutzfahrzeug steht und die Zündung des Nutzfahrzeugs ausgeschaltet ist.

VII. In dieser Entscheidung wird auf die Stammanmeldung Bezug genommen: EP 2 484 558 A1.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - Unzulässige Erweiterung - Artikel 100(c) EPÜ in Verbindung mit Artikel 76 EPÜ.

1.1 Der Anspruch 1 der Teilanmeldung geht über den Inhalt der Stammanmeldung hinaus. Der kennzeichnende Teil des Anspruchs 1: "dadurch gekennzeichnet dass die mindestens zwei Sichtfelder(210, 220, 230, 235, 240, 250) in der gemeinsamen Darstellung auch in Fahrzuständen angezeigt werden, in denen das Nutzfahrzeug steht und die Zündung des Nutzfahrzeugs ausgeschaltet ist" stellt eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar.

1.2 Der erteilte Anspruch 1 lässt es offen, ob die Spannungsversorgung der Anzeigeeinheit über eine unabhängige Spannungsquelle oder über die Spannungsquelle des Nutzfahrzeugs erfolgt. Die Patentinhaberin ist der Meinung, diese Zwischenverallgemeinerung sei zulässig, da sie aus den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen bereits eindeutig zu entnehmen sei.

1.2.1 Die Patentinhaberin ist der Meinung, dass in Absatz [0036] der Stammanmeldung eine von der Bordspannung unabhängige Spannungsversorgung lediglich als eine mögliche Ausführungsform offenbart sei. Das werde durch den Begriff "vorzugweise" in dem Satz "Vorzugsweise weist die Anzeigeeinheit eine von der Bordspannung unabhängige Spannungsversorgung auf" in Absatz [0036] deutlich gemacht. Der zweite Satz des Absatzes [0036] "Insbesondere ist es wichtig, dass ein Fahrzeugführer zumindest nach Bedarf auch dann Information (...)abrufen kann, wenn das Fahrzeug steht und die Zündung aus ist" bestätige dieses Verständnis. Demnach sei die Trennung des strukturellen Merkmals des ersten Satzes in Absatz [0036] und des funktionalen Merkmals des zweiten Satzes in Absatz [0036] zulässig.

1.2.2 Die Patentinhaberin ist auch der Auffassung, dass die Änderung des Anspruchs 1 den Wesentlichkeits- oder Dreipunkte-Test erfülle. In diesem Zusammenhang ist die Patentinhaberin der Meinung, dass eine an die Bordspannung gekoppelte Spannungsversorgung zum Betreiben der Anzeigeeinheit denkbar sei.

1.3 Die Argumentation der Beschwerdeführerin überzeugt nicht:

1.3.1 "Insbesondere" in Absatz [0036] der Stammanmeldung weist darauf hin, dass bei Vorliegen der vorzugsweise genannten unabhängigen Spannungsversorgung sich (neben möglichen anderen Vorteilen) der Vorteil ergibt, dass die Anzeige der Sichtfelder auch verfügbar ist, wenn das Fahrzeug steht und die Zündung ausgeschaltet ist. Es kann nicht in die andere Richtung verstanden werden, dass eine Anzeige der Sichtfelder auch ohne externe Spannungsversorgung möglich ist, obwohl die Zündung ausgeschaltet ist. Der Vorteil ist also zum einen fest an das Vorliegen der externen Spannungsversorgung geknüpft und liegt zum anderen darin, dass hierdurch das Problem der Unterbrechung der Bordspannung durch das Ausschalten der Zündung irrelevant wird. Die Passage "Dies ist insbesondere wichtig, um" kann sich in diesem Kontext daher nicht auf das Vorliegen anderer technischer Gestaltungsmöglichkeiten beziehen, bei denen das Problem der abgeschalteten Zündung von vornherein gar nicht relevant ist, weil z.B. eine Direktversorgung aus der Bordspannung vorgesehen ist. Sonst hätte eine Formulierung wie "Dies stellt eine Möglichkeit dar, um auch dann, wenn" gewählt werden müssen. Die Anzeige bei stehendem Fahrzeug und ausgeschalteter Zündung ist daher nur in direkter Kombination mit einer von der Bordspannung unabhängigen Spannungsversorgung offenbart und nicht in allgemeiner Form.

1.3.2 Darüber hinaus kann der Wesentlichkeits- oder Dreipunkte-Test, zwar unterstützend bei der Beurteilung der Gewährbarkeit von Änderungen angewendet werden, solche Tests sind aber kein Ersatz für die notwendige Beantwortung der Frage, was der Fachmann der Beschreibung, den Patentansprüchen und den Zeichnungen einer europäischen Patentanmeldung am Anmeldetag objektiv entnehmen konnte (G 2/10, Gründe, Punkt 4.3, "Goldstandard: unmittelbar und eindeutig ableitbar"; siehe auch T 1462/14, Gründe, Punkte 6 und 7).

Die Anzeigeeinheit kann zwar möglicherweise (unter Umgehung der Zündung) an die Spannungsversorgung der Bordspannung angeschlossen werden, dies ist aber der ursprüngliche Stammanmeldung nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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