T 2986/18 () of 16.6.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T298618.20200616
Datum der Entscheidung: 16 Juni 2020
Aktenzeichen: T 2986/18
Anmeldenummer: 11177853.6
IPC-Klasse: B65D65/46
B65D1/26
B65D3/22
B65D1/28
B65D25/36
B65D81/38
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verpackungsbehälter
Name des Anmelders: Paccor Deutschland GmbH
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
RPBA2020 Art 012(8) (2020)
European Patent Convention Art 52(1) (2007)
European Patent Convention Art 56 (2007)
European Patent Convention Art 113(1) (2007)
European Patent Convention Art 116(1) (2007)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - rückschauende Betrachtungsweise
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) hat gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung über die Zurückweisung der europäischen Patentanmeldung Nr. 11177853.6 form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt.

II. Die Prüfungsabteilung war hinsichtlich des damaligen während der mündlichen Verhandlung am 25. April 2018 um 11:25 Uhr eingereichten Hilfsantrages 1 zur Auffassung gelangt, dass es dem Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrages 1 an einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber der Lehre von D1 (DE 27 00 230 A1) oder D9 (US 2005/0115975 A1) als nächstliegendem Stand der Technik jeweils in Verbindung mit der Lehre von D5 (US 5236749 A) mit dem Fachwissen bzw. in Verbindung mit der Lehre von D12 (EP 0 642 979 A1) fehlte.

III. Diesen Zurückweisungsgrund erachtet die Beschwerdeführerin als unzutreffend. Die Einzelheiten ihres Vorbringens werden in der Gründen dieser Entscheidung diskutiert.

IV. Nachdem die Beschwerdeführerin zunächst mit ihrer Beschwerde alle ihre Anträge aus dem Prüfungsverfahren, die Gegenstand der angefochtenen Entscheidung waren und von der Prüfungsabteilung wegen Unvereinbarkeit mit den Artikel 84 und 123 (2) EPÜ zurückgewiesen worden waren, verfolgte und auf deren Basis eine Patenterteilung bzw. eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung begehrte, beantragt sie mit Schriftsatz vom 29. Mai 2020 nunmehr im Ergebnis einzig (Hauptantrag),

die angefochtene Entscheidung aufzuheben und

ein Patent auf der Basis folgender Unterlagen zu erteilen:

Beschreibung: Seiten 1 bis 14 eingereicht mit Schriftsatz vom 29. Mai 2020 (beschriftet als Hauptantrag neu 29.05.2020);

Ansprüche: 1 bis 12 eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung am 25. April 2018 als Hilfsantrag 1 (11:25);

Zeichnungen: Figuren 1 bis 3, wie ursprünglich eingereicht.

V. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags, der der angefochtenen Entscheidung als Hilfsantrag 1 in der Fassung von 11:25 Uhr und der vorliegenden Entscheidung zugrunde liegt, lautet wie folgt:

"1. Lebensmittelverpackungsbehälter (1) mit einem Innenteil (2) und einem Aussenteil (3), wobei das Innenteil (1) ein schalen- oder becherförmiges Behältnis bildet und das Aussenteil (3) das Innenteil (2) wenigstens teilweise umschließt, wobei das Innenteil (2) aus einem formbaren, d.h. thermoformbaren und/oder tiefziehbaren Material einstückig hergestellt ist, wobei als Material ein ein- oder mehrlagiges, wenigstens mit einem Anteil aus recycelten Rohstoffen hergestelltes Material vorgesehen ist, wobei auch wenigstens ein Anteil aus nachwachsenden und/oder biologisch abbaubaren Rohstoffen vorgesehen sein kann und daß das Aussenteil (3) wenigstens den Umfang des Innenteils (2) umschließt und aus einem nachwachsenden, biologisch abbaubaren und/oder recyceltem Rohstoff hergestellt ist, wobei vorzugsweise faserhaltige Materialien vorgesehen sein können, dadurch gekennzeichnet, daß im Innenteil das recycelte Material durch eine innere Schicht aus neuem Kunststoffmaterial abgedeckt ist und die Schicht aus Recyclingmaterial zusammen mit der inneren Schicht das Innenteil bildet, daß das Innenteil durch das Außenteil gehalten und versteift wird und daß das Innenteil (2) aus einem Polymer, insbesondere aus PS, PE, PP, PET, PVC, Stärkepolymeren, Polymilchsäure oder anderen natürlichen oder künstlichen Polymeren ein- oder mehrschichtig auch in Kombination mit Barriereschichten, Lacken oder dergleichen geformt ist und wenigstens in einer Schicht einen Anteil eines recyclierten Kunststoffmaterials, vorzugsweise R-PET, R-PP oder R-PS enthält daß wenigstens eine Kante des Außenteils (3) abgedichtet und/oder feuchtigkeits-, flüssigkeits- und/oder fettunempfindlich ausgerüstet sein kann, wobei diese Abdichtung durch Beschichten, Abdecken und/oder Umfalten erzeugt sein kann."

Entscheidungsgründe

1. Die vorliegende Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung.

1.1 Gemäß Artikel 12 (8) VOBK 2020 kann die Kammer vorbehaltlich der Artikel 113 (1) und 116 (1) EPÜ jederzeit nach Einreichung der Beschwerdebegründung über die Sache entscheiden.

1.2 Die Beschwerdeführerin hat hilfsweise die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung für den Fall beantragt, dass die Kammer nicht auf die Erteilung eines Patents auf der Basis des Hauptantrages erkennte. Da die Kammer bereits in diesem Sinne der Beschwerde auf der Basis des Hauptantrages stattgibt, entfaltet der dazu nachrangige Hilfsantrag auf mündliche Verhandlung keine prozessuale Wirkung (Artikel 116 (1) EPÜ).

1.3 Die Beschwerdesache ist auf der Grundlage des schriftsätzlichen Vorbringens der Beschwerdeführerin und der von der Kammer geprüften Feststellungen der angefochtenen Entscheidung unter Wahrung des rechtlichen Gehörs der Beschwerdeführerin (Artikel 113 (1) EPÜ) entscheidungsreif.

2. Entscheidungserheblich ist allein die Frage der erfinderischen Tätigkeit der Anspruchsgegenstände des Hauptantrages (Artikel 52 (1) und 56 EPÜ).

2.1 Nächstliegender Stand der Technik und unterscheidende Merkmale

Wie von der Prüfungsabteilung festgestellt und von der Beschwerdeführerin nicht bestritten, können sowohl D1 als auch D9 als gleichberechtigter nächstliegender Stand der Technik betrachtet werden, von dem sich der Gegenstand des Anspruchs 1 dadurch unterscheidet, dass als Material für das Innenteil ein wenigstens mit einem Anteil aus recycelten Rohstoffen hergestelltes Material vorgesehen ist, wobei im Innenteil das recycelte Material durch eine innere Schicht aus neuem Kunststoffmaterial abgedeckt ist und die Schicht aus Recyclingmaterial zusammen mit der inneren Schicht das Innenteil bildet, und wenigstens in einer Schicht einen Anteil eines recycelten Kunststoffmaterials, vorzugsweise R-PET, R-PP oder R-PS enthält.

2.2 Objektive technische Aufgabe

Die Kammer teilt im Wesentlichen die Ansicht der Prüfungsabteilung, wonach einem Innenteil aus recycelten Rohstoffen mit einer inneren Beschichtung aus neuen Kunststoffmaterial die objektive technische Aufgabe zugrunde liegt, die Verwendung von recycelten Stoffen in einem Lebensmittelverpackungsbehälter zu steigern und gleichzeitig die Eignung des Innenteils des Behälters für die Verwendung mit Lebensmitteln zu gewährleisten.

2.3 D1 (bzw. D9) in Kombination mit der Lehre von D5 mit dem Fachwissen bzw. in Kombination mit der Lehre von D12

2.3.1 Nach Ansicht der Prüfungsabteilung sei die Verwendung von recycelten Kunststoffen in Verpackungsbehältern aus D5 (Spalte 1, Zeilen 63-67) oder D12 (Seite 4, Zeilen 9-11) bekannt. Dem Fachmann sei es ohne erfinderisches Zutun möglich, solche Materialen zur Herstellung des Innenbehälters aus D1 bzw. D9 zu verwenden. Ferner sei es für den Fachmann offensichtlich, falls das Füllgut nicht mit diesem Material in Kontakt kommen darf, diese mit einer zusätzlichen, unbedenklichen Schicht abzudecken (siehe D12, Seite 4, Zeilen 9-11).

2.3.2 Die Kammer ist von diesen Feststellungen nicht überzeugt. Die durch den Problemlösungsansatz zu beantwortende Frage ist nicht, ob es für den Fachmann möglich wäre, unterschiedliche Lehren des Standes der Technik zu kombinieren, sondern, ob er dies auch angesichts des nächstliegenden Standes der Technik und der objektiven technischen Aufgabe getan hätte (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, I.D.5).

Dies ist hier zur Überzeugung der Kammer nicht der Fall. In der Tat, wie von der Beschwerdeführerin zutreffend in der Beschwerdebegründung vorgetragen, könnte der Fachmann nur bei einer rückschauenden Betrachtung ein beschichtetes recyceltes Material aus den Dokumenten D5 und D12 heranziehen.

2.3.3 Dokument D5 bezieht sich auf eine Blisterverpackung mit zwei unterschiedlichen Schichten. Der in der Verpackung aufbewahrte Gegenstand wird zwischen diesen beiden Schichten eingekapselt. Es ist daher zweifelhaft, ob dieses Dokument überhaupt ein solches geschichtetes Material, wie vom Anspruch 1 gefordert, offenbart. In jedem Fall ist die Kammer überzeugt, dass der Fachmann, der von aus zwei Teilen bestehenden Bechern (wie in D1 und D9) als nächstliegendem Stand der Technik ausgeht, nicht nach einer Lösung des objektiven Problems in einer Blisterverpackung wie D5 suchte.

2.3.4 Dieselbe Argumentation gilt hinsichtlich des Dokuments D12, das sich mit einem flaschenartigen verformbaren Kunststoffbehälter befasst, der sich nach Verbrauch seines Inhalts zusammenfalten lässt (siehe Seite 4, erster Absatz).

Die Prüfungsabteilung ist der Auffassung, dass der Anspruch 1 über die Wandstärke des Innenbehälters schweige. Daher könnte auch das beschichtete Material aus D12 als Innenteil des Behälters von D1 oder D9 verwendet werden.

Die Kammer kann dieser Argumentation nicht folgen. Nach Anspruch 1 des Hauptantrags ist es auch für den Behälter erforderlich, dass das Innenteil durch das Außenteil gehalten und versteift wird. Daher hätte der Fachmann keine Motivation, nach einer Lösung im leicht verformbaren Behälter zu suchen, wodurch das Material des Innenteils geschwächt wird.

2.4 Daraus folgt, dass der Fachmann zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags nur durch eine rückschauende Betrachtung gelangte. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher erfinderisch.

3. Die Kammer gelangt mithin zu dem Ergebnis, dass unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdeführerin die die angefochtene Entscheidung tragenden Gründe für die Zurückweisung der Anmeldung auf der Basis des (jetzigen) Hauptantrages einer Überprüfung durch die Kammer nicht standhalten.

4. Die von der Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 29. Mai 2020 vorgelegten Änderungen der Beschreibung genügen zur Überzeugung der Kammer der Anpassung an die geänderten Ansprüche.

5. Da die angefochtene Entscheidung keine weiteren Einwände gegen den (jetzigen) Hauptantrag erhoben hat und solche für die Kammer auch nicht prima facie erkennbar sind, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Angelegenheit an die Prüfungsabteilung mit der Anordnung zurückzuverweisen, ein Patent auf Grundlage des Hauptantrages zu erteilen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:

Beschreibung:

Seiten: 1 bis 14 eingereicht mit Schriftsatz vom 29. Mai 2020 (Hauptantrag neu 29.05.2020)

Ansprüche:

Nr.: 1 bis 12 eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung am 25. April 2018 (Hilfsantrag 1, 11:25)

Zeichnungen:

Figuren: 1-3 wie ursprünglich eingereicht

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