T 2954/18 (Brennstoffe aus Biomasse/WERNER) of 23.2.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T295418.20220223
Datum der Entscheidung: 23 Februar 2022
Aktenzeichen: T 2954/18
Anmeldenummer: 03001796.6
IPC-Klasse: C10L 5/44
C10L 5/08
C10L 5/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Vorrichtung zur Herstellung von Brennstoffen aus gepresster Biomasse und Verwendung derselben
Name des Anmelders: Werner, Hans
Name des Einsprechenden: GETproject GmbH & Co. KG
Kammer: 3.3.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 114(1)
Schlagwörter: Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (ja)
Ermittlung von Amts wegen - Beschwerdeverfahren
Veschlechterungsverbot (reformatio in peius)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0009/92
G 0001/99
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde des Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent EP 1 443 096 in geänderter Form auf Basis des mit Schreiben vom 12. April 2018 eingereichten Hauptantrags aufrecht zu erhalten.

II. Der Beschwerdeführer hat beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent vollständig zu widerrufen.

III. Der Patentinhaber und Beschwerdegegner hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise das Patent auf Grundlage der bereits erstinstanzlich eingereichten Hilfsanträge 1 und 2 aufrecht zu erhalten.

IV. Nach dem Erhalt der vorläufigen Meinung, in der die Kammer die Meinung vertreten hatte, dass keiner der vorliegenden Anträge wegen Verstößen gegen Artikel 123(2) EPÜ und/oder gegen das Verschlechterungsvebot (reformatio in peius) gewährbar bzw. zulässig sei, teilte der Beschwerdegegner mit Schreiben vom 12. Januar 2022 mit, dass er an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.

V. In einer Mitteilung vom 20. Januar 2022 wies die Kammer darauf hin, dass sie diese Erklärung dahingehend auslegt, dass damit der Antrag auf mündliche Verhandlung zurückgenommen wird und kündigte an, den anberaumten Termin aufzuheben, sollte der Beschwerdegegner dieser Auslegung nicht binnen 2 Wochen widersprechen.

VI. Der Beschwerdegegner hat innerhalb des angegebenen Zeitraums nicht geantwortet und keine weiteren Eingaben gemacht.

VII. Die abschließenden Anträge der Parteien waren wie folgt:

Der Beschwerdeführer beantragt den vollumfänglichen Widerruf des Patents.

Der Beschwerdegegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise das Patent auf Grundlage der bereits erstinstanzlich eingereichten Hilfsanträge 1 und 2 aufrecht zu erhalten.

Entscheidungsgründe

1. Entscheidung ohne mündliche Verhandlung

1.1 Eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ist möglich, weil zum einen der Hauptantrag des Beschwerdeführers auf vollumfänglichen Widerruf des Patents erfolgreich ist, siehe unten, und zum anderen die Erklärung des Beschwerdegegners dahingehend auszulegen ist, dass er seinen Antrag auf mündliche Verhandlung zurückgezogen hat. Die Ankündigung der Nichtteilnahme ist nämlich als Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung zu werten (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, neunte Auflage, III.C.4.3.2), worauf die Kammer den Beschwerdegegner ausdrücklich hingewiesen hat, ohne dass er dem entgegengetreten wäre.

1.2 Die Kammer hat in ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 dargelegt, dass sie weder den Hauptantrag noch die Hilfsanträge für gewährbar bzw. für zulässig hält. Da der Beschwerdegegner keine Gegenargumente vorgebracht hat, sieht die Kammer keine Veranlassung, von dieser Meinung abzuweichen.

2. Hauptantrag - Artikel 123(2) EPÜ

2.1 Anspruch 1 dieses Antrags in der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Merkmalsgliederung hat den folgenden Wortlaut, wobei die Merkmale, die ausgehend vom erteilten Anspruch 1 in den für gewährbar erachteten Anspruch 1 aufgenommen wurden, unterstrichen sind.

"1. (A) Verfahren zur Herstellung von Brennstoff aus in

Form gepresster Biomasse, bei dem die Biomasse

(B) vor dem Formpressvorgang und

(C) einem diesem vorgelagerten Trocknungsvorgang

(D) einem ersten, zum Erleichtern und/oder Verbessern

eines nachgelagerten Pressvorganges durchgeführten

Zerkleinerungsvorgang in einer

Zerkleinerungseinrichtung und

(E) diesem nachgelagerten Pressvorgang zur Reduktion

des Feuchtegehalts unterworfen wird,

(F) wobei die Biomasse durch den Pressvorgang

vorgetrocknet wird, wobei die Biomasse

(G) in einer Sammeleinrichtung gesammelt und

(H) von dieser in die Zerkleinerungseinrichtung

befördert wird,

(I) in einer baueinheitlich mit der

Zerkleinerungseinrichtung integrierten oder

nachgeschalteten Einrichtung in der Biomasse

enthaltene Verunreinigungen, wie zum Beispiel

Steine, Erdreich und dergleichen, entfernt werden

und

(J) die Biomasse und die Verunreinigungen getrennt

weiterbefördert werden,

(K) wobei beim Trocknungsvorgang der Biomasse

entstehende Gase oder anfallende Flüssigkeiten

abgesaugt und durch geeignete Filtereinrichtungen

geführt werden und

(L1) wobei Biomasse unterschiedlicher Art, die in

vermengter Form vorliegt, verarbeitet wird oder

(L2) in getrennter Form vorliegende Biomasse

unterschiedlicher Art getrennt getrocknet und

erst zum Formpressen vermengt wird."

2.2 Die Kammer ist zu dem Schluss gekommen, dass der Gegenstand von Anspruch 1 über die ursprüngliche Offenbarung hinausgeht. Der Beschwerdeführer hat keine Einwände unter Artikel 123(2) EPÜ erhoben, aber die Kammer kann gemäß Artikel 114(1) EPÜ auch von Amts wegen Einwände einführen. Dies ist vorliegend geboten, weil diese Einwände bei der Prüfung einer anderen Beschwerdesache (T 2952/18) zu Tage getreten sind, die ein Patent der gleichen Patentfamilie betrifft.

2.3 Die Merkmale (G)-(J) sind im ursprünglich eingereichten Anspruchssatz nicht enthalten, sondern lediglich auf Seite 10, Zeilen 4-10 der ursprünglich eingereichten Beschreibung offenbart. Diese Passage bezieht sich jedoch ausdrücklich auf die in Figur 2 gezeigte Vorrichtung, die für eine Pelletherstellung im industriellen Maßstab vorgesehen ist (Seite 9, Zeile 32). Die hinzugefügten Merkmale sind also nur in Bezug auf eine Vorrichtung im industriellen Maßstab bzw. auf das entsprechende Verfahren offenbart und nicht - wie beansprucht - losgelöst von dieser Einschränkung, die keineswegs nur akademischer Natur ist, denn die Anmeldung offenbart neben dem industriellen auch ein Verfahren für den privaten, nicht-industriellen Bereich als eigenständige Ausführungsform (Figur 1, Seite 8, Zeile 1-6). Anspruch 1 ist somit unzulässig erweitert und erfüllt nicht das Erfordernis des Artikels 123(2) EPÜ.

3. Hilfsantrag 1

Anspruch 1 dieses Antrags enthält ebenfalls die Merkmale (G)-(J), so dass der Antrag aus den gleichen Gründen wie der Hauptantrag nicht gewährbar ist.

4. Hilfsantrag 2

4.1 In Anspruch 1 dieses Antrags sind neben weiteren Änderungen gegenüber dem erstinstanzlich für gewährbar erachteten Anspruch 1 die Merkmale (F)-(K) nicht mehr enthalten.

4.2 Verschlechterungsverbot

Die Streichung der Merkmale (F)-(K) verstößt jedoch gegen das Verschlechterungsverbot (Grundsatz der reformatio in peius). Ist der Einsprechende - wie hier - der alleinige Beschwerdeführer gegen eine Zwischenentscheidung über die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang, so ist der Patentinhaber primär darauf beschränkt, das Patent in der Fassung zu verteidigen, die die Einspruchsabteilung ihrer Zwischenentscheidung zugrunde gelegt hat (G9/92, Leitsatz 2 und G1/99, Leitsatz). Als bloßer Beschwerdegegner darf der Patentinhaber das Patent im Beschwerdeverfahren daher in der Regel nicht in einer Fassung ändern, die breiter wäre als der von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachtete Anspruchssatz. Insbesondere ist gemäß G1/99 (Leitsatz) die Streichung einer unter Artikel 123(2) EPÜ unzulässigen Änderung nur dann erlaubt, wenn andere Änderungen, die den Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ ausräumen würden, nicht möglich sind. Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass diese Bedingung im vorliegenden Fall zutrifft. Der zweite Hilfsantrag muss somit zurückgewiesen werden.

5. Da folglich keiner der Anträge des Beschwerdegegners gewährbar ist, war dem Antrag der Beschwerdeführerin stattzugeben.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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