T 2852/18 () of 17.11.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T285218.20201117
Datum der Entscheidung: 17 November 2020
Aktenzeichen: T 2852/18
Anmeldenummer: 13172385.0
IPC-Klasse: A47B88/04
E05F5/00
E05F5/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Einzugvorrichtung für Möbel
Name des Anmelders: Titus d.o.o. Dekani
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 76(1) (2007)
European Patent Convention Art 123(2) (2007)
Schlagwörter: -
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die streitgegenständliche Patent­anmeldung (nachstehend "Streitanmeldung") ist eine Teilanmeldung der Stamm­anmeldung 11 151 027.7. Die Anmelderin (Beschwerde­führerin) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungs­abteilung ein, die Streitanmeldung zurückzuweisen.

II. Die Prüfungsabteilung hatte entschieden, dass die am 28. November 2016 eingereichten Ansprüche sowohl gemäß Hauptantrag als auch gemäß Hilfsantrag eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung des Offenbarungsgehalts der Stammanmeldung darstellten und damit die Erfordernisse des Artikels 76 (1) EPÜ nicht erfüllten.

III. Am 17. November 2020 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.

IV. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung des Patents auf der Grundlage des Hauptantrags oder auf der Grundlage eines der Hilfsanträge "Hilfsantrag 1A", "Hilfsantrag 1B" oder "Hilfsantrag" - zu prüfen in dieser Reihenfolge und vorgelegt mit der Beschwerde­begründung vom 22. November 2018 (Haupt- und Hilfsantrag) sowie mit Schriftsatz vom 27. Februar 2020 (Hilfsanträge 1A und 1B).

V. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt (Merkmalsbezeichnungen in eckigen Klammern hinzugefügt):

"[1.1] Einzugvorrichtung für Möbel mit einer Einzugfeder (24) und einer Dämpfvorrichtung (23),

[1.2] wobei die Einzugfeder (24) und die Dämpfvorrichtung (23) an ein Kippsegment (26) angeschlossen sind, das zwischen einer Parkposition und einer Einzugposition verstellbar ist,

[1.3] wobei die Dämpfvorrichtung (23) zwei gegeneinander verstellbare Stellteile aufweist und die Verstellbewegung des Kippsegments (26) von der Parkposition in die Einzugposition zumindest bereichsweise dämpft,

[1.4] wobei das Kippsegment (26) an einem Schlitten (25) angekoppelt ist,

[1.5] wobei der Schlitten (25) an das der Einzugposition abgewandte Ende der Dämpfvorrichtung (23) oder das der Einzugposition abgewandte Stellteil der Dämpfvorrichtung (23) angekoppelt ist,

[1.6] wobei der Schlitten (25) eine Aufnahme (25.5) mit einem Lager (25.6) aufweist,

[1.7] wobei das Kippsegment (26) an der Aufnahme (25.5) gehalten und mit einem Lageransatz (26.4) schwenkbar an dem Lager (25.6) gelagert und mit dem Schlitten (25) verfahrbar ist,

[1.8] wobei das Kippsegment (26) mit einem Führungsansatz (26.6) in einer Führungsbahn (22.11) geführt ist, die einen Führungsabschnitt (22.9) aufweist, der in einen Parkabschnitt (22.10) übergeht,

[1.9] wobei der Führungsabschnitt (22.9) den Führungsansatz (26.6) in den Parkabschnitt (22.10) und damit das Kippsegment (26) in seine gekippte Lage führt,

[1.10] wobei das Kippsegment (26) in der Einzugposition bis in den Bereich einer Gehäuseseite verfahren ist und in der Parkposition zwischen dieser und einer gegenüber­liegenden Gehäuseseite steht,

[1.11] und wobei das Kippsegment (26) einen Träger (26.1) aufweist, der mit einer frontseitigen Stoßfläche (26.1) ausgerüstet ist und ein Lagerstück (26.3) aufweist,

dadurch gekennzeichnet, dass

[1.12] das Lagerstück (26.3) beidseitig mit bolzenförmigen Lageransätzen (26.4) ausgestattet ist,

[1.13] dass die Lageransätze (26.4) eine gemeinsame Schwenkachse bilden,

[1.14] dass das Kippsegment (26) in einem Gehäuse verstellbar gelagert ist,

[1.15] dass an das Lagerstück (26.3) frontseitig ein Ausleger (26.5) angeformt ist, der an seinem freien Ende den seitlich vorstehenden Führungsansatz (26.6) trägt."

Anspruch 1 des Hilfsantrags 1A unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch Aufnahme folgender Merkmale am Ende des Oberbegriffs (Merkmals­bezeichnungen in eckigen Klammern hinzugefügt):

[1.22] wobei das Kippsegment (26) einen Arretieransatz (26.8) aufweist, der mit einer der Stoßfläche (26.2) zugewandten Fläche ausgerüstet ist, die als Sperrelement (26.10) dient,

[1.23] und wobei zwischen dem Sperrelement (26.10) und der Stoßfläche (26.2) eine Mitnehmeraufnahme (26.11) gebildet ist"

VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Hauptantrag

Die Merkmalsgruppe bestehend aus den Merkmalen [1.11]-[1.13] und [1.15] betreffe das in Absatz [0020] offenbarte und in den Figuren 6 und 7 dargestellte Kippsegment (Bezugnahmen auf die Offenlegungsschrift der Stammanmeldung). Die besagte Merkmalsgruppe umfasse dabei sämtliche Merkmale, die für eine in Absatz [0023] beschriebene Schließbewegung notwendig sind. Die weiteren in Absatz [0020] erwähnten Merkmale des Kippsegments beträfen hiervon unabhängige Aspekte wie eine Öffnungsbewegung und eine Notfangfunktion. Die besagte Merkmalsgruppe sei folglich nicht untrennbar mit den übrigen Merkmalen des Absatzes [0020] verknüpft, sodass deren isolierte Aufnahme in den Anspruch unmittelbar und eindeutig aus der Ursprungs­offenbarung der Stammanmeldung hervorgehe. Anspruch 1 der Streit­anmeldung gemäß Hauptantrag genüge folglich den Erfordernissen des Artikels 76 (1) EPÜ.

Da die Absätze [0020]-[0024] der Stammanmeldung identisch mit den Absätzen [0019]-[0023] der Streit­anmeldung seien, seien auch die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ erfüllt.

Hilfsantrag 1A

Die zusätzlich in den Anspruch 1 aufgenommenen Merkmale umfassten sämtliche Merkmale, die für die in Absatz [0024] beschriebene Öffnungsbewegung notwendig sind (Bezugnahmen auf die Offenlegungs­schrift der Stammanmeldung). Die weiteren in Absatz [0020] erwähnten Merkmale des Kippsegments beträfen im Wesentlichen nur noch die Notfangfunktion, die jedoch einen Sonderfall des Betriebs der beanspruchten Einzugvorrichtung darstelle. Für die normalen Betriebsfunktionen "Öffnen" und "Schließen" sei mit den in den Anspruch aufgenommenen Merkmalen eine volle Funktionalität des Kippsegments gegeben. Anspruch 1 der Streit­anmeldung gemäß Hilfsantrag 1A genüge folglich den Erfordernissen der Artikel 76 (1) und 123 (2) EPÜ.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag

1.1 Die Stammanmeldung sowie die Streitanmeldung betreffen eine Einzugvorrichtung für Möbel mit einer Einzugfeder und einer Dämpfvorrichtung. In diesem Zusammenhang offenbaren die jeweils ursprünglich eingereichten Unterlagen ein Kippsegment, an welches die Einzugfeder und die Dämpfvorrichtung angeschlossen sind, und das zwischen einer Parkposition und einer Einzugposition verstellbar ist (jeweiliger Absatz [0001] sowie jeweiliger Anspruch 1; Bezugnahmen jeweils auf die Offenlegungs­schrift). Die Parkposition entspricht dabei der Position, die das Kippsegment bei geöffneter Schiebetür einnimmt, und die Einzugposition entspricht der Position des Kippsegments bei geschlossener Schiebetür.

1.2 Die in den Absätzen [0023] und [0024] der Stamm­anmeldung beschriebene kontinuierliche harmonische Schließ­bewegung beruht darauf, dass sich zunächst das Kippsegment in der Parkposition befindet, die Einzugfeder gespannt ist und die Kolbenstangen der Dämpfer ausgezogen sind. Während der Schließbewegung der Schiebetür trifft ein daran befindlicher Mitnehmer auf die Stoßfläche des Kippsegments, kippt dieses aus seiner Parkposition und schiebt das Kippsegment samt Schlitten in Richtung der Einzugposition. Sodann wird die Einzugfeder wirksam und zieht das Kippsegment samt Schlitten entgegen der Wirkung der Druckdämpfer, die die Einzugbewegung dämpfen, in die Einzugposition.

Die Öffnungsbewegung wiederum verfährt das Kippsegment in die Parkposition, spannt die Feder vor und erlaubt es den Kolbenstangen der Dämpfer auszufahren. Eine hiervon abweichende Möglichkeit, das Kippsegment, die Einzugfeder und die Druckdämpfer in Bereitschaft für einen neuen Schließvorgang zu bringen, ist nicht offenbart.

1.3 Damit stehen die Merkmale des Kippsegments, die in die Schließbewegung involviert sind, in untrennbarem funktionellen Zusammenhang mit den Merkmalen, die in die Öffnungsbewegung involviert sind. Eine isolierte Aufnahme der Merkmale für die Schließbewegung in den Anspruch 1, d.h. ohne die für die Öffnungsbewegung nötigen Merkmale, stellt deshalb eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar.

1.4 Anspruch 1 der Streitanmeldung gemäß Hauptantrag geht daher über den ursprünglichen Offenbarungsgehalt der Stammanmeldung hinaus, sodass die Streitanmeldung die Erfordernisse des Artikels 76 (1) EPÜ nicht erfüllt.

2. Hilfsantrag 1A

2.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 1A unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch Aufnahme der Merkmale [1.22] und [1.23] am Ende des Oberbegriffs, wonach:

[1.22] das Kippsegment (26) einen Arretieransatz (26.8) aufweist, der mit einer der Stoßfläche (26.2) zugewandten Fläche ausgerüstet ist, die als Sperrelement (26.10) dient,

[1.23] und wobei zwischen dem Sperrelement (26.10) und der Stoßfläche (26.2) eine Mitnehmeraufnahme (26.11) gebildet ist.

2.2 Die das Kippsegmente betreffenden Merkmale [1.11] - [1.13], [1.15], [1.22] und [1.23] sind dem Absatz [0020] der Stammanmeldung entnommen. Jedoch sind nur die für die Schließbewegung und die Öffnungsbewegung notwendigen Merkmale im Anspruch enthalten. Nicht enthalten sind die Merkmale des Kippsegments betreffend die Notfangfunktion.

2.3 Bei der Notfangfunktion handelt es sich um eine Funktion für den Fall, dass sich das Kippsegment zwar in der Einzugsposition befindet, der Mitnehmer aber nicht in der Mitnehmeraufnahme. Mit anderen Worten, die Einzugvorrichtung ist in der Position "geschlossen", die Schiebetür jedoch in der Position "offen". Hierbei handelt es sich um einen Sonderfall, der mit den Betriebsfunktionen "Öffnen" und "Schließen" nicht in untrennbarem Zusammenhang steht. In der Tat wird das Kippsegment in der Ursprungsoffenbarung stets dadurch charakterisiert, dass es zwischen einer Parkposition und einer Einzugposition verstellbar ist (siehe bspw. Absatz [0001] sowie Anspruch 1), nicht jedoch dadurch, dass es zusätzlich eine Notfangfunktion erfüllen müsste. Die Gesamtoffenbarung der Stammanmeldung rechtfertigt daher die verallgemeinernde Isolierung der Merkmale des Kippsegments für die Schließbewegung und die Öffnungsbewegung und deren Aufnahme in den Anspruch.

2.4 Die verbleibenden Merkmale des Absatzes [0020] der Stammanmeldung betreffend die Lagerung des Kippsegments sind optional und finden sich im Übrigen bereits in den Anspruchs­merkmalen [1.6], [1.7], [1.12] und [1.13] wieder.

2.5 Die übrigen Merkmale des Anspruchs 1 sind den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 1, 3, 5 und 7 der Stammanmeldung zu entnehmen und sind im Zusammenhang ursprünglich offenbart. Anspruch 1 der Streitanmeldung gemäß Hilfsantrag 1A ist daher durch den ursprünglichen Offenbarungsgehalt der Stammanmeldung gestützt, sodass er die Erfordernisse des Artikels 76 (1) EPÜ erfüllt.

2.6 Da die Absätze [0020]-[0024] der Stammanmeldung identisch mit den Absätzen [0019]-[0023] der Streitanmeldung sind, und die ursprünglich eingereichten Ansprüche 1, 3, 5 und 7 der Stammanmeldung den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 1 und 3 der Streitanmeldung entsprechen, erfüllt Anspruch 1 der Streitanmeldung gemäß Hilfsantrag 1A auch die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ.

3. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.

4. Im vorliegenden Fall hat sich die Prüfungsabteilung nur mit den Erfordernissen des Artikels 76 (1) EPÜ befasst, nicht aber mit der Patentierbarkeit. Unter diesen Umständen ist die Kammer der Auffassung, dass sie über die Beschwerde ohne eine Entscheidung der Prüfungs­abteilung nicht mit angemessenem Aufwand entscheiden kann. Es liegt also ein besonderer Grund für eine Zurückverweisung vor.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird zur weiteren Prüfung auf der Grundlage der mit Schriftsatz vom 27. Februar 2020 eingereichten Ansprüche 1 bis 8 des Hilfsantrags 1A an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.

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