T 2753/18 (Verfahren zum Behandeln von kunststoffhaltigen Abfällen/Fraunhofer- … of 20.10.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T275318.20201020
Datum der Entscheidung: 20 October 2020
Aktenzeichen: T 2753/18
Anmeldenummer: 10800702.2
IPC-Klasse: C08J11/08
B29B17/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUM BEHANDELN VON KUNSTSTOFFHALTIGEN ABFÄLLEN
Name des Anmelders: Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V.
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.09
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2) (2007)
European Patent Convention Art 56 (2007)
Schlagwörter: Änderungen - zulässig (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Anmelderin (Beschwerdeführerin) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung ein, die Patentanmeldung (nachstehend "Anmeldung") zurückzuweisen.

II. Die Prüfungsabteilung hat unter anderem entschieden, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2, gegenüber D3 als nächstliegendem Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe und darüber hinaus unklar sei.

III. Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 lautet wie folgt:

"Verfahren zum Recycling von kunststoffhaltigen Abfällen enthaltend mindestens ein Zielpolymer und mindestens einen abzutrennenden Stoff, bei dem

a) der kunststoffhaltige Abfall mit mindestens einem Quellmittel unter Quellung des mindestens einen Zielpolymers zu einem Polymergel als erste Phase mit einem Polymergehalt von > 30 Gew.-%, bezogen auf die Gesamtmasse des im Polymergel enthaltenen Zielpolymers und Quellmittels, versetzt wird

b) mindestens ein in der ersten Phase nicht löslicher Störstoff mittels Filtration von dem Polymergel abgetrennt wird, wobei als Filtrationsvorrichtung ein Sieb mit einer Maschenweite von 1 bis 1000 mym eingesetzt und das gequollene Polymergel durch das Sieb gefördert wird,

wobei

das Zielpolymer ausgewählt ist aus der Gruppe bestehend aus Polystyrolen, Polyolefinen, Polyestern, Polycarbonaten, Polyamiden und deren Copolymeren sowie deren Blends oder Gemischen; und

der lösliche Störstoff ausgewählt ist aus der Gruppe bestehend aus unerwünschten Altadditiven und deren Reaktionsprodukten sowie niedermolekularen polymeren Abbauprodukten, Oligomeren und Restmonomeren und

der nicht-lösliche Störstoff ausgewählt ist aus der Gruppe bestehend aus Füll- und Verstärkungsstoffen, inerte Vermutzungen, Fremdpolymere, duromeren Klebeschichten oder Schäumen und Schwermetallpigmenten,

wobei das Polymergel eine dynamische Viskosität im Bereich von 100 mPas bis 10.000 Pas, gemessen nach ISO 6721-10:1999, aufweist."

IV. Zu den im Beschwerdeverfahren eingereichten, überarbeiteten Anträgen erging eine Mitteilung nach Regel 100(2) EPÜ.

V. Mit Schriftsatz vom 15. September 2020 reichte die Beschwerdeführerin einen neuen Hauptantrag umfassend Ansprüche 1 bis 11 und geänderte Beschreibungsseiten 2 bis 12, 14 und 15 ein. Mit Schriftsatz vom 30. September 2020 reichte die Beschwerdeführerin geänderte Beschreibungsseiten 1 und 13 ein.

VI. Anspruch 1 dieses Hauptantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2, der der Entscheidung der Prüfungsabteilung zugrunde lag, lediglich dadurch, dass das Merkmal "der lösliche Störstoff ausgewählt ist aus der Gruppe bestehend aus unerwünschten Altadditiven und deren Reaktionsprodukten sowie niedermolekularen polymeren Abbauprodukten, Oligomeren und Restmonomeren und" gestrichen wurde.

Die Ansprüche 2 bis 10 des Hauptantrags sind abhängige Verfahrensansprüche und Anspruch 11 des Hauptantrags betrifft einen Verwendungshauptanspruch, der das Verfahren gemäß einem der Ansprüche 1 bis 10 beinhaltet.

VII. In der vorliegenden Entscheidung wird auf die folgenden Dokumente Bezug genommen:

D1: DE 10 2005 026 451 A1

D2: EP 1 616 903 A1

D3: WO 94/12565 A1

D4: US 5,132,355

VIII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Das beanspruchte Verfahren sowie die beanspruchte Verwendung erfüllten die Anforderungen des EPÜ. Insbesondere beruhten diese Gegenstände auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber D3 als nächstliegendem Stand der Technik.

IX. Antrag

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf der Grundlage des Hauptantrags (siehe Punkt V. oben).

Entscheidungsgründe

Von den durch die Prüfungsabteilung in der angefochtenen Entscheidung erhobenen Einwänden ist bezüglich des vor der Kammer gültigen Hauptantrags nur noch der nach Artikel 56 EPÜ zu prüfen, sowie die Anforderung des Artikels 123(2) EPÜ.

1. Artikel 123(2) EPÜ

1.1 Die Ansprüche 1 bis 11 des Hauptantrags erfüllen die Anforderung des Artikels 123(2) EPÜ.

1.2 Anspruch 1 stützt sich auf die Ansprüche 1, 3 und 8 sowie Seite 6, Zeilen 18 bis 20, Seite 7, Zeilen 11 bis 18 und 25 bis 27, Seite 9, Zeilen 14 bis 20 und 28 bis 30, und Seite 10, Zeilen 11 bis 13, der eingereichten Anmeldung.

1.3 In Anspruch 1 wurden unter anderem Merkmale des Anspruchs 3 (siehe auch die entsprechende Offenbarung auf Seite 9, Zeilen 14 bis 20) der eingereichten Anmeldung aufgenommen. Verglichen mit der Offenbarung des Anspruchs 3 der eingereichten Anmeldung wurde der Ausdruck "amorphen oder teilkristallinen Polymere" in Bezug auf die spezifisch genannten Polymere gestrichen. Stütze hierfür findet sich auf Seite 9, Zeilen 14 bis 20, der eingereichten Anmeldung.

1.4 Die Textpassage auf Seite 6, Zeilen 14 bis 31, der eingereichten Anmeldung weist einen eindeutigen Erfindungsbezug auf, so dass ein Polymergehalt von "> 30%" (siehe Seite 6, Zeilen 18 bis 20, der eingereichten Anmeldung) im Zusammenhang mit dem beanspruchten Gegenstand offenbart ist. Wie beispielsweise aus Anspruch 1 der eingereichten Anmeldung zu entnehmen ist, ist der Polymergehalt als Gewichtsprozentwert zu verstehen. Somit ist das Merkmal "Polymergehalt von > 30 Gew.-%" (siehe Anspruch 1 des Hauptantrags) in der eingereichten Anmeldung offenbart.

1.5 Die Ansprüche 2 bis 11 stützen sich auf die entsprechenden Ansprüche 2, 4 bis 7, 9, 11, 13, 14 und 16 der eingereichten Anmeldung.

Die Änderung des in Anspruch 2 der eingereichten Anmeldung erwähnten Ausdrucks "in der der mindestens eine Stoff gelöst wird" in "in der mindestens ein Stoff gelöst wird" (siehe Anspruch 2 des Hauptantrags) wird als rein redaktionell angesehen und führt zu keinem Verstoß gegen Artikel 123(2) EPÜ.

2. Erfinderische Tätigkeit

2.1 D3 wird in Übereinstimmung mit der Prüfungsabteilung als geeigneter nächstliegender Stand der Technik angesehen, da dieses Dokument wie die Anmeldung ein Verfahren zum Recycling von kunststoffhaltigen Abfällen sowie eine ähnliche Aufgabenstellung betrifft.

2.2 In D3 sind mehrere Recycling-Verfahren beschrieben, in denen mit einem Quellmittel behandelte kunststoffhaltige Verbunde aufgearbeitet werden. Auf Seite 9 von D3 sind zwei konkrete Ausführungsbeispiele (nachfolgend als "erstes Ausführungsbeispiel" bzw. "zweites Ausführungsbeispiel" bezeichnet) angegeben, von denen sich das beanspruchte Verfahren deutlich unterscheidet.

2.3 Das erste Ausführungsbeispiel im ersten Absatz auf Seite 9 ist als nächstliegender Stand der Technik heranzuziehen, da dort das gequollene Zielpolymer (Weich-Polyvinylchlorid (PVC)) durch ein erstes Sieb gefördert wird, wohingegen im zweiten Ausführungsbeispiel im zweiten Absatz auf Seite 9 das gequollene Zielpolymer bereits von dem ersten, gröbsten Sieb zurückgehalten wird. Zudem wird im zweiten Ausführungsbeispiel Polystyrol, welches gemäß Anspruch 1 ein gequollenes Zielpolymer darstellt, nicht gequollen sondern aufgelöst.

2.4 Das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags unterscheidet sich von demjenigen im ersten Absatz auf Seite 9 von D3 (erstes Ausführungsbeispiel) wie folgt.

2.4.1 In dem ersten Ausführungsbeispiel wird ein Verbund aus Weich-PVC mit Aluminiumprofilen mit Ethylmethylketon behandelt und Weich-PVC wird zurückgewonnen. Somit unterscheidet sich das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags bereits dadurch von dem ersten Ausführungsbeispiel von D3, dass Polystyrol, Polyolefin, Polyester, Polycarbonat oder Polyamid (bzw. deren Copolymere, Blends oder Gemische) als Zielpolymer zurückgewonnen wird, wohingegen dies in D3 PVC ist.

2.4.2 Das beanspruchte Verfahren unterscheidet sich vom ersten Ausführungsbeispiel von D3 auch dadurch, dass das gequollene Polymer durch ein Sieb mit einer Maschenweite in einem Bereich von 1 bis 1000 mym gefördert wird, wohingegen im ersten Ausführungsbeispiel von D3 das gequollene Polymer auf einem Sieb mit einer runden Lochung von 1 mm abgeschieden wird.

2.4.3 Darüber hinaus ist weder in dem ersten Ausführungsbeispiel, noch in dem zweiten Ausführungsbeispiel bzw. in D3 insgesamt ein Polymergehalt des Polymergels im beanspruchten Bereich offenbart. Auch das auf die dynamische Viskosität des Polymergels gerichtete Merkmal von Anspruch 1 des Hauptantrags ist in D3 nicht offenbart.

2.5 Somit unterscheidet sich das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags von dem ersten Ausführungsbeispiel durch das Zielpolymer, den Polymergehalt und die dynamische Viskosität des Polymergels und insbesondere dadurch, dass das gequollene Zielpolymergel durch ein Sieb mit einer Maschenweite von 1 bis 1000 mym gefördert wird.

2.6 Selbst wenn ein aus den Unterschieden gegenüber D3 resultierender Effekt nicht anerkannt werden kann und die objektive technische Aufgabe somit lediglich in der Bereitstellung eines alternativen Verfahrens zum Recycling von kunststoffhaltigen Abfällen zu sehen ist, beruht das beanspruchte Verfahren dennoch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

2.7 Die Prüfungsabteilung war der Ansicht, dass der Fachmann die geeignete Maschenweite der Filtrationsvorrichtung im Verhältnis zu der Größe des gequollenen Polymers einfach festlegen könne, um eine effiziente Förderung des Polymers durch das Sieb der Filtrationsvorrichtung zu erreichen und die Trennung des Polymers von nicht-löslichen Störstoffen zu ermöglichen. Weiterhin führte sie aus, dass die Verwendung eines Siebes mit einer Maschenweite von 1 bis 1000 mym eine geringfügige bauliche Änderung der in D3 offenbarten Filtrationsvorrichtung sei, die innerhalb dessen liege, was ein Fachmann im Rahmen der üblichen Praxis zu tun pflege.

2.8 Die Kammer ist aus den folgenden Gründen davon nicht überzeugt.

2.8.1 In dem ersten Ausführungsbeispiel ist zwar die Verwendung eines Siebes mit einer runden Lochung mit einem Durchmesser von 1 mm (d.h. 1000 mym) beschrieben, die der Obergrenze des beanspruchten Bereichs von 1 bis 1000 mym entspricht. Auf diesem Sieb wird jedoch gequollenes Weich-PVC als Zielpolymer abgeschieden und gerade nicht hindurchgefördert.

2.8.2 Auch in dem zweiten Ausführungsbeispiel wird zwar ein Sieb mit einer runden Lochung von 1 mm verwendet. Auch in dem zweiten Ausführungsbeispiel wird jedoch kein gequollenes Zielpolymer durch das Sieb mit einer Lochung von 1 mm hindurchgefördert, sondern nur eine Polystyrol-haltige Lösung. Auf dem Sieb mit einer runden Lochung von 1 mm bleibt in dem zweiten Ausführungsbeispiel Polyethylen zurück und aufgequollenes PVC bleibt in einem vorherigen Trennschritt sogar schon auf einem wesentlich gröberen Sieb mit einer runden Lochung von 7 mm zurück.

2.8.3 Dem Dokument D3 ist insgesamt weder eine Offenbarung noch eine Lehre dahingehend zu entnehmen, dass ein gequollenes Zielpolymergel, geschweige denn eines das Polystyrol, Polyolefin, Polyester, Polycarbonat oder Polyamid (bzw. deren Copolymere, Blends oder Gemische) aufweist, durch ein Sieb mit einer Maschenweite in einem Bereich von 1 bis 1000 mym gefördert wird. Dies erfordert Bedingungen, die in D3 weder beschrieben, noch nahegelegt werden. Eine entsprechende Lehre ergibt sich auch nicht aus den Dokumenten D1, D2 oder D4.

2.9 Folglich wird das beanspruchte Verfahren als eine nicht-naheliegende Alternative gegenüber D3 als nächstliegendem Stand der Technik angesehen.

Somit beruht der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags gegenüber D3 als nächstliegendem Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit. Gleiches gilt für die abhängigen Verfahrensansprüche 2 bis 10, sowie den Verwendungsanspruch 11, der dieses Verfahren beinhaltet.

2.10 Die Beschwerdeführerin hat eine angepasste Beschreibung eingereicht. Die Kammer hat keinen Einwand gegen die Anpassung der Beschreibung.

3. Der Hauptantrag ist somit gewährbar.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:

Beschreibung:

Seiten 2 bis 12, 14 und 15, eingereicht mit Schriftsatz vom 15. September 2020

Seiten 1 und 13, eingereicht mit Schriftsatz vom 30. September 2020

Ansprüche:

Nr. 1 bis 11, eingereicht mit Schriftsatz vom 15. September 2020

Zeichnungen:

Blätter 1/3 bis 3/3, wie ursprünglich eingereicht

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