T 2729/18 (Druckwellenbehandlung / Storzmedical) of 10.3.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T272918.20220310
Datum der Entscheidung: 10 März 2022
Aktenzeichen: T 2729/18
Anmeldenummer: 10000455.5
IPC-Klasse: A61H 23/00
A61N 7/00
B06B 1/18
B25D 9/26
A61B 17/225
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Parametereinstellung bei einem Gerät zur Druckwellenbehandlung
Name des Anmelders: STORZ MEDICAL AG
Name des Einsprechenden: Ferton Holding SA
Kammer: 3.4.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(c)
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 54(3)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(2)
Schlagwörter: Einspruchsgründe - mangelhafte Offenbarung (nein)
Neuheit - ausführbare Offenbarung (s. Nr. 19)
Änderung nach Ladung - berücksichtigt (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 2284/15
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden stammen aus einem Einspruchsverfahren.

II. Der Einspruch basierte ursprünglich auf den Gründen des Artikels 100 a) EPÜ, mangelnde Neuheit und erfinderische Tätigkeit, und des Artikels 100b) EPÜ, mangelnde Offenbarung. Es wurde inter alia auf

D1: EP 2 181 730 B1

als Stand der Technik im Sinne des Artikels 54 (3) EPÜ verwiesen.

III. Der angefochtenen Entscheidung zufolge würden der Hauptantrag (Patent in der erteilten Fassung) und die ersten zwei Hilfsanträge den Erfordernissen des EPÜ mit Bezug auf ausreichende Offenbarung genügen. Dahingegen nehme D1 dem Hauptantrag und dem ersten Hilfsantrag die Neuheit vorweg. Der zweite Hilfsantrag erfülle alle Erfordernisse des EPÜ.

IV. Gegen diese Entscheidung haben beide Parteien Beschwerde eingelegt.

V. Die Patentinhaberin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung des Einspruchs (Hauptantrag) oder die Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis eines von fünf Hilfsanträgen, die am Anfang der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht wurden. Der zweite Hilfsantrag ist mit dem von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Antrag identisch.

VI. Die Einsprechende beantragt, das Patent unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zu widerrufen.

VII. Bezüglich des Hauptantrags und des zweiten Hilfsantrags hat die Einsprechende in ihrer Beschwerdebegründung lediglich argumentiert, dass die Erfindung nicht ausreichend offenbart sei und dass die Gegenstände aller unabhängigen Ansprüche im Hinblick auf D1 nicht neu seien. In ihrer Erwiderung auf die Beschwerde der Patentinhaberin hat die Einsprechende weitere Gründe geltend gemacht, die jedoch in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nicht weiter verfolgt wurden.

VIII. Beide Parteien verwiesen auch auf den Parallelfall T 2284/15, ein Beschwerdeverfahren mit denselben Parteien in umgekehrten Rollen. In dem Fall kam dieselbe Kammer (in anderer Besetzung) zur Schlussfolgerung, dass die in Dokument D1 beanspruchte Erfindung nicht ausreichend offenbart war. Laut Patentinhaberin stelle daher D1 keinen Stand der Technik dar. Laut Einsprechende sei bei Anwendung desselben Maßstabs die Erfindung im vorliegenden Patent auch nicht offenbart.

IX. Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Meinung mit, unter anderem dass die Schlussfolgerungen im Parallelfall nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar seien, dass die im vorliegenden Fall beanspruchte Erfindung ausreichend offenbart sei und dass mindestens ein Gerät gemäß Anspruch 9 des Hauptantrags von D1 offenbart sei.

X. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 9 des Hauptantrags lauten (Bezugszeichen von der Kammer entfernt):

1. Verfahren zum Einstellen einer Druckgasbeaufschlagungszeit eines Geräts zum Behandeln des menschlichen oder tierischen Körpers durch eine mechanische Druckwelle,

welches Gerät aufweist:

eine Druckgasversorgungseinrichtung zur Erzeugung von mit einer Frequenz wiederholten Gasdruckpulsen,

ein Schlagteil, das durch einen Druckgaspuls der Druckgasversorgungseinrichtung beschleunigt werden kann,

einen Prallkörper der von dem beschleunigten Schlagteil getroffen werden und dabei von diesem einen Impuls zur Erzeugung der Druckwelle übernehmen kann, und eine Einrichtung zum Einstellen eines Druckwertes der Druckgaspulse;

dadurch gekennzeichnet, dass das Gerät

eine Einrichtung zum automatischen Auswählen und Einstellen der Zeitdauer der Druckgaspulse aufweist und

bei dem Einstellverfahren vorgegebene Zeitdauerwerte für jeweilige Druckwerte entsprechend den eingestellten Druckwerten durch die Einrichtung zum automatischen Auswählen und Einstellen der Zeitdauer der Druckgaspulse automatisch ausgewählt und eingestellt werden.

9. Gerät zum Behandeln des menschlichen oder tierischen Körpers durch eine mechanische Druckwelle mit:

einer Druckgasversorgungseinrichtung zur Erzeugung von mit einer Frequenz wiederholten Gasdruckpulsen,

einem Schlagteil, das durch einen Druckgaspuls der Druckgasversorgungseinrichtung beschleunigt werden kann,

einem Prallkörper der von dem beschleunigten Schlagteil getroffen werden und dabei von diesem einen Impuls zur Erzeugung der Druckwelle übernehmen kann,

gekennzeichnet durch eine Einrichtung zum automatischen Auswählen und Einstellen der Zeitdauer der Druckgaspulse und dadurch, dass das Gerät für ein Verfahren nach einem der vorstehenden Ansprüche ausgelegt ist.

XI. Im Hilfsantrag 1 ist das letzte Merkmal des Vorrichtungsanspruchs 9 wie folgt formuliert (Hervorhebung durch die Kammer):

gekennzeichnet durch eine Einrichtung zum automatischen Auswählen aus einer in dem Gerät gespeicherten Tabelle und Einstellen der Zeitdauer der Druckgaspulse und dadurch, dass das Gerät für ein Verfahren nach einem der vorstehenden Ansprüche ausgelegt ist.

XII. Im Hilfsantrag 2 ist zusätzlich auch das letzte Merkmal des Verfahrensanspruchs 1 entsprechend formuliert:

bei dem Einstellverfahren vorgegebene Zeitdauerwerte für jeweilige Druckwerte entsprechend den eingestellten Druckwerten durch die Einrichtung zum automatischen Auswählen und Einstellen der Zeitdauer der Druckgaspulse automatisch aus einer in dem Gerät gespeicherten Tabelle ausgewählt und eingestellt werden.

XIII. Die für diese Entscheidung relevanten Argumente der Beteiligten sind in den Entscheidungsgründen wiedergegeben.

Entscheidungsgründe

Das Patent

1. Die Erfindung betrifft ein Gerät zum Behandeln des menschlichen oder tierischen Körpers durch mechanische Druckwellen. Durch Variierung der Pulsdauer als Funktion der Druckwerte sollen verschiedene Vorteile erreicht werden, z. B. die Erzeugung einer bestimmten Druckwellenintensität mit möglichst geringer Gasmenge (Absatz 14 der Patentschrift).

Offenbarung der Erfindung (Artikel 100 c) EPÜ)

- Argumente der Einsprechenden

2. Die Einsprechende ist der Auffassung, dass nicht offenbart sei, wie die Pulsdauerwerte für den jeweiligen eingestellten Druckwert ausgewählt werden können. Der Fachmann wisse nämlich nicht, wie diese zu bestimmen seien. Es sei lediglich in Absatz 34 der Patentschrift eine Tabelle aufgeführt, die offensichtlich willkürliche Werte vorgibt (Einspruchsschrift, Seite 7), die keine technische Aufgabe lösen. Welche Pulsdauerwerte für einen bestimmten Fall geeignet seien, hänge von dem Schlagkörpergewicht und der Konfiguration der Gegendruckkammer ab. Informationen über die Abmessungen und Materialien des Geräts seien im Patent nicht auffindbar.

3. Die Offenbarung reiche auch nicht aus, um die Erfindung über den gesamten beanspruchten Bereich auszuführen. Es sei nicht klar, wie optimale Werte für Geräte mit unterschiedlichen Abmessungen und aus unterschiedlichen Materialien vom Fachmann ohne unzumutbaren Aufwand bestimmt werden können. Insbesondere seien die Hinweise in den Absätzen 16 (...können sich durch zu lange Pulszeiten Schwierigkeiten dahingehend ergeben...) und 19 (niedriger Druck - längere Zeit) der Patentschrift widersprüchlich. Der Aufwand sei auch im Hinblick auf den Einfluss der Konfiguration der Gegendruckkammer besonders hoch.

4. Die Einsprechende bemerkt ferner, dass die Kammer im Fall T 2284/15, Stoßwellenartige Druckwellen entschieden hat, dass die Patentschrift D1 die dort beanspruchte Erfindung nicht ausreichend offenbare. Derselbe Maßstab müsse bei der vorliegenden Patentschrift angewendet werden, die aber nicht mehr Informationen als D1 enthalte. Zwar sei in D1 eine Abhängigkeit der Zeitdauer von einer Kombination aus Arbeitsdruck und Druck in der Gegendruckkammer beansprucht, und nicht wie im vorliegendem Fall vom Arbeitsdruck allein, aber auch im vorliegenden Fall stelle sich die Frage des Einflusses der Gegendruckkammer. Dass dieses Problem im Streitpatent nicht erwähnt oder erkannt sei, bedeute nicht, dass es nicht existiere.

Offenbarung der Erfindung (Artikel 100 c) EPÜ)

- Argumente der Patentinhaberin

5. Die Patentinhaberin ist der Auffassung, dass das Patent die Ausführung der Erfindung über den gesamten beanspruchten Bereich der Beschreibung ermögliche, und zwar ohne unzumutbaren Aufwand.

6. Die Tabelle in Absatz 34 offenbare ein Beispiel. Sie zeige empirisch gewonnene Pulsdauerwerte für steigende Druckwerte für das praktisch maßstäbliche in Figur 1 dargestellte Gerät (Absatz 32 der Patentschrift). Dies sei ein fachübliches Gerät, aus üblichen, vom Fachmann bekannten Materialien gebaut; die Abmessungen der Gegendruckkammer seien auch aus der Figur 1 ableitbar. Die Werte in der Tabelle seien nicht willkürlich, was der nicht lineare Verlauf der Werte und insbesondere die konstanten Werte ab 4.2 bar zeigten.

7. Um in Frage zu stellen, dass die Werte geeignet seien, die Aufgabe zu lösen, hätte die Einsprechende entsprechende Experimente durchführen müssen.

8. Dieses Beispiel stelle einen guten Ausgangspunkt für die Ausführung der Erfindung bei anders dimensionierten Geräten dar. Die Erklärungen in der Beschreibung seien auch nicht widersprüchlich: in Absatz 19 sei der allgemeine Zusammenhang zwischen Pulsdauerwerten und Arbeitsdruck erläutert, während in den Absätzen 15 bis 18 die Nachteile zu kurzer bzw. zu langer Pulszeiten dargestellt seien.

9. "Optimale" Werte müssten nicht bestimmt werden, da die Erfindung auch mit angenäherten, stufenweise ermittelten Parametersätzen Verbesserungen ermögliche (Absatz 20 der Patentschrift).

10. Die Beschreibung der vorliegenden Patentschrift sei nicht mit derjenigen in D1 vergleichbar. Dort seien weder Beispiele noch quantitative oder qualitative Erklärungen des Zusammenhanges zwischen Dauer und Druck gegeben, wie die Entscheidung im Fall T 2284/15 feststelle.

11. Der Fachmann könne wohl ein Gerät bauen, das das vom Anspruch 1 definierte Verfahren ausführe. Dies reiche für die Erfordernisse des EPÜ bezüglich Offenbarung aus. Dazu sei nicht notwendig, dass die Erfindung die in der Patentschrift beschriebene Aufgabe löse.

Offenbarung der Erfindung (Artikel 100 c) EPÜ)

- Schlussfolgerung

12. Die Kammer ist von den Argumenten der Patentinhaberin überzeugt, dass die Erfindung über den gesamten beanspruchten Bereich vom Fachmann so ausführbar ist, dass Verbesserungen im Sinne der Erfindung (z. B. die Einsetzung einer verringerten Gasmenge - Absatz 14 der Patentschrift) erreicht werden können.

13. Es ist wohl plausibel, dass die in der Tabelle angegebenen Pulsdauerwerte den Stand der Technik verbessern, weil sie mit den Erklärungen über den Zusammenhang zwischen Pulsdauer und Druck in den Absätzen 15 bis 19 in Einklang sind. Die Einsprechende hat keine Erklärung gegeben oder Beweise aufgezeigt, die dies in Zweifel bringen könnten. Ferner ist das entsprechende Gerät in Figur 1 maßstäblich dargestellt. Somit ist, bei Verwendung fachüblicher Materialien, in der Tat ein Beispiel gegeben, das als Ausgangspunkt für die Bestimmung von Werten für Geräte mit anderen Abmessungen dienen kann. Der Fachmann kann extrapolieren und sich danach auf die Erklärungen in den Absätzen 15 bis 20 stützen, um verbesserte Ergebnisse zu erreichen. Bemerkenswert ist, wie von der Patentinhaberin vorgetragen, dass keine optimalen Werte bestimmt werden müssen; Werte, die den Stand der Technik verbessern, lösen auch die in der Patentschrift gestellte technische Aufgabe. Dies ist auch der Fall, wenn der Einfluss des Gegendrucks nicht explizit berücksichtigt wird.

14. Die Kammer ist auch davon überzeugt, dass der Sachverhalt im vorliegenden Fall sich vom Sachverhalt im Parallelfall unterscheidet, da die dort beanspruchte Erfindung sich auf eine Abhängigkeit zwischen Pulsdauerwerten und einer Kombination aus Arbeitsdruck und Druck in der Gegendruckkammer stützt, für welche weder Beispiele noch ein klarer Weg zur Ausführung gegeben waren (T 2284/15, Nrn. 7 - 10 und 16 - 18).

14.1 Als Nebenbemerkung weist die Kammer darauf hin, dass die Offenbarung nicht ausreichend wäre, wenn der Fachmann zwar zu einer Ausführung des im Anspruch definierten Gegenstands kommen könnte, aber nicht zu einer, die die in der Patentschrift gestellte Aufgabe löst (T 2284/15, Nr. 21).

Hauptantrag: Neuheit

15. Die Einspruchsabteilung war der Ansicht, dass D1 die Neuheit der unabhängigen Ansprüche vorwegnimmt. Die Patentinhaberin bestreitet diese Ansicht mit zwei Argumenten.

16. Erstens sei schon entschieden worden (T 2284/15), dass D1 die Erfindung nicht ausreichend offenbare. Daher sei die Lehre von D1 nicht nacharbeitbar und gar nicht als Stand der Technik zu betrachten (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage, I.C.4.11).

17. Zweitens sei das letzte Anspruchsmerkmal nicht unmittelbar und eindeutig aus D1 ableitbar (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, I.C.4.3). Zwar stehe dort, dass die Pulsdauer in Abhängigkeit vom Druck eingestellt werde, jedoch werde offen gelassen, ob diese Anpassung vom Benutzer oder automatisch durchgeführt werde. Es sei zu betonen, dass D1, wenn überhaupt, nur als Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ gelten könne. Mit diesem Artikel habe der Gesetzgeber einen Ausnahmefall vorgesehen, da dieser nur zur Evaluierung der Neuheit und daher auf eingeschränkte Weise angewendet werden sollte.

18. Zum zweiten Punkt zuerst: obwohl in Dl nicht ausdrücklich von einer automatischen Auswahl die Rede ist, folgt dies unmittelbar daraus, dass die Steuerschaltung selbst die Öffnungsdauer des Ventils in Abhängigkeit von Druckparametern steuert (D1, Anspruch 1). Es mag auch sein, dass Artikel 54 (3) EPÜ einen Ausnahmefall darstellt - dennoch ist aber die Neuheit nach Artikel 54 (3) EPÜ nicht anders zu beurteilen als nach Artikel 54 (2) EPÜ.

19. Zum ersten Punkt: aus der Feststellung, dass D1 die darin beanspruchte Erfindung im Sinne der Artikel 83 und 100 b) EPÜ nicht ausreichend offenbart, folgt nicht, dass D1 überhaupt nichts offenbart.

20. Dl offenbart zwar nicht, in welcher Weise die Zeitdauerwerte in Abhängigkeit von den dort genannten Druckparametern ausgewählt werden können, damit die in Dl gestellte technische Aufgabe gelöst wird (T 2284/15, Nr. 18), das Gerät selbst aber, mit einer Einrichtung zum automatischen Auswählen, wurde dem Fachmann zugänglich gemacht (T 2284/15, Nr. 19). Anspruch 9 definiert nichts als ein Gerät, das geeignet ist, die Druckpulsdauer als Funktion des Arbeitsdrucks einzustellen.

21. Der Gegenstand des Anspruchs 9 ist daher im Hinblick auf D1 nicht neu.

Hilfsantrag 1 - Zulassung

22. Der Hilfsantrag 1 wurde nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht. Seine Berücksichtigung wird somit von Artikel 13 (2) VOBK 2020 geregelt.

23. Die Patentinhaberin sieht außergewöhnliche Umstände darin, dass eine Differenzierung zwischen dem Verfahrensanspruch und dem Vorrichtungsanspruch erst in der zur Ladung beigefügten Mitteilung der Kammer gemacht werde. Bis dahin habe es keinen Grund gegeben, den Verfahrensanspruch anders abzufassen als den Vorrichtungsanspruch. Zwar brachte die Einsprechende in ihrer Beschwerdebegründung vor, dass die Einrichtung zum Auswählen und zur Einstellung der Dauerwerte nur dazu geeignet sein müsse, doch ging es dort nur um ein Merkmal des Anspruchs, und nur mit Bezug auf den zweiten Hilfsantrag. Zum Hauptantrag seien vor der Ladung keine ähnlichen Einwände erhoben worden, auch nicht in der Beschwerdeerwiderung der Einsprechenden. Dieser Einwand sei von der Kammer selbst nach Artikel 114 (1) EPÜ erhoben worden. Dies sei zwar möglich, jedoch müsse das Recht der Patentinhaberin, darauf zu reagieren, gewahrt bleiben (Artikel 113 (1) EPÜ).

24. Der Einsprechenden zufolge werde in der Mitteilung der Kammer nicht zwischen den Anspruchskategorien differenziert. In der Mitteilung stehe, dass zumindest der Vorrichtungsanspruch nicht neu sei, nicht etwa, dass nur der Vorrichtungsanspruch nicht neu sei. Eine Differenzierung zwischen den Anspruchskategorien sei aber im Verfahren nichts neues: es sei schon festgehalten worden, dass Verfahrens- und Vorrichtungsansprüche unterschiedlich auszulegen seien. Außerdem sei die Differenzierung zwischen Verfahrensansprüchen und Vorrichtungsansprüchen ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern.

25. Die Kammer stellt fest, dass erst in ihrer vorläufigen Meinung auf möglicherweise entscheidungsrelevante Unterschiede in der Auslegung der Ansprüche 1 und 9 hingewiesen worden ist.

26. Die Einsprechende hatte zwar in Bezug auf den zweiten Hilfsantrag auf derartige Unterschiede hingewiesen, doch selbst die Einsprechende hat nicht erkannt, dass solche Unterschiede auch für den Hauptantrag entscheidungsrelevant sein könnten.

27. Der neue Antrag kombiniert den Verfahrensanspruch des Hauptantrags mit dem Vorrichtungsanspruch des vormaligen ersten Hilfsantrags. Dies bringt keinen neuen Gegenstand in das Beschwerdeverfahren ein. Die Einspruchsabteilung hat über die Neuheit beider Ansprüche eine Entscheidung getroffen.

28. Die Kammer befindet die Zulassung des Antrags als gerechtfertigt.

Hilfsantrag 1 - Neuheit - Verfahrensanspruch 1

29. Die Patentinhaberin ist der Ansicht, dass im Verfahrensanspruch 1 die Pulsdauerwerte ausgewählt und eingestellt werden, was über eine bloße Eignung dazu hinausgehe. Der Anspruch müsse so gelesen werden, dass sein Gegenstand technisch sinnvoll sei, und zwar unter Heranziehung der Beschreibung (Artikel 69 EPÜ); dies sei ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, II.A.6.1, 6.3 und 6.3.2). Das Auswählen und die Einstellung der Werte seien daher so zu verstehen, dass dabei der Stand der Technik tatsächlich verbessert werde, wie in der Beschreibung ausgeführt. Dies stehe auch mit den Auslegungsprinzipien bei Verletzungsverfahren im Einklang. Eine Einstellung der Werte, welche eine Verbesserung des Stands der Technik bringt, sei in D1 nicht offenbart (T 2284/15).

30. Dagegen ist die Einsprechende der Auffassung, dass der Anspruch keine Merkmale enthalte, die den Stand der Technik verbessern würden. Diesbezüglich seien der Verfahrensanspruch und der Vorrichtungsanspruch des Hauptantrags gleich: sie definierten nur eine Auswahl und eine Einstellung der Werte, jedoch keine Verbesserung.

31. Die Kammer merkt an, dass der Anspruch den Zusammenhang zwischen Pulsdauerwerten und Druck weder quantitativ noch qualitativ definiert.

32. Die Beschreibung darf wohl bei der Auslegung der Ansprüche betrachtet werden, doch ist es aus Gründen der Rechtssicherheit nicht möglich, bei einer Neuheitsanalyse Merkmale hineinzulesen, die dem expliziten Wortlaut nicht zu entnehmen sind (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, II.A.6.3.4).

33. Unter den Anspruch fällt jedes Verfahren, in dem die Dauer als Funktion des Arbeitsdrucks eingestellt wird. Ein derartiges Verfahren wird in D1 offenbart (T 2284/15, Nr. 19) und ist daher nicht neu.

Hilfsantrag 1 - Neuheit - Anspruch 9

34. Der Vorrichtungsanspruch 9 unterscheidet sich vom Vorrichtungsanspruch des Hauptantrags darin, dass die Einrichtung zum automatischen Auswählen nun als eine Einrichtung zum automatischen Auswählen aus einer in dem Gerät gespeicherten Tabelle definiert wird.

35. Laut Einsprechende sei eine Tabelle lediglich eine grafische Darstellung, die nicht gespeichert werden könne. Es könne nur lediglich gemeint sein, dass für einen bestimmten Druck ein bestimmter Wert gespeichert ist (Beschwerdegründung, Seite 7). Die breiteste Auslegung einer Tabelle sei der Zusammenhang zwischen zwei Werten, der auch durch eine Funktion wiedergegeben werden kann (Beschwerdeerwiderung, Seite 6). Das sei von D1 offenbart, und zwar in ausführbarer Weise, unter Berücksichtigung der Fachkenntnisse des Fachmanns.

36. Die Patentinhaberin argumentiert, dass eine Tabelle ein Inbezugsetzen von diskreten Werten von zwei verschiedenen Größen sei (Beschwerdebegründung, Nr. 7); dies war auch die Auffassung der Einspruchsabteilung (Entscheidung, Nr. 21.2.2). D1 offenbare explizit keine Tabelle in diesem Sinne; die Einstellung der Dauerwerte in D1 könne auf Basis einer Funktion durch eine Berechnung, entweder digital oder analog, ausgeführt werden. Die Verwendung einer Tabelle mag gut bekannt sein, jedoch sei dies für die Neuheit nicht von Relevanz.

37. Die Kammer findet die Argumente der Patentinhaberin überzeugend. Eine Tabelle ist tatsächlich als ein Inbezugsetzen von diskreten Werten von zwei verschiedenen Größen zu verstehen. Wie die Einstellung der Werte geschieht, wird in D1 offen gelassen. Der Fachmann würde, wie fachüblich, die Verwendung einer Tabelle für die Ausführung der D1 in Betracht ziehen. Dies bedeutet aber nicht, dass D1 eine Tabelle unmittelbar und eindeutig offenbart, da dem Fachmann auch andere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, z. B. die Berechnung auf Basis einer Funktion oder eine differenzielle Anpassung.

38. Der Vorrichtungsanspruch 9 ist daher neu.

Hilfsantrag 2

39. Sowohl Verfahrensanspruch 1 wie auch Vorrichtungsanspruch 9 definieren die Verwendung einer Tabelle zum Auswählen und zur Einstellung der Pulsdauerwerte. Wie oben dargelegt, ist dieses Merkmal nicht in D1 offenbart. Somit sind die beiden unabhängigen Ansprüche neu.

40. Weitere Gründe, die der Aufrechterhaltung des Patents in dieser Fassung entgegenstehen würden, liegen nicht vor.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Beide Beschwerden werden zurückgewiesen.

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