T 2636/18 (Herstellung von Lyocellfasern/List Technology) of 10.6.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T263618.20200610
Datum der Entscheidung: 10 Juni 2020
Aktenzeichen: T 2636/18
Anmeldenummer: 13722303.8
IPC-Klasse: D01D5/06
D01D13/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG VON FORMKÖRPERN
Name des Anmelders: LIST Technology AG
Name des Einsprechenden: 1) Buss-SMS-Canzler GmbH
2) ONEA-Engineering Austria GmbH
Kammer: 3.3.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56 (2007)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der gemeinsamen Einsprechenden (im folgenden, Beschwerdeführerinnen) richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 2 839 060 in geändertem Umfang auf Grundlage des am 11. Juli 2018 eingereichten Hilfsantrags 2.

II. Der unabhängige Anspruch 1 des aufrechterhaltenen Patents hat folgenden Wortlaut:

"1. Verfahren zur Herstellung von Lyocellfasern aus Zellulose, die zum Herstellen einer Spinnlösung mit einem Lösungsmittel zu einer Zellstoff-Lösungsmittel-Suspension vermischt und anschließend dieses Lösungsmittel zumindest teilweise aus der Suspension entfernt und die Suspension in eine Spinnlösung umgewandelt wird, wobei die Spinnlösung einer Einrichtung (8) zum Spinnen zugeführt wird,

dadurch gekennzeichnet,

dass die Suspension einem vertikalen zylindrischen Dünnschichtverdampfer (2) und einem horizontalem zylindrischen Dickschichtlöser (4) zugeführt wird, wobei die Spinnlösung noch im Dickschichtlöser (4) oder beim nachfolgenden Austragen aus dem Dickschichtlöser (4) in der Austragsvorrichtung (5) auf eine für das Spinnen notwendige Viskosität rückverdünnt wird."

III. Mit ihrer Beschwerdebegründung legten die Beschwerdeführerinnen neue Beweismittel E10 bis E14 vor und hielten unter anderem aufrecht, dass das Verfahren laut aufrechterhaltenem Anspruch 1 ausgehend aus E4 (WO 2011/124387 A1) als nächstliegendem Stand der Technik, und unter Berücksichtigung der Verweiskette über E2 (DE 198 37 210 C1) an E3 (DE 44 41 468 C2), nahelag.

IV. Mit ihrer Beschwerdeerwiderung legte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) ein neues Beweismittel E15 vor und hielt unter anderem aufrecht, dass E4 keine Anregungen gebe, die den Fachmann dazu anleiten würden, dem Knetreaktor der E4 einen Dünnschichtverdampfer vorzuschalten.

V. In ihrer vorläufigen Stellungnahme teilte die Kammer mit, dass das Verfahren laut Anspruch 1 gegenüber E4 auf Grund der Verweise auf E2 und E3 nahelag.

VI. Mit ihrem Schreiben vom 8. Juni 2020 sagte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung ab, und bat um eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren.

VII. Die Kammer nahm den Antrag zu Kenntnis und hob den anberaumten Termin auf.

VIII. Endgültige Anträge der Parteien

Die Beschwerdeführerinnen (gemeinsame Einsprechenden) beantragten die Aufhebung der angefochtenen Zwischenentscheidung und den vollständigen Widerruf des Streitpatents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

1. Erfinderische Tätigkeit

1.1 Das vorliegende Patent (siehe Absätze [0001] bis [0009]) betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Lyocellfasern aus Zellstoff als Grundsubstanz, welche mit einem Lösungsmittel vermischt und anschließend dieses Lösungsmittel zumindest teilweise aus der Suspension entfernt wird, um eine Spinnlösung zu erhalten, welche einer Einrichtung zum Spinnen zugeführt wird.

Bei diesen Fasern wird der Zellstoff durch ein Lösungsmittel (NMMNO (N-Methylmorpholin-N-Oxid)) direkt und unverändert aufgelöst. Das Verspinnen der Lyocellfasern erfolgt in einem verdünnten, wässrigen NMMO-Bad, wobei die Löslichkeitsgrenze der Zellulose unterschritten und dadurch ein Faden gebildet wird. Zu diesem Zweck wird die entsprechende Spinnlösung durch Spinndüsen gedrückt.

Dieses Verfahren ist bekannt, unter anderem aus den in der ursprünglichen Anmeldung gewürdigten E2 und

E1 (WO 2009/098073 A1) (Absatz [0019] des Streitpatents), sowie aus der in der Patentschrift gewürdigten E5 (WO 94/06530 A1) und E6 (US 5948905 A).

Die Herstellung der geeigneten Spinnlösung erfolgt beispielsweise in einem bekannten zylindrischen, vertikal arbeitenden Dünnschichtlöser, oder in einem horizontal arbeitenden Dickschichtlöser (z.B. in einem Knetreaktor). In diesen Vorrichtungen und nach den bekannten Verfahren wird die Spinnlösung in der für den Spinnprozess notwendigen weiter verarbeitbaren Viskosität und der dazugehörigen Zellulosekonzentration hergestellt. Beide Vorrichtungen für die Erzeugung der Spinnlösung sind aber nicht optimal für den gesamten Löseprozess des Grundmaterials Zellstoff im Lösemittel NMMO geeignet. Der vertikale Dünnschichtlöser hat einen guten Wärmeübergang, aber eine kurze Verweilzeit, wodurch das notwendige Quellen der Naturfasern und die notwendige Homogenisierung für eine perfekte Spinnlösung nicht ermöglicht wird. Der horizontale Dickschichtlöser realisiert eine längere Verweilzeit, die zu einer guten Penetration des Lösungsmittels in die Faser und damit einer guten Homogenisierung für eine sehr gute Spinnlösung führt. Aufgrund der oben beschriebenen suboptimalen Bedingungen werden die Löser für beide Verfahren immer größer und sind durch ihre maximalen Baugrößen limitiert. Größere Linienkapazitäten von mehr als 50 t Fasern per Tag sind mit diesen Vorrichtungen so nicht realisierbar. Kapazitäten von 100 t Fasern pro Tag und Produktionslinie sind notwendig, um diese Technologie langfristig effizienter und damit konkurrenzfähig zur Viskosefaser oder zur Modalfaser zu machen.

Daher lag der vorliegenden Erfindung die Aufgabe zugrunde (siehe Absatz [0010] des Streitpatents), die bekannten Verfahren so zu optimieren, um größere Kapazitäten zum Beispiel von mehr als 100 t Fasern pro Tag und Produktionslinie realisieren zu können.

Zur Lösung der Aufgabe schlägt das Streitpatent (siehe Absatz [0011]) ein Verfahren vor, bei dem unter anderem die Formlösung einem vertikalen zylindrischen Dünnschichtverdampfer und einem horizontalem zylindrischen Dickschichtlöser zugeführt wird.

Demgemäß wurde das im vorliegenden Anspruch 1 definierte Verfahren entwickelt.

1.2 E4, das von der Beschwerdeführerinnen als geeigneter nächstliegender Stand der Technik angesehen wurde, stellt eine Weiterentwicklung des Verfahrens nach E1 (Seite 3, Zeilen 9-14) dar.

1.2.1 Der Erfindung laut E4 lag die Aufgabe zugrunde, das aus E1 bekannte Verfahren zu vereinfachen und eine entsprechende Herstellungsanlage schlanker zu gestalten (ohne Trennung zwischen Lösungsherstellung und Verspinnen).

1.2.2 Zur Lösung der Aufgabe wird das Verdünnungsmittel in die Einrichtung vor einer Austragseinrichtung und/oder in die Austragseinrichtung zugeführt. Somit liegt die fertige Formlösung aus dem Austrag vor, welche dann auch gleich weiterverarbeitet werden kann, bzw. kann die fertige Formlösung zur Formeinrichtung direkt zugeführt werden.

1.2.3 Die nächstliegende Ausführung ist aus der abgebildeten Anlage ersichtlich, und insbesondere auf Seite 7, Zeile 15, bis Seite 8, Zeile 17, beschrieben. Darin macht E4 klar, dass die verdünnte Spinnlösung auch direkt einer endgültigen Verarbeitung zugeführt werden kann (Seite 6, Zeilen 30-31).

1.2.4 Aus der obigen Analyse ist ersichtlich, dass das in E4 offenbarte Verfahren eine ähnliche Zielsetzung wie das Streitpatent verfolgt (Vereinfachung, Optimierung, höhere Effizienz) und eine hohe Anzahl an gemeinsamen Merkmalen mit dem Verfahren des Streitpatents offenbart. Somit stellt E4 auch für die Kammer den nächstliegenden Stand der Technik gemäß dem Aufgabe-Lösung-Ansatz dar.

1.2.5 Das in E4, Seite 7, Zeile 15, bis Seite 8, Zeile 17, beschriebene Verfahren wird als erfolgsversprechende nächstliegende Ausführungsform gesehen, zumal darin sowohl der Oberbegriff des vorliegenden Anspruchs 1 als auch weitere Merkmale des kennzeichnenden Teils offenbart werden.

Darin wird insbesondere die Herstellung einer Zellulose Spinnlösung in einem Knetreaktor 2 offenbart, am Ende dessen oder im Austrag 4 davon die Viskosität durch Rückverdünnung mittels Zuleitung 6 eingestellt wird, so dass in der Einrichtung 12 versponnen werden kann.

1.2.6 Somit unterscheidet sich das Verfahren laut vorliegendem Anspruch 1 von dem aus E4 näher beschriebenen Verfahren dadurch, dass die Suspension zunächst einem vertikalen zylindrischen Dünnschichtverdampfer zugeführt wird.

1.3 Die technische Aufgabe

1.3.1 E4 wurde in der ursprünglichen Anmeldung des Streitpatents nicht gewürdigt (vgl. Seite 5, Zeile 9) und somit bei der ursprünglichen Formulierung der zu lösenden technischen Aufgabe auch nicht berücksichtigt.

1.3.2 Schon in dieser fehlenden Würdigung sieht die Kammer einen Grund, von der im Streitpatent (Absatz [0010]) formulierten Aufgabe, nämlich "das damals bekannte Verfahren zu optimieren, um größere Kapazitäten realisieren zu können", abzuweichen.

1.3.3 Weitere Gründe dafür sind z.B., dass das Patent weder ein Beispiel mit den zu erreichenden größeren Kapazitäten, und noch weniger Vergleichsbeispiele gegenüber E4 enthält.

1.3.4 Folglich ist eine weniger ehrgeizige Aufgabe zu formulieren, nämlich die Bereitstellung eines weiteren Verfahrens zur Herstellung von Lyocellfasern mit großer Kapazität.

1.4 Lösung

Gemäß Streitpatent wird diese Aufgabe durch das im Anspruch 1 definierte Verfahren gelöst, welches dadurch gekennzeichnet ist,

dass die Suspension einem vertikalen zylindrischen Dünnschichtverdampfer und einem horizontalen zylindrischen Dickschichtlöser zugeführt wird.

1.5 Erfolg der beanspruchten Lösung

Es wird nicht bestritten (Beschwerdebegründung, Punkt 7.3, fünfter Absatz, letzter Satz), dass diese weniger ambitionierte Aufgabe durch das beanspruchte Verfahren tatsächlich gelöst wird.

1.6 Naheliegen der Lösung

1.6.1 Es verbleit demnach zu untersuchen, ob es ausgehend vom Verfahren nach E4 (Abbildung und Seiten 7 und 8) für den mit der weniger ehrgeizigen technischen Aufgabe befassten Fachmann naheliegend war, das Verfahren gemäß E4 so abzuändern, dass es unter den Anspruch 1 fällt.

1.6.2 Bezüglich der Herstellungsweise der Spinnlösung im horizontal arbeitenden Knetreaktor verweist E4 auf E2, welches vorschlägt, die Herstellung der Spinnlösung in zwei unterschiedlichen Scherzonen auszuführen (siehe Spalte 1, Zeilen 54-65), und dann unmittelbar eine homogene Lösung thermisch herzustellen, wobei ein geeignetes Verfahren dafür in E3 (Spalte 2, Zeilen 20-24) beschrieben wird.

1.6.3 E3 (Seite 2, erster und sechster Absätze) betrifft ein Verfahren zur Herstellung einer homogenen Lösung von Cellulose in wässriges NMMNO, und verfolgt als Zielsetzung, ein kontinuierliches Verfahren zur Herstellung homogener isotroper Polymerlösungen aus Cellulose, NMMNO und Wasser zu schaffen, das einerseits unter schonenden Bedingungen und vermindertem Sicherheitsrisiko durchgeführt werden kann, und andererseits auch die Bildung klarer Lösungen bei Zellstoffen unterschiedlicher Reaktivität und Provenienz erlaubt. Insbesondere soll das Verfahren eine Anpassung an die sich bei fortschreitender Eindampfung und Lösung ändernden Bedingungen ermöglichen. Schließlich soll ein Verfahren zur Herstellung von Celluloselösungen in wasserhaltigem NMMNO geschaffen werden, die zu keinen Schwierigkeiten bei der Filtration führen.

1.6.4 Diese Aufgabe wird in E3 unter anderem dadurch gelöst, dass man in einer ersten Verdampfungsstufe mit geringem Scherfeld und großer Wärmeaustauschfläche die Suspension teilweise entwässert und in einer zweiten Verdampfungsstufe mit einem größeren Scherfeld und mit einer kleineren Wärmeaustauschfläche die Suspension weiter zur homogenen Lösung entwässert.

Laut E3 bietet dieses Verfahren im Vergleich zur Lösungsbildung alleine im Dünnschichtverdampfer wesentliche Vorteile, da in beiden Stufen die für die jeweilige Beschaffenheit der Suspension zweckmäßige Verdampfungseinrichtung eingesetzt werden kann.

Für die Beschwerdeführerinnen ergibt sich die nächstliegende Ausführungsform aus Bespiel 2 von E3, welche sowohl vertikale Schneckenrührer für die Einspeisung und Konzentrierung der Suspension in der ersten Verdampfungsstufe als auch einen 3 Zonen Doppelschneckenextruder für die Herstellung der Lösung in der zweiten Verdampfungsstufe vorsieht.

Somit offenbart E3 ein Verfahren zur Herstellung von homogenen Zellulose-Lösungen, wobei die Suspension in zwei Schritten entwässert, also konzentriert und gelöst wird, wobei E3 für den ersten Schritt die Verwendung von einem Dünnschichtverdampfer vorzieht (Seite 3, erster vollständiger Absatz, zweiter Satz). Mit anderen Worten lag für den Fachmann das Einsetzen eines vertikalen Dünnschichtverdampfers in der ersten Verdampfungsstufe von Beispiel 2 nach E3 nahe.

1.6.5 Diese Vorschläge aus E3 entsprechen im wesentlichem der unterscheidenden Merkmale des Verfahrens laut vorliegendem Anspruch 1 gegenüber dem aus E4 bekanntem Verfahren. Auf Grund des direkten Verweises auf E2 in E4, und somit auf E3, und des Hinweises, dass die Verwendung des "zwei Zonen" Ansatzes von E3 im Verfahren von E4 die Verdampfung wirtschaftlicher und schonend gestaltet (siehe Seite 2, Zeilen 56-58, von E3), war der Fachmann dazu veranlasst, die Lehren der beiden Dokumente E4 und E3 zu kombinieren.

1.6.6 Das beanspruchte Verfahren lag somit nahe.

1.7 Der Hauptantrag ist daher nicht gewährbar.

1.8 Folglich steht der aufrechterhaltene Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit der Aufrechterhaltung des geänderten Patents entgegen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochten Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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