European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2020:T245718.20200716 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 16 Juli 2020 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2457/18 | ||||||||
Anmeldenummer: | 08103885.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | E03F5/04 E03C1/22 E03C1/20 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Ablaufgarnitur für Duschen oder Badewannen | ||||||||
Name des Anmelders: | Viega Technology GmbH & Co. KG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.2.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Spät eingereichter Antrag - zugelassen (ja) Erfinderische Tätigkeit - (ja) Rückzahlung der Beschwerdegebühr - (nein) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 08103885.3 (im Folgenden: "Anmeldung") betrifft eine Ablaufgarnitur für Duschen oder Badewannen.
II. Die Prüfungsabteilung hat die Anmeldung zurückgewiesen, weil der Gegenstand des geänderten, mit Schriftsatz vom 16. Januar 2014 eingereichten Anspruchs 1 auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruhte.
III. Die Anmelderin (im Folgenden: Beschwerdeführerin) hat gegen diese Zurückweisungsentscheidung Beschwerde eingelegt.
IV. Die Beschwerdeführerin beantragte mit ihrer Beschwerdebegründung, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, ein Patent auf der Grundlage der mit Schreiben vom 16. Januar 2014 eingereichten geänderten Unterlagen zu erteilen und die Rückzahlung der Beschwerdegebühr anzuordnen, hilfsweise die Angelegenheit an die Prüfungsabteilung zur weiteren Prüfung zurückzuverweisen. Außerdem beantragte die Beschwerdeführerin hilfsweise die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.
V. In der Mitteilung gemäß Regel 100 (2) EPÜ vom 29. April 2020 hat die Kammer ihre vorläufige Einschätzung der Beschwerde mitgeteilt. Insbesondere hat die Kammer darauf hingewiesen, dass obgleich der Gegenstand von Anspruch 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, kein Patent erteilt werden kann, weil die in Anspruch 1 vorgenommenen Änderungen gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstoßen und der Gegenstand von Anspruch 1 nicht deutlich im Sinne des Artikels 84 Satz 2 EPÜ definiert ist. Ferner hat die Kammer ihre vorläufige Meinung kundgetan, dass eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr nicht in Betracht gezogen werden kann.
VI. In Erwiderung auf diese Mitteilung hat die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 8. Juni 2020 geänderte Ansprüche 1 bis 5 eingereicht, welche die mit Schreiben vom 16. Januar 2014 eingereichten Ansprüche ersetzen, sowie eine daran angepasste Beschreibung. Außerdem hat die Beschwerdeführerin beantragt, dass die Kammer ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren in der Sache selbst entscheidet und die Erteilung eines Patents auf der Basis der geänderten Unterlagen in Aussicht stellt. Die Beschwerdeführerin hat auch klargestellt, dass an dem Hilfsantrag auf mündliche Verhandlung nur dann festgehalten werde, sofern diesem letzen Antrag nicht stattgegeben werden kann. Sie hat dann ausführlich zu den erhobenen Einwänden und der Frage, wie diese durch die vorgenommenen Änderungen ausgeräumt werden, Stellung genommen.
VII. Anspruch 1 lautet folgendermaßen (die Änderungen am ursprünglichen Anspruch 1 sind wie folgt kenntlich gemacht: Gestrichene Passagen erscheinen im Text als durchgestrichen und neue Passagen erscheinen im Fettdruck; die Nummerierung der Merkmale wurde in Anlehnung an die von der Beschwerdeführerin verwendete Merkmalsgliederung hinzugefügt):
a) Ablaufgarnitur für Duschen oder Badewannen,
b) mit einem einen Geruchverschluss bildenden oder aufweisenden Ablaufkörper (1) und
c) einem Übergangsstück (11) zum Anschluss an eine Abwasserleitung (12), und
d) wobei an dem Ablaufkörper und dem Übergangsstück jeweils mindestens ein Anschlussstutzen (7, 8, 19, 20[deleted: ; 28, 29]) zum Anschluss eines Ablaufrohres angeformt ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
e) der Ablaufkörper (1) mit dem Übergangsstück (11) über [deleted: ein einzelnes Ablaufrohr (27) oder] mehrere Ablaufrohre (9, 10) verbunden ist,
f) [deleted: dessen/]deren freier Querschnitt größer als der freie Querschnitt eines herkömmlichen einzelnen Ablaufrohres mit kreisrundem Querschnitt ist,
g) wobei der Ablaufkörper (1) und das Überlaufstück (11) jeweils mindestens zwei Anschlussstutzen (7, 8, 19, 20) zum Anschluss der Ablaufrohre (9, 10) aufweisen, und
h) wobei die am Ablaufkörper (1) angeformten Anschlussstutzen (7, 8) so angeordnet sind, dass sich deren Unterseite (25) auf einem höheren Niveau als die Unterseite (26) des Ablaufkörpers (1) befindet.
VIII. Zum Stand der Technik sind in der angefochtenen Entscheidung folgende Entgegenhaltungen genannt:
D1: WO 2008/135705 A1;
D2: JP 2001 248197 A;
D3: JP 6 306903 A;
D4: DE 199 09 138 A1;
D5: JP 2002 088842 A;
D6: CN 101 096 857 A;
D7: JP 2007 211417 A;
D8: EP 1 223 374 A2.
IX. Mit der Mitteilung gemäß Regel 100 (2) EPÜ vom 29. April 2020 hat die Kammer englische Maschinenübersetzungen der Druckschriften D2, D3, D6 und D7 in das Beschwerdeverfahren eingeführt.
X. Das schriftsätzliche Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:
a) Erfinderische Tätigkeit
Entgegen der angefochtenen Entscheidung ergebe sich der Gegenstand des mit Schreiben vom 16. Januar 2014 eingereichten Anspruchs 1 ausgehend von D2 als nächstliegendem Stand der Technik nicht in naheliegender Weise aus D6 oder D3.
Der beanspruchte Gegenstand unterscheide sich von der in D2 offenbarten Ablaufgarnitur durch Merkmale e) und g). Ausgehend von D2 liege die objektiv zu lösende Aufgabe darin, eine Ablaufgarnitur mit möglichst hoher Ablaufleistung für Duschen oder Badewannen bereitzustellen, dies jedoch ohne die Bauhöhe sowie Baubreite der Ablaufgarnitur zu erhöhen und ohne die Höhe des Abgangsstutzens am Ablaufkörper gegenüber dem unter der Dusche oder Badewanne befindlichen Rohfußboden zu reduzieren (Absatz 2 der ursprünglich eingereichten Beschreibungsseite 2).
Entgegen der Behauptung der Prüfungsabteilung lasse sich weder dem Dokument D6 noch dem Dokument D3 entnehmen, dass die Unterscheidungsmerkmale e) und g) schon für denselben Zweck bei einer ähnlichen Ablaufgarnitur benutzt worden seien. Gleiches gelte für das Dokument D7.
Für den mit der vorgenannten Aufgabe befassten Fachmann bestehe keine Veranlassung, die Lehre von D6 heranzuziehen, denn dieses Dokument beschäftige sich nicht mit der Erhöhung der Ablaufleistung einer Ablaufgarnitur für Duschen oder Badewannen, sondern mit dem Problem, die Bauzeit bei der Installation eines außerhalb eines Gebäudes im Erdboden einzugrabenden Abwassersammelkörpers (100 in Figur 1), an dem beispielsweise vier Ablaufrohre (102), die einer entsprechenden Anzahl von Wasserverbrauchsstellen im Gebäude zugeordnet seien, anzuschließen seien, zu verkürzen, den Anschluss der Ablaufrohre (102) an dem Sammelkörper (100) für die Bauarbeiter zu vereinfachen, die durch Rohrverzweigungsstücke (106) resultierende Beeinträchtigung der Ablaufleistung zu verbessern und den Platzbedarf für den Anschluss der Ablaufrohre (102) an dem Sammelkörper (100) vor dem Gebäude zu verringern. Zur Lösung dieses Problems schlage D6 einen Sammelrohrkörper 1 vor (Figuren 2 bis 12), an dem ein horizontaler Rohrstutzen 2 zum Anschluss von vier Ablaufrohren 19, 19' angeformt sei, wobei die Ablaufrohre verschiedenen Wasserverbrauchsstellen im Gebäude zugeordnet seien und durch eine Gebäudewand 22 hindurch nach außen verlaufen würden (Figuren 9a bis 12). Der horizontale Rohrstutzen 2 besitze einen Muffenabschnitt mit ovalem Querschnitt, in den ein entsprechend oval ausgebildetes Adapterstück 3 formschlüssig eingesetzt sei. Das Adapterstück weise eine Trennwand auf, in der eine der Anzahl der anzuschließenden Ablaufrohre entsprechende Anzahl von Durchgangsöffnungen ausgebildet sei. Die jeweilige Durchgangsöffnung sei mit einer Muffe 6, 6' umgeben, in die das zugeordnete Ablaufrohr eingesteckt werde. Das Adapterstück 3 solle mindestens zwei Durchgangsöffnungen und somit mindestens zwei Muffen aufweisen. Die Muffen seien so ausgerichtet, dass die darin eingesteckten Ablaufrohre im Wesentlichen parallel zueinander verlaufen.
Im Übrigen lasse sich D6 nicht entnehmen, dass wenigstens zwei der in Figur 12 gezeigten vier Ablaufrohre 19, 19' gemeinsam an einem einzelnen in dem Gebäude 22 angeordneten (in Figur 12 nicht gezeigten), einen Geruchverschluss aufweisenden Ablaufkörper angeschlossen seien. Das Gleiche gelte hinsichtlich der in Figur 1 gezeigten vier Ablaufrohre 102.
Der mit der vorgenannten Aufgabe befasste Fachmann habe ebenfalls keine Veranlassung, die Lehre von D3 heranzuziehen. Dieses Dokument offenbare ein im Erdboden einzugrabendes Adapterstück für Ablaufrohre eines Kanalisationssystems, das es ermögliche, zwei im Querschnitt kreisrunde Ablaufrohre mit identischem Querschnitt an einem einzelnen Ablaufrohr mit ovalem Querschnitt anzuschließen. Hierzu weise ein flacher Beckenkörper 2 des Adapterstücks 1 zwei kreisrunde Anschlussstutzen 3, 4 zum Anschluss von zwei kreisrunden Ablaufrohren und einen ovalen Anschlussstutzen 5 zum Anschluss eines einzelnen, im Querschnitt ovalen Ablaufrohres auf. Ferner weise der Beckenkörper 2 an seiner Oberseite einen vertikalen Inspektionsstutzen 6 auf.
Die Prüfungsabteilung habe die Meinung vertreten, dass den in Figur 1 von D3 dargestellten "Pfeilen" implizit zu entnehmen sei, dass das Wasser aus mindestens zwei Ablaufstutzen herauskomme, und dass es daher naheliegend wäre, einen Ablaufkörper mit mindestens zwei Anschlussstutzen vorzusehen, um die oben genannte Aufgabe zu lösen. Diese Argumentation der Prüfungsabteilung beruhe auf einer unzulässigen rückschauenden Betrachtung von D2 und D3 in Kenntnis der in Anspruch 1 definierten Erfindung. Denn den in Figur 1 von D3 dargestellten Pfeilen lässt sich in Verbindung mit der Beschreibung von D3 zwar entnehmen, dass Wasser aus zwei an den Anschlussstutzen 3, 4 angeschlossenen Ablaufrohren dem Adapter 1 zufließen könne. Es sei jedoch keinesfalls naheliegend, angesichts von D3 den Ablaufkörper gemäß D2 mit mindestens zwei Anschlussstutzen zu versehen.
Der Fachmann habe keine Veranlassung, D7 zur Lösung der gestellten Aufgabe heranzuziehen. Es offenbare eine Abwassersammelrohr-Verbindungsstelle, mit einem Sammelrohrkörper 25, an dem drei Rohrstutzen bzw. Muffen 28u, 24, 29u zum Anschluss von Ablaufrohren 3, 4, 5 vorgesehen seien. Die Rohrstutzen 28u, 24, 29u seien dabei derart ausgebildet, dass sie in die gleiche horizontale Richtung weisen bzw. parallel nebeneinander angeordnet seien. Der Sammelrohrkörper 25, dessen Rohrachse im montierten Zustand im Wesentlichen vertikal ausgerichtet werde, sei hierzu über ein mittleres, gerades Rohrstück und zwei äußere, bogenförmige Rohrstücke 28, 29 mit den parallel zueinander angeordneten, in die gleiche horizontale Richtung weisenden Rohrstutzen 28u, 24, 29u verbunden.
Sollte der Fachmann dennoch D7 berücksichtigen, würde er dort keine Anregung in Richtung der beanspruchten Lösung erhalten. Insbesondere lasse sich D7 nicht entnehmen, dass wenigstens zwei der gezeigten Ablaufrohre 3, 4 und 5 gemeinsam an einem im Gebäude angeordneten Ablaufkörper einer Ablaufgarnitur angeschlossen seien.
b) Anspruchsänderungen
Die mit Schreiben vom 8. Juni 2020 eingereichten Änderungen von Anspruch 1 seien in Reaktion auf die Mitteilung gemäß Regel 100 (2) EPÜ vom 29. April 2020 eingereicht worden, insbesondere auf die erstmals dort erhobenen Einwände nach Artikel 84 und 123 (2) EPÜ gegen dem mit Schreiben vom 16. Januar 2014 eingereichten Anspruch 1.
Entsprechend dem Einwand nach Artikel 84 EPÜ sei das im Oberbegriff des Anspruchs angegebene Merkmal, wonach "der mindestens eine am Ablaufkörper angeformte Anschlussstutzen so angeordnet ist, dass sich dessen Unterseite auf einem höheren Niveau als die Unterseite des Ablaufkörpers befindet" gestrichen worden, um klarzustellen, dass das kennzeichnende Unterscheidungsmerkmal, wonach "die am Ablaufkörper angeformten Anschlussstutzen so angeordnet sind, dass sich deren Unterseite auf einem höheren Niveau als die Unterseite des Ablaufkörpers befindet" erfindungswesentlich sei.
Entsprechend dem Einwand nach Artikel 123 (2) EPÜ sei in Anspruch 1 die in der ursprünglich eingereichten Anspruchsfassung enthaltene Beschränkung wieder aufgenommen worden, dass zur Verbindung des Ablaufkörpers mit dem Übergangsstück Ablaufrohre verwendet werden, "deren freier Querschnitt größer als der freie Querschnitt eines herkömmlichen einzelnen Ablaufrohres mit kreisrundem Querschnitt ist".
c) Rückzahlung der Beschwerdegebühr
Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr werde beantragt, weil bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit die Prüfungsabteilung den in den Richtlinien vorgeschriebenen Aufgabe-Lösungs-Ansatz nicht korrekt angewendet und mithin einen erheblichen Verfahrensfehler begangen habe. Insbesondere habe die Prüfungsabteilung die der Erfindung zugrunde liegende Aufgabe nicht vollständig und damit nicht wirklich berücksichtigt, sowie nicht stichhaltige Annahmen im Hinblick auf die Lehren von D3 und D6 gemacht.
Entscheidungsgründe
1. Die revidierte Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) ist am 1. Januar 2020 in Kraft getreten. Vorbehaltlich der Übergangsbestimmungen (Artikel 25 VOBK 2020) ist die revidierte Fassung auch auf die vorliegende Beschwerde anwendbar, die am Tag des Inkrafttretens bereits anhängig war.
2. Hauptantrag - Zulassung in das Beschwerdeverfahren
2.1 Die Zulassung der nach Zustellung der Mitteilung gemäß Regel 100 (2) EPÜ vom 29. April 2020, mit Schriftsatz vom 8. Juni 2020 eingereichten Ansprüche 1 bis 5 ins Beschwerdeverfahren steht im Ermessen der Kammer.
2.2 Anspruch 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß dem in der angefochtenen Entscheidung behandelten und in der Beschwerdebegründung gestellten Antrag darin,
- dass im Oberbegriff des Anspruchs 1 das Merkmal gestrichen worden ist, wonach "der mindestens eine am Ablaufkörper (1) angeformte Anschlussstutzen (7, 8) so angeordnet ist, dass sich dessen Unterseite (25) auf einem höheren Niveau als die Unterseite (26) des Ablaufkörpers (1) befindet", und
- dass die zusätzliche Beschränkung aufgenommen wurde, dass zur Verbindung des Ablaufkörpers mit dem Übergangsstück Ablaufrohre verwendet werden, "deren freier Querschnitt größer als der freie Querschnitt eines herkömmlichen einzelnen Ablaufrohres mit kreisrundem Querschnitt ist" (Merkmal f)).
2.3 Diese Anspruchsänderungen stellen eine direkte Reaktion auf die Einwände nach Artikel 84 Satz 2 EPÜ bzw. Artikel 123 (2) EPÜ dar, die die Kammer zum ersten Mal in ihrer Mitteilung gemäß Regel 100 (2) EPÜ erhoben hatte (Punkt 11 bzw. 10).
2.4 Die mit Schriftsatz vom 8. Juni 2020 eingereichten Ansprüche 2 bis 5 sind unverändert im Vergleich zum Antrag, der in der Beschwerdebegründung gestellt wurde.
2.5 Die Kammer kommt daher unter Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13 VOBK 2020 zu dem Schluss, die neuen Ansprüche 1 bis 5 in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.
3. Zulässigkeit der Änderungen
3.1 Die Kammer ist der Ansicht, dass die Änderungen der Ansprüche den Erfordernissen von Artikel 123 (2) EPÜ entsprechen.
3.2 Insbesondere ist Merkmal f) in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen durchgehend als erfindungswesentlich zur Lösung der auf Seite 2, Absatz 2 gestellten Aufgabe dargestellt worden, nämlich zur Bereitstellung einer Ablaufgarnitur mit erhöhter Ablaufleistung für Duschen und Badewannen (Anspruch 1, Seite 2, Absatz 4 und Seite 5, Absatz 3 i.V.m. Figuren 1 bis 3).
4. Klarheit
4.1 Durch die Änderung in Anspruch 1 wurde der von der Kammer erhobene Einwand nach Artikel 84 EPÜ ausgeräumt, da nunmehr klargestellt ist, dass Merkmal h), wonach "die am Ablaufkörper (1) angeformten Anschlussstutzen (7, 8) so angeordnet sind, dass sich deren Unterseite (25) auf einem höheren Niveau als die Unterseite (26) des Ablaufkörpers (1) befindet", erfindungswesentlich ist.
4.2 Selbst wenn die Prüfungsabteilung einen Einwand mangelnder Deutlichkeit gegen Merkmal f) erhoben hatte (Punkt 2.1 der Stellungnahme zur Recherche), kann dieses als erfindungswesentliche dargestellte Merkmal nicht ohne weiteres aus dem Anspruchswortlaut gestrichen werden (s. Richtlinien für die Prüfung im EPA, 2019, Teil F-IV, 4.6.1). Im Übrigen ist die Kammer nicht davon überzeugt, dass "der freie Querschnitt eines herkömmlichen einzelnen Ablaufrohres mit kreisrundem Querschnitt" unbestimmt ist. Es scheint, dass zum maßgebenden Prioritätszeitpunkt der Anmeldung (10. Juli 2007) der Fachmann unter einem solchen Querschnitt einen kreisrundem Querschnitt mit einer Nennweite von bis auf 50 mm hätte verstehen können (siehe z. B. Mindestnennweite DN 50 für Ablaufleitungen von Duschen und Badewannen nach DIN 1986-100).
5. Erfinderische Tätigkeit
5.1 Die Kammer hat englische Maschinenübersetzungen der japanischen Druckschriften D2, D3 und D7 und der chinesischen Druckschrift D6 in das Beschwerdeverfahren eingeführt (Artikel 114 (1) EPÜ), weil ihr Offenbarungsgehalt jeweils für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit von hoher Relevanz ist.
5.2 Die Beschwerdeführerin stimmt mit der Prüfungsabteilung insoweit überein,
- dass die in Figuren 1 bis 4 von D2 offenbarte Ablaufgarnitur für Waschmaschinen den nächstliegenden Stand der Technik nach dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz darstellt,
- dass diese Ablaufgarnitur als solche für den in Merkmal a) von Anspruch 1 definierten Zweck, d. h. für Duschen und Badewannen geeignet ist, und Merkmale b) bis d) und h) des Anspruchs ihrem Wortlaut nach verwirklicht,
- dass dem Dokument D2 die im kennzeichnenden Teil des Anspruchs aufgeführten Merkmale e) und g) nicht entnommen werden können, und
- dass die objektive technische Aufgabe, die sich der Fachmann ohne Kenntnis der Erfindung ausgehend von D2 stellen würde, darin liege, "eine Ablaufgarnitur mit möglichst hoher Ablaufleistung für Duschen oder Badewannen bereitzustellen, dies jedoch ohne die Bauhöhe sowie Baubreite der Ablaufgarnitur zu erhöhen und ohne die Höhe des Abgangsstutzens am Ablaufkörper gegenüber dem unter der Dusche oder Badewanne befindlichen Rohfußboden zu reduzieren", wie in Absatz 2 der ursprünglich eingereichten Beschreibungsseite 2 formuliert.
5.3 Weder die Prüfungsabteilung noch die Beschwerdeführerin haben sich zur Frage der Offenbarung des in Anspruch 1 neu hinzugefügten Merkmals f) im Dokument D2 geäußert. Da dieses zusätzliche Merkmal eine Beschränkung von Merkmal e) darstellt, von dem unstreitig ist, dass es in D2 nicht offenbart ist, kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sowohl die Prüfungsabteilung als auch die Beschwerdeführerin diese Frage dahingehend beantworten würden, dass D2 Merkmal f) nicht offenbart.
5.4 Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass - entgegen der angefochtenen Entscheidung - sich die in Anspruch 1 definierte Lösung der vorgenannten Aufgabe für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem entgegengehaltenen Stand der Technik ergebe, insbesondere aus D6, D3 und D7, und mithin das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit zu bejahen sei.
5.5 Nach Ansicht der Kammer kann bei der Formulierung der zu lösenden objektiven technischen Aufgabe gegenüber D2 nicht auf die in Absatz 2 der ursprünglich eingereichten Beschreibungsseite 2 erwähnte Aufgabe zurückgegriffen werden. Sie stützt sich nämlich auf behauptete Wirkungen der Unterscheidungsmerkmale e) bis g) und es ist nicht glaubhaft, dass diese Wirkungen im gesamten Umfang von Anspruch 1 erzielt werden. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass diese Merkmale zwangsläufig dazu führen, dass weder die Bauhöhe noch die Baubreite der Ablaufgarnitur erhöht wird und dass die Höhe des am Ablaufkörper angeformten Anschlussstutzens gegenüber dem Rohfussboden nicht reduziert wird.
5.6 Die objektive Aufgabe gegenüber D2 kann allenfalls darin gesehen werden, bei relativ kompakter Baugröße die Ablaufleistung zu erhöhen.
5.7 Die Kammer ist allerdings aufgrund folgender Erwägungen zum vorläufigen Ergebnis gelangt, dass der beanspruchte Gegenstand auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht:
5.7.1 Die Kammer kann sich dem Vortrag der Beschwerdeführerin anschließen, dass der Fachmann in D6, D3 und D7 keine Anregung in Richtung der beanspruchten Lösung erhalten würde.
5.7.2 D6 offenbart in Figuren 1 bis 12 verschiedene im Erdreich außerhalb eines Gebäudes (101; 22) einzugrabende Rohrverbinder (100; 1) zum Anschluss von mehreren Ablaufrohren (102; 19, 19'), die einer entsprechenden Anzahl von Wasserverbrauchsstellen in einem Gebäude (z. B. Küchenobjekt, Toilette oder Waschmaschine) zugeordnet sind, an Abwassersammelrohren (104; 23). So ist es offensichtlich Sinn und Zweck dieser Rohrverbinder, Einzelanschlussleitungen an eine Grundleitung anzuschließen.
5.7.3 D6 beschäftigt sich nicht mit der zu lösenden Aufgabe, sondern damit, einen derartigen Rohrverbinder bereitzustellen,
- der - im Vergleich zum Stand der Technik wie in Figur 1 dargestellt - es ermöglicht, mit geringem Zeit- und Arbeitsaufwand, geringem Platzbedarf und verbessertem Wasserabfluss mehrere parallele Ablaufrohren an einen Abwassersammelrohr anzuschließen,
- der mit Ablaufrohren in verschiedenen Richtungen bzw. Höhen den tatsächlichen Bauverhältnissen entsprechend anschließbar ist, bzw.
- der leicht zu inspizieren, reinigen und auszubaggern ist (Absätze 8 bis 12).
Der Fachmann hätte also keinen Anlass, die Lehre von D6 zu berücksichtigen.
5.7.4 Falls er - aus welchem Grund auch immer - diese Lehre heranziehen würde, könnte sie ihn allenfalls dazu anregen, zum Anschluss der in Figur 1 von D2 gezeigten Falleitung 5 an eine Grundleitung einen wie in Figuren 2 bis 12 von D6 dargestellten Rohrverbinder zu verwenden. Damit würde er aber nicht zur beanspruchten Ausbildung der Ablaufgarnitur gelangen.
5.7.5 Als Nachweis für das Naheliegen der beanspruchten Lösung verweist die Prüfungsabteilung auf Figuren 9a bis 11b von D6 und meint, die dort abgebildeten Ablaufrohre können als Ablaufrohre im Sinne der Erfindung betrachten werden. Auf dieser Basis argumentiert die Prüfungsabteilung, dass diese Lösung bereits in D6 für den gleichen Zweck bei einer Ablaufgarnitur benutzt wurde, die der Ablaufgarnitur gemäß D2 ähnlich sei.
5.7.6 Die Kammer kann sich dieser Auslegung von D6 jedoch nicht anschließen, die die eigentliche technische Lehre dieses Dokuments außer Acht lässt. Selbst wenn in Figuren 9a bis 11b gezeigt ist, wie mehrere parallele Ablaufrohre verschiedener Wasserverbrauchsstellen eines Gebäudes an einen Abwassersammelrohr angeschlossen sind, ist es nicht ersichtlich, warum diese Zeichnungen den Fachmann dazu anregen würden, ausgerechnet die in D2 offenbarte Ablaufgarnitur einer Badewanne in Richtung der beanspruchten Lösung weiterzuentwickeln bzw. zu ergänzen. Die Argumentation der Prüfungsabteilung stützt sich auf eine nachträgliche Auslegung der Figuren 9a bis 11b von D6 in Kenntnis der beanspruchten Lösung und führt unweigerlich zu einer rückschauenden Betrachtungsweise der erfinderischen Tätigkeit.
5.7.7 D3 betrifft ein im Erdreich einzugrabendes Entwässerungssystem (Absätze 1 und 9) und offenbart einen Rohrverbinder (1) mit einem Inspektionsstutzen (6) an seiner Oberseite, zwei kreisrunden Anschlussstutzen (3, 4) an einem Ende und einem ovalen Anschlussstutzen (5) an dem gegenüberliegenden Ende, um auf einfache und kostengünstige Weise zwei parallele kreisrunde Ablaufrohre an das ovale Endstück eines Sammelrohrs anzuschließen (Abstract, Absätze 3 bis 5 und 10, Figuren 1 bis 4). Bei diesem Rohrverbinder handelt sich offensichtlich um einen Rohrverbinder zum Anschluss von Abwasserleitungen an eine Grundleitung, ähnlich wie in D6.
5.7.8 D3 beschäftigt sich also nicht mit einer Ablaufgarnitur für Duschen oder Badewannen, geschweige denn mit der Ablaufleistung einer solchen Ablaufgarnitur. Der Fachmann, der die Ablaufleistung der in D2 offenbarten Ablaufgarnitur erhöhen will, hätte also keinen Anlass, die Lehre von D3 zu berücksichtigen.
5.7.9 Selbst wenn der Fachmann - aus welchem Grund auch immer - diese Lehre dennoch heranziehen würde, hätte er keine Veranlassung, die in D2 offenbarte Ablaufgarnitur in Richtung der beanspruchten Lösung weiterzuentwickeln. Soweit die Prüfungsabteilung argumentiert, diese Lösung sei insbesondere in Figuren 1 und 4 von D3 für den gleichen Zweck bei einer ähnlichen Ablaufgarnitur benutzt worden, wobei die dort gezeigten Ablaufrohre im Sinne der Erfindung betrachtet werden können, überzeugt dies nicht. Diese Zeichnungen dürfen nicht losgelöst von den anderen Teilen von D3, sondern müssen im Gesamtzusammenhang dieses Dokuments betrachtet werden. Im Hinblick auf die eigentliche technische Lehre von D3 können diese Zeichnungen den Fachmann allenfalls dazu anregen, einen wie dort abgebildeten Rohrverbinder zu verwenden, um die in D2 gezeigte Falleitung 5 an eine Grundleitung anzuschließen. Damit erhielte er nicht Merkmale e), f) und g) gemäß der beanspruchten Lösung.
5.7.10 D7 betrifft einen Rohrverbinder zum Anschluss mehrerer horizontalen Ablaufrohre (3 bis 5) an einem Fallrohr (2) in einem Hoch- bzw. Mehrfamilienhaus und schlägt zur Sicherstellung der Entwässerungsleistung sowie Reduktion der Herstellungskosten unter anderem vor, den Rohrverbinder (10) mit mehreren Muffen (28u, 24, 29u) auszubilden, die in die gleiche horizontale Richtung weisen und an parallele Ablaufrohre (3 bis 5) angeschlossen werden können. Dort könnte der Fachmann kein Vorbild und auch keine Anregung für die beanspruchte Lösung finden.
5.8 Im Übrigen ist die Kammer nicht davon überzeugt, dass die in Figuren 1 bis 4 von D2 dargestellte Ablaufgarnitur einen realistischen Ausgangpunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit darstellt. Diese Ablaufgarnitur ist nicht für Duschen und Badewannen entwickelt worden, sondern für eine Waschmaschine. Somit betrifft sie nicht die gleiche Zielsetzung wie die Ablaufgarnitur gemäß Anspruch 1. Ferner ist nicht ersichtlich, dass die in Figuren 1 bis 4 von D2 dargestellte Ablaufgarnitur ohne jegliche bauliche Änderung auch für die beabsichtigte Verwendung mit einer Dusche oder Badewanne geeignet wäre. Der Ablaufkörper 9 der dargestellten Ablaufgarnitur weist einen Rohrwinkel 41 zum Anschluss an eine Abwasserleitung der Waschmaschine auf, der durch eine Auffangwanne 2 hindurch ragt, und kann mithin nicht ohne weiteres mit dem Ablaufrohr einer herkömmlichen Dusche bzw. Badewanne angeschlossen werden.
5.9 Nach Auffassung der Kammer kommt im entgegengehaltenen Stand der Technik die in D4 offenbarte Ablaufgarnitur der beanspruchten Erfindung am nächsten, da sie zu dem gleichen Zweck wie die beanspruchte Erfindung entwickelt wurde, nämlich für Badewannen. Sie verwirklicht Merkmale a), b) (teilweise), c) und d) von Anspruch 1 ihrem Wortlaut nach, jedoch keines der Merkmale e) bis h) (in Figuren 10 bis 13, siehe den Ablaufkörper zum Anschluss an das Ablaufrohr 8 der Badewanne, das Übergangsstück zum Anschluss an die Abwasserleitung 12, und den Ablaufrohr 10 und den Siphon 11 dazwischen).
5.10 Dank dieser Merkmale wird bei relativ kompakter Bauweise eine erhöhte Ablaufleistung erhalten. Die objektiv gegenüber D4 gelöste Aufgabe ist also die gleiche wie die oben gegenüber D2 formulierte (siehe Punkt 6.5).
5.11 Aus den oben genannten Gründen folgt, dass ausgehend von D4 die beanspruchte Lösung dem Fachmann durch den entgegengehaltenen Stand der Technik nicht nahegelegt wird.
5.12 Der Gegenstand von Anspruch 1 beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf den entgegengehaltenen Stand der Technik (Artikel 52 (1) und 56 EPÜ).
6. Die Kammer hat sich vergewissert, dass die Änderungen in der Beschreibung letztere lediglich an die geänderten Ansprüche anpassen.
7. Die Kammer kommt deshalb zu dem Schluss, dass die geänderten Unterlagen den Erfordernissen des EPÜ genügen.
8. Rückzahlung der Beschwerdegebühr
8.1 Selbst wenn der Prüfungsabteilung bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit mithilfe des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes ein Fehler unterlaufen ist, insbesondere bei der Auslegung von D3 und D6, stellt dies keinen Verfahrensfehler dar, geschweige denn einen wesentlichen Verfahrensfehler, sondern allenfalls eine fehlerhafte Anwendung des materiellen Rechts (s. R 5/13 vom 10. Februar 2014, Gründe Nr. 13).
8.2 Eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr kann deshalb nicht in Betracht gezogen werden (Regel 103 (1) a) EPÜ).
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:
- geänderte Ansprüche 1 bis 5, eingereicht mit Schreiben vom 8. Juni 2020;
- geänderte Beschreibungsseiten 1, 1a, 1b und 2 bis 6, eingereicht mit Schreiben vom 8. Juni 2020; und
- Figuren 1 und 2 wie ursprünglich eingereicht, sowie Figur 3, eingereicht mit Schreiben vom 16. Januar 2014.
3. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.