T 2329/18 () of 17.7.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T232918.20200717
Datum der Entscheidung: 17 Juli 2020
Aktenzeichen: T 2329/18
Anmeldenummer: 07090044.4
IPC-Klasse: E04B1/80
E04C2/16
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Dämmstoffplatte bzw. -matte aus einem Holzwerkstoff-Bindemittel-Gemisch
Name des Anmelders: SWISS KRONO Tec AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 113(1)
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention R 111(2)
European Patent Convention R 103(1)(a)
Schlagwörter: Entscheidung nach Aktenlage
Angefochtene Entscheidung ausreichend begründet (nein)
Verletzung des rechtlichen Gehörs (ja)
Wesentlicher Verfahrensmangel - Rückzahlung der Beschwerdegebühr (ja)
Änderungen zulässig (ja)
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0070/02
T 1442/09
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 07090044.4 (im Folgenden: die Anmeldung) betrifft eine Dämmstoffplatte aus Holzfasern, wobei die Holzfasern mit einem ligninhaltigen Bindemittel verbunden sind.

II. Die Beschwerde der Anmelderin richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die Anmeldung zurückgewiesen wurde.

III. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung ist eine sogenannte "Entscheidung nach Lage der Akten" unter Verwendung des Formblattes 2048, in dem zur Entscheidungsbegründung auf die folgenden früheren Bescheide der Prüfungsabteilung verwiesen wird:

- B1: vom 3. Mai 2016,

- B2: vom 6. Oktober 2016,

- B3: vom 3. Mai 2017.

IV. In den Bescheiden B1-B3 erhob die Prüfungsabteilung bezüglich des Hauptantrags Einwände unter Artikel 56 EPÜ gegen Anspruch 1 (B1) und unter Artikel 123 (2) EPÜ gegen Anspruch 2 (B1, B2, B3). Ferner wurde die Beschreibung in der Version vom 5. Januar 2016 in B1 und in der Version vom 8. Juni 2016 in B2 unter Artikel 84 EPÜ bemängelt.

V. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, die Erteilung eines Patentes auf der Grundlage der Ansprüche des Hauptantrags beziehungsweise der Hilfsanträge 1 und 2 eingereicht mit der Beschwerdebegründung. Ferner beantragt sie mit Schreiben vom 14.05.2020 die Rückerstattung der Beschwerdegebühr gemäß Regel 103 (1) (a) EPÜ.

VI. Ansprüche 1 und 2 des Hauptantrags lauten (die Änderungen im Wortlaut im Vergleich zur ursprünglichen eingereichten Fassung sind mittels Fettdruck und Streichung hervorgehoben):

"1. Dämmstoffplatte bzw. -matte, aus einem Gemisch aus Holzfasern[deleted: werkstoffen] und einem [deleted: Bindemittel aus] Bikomponentenmaterial aus einem Träger und einem thermisch aktivierbaren ligninhaltigen Material als Bindemittel, wobei das ligninhaltige Material als Mantel auf dem Träger aufgetragen vorliegt, dadurch gekennzeichnet, dass der Träger aus Kunststoffstützfasern besteht."

"2[deleted: 5]. Dämmstoffplatte bzw. -matte nach Anspruch 1, [deleted: 3 und 4,] gekennzeichnet durch Polypropylen-, Polyethylen- oder Polyesterfasern als Kunststoffstützfasern als Träger."

VII. In der Beschwerdebegründung wurde auf folgende bereits in der angefochtenen Entscheidung genannten Druckschriften Bezug genommen:

D1: US 2004/0089418 A1,

D3: EP 1 582 646 A1 und

D4: US 5,188,707.

VIII. Das schriftsätzliche Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

a) Gewährbarkeit der Änderungen gemäß Artikel 123 (2) EPÜ

Der Einwand der Prüfungsabteilung unter Artikel 123 (2) EPÜ gegen Anspruch 2 beruhte darauf, dass bei den Merkmalen aus dem ursprünglichen Anspruch 5 ("Polypropylen-, Polyethylen- oder Polyesterfasern als Kunststoffstützfasern") durch den Zusatz "als Träger" in angeblich unzulässiger Weise eine Gleichstellung der Merkmale "Kunststoffstützfasern" und "Träger" erfolgt.

Die Beschwerdeführerin führt hierzu aus, dass die ursprünglichen Anmeldeunterlagen keine andere Interpretation ermöglichen würden, als dass es sich bei den "Kunststoffstützfasern" des ursprünglichen Anspruchs 5 um eine Ausführungsform des "Trägers" handele, der durch den Rückbezug auf Anspruch 3 auch auf Bikomponentenmaterial aus ligninhaltigem Material aufgetragen auf dem Träger gerichtet sei. Zur Stützung dieses Arguments wird auf mehrere Stellen der Beschreibung der ursprünglich eingereichten Anmeldung verwiesen (Seite 4, Zeilen 22 bis 26, Seite 5, Zeilen 5 bis 7 und 16 bis 17 sowie Seite 7, Zeilen 23 bis 28).

Sie weist im Weiteren darauf hin, dass im Gegensatz zur Auffassung der Prüfungsabteilung die Würdigung des Standes der Technik auf Seite 2, Zeilen 6 bis 8 nicht zur Stützung der Offenbarung heranzuziehen sei.

b) Erfinderische Tätigkeit

Bezüglich der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes von Anspruch 1 hat die Beschwerdeführerin keine Einwände gegen die Wahl von D3 als nächstliegenden Stand der Technik und auch keinen Zweifel, dass das ligninhaltige Material als Bindemittel das einzige Unterscheidungsmerkmal ist.

Sie ist jedoch der Auffassung, dass weder D4 noch D1 das Unterscheidungsmerkmal nahelegen können. Zwar offenbare D4 in Spalte 4, Zeilen 11 bis 14, die Funktion von Lignin als Bindemittel in Holz, beschreibe im weiteren aber einen Prozess zur Gewinnung von Lignin aus Holz, welches wiederum verwendet wird um anderes Holz zu härten. Hierbei würde das Lignin mittels Imprägnierung in das Holz eingebracht. Es sei zudem dargestellt, dass das gemäß D4 erhaltene Lignin nicht mehr zur Bindung von Zellulosefasern geeignet ist und erst unter den Prozessbedingungen der Imprägnierung seine Bindungswirkung zurückerhält. Auch die chemische Struktur des gemäß des Verfahrens in D4 gewonnenen Lignins unterscheide sich fundamental von den in D3 verwendeten linearen synthetischen Kohlenstoffen, so dass auch keine chemische Ähnlichkeit vorliege.

D1 offenbare zwar ligninhaltige Bindemittel für Holzkomposite, verfestigt werde das Bindemittel jedoch, indem Lignin mit einer formaldehydfreien Komponente als Härtungsmittel reagiert. Es würde sich kein Hinweis in der D1 finden, das Bindemittel in einem Bikomponentenmaterial zu verwenden.

c) Entscheidungsbegründung Regel 111 (2) EPÜ

Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass die angefochtene Entscheidung nicht ausreichend im Sinne von Regel 111 (2) EPÜ begründet ist.

Hierzu verweist sie zunächst auf auf die Vielzahl der Bescheide, auf die im Formblatt 2061 verwiesen wird sowie auf die Widersprüche in den Rückbezügen, Widerholungen und Streichungen, welche in Summe zur Unklarheit der Zurückweisungsgründe führe.

Ferner seien die Entscheidungsgründe nicht hinreichend ausgeführt und nicht unmissverständlich nachvollziehbar. So reiche beispielsweise die bloße Behauptung nicht, eine Druckschrift würde einen Gegenstand offenbaren oder nahelegen; dies müsse vielmehr mittels Verweis auf bestimmte Stellen in der Druckschrift nachgewiesen werden.

Schließlich sei die Prüfungsabteilung in den Bescheiden B1 bis B3 in keiner Weise auf die Ausführungen der Beschwerdeführerin zur Offenbarung und Erfindungshöhe mit Schreiben vom 8. Juni 2016, 10. Januar 2017 und 3. August 2018 eingegangen. Somit gebe es keine Würdigung der Gegenargumente in der logischen Kette von Tatsachen und Gründen, was gemäß der Entscheidung T 0070/02 dem Grundsatz des guten Glaubens und der Verfahrensgerechtigkeit widerspreche, da die Beschwerdeführerin so keine Vorstellung davon habe, warum ihre Argumentation nicht überzeugen konnte.

Entscheidungsgründe

1. Angefochtene Entscheidung

1.1 Die Entscheidung nach Aktenlage bezieht sich bezüglich der Begründung auf die Bescheide B1, B2 und B3.

Mit dem Bescheid B1 erhob die Prüfungsabteilung Einwände unter Artikel 123 (2) EPÜ gegen Anspruch 2 des Hauptantrags. Ferner wurde die Klarheit der Beschreibung bemängelt.

Mit dem Bescheid B2 teilte die Prüfungsabteilung mit, dass der Gegenstand von Anspruch 2 des Hauptantrags und Hilfsantrags 1 nicht den Anforderungen von Artikel 123 (2) EPÜ genügt.

Mit dem Bescheid B3 wurde der bereits zuvor erhobene Einwand unter Artikel 123 (2) EPÜ gegen den Anspruch 2 des Hauptantrags und des Hilfsantrags 1 unverändert wiederholt. Bezüglich des Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 wurde eine Interpretation vorgelegt und ein Einwand unter Artikel 56 EPÜ erhoben, welcher wortgleich zu dem Einwand ist, der mit Bescheid B1 gegen den Hauptantrag erhoben wurde.

In allen drei Bescheiden finden sich Inkonsistenzen bezüglich der referenzierten Anmeldungsunterlagen:

- In B1 fehlen bezüglich des Hauptantrags die neuen Beschreibungsseiten 2',3',4',5' eingereicht mit Schreiben vom 5. Januar 2016.

- In B2 sind die Ansprüche des Hauptantrags auf den 8. Juni 2016 datiert, obgleich diese Eingabe keine neuen Ansprüche für den Hauptantrag enthält.

- In B3 sind die Anspruchssätze des Hauptantrags auf den 7. September 2015 und die des ersten Hilfsantrags auf den 16. Juni 2016 datiert, obgleich sie mit Schreiben vom 12. Januar 2017 neu eingereicht worden sind.

Trotz dieser Widersprüche und der mosaikartigen Argumentationsstruktur kann die Kammer zumindest bezüglich des Hauptantrags, dessen Anspruchswortlaut sich im Zeitraum, den die Bescheide B1 bis B3 umfassen, nicht geändert hat, und welcher der mit der Beschwerde vorgelegten Anspruchsversion entspricht, erkennen, auf welchen Gründen die Zurückweisung beruht.

1.2 Entscheidungsgründe bezüglich des Hauptantrags

1.2.1 Der Einwand unter Artikel 123 (2) EPÜ gegen den abhängigen Anspruch 2 wurde konsistent in allen Bescheiden B1 bis B3 mit jeweils identischem Wortlaut erhoben.

1.2.2 Der Einwand in B2 unter Artikel 123 (2) EPÜ gegen Seite 5, Zeilen 17 bis 21 ("Kunststoffstützfasern") wird in B3 nicht mehr erhoben, da die zwischenzeitlich neu eingereichte Beschreibungsversion den strittigen Terminus nicht mehr enthält. Dieser Einwand war für die Entscheidung somit offenbar nicht mehr relevant.

1.2.3 Die Einwände unter Artikel 84 EPÜ, die in B1 gegen den Hauptantrag erhoben wurden, beziehen sich auf eine Beschreibungsversion, die bezüglich der Version vom 12. Januar 2017, welche zum Zeitpunkt der Entscheidung gültig war, Änderungen aufweist, insbesondere in den Passagen, in denen Klarheitsmängel identifiziert wurden. Da in B3 kein Klarheitseinwand mehr gegen den Hauptantrag erhoben wurde, kommt die Kammer zu dem Schluss, dass diese Einwände aus B1 für die Entscheidung nicht mehr relevant waren.

1.2.4 Ein Einwand unter Artikel 56 EPÜ gegen den Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags wurde lediglich in B1 ausgeführt. Da sich der Wortlaut von Anspruch 1 des Hauptantrags im Folgenden nicht mehr geändert hat, geht die Kammer davon aus, dass dieser Einwand aufrecht erhalten wurde.

1.3 Somit beruht die angefochtene Entscheidung bezüglich des Hauptantrags auf Gründen gemäß Artikel 123 (2) und 56 EPÜ.

2. Artikel 123 (2) - Anspruch 2 gemäß Hauptantrag

2.1 Der Einwand der Prüfungsabteilung beruht darauf, dass die Materialmerkmale "Polypropylen-, Polyethylen- oder Polyesterfasern als Kunststoffstützfasern" in Kombination mit dem Zusatz" "als Träger" nicht ursprünglich offenbart seien und dass eine angeblich nicht offenbarte Gleichstellung der Merkmale "Kunststoffstützfasern" und "Träger" erfolgt sei.

Die Prüfungsabteilung verweist darauf, dass die Kunststoffmaterialien in der ursprünglich eingereichten Beschreibung lediglich auf Seite 2, Zeilen 6 bis 8 als "Bindefasern" erwähnt werden und im Weiteren dann nur "Kunststofffasern" im Allgemeinen erwähnt werden.

Diese Offenbarungsstelle ist jedoch nicht relevant für die Beurteilung der Frage der ursprünglichen Offenbarung, da hier lediglich der Stand der Technik beschrieben wird, der zudem eine Ausführungsform ohne Bikomponentenfaser beschreibt.

2.2 Zum Zeitpunkt der Anmeldung war aus den gesamten ursprünglich eingereichten Unterlagen für den Fachmann klar und eindeutig zu entnehmen:

- dass das ligninhaltige Material als Bindemittel auf einen Träger aufgetragen werden kann (Seite 4, Zeilen 16 bis 20), womit man ein sogenanntes Bikomponenten-Material erhält,

- dass dieser Träger aus Kunststoff oder natürlichen Werkstoffen bestehen und in Faserform ausgeführt sein kann (Seite 4, Zeilen 21 bis 24) und

- dass dieser Träger eine Stützfunktion hat (Seite 4, Zeilen 4 bis 26).

2.3 Der ursprünglich eingereichte Anspruch 5 offenbart unter anderem mit Rückbezug auf Anspruch 3 (gerichtet auf ligninhaltiges Material als Bikomponente) die Kunststoffe Polypropylen (PP), Polyethylen (PE) und Polyester als materialseitige Ausführungsformen von "Kunststoffstützfasern". Der Begriff der "Stützfasern" wird zudem in der Figurenbeschreibung (Seite 7, Zeilen 23 bis 25) zur Beschreibung des "Kerns" der Bikomponentenfasern sowie bei der Charakterisierung der Naturfasern (Absatz 24) verwendet.

2.4 Somit lässt sich die gesamte Offenbarung so verstehen, dass das Bindemittel ein ligninhaltiges Material aufgetragen auf einer Kunststofffaser mit Stützfunktion umfasst, und dass deren spezielle Ausführungsformen bezüglich des Materials optional sind. Auch wenn in dem ursprünglich eingereichten Anspruch 5 nicht die gleiche Terminologie wie in Anspruch 2 des Hauptantrags verwendet wird, kann der Fachmann eindeutig aus der gesamten Offenbarung entnehmen, dass es sich bei den Kunststoffstützfasern aus Anspruch 5 um eine Ausführungsform des Trägers des Bikomonentenmaterials handelt, also um einen "Träger aus Kunststoffstützfasern".

Ein Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ liegt somit nicht vor.

3. Erfinderische Tätigkeit - Anspruch 1 des Hauptantrags

3.1 Die Kammer stimmt der Auffassung der Beschwerdeführerin zu, dass die Entgegenhaltung D3 unter den zitierten Dokumenten der nächstliegende Stand der Technik ist. D3 beschreibt wie die Anmeldung eine Dämmplatte mit Holzfasern (Absatz 1) und einem Bindemittel aufgetragen auf einem faserförmigen, beispielsweise polymeren, Träger (Absätze 8, 9, 17, 20). Es werden generell "thermisch aktivierbare Beschichtungen" als geeignet offenbart, allerdings finden sich in der Offenbarung lediglich "Thermoplaste" und "Bitumen" als spezifische Ausführungsformen.

3.2 Als einziges unterscheidendes Merkmal verbleibt, dass D3 kein ligninhaltiges Material als thermisch aktivierbares Bindemittel offenbart.

3.3 Die von der Beschwerdeführerin definierte Aufgabe "Bereitstellung von Dämmstoffplatten mit guter Querzugfestigkeit und verbesserter ökologischer Verträglichkeit" ist nicht durch die Offenbarung gestützt. Dieser kann nicht entnommen werden, dass sich die Verwendung von ligninhaltigen Bindemitteln im Vergleich zu dem Bitumen in D3 vorteilhaft auf die Querzugfestigkeit auswirkt.

3.4 Die Anmeldung verweist darauf, dass ligninhaltiges Material als "Abprodukt" in großen Mengen bei der Zellstoffproduktion anfällt (Absatz 12) und somit offensichtlich leicht und billig aus nachwachsenden Rohstoffen verfügbar ist. Daher ergibt sich als objektives technisches Problem, ein ökologisch verträglicheres thermisch aktivierbares Bindemittel bereitzustellen.

3.5 Die Prüfungsabteilung kam zu dem Schluss, dass die alternative Verwendung von "Lignin" als thermisch aktivierbare Beschichtung in D3 aus D4 oder D1 in offensichtlicher Weise hervorgeht. Dieser Schlussfolgerung stimmt die Kammer nicht zu.

3.5.1 Lösung im Hinblick auf die Offenbarung von D4

Eine Analyse der Offenbarung der Entgegenhaltung D4 zeigt, dass Lignin zwar als Bindemittel in Holz offenbart wird (Spalte 1, Zeilen 11 bis 14). D4 ist jedoch auf einen Prozess zur Gewinnung von Lignin aus Holz gerichtet (Spalte 1, Zeilen 49-59). Hierbei entsteht ein depolymerisiertes monomeres thermoplastisches Reaktionsprodukt (Spalte 4, Zeilen 22 bis 34). Die Beschwerdeführerin weist zu Recht darauf hin, dass diese monomere Form des Lignins in der D4 als nicht mehr zur Bindung von Zellulosefasern geeignet dargestellt wird (Spalte 4, Zeile 35 bis 49). Anschließend wird das gewonnene ligninhaltige Produkt verwendet, um anderes Holz zu härten. Hierbei wird das Lignin mittels einer Druckimprägnierung in das Holz eingebracht und chemisch gehärtet (Spalte 4, Zeilen 42 bis 49), d.h. unter diesen Prozessbedingungen erhält das Lignin seine polymere Form und seine Bindungswirkung zurück (Spalte 5, Zeilen 7 bis 11).

Da lediglich das monomere Zwischenprodukt als ligninhaltiges Produkt frei verfügbar ist und dieses weder in Form einer Beschichtung auf einen Träger auftragbar noch zur Bindung geeignet ist, ist die Verwendung des monomeren Ligninprodukts aus der D4 weder eine geeignete noch naheliegende Alternative als thermisch aktivierbare Beschichtung von Trägerfasern gemäß der D3. Zudem zeigt die D4 auch keine andere geeignete Anwendung für dieses Produkt auf, als die zur Druckimprägnierung von Holz zum Zwecke dessen Härtung.

Somit wird die Verwendung von ligninhaltigem Material als alternatives Bindemittel zur Beschichtung des Trägers in Polymerfaserform in D3 dem Fachmann nicht aus D4 nahegelegt. Es ist sogar zweifelhaft, ob der Fachmann zur Lösung des Problems die Entgegenhaltung D4 überhaupt berücksichtigen würde, da sie sich nicht mit der Herstellung von Verbundwerkstoffplatten, sondern mit der Härtung von Holz beschäftigt.

3.5.2 Lösung im Hinblick auf die Offenbarung von D1

D1 offenbart als Bindemittel ein ligninhaltiges Material für Holzkomposite (Absatz 3 und 29), welches thermisch aktivierbar ist ("heat curable", Absatz 28). Wie in Absatz 29 ausgeführt, wird ein Gemisch aus Bindemittel und lignozellulosehaltigem Material, wie z.B. Holzfasern ("wood"/ "fibres") thermisch und unter Druck in Form gepresst. Verfestigt wird das Bindemittel, indem Lignin mit einer formaldehydfreien Komponente ("difunctional adhesion promotor") reagiert, welches gleichzeitig eine Bindung zur Lignozellulose herstellt (Absatz 18). Da diese Reaktion in situ stattfindet, bleibt offen, inwieweit ein solches Verfahren auch mit polymeren Trägerfasern durchführbar wäre, z.B. ob sich die Fasern mit dem Lignin überhaupt beschichten ließen. Hierzu erhält der Fachmann, wie zu Recht von der Beschwerdeführerin ausgeführt, keinerlei Hinweis.

Der Fachmann würde das Verfahren gemäß D1 somit als Alternative im Ganzen zu der Methode in D3 verstehen und nicht lediglich das Bindemittel zur Beschichtung der Trägerfasern mit dem lignozellulosehaltigen Material aus D1 austauschen. Somit wird die Verwendung von ligninhaltigem Material als alternatives Bindemittel zur Beschichtung des Trägers in Form polymerer Fasern in der D3 dem Fachmann auch nicht aus D1 nahegelegt.

4. Rückzahlung der Beschwerdegebühr

4.1 Die Beschwerdeführerin beantragt die Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 103 (1) a EPÜ. Gemäß ständiger Rechtsprechung muss ein Kausalzusammenhang zwischen einem wesentlichen Verfahrensmangel und der Einlegung der Beschwerde bestehen, damit eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr der Billigkeit entspricht (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 9. Auflage 2019, V.A.9.7.1).

4.2 Ein Antrag auf Entscheidung nach Lage der Akten stellt nach ständiger Rechtsprechung keinen Verzicht auf das Recht auf eine vollständig begründete erstinstanzliche Entscheidung dar (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 9. Auflage 2019, III.K.3.5.3). Die Begründungspflicht nach Regel 111 (2) EPÜ steht in engem Zusammenhang mit dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113(1) EPÜ. Dieser Grundsatz beinhaltet nicht nur das Recht, sich zu äußern, sondern auch das Recht, dass diese Äußerungen gebührend berücksichtigt werden (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 9. Auflage 2019, III.K.3.4.2).

4.3 Gemäß der von der Beschwerdeführerin zitierten Entscheidung T 70/02 ist es ein allgemeiner Grundsatz des guten Glauben und der Verfahrensgerechtigkeit dass eine begründete Entscheidung die logische Kette von Tatsachen und Gründen auf der die Entscheidung beruht, darstellt, sowie Ausführungen zu den Streitpunkten enthält. Die Entscheidung T 1442/09, Punkt 1.4.3 führt weiter aus, dass die Prüfungsabteilung, um eine Entscheidung nach Lage der Akten herbeiführen zu können, sicherstellen muss, dass eine begründete Darlegung der Einwände vorliegt und alle Gegenargumente hinreichend widerlegt werden.

4.4 Keine ausreichend begründete Darlegung der Einwände

In der Entscheidung befand die Prüfungsabteilung hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit des Hauptantrages (Bescheid B1) sowie des Hilfsantrags 2 (Bescheid B3), dass D3 den nächstliegenden Stand der Technik darstellt und ligninhaltiges Material das einzige unterscheidende Merkmal ist.

Die weitere Diskussion der erfinderischen Tätigkeit beschränkt sich in der Entscheidung der Prüfungsabteilung bzw. in den Bescheiden B1 und B3 jedoch auf einen einzigen Satz: "Das zu lösende Problem ggü. D3 war somit bloß die Wahl einer geeigneten thermisch aktivierbaren Beschichtung (3) die naheliegend mit D4 o. D1 und seinem Merkmal (= Lignin) gefunden werden konnte".

Warum die Prüfungsabteilung der Ansicht war, dass die Dokumente D4 und D1 dem Fachmann in offensichtlicher Weise einen Hinweis geben, Lignin in der Herstellung von Dämmstoffplatten und insbesondere für die Beschichtung von Kunststofffasern gemäß D3 anzuwenden, ist der Entscheidung nicht zu entnehmen. Dieser fehlende Schritt ist jedoch ein wesentlicher Aspekt des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes. Die Kammer kommt somit zu dem Schluss, dass die Einwände der Prüfungsabteilung zur erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Regel 111 (2) EPÜ unzureichend begründet sind.

4.5 Fehlende Berücksichtigung der Argumente der Anmelderin

Die Beschwerdeführerin argumentierte im Prüfungsverfahren bezüglich der Dokumentenkombination D3 und D4 ausführlich zur erfinderischen Tätigkeit (siehe Schreiben vom 5. Januar 2016, Punkt III und Schreiben vom 16. Juni 2016, Punkt III). Sie legte dar, dass sich D4 mit der Gewinnung von Lignin aus Holz und der anschließenden Verwendung zur Holzhärtung mittels Imprägnierung beschäftigt. Ferner wurde dargestellt, dass das gemäß der D4 erhaltene Lignin nicht zur Bindung von Zellulosefasern geeignet ist und erst unter den Prozessbedingungen der Imprägnierung seine Bindungswirkung zurückerhält. Zur unterschiedlichen chemischen Natur des Lignin der D4 und des Bitumens der D3 wurde seitens der Beschwerdeführerin ebenfalls ausführlich argumentiert.

Die Prüfungsabteilung ging in keinem der Bescheide B1, B2 oder B3 auf diese Argumente der Beschwerdeführerin ein. Stattdessen wurde der in dem Bescheid B1 erhobene Einwand der erfinderischen Tätigkeit gegen Anspruch 1 des Hauptantrags in dem Bescheid B3 wortgleich dem Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 entgegengehalten. Somit hat sich die Prüfungsabteilung nicht mit den Argumenten der Beschwerdeführerin zur erfinderischen Tätigkeit auseinandergesetzt. Es ist nicht einmal erkennbar, ob die Prüfungsabteilung diese Argumente überhaupt gesichtet hat. Damit wurden die Gegenargumente der Beschwerdeführerin in der Entscheidung der Prüfungsabteilung weder widerlegt noch sonst in irgendeiner Form berücksichtigt.

Auch die seitens der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumente bezüglich Artikel 123(2) EPÜ (insbesondere im Schreiben vom 10. Januar 2017, Punkt I) wurden seitens der Prüfungsabteilung nicht berücksichtigt.

Die Prüfungsabteilung erhob den wortgleichen Einwand gegen Anspruch 2 in allen Bescheiden B1 bis B3 gegen alle Anträge. In diesem Einwand wurde lediglich auf eine nicht zulässige Kombination des Standes der Technik auf Seite 2 und der Erfindung auf Seite 5 eingegangen. Zudem blieben die Änderungen des Anspruchswortlauts in Hilfsantrags 1 (B2) und Hilfsantrag 2 (B3) unberücksichtigt. Schließlich blieben auch sämtliche Argumente der Beschwerdeführerin bezüglich der Offenbarung im ursprünglich eingereichten Anspruch 5 als auch in den seitens der Beschwerdeführerin zitierten Beschreibungsstellen seitens der Prüfungsabteilung unkommentiert.

4.6 Die Anmeldung wurde von der Prüfungsabteilung gemäß den Artikeln 56 und 123 (2) EPÜ zurückgewiesen. Wie zuvor dargelegt, ist die Entscheidung im Sinne der Regel 111 (2) EPÜ unzureichend begründet. Die mangelnde Würdigung der Gegenargumente der Beschwerdeführerin verletzt zudem den Grundsatz des rechtlichen Gehörs gemäß Artikel 113 (1) EPÜ. Die Entscheidung ist somit mit wesentlichen Verfahrenmängeln im Sinne der Regel 103 (1) a) EPÜ behaftet.

4.7 Es liegt auch kein anderer Entscheidungsgrund vor, der ausreichend begründet wäre und zur Zurückweisung der Anmeldung geführt hätte. Wegen des somit bestehenden Kausalzusammenhangs zwischen den angeführten wesentlichen Verfahrensmängeln und der Einlegung der Beschwerde ist die Beschwerdegebühr nach Regel 103 (1) a) EPÜ zurückzuzahlen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:

- Ansprüche 1-8 gemäß Hauptantrag, eingereicht mit Schriftsatz vom 3. Juli 2018

- Beschreibungsseiten 1, 2, 2', 3, 3', 4, 4', 5, 5',6-8 gemäß Hauptantrag, eingereicht mit Schriftsatz vom 14. Mai 2020

- Figuren 1-3 wie ursprünglich eingereicht

3. Die Beschwerdegebühr wird zurückgezahlt.

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