T 2327/18 (Galvanikbad/COVENTYA) of 29.10.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T232718.20211029
Datum der Entscheidung: 29 October 2021
Aktenzeichen: T 2327/18
Anmeldenummer: 09152660.8
IPC-Klasse: C25D 17/00
C25D 3/56
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Alkalisches Galvanikbad mit einer Filtrationsmembran
Name des Anmelders: Atotech Deutschland GmbH
Name des Einsprechenden: Coventya Holding SAS
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 76(1)
European Patent Convention Art 123(2)
Schlagwörter: Teilanmeldung
Änderungen - zulässig (nein)
Änderungen - Streichen eines Disclaimers, der in der Anmeldung wie ursprünglich eingereicht ausdrücklich als "Nicht-Teil" der Erfindung offenbart ist
Orientierungssatz:

Die Streichung eines in einer Anmeldung wie ursprünglich eingereicht ausdrücklich als "Nicht-Teil" der Erfindung offenbarten Disclaimers ist nicht zulässig, wenn die Streichung dazu führt, dass der "Nicht-Teil" teilweise doch beansprucht wird. Die Tatsache, dass es sich bei der Anmeldung um eine Teilanmeldung handelt und dass der Disclaimer patentrechtliche Gründe hatte, ist dabei unerheblich.

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/03
G 0001/05
G 0001/06
G 0002/10
T 0157/90
T 0136/12
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden (Beschwerdeführerin) betrifft die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent EP 2 050 841 B zurückzuweisen.

II. Das Patent basiert auf einer Teilanmeldung. Im Prüfungsverfahren der Stammanmeldung EP 05 009 127.1 wurde die WO 2005/073438 als Artikel 54(3) EPÜ Dokument zitiert.

III. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin unter anderem die folgenden Dokumente ein:

D9 |WO 01/96631 A |

D11|erste Ergebnisse von Vergleichsversuchen|

D12|US 5,417,840 A |

IV. Mit Schreiben vom 15. März 2019 reichte die Beschwerdeführerin zusätzlich noch folgendes Dokument ein:

D13|vervollständigte Ergebnisse der Vergleichsversuche|

V. Mit ihrer Erwiderung hielt die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) als Hauptantrag die erteilten Ansprüche des Patents und die Hilfsanträge 1 bis 4 vom 2. Mai 2018 aufrecht und reichte zusätzlich Hilfsantrag 5 ein.

VI. Die Kammer teilte den Parteien in einer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 mit, dass keiner der Anträge die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ zu erfüllen schien.

VII. Daraufhin reichte die Beschwerdegegnerin noch die Hilfsanträge 6 bis 10 ein.

VIII. Der Wortlaut von Anspruch 1 des Hauptantrags (Patent wie erteilt) lautet wie folgt (Hervorhebung der Änderungen im Vergleich zur Fassung wie ursprünglich eingereicht):

"1. Alkalisches Galvanikbad zum Aufbringen von Zinklegierungen auf Substraten mit einer Anode und einer Kathode umfassend ein Zinklegierungsbad, dadurch gekennzeichnet, dass der Anodenraum und der Kathodenraum voneinander durch eine Filtrationsmembran getrennt sind,

wobei die Größe der Poren der Filtrationsmembran im Bereich von 0,001 bis 1,0 µm liegt und wobei das Zinklegierungsbad die folgenden Komponenten umfasst:

- 80-250 g/l NaOH bzw. KOH

- 5-20 g/l Zink in Form des löslichen Zinksalzes

- 0,02-10 g/l des Legierungsmetalls Ni, Fe, Co, Sn in Form der löslichen Metallsalze

- 2-200 g/l Komplexbildner ausgewählt aus Polyalkenylaminen, Alkanolaminen, Polyhydroxycarboxylaten

- 0,1-5 g/l aromatischer bzw. heteroaromatischer Glanzbildner

[deleted: wobei ausgenommen ist: eine Vorrichtung zur elektrolytischen Ablagerung von Zink oder Legierungen von Zink mit mindestens einem anderen unter Eisen, Kobalt, Nickel und Mangan gewählten Metall auf einem Werkstück, umfassend:]

[deleted: (a) ein Becken, das durch einen Separator in ein Kathoden-Abteil und ein Anoden-Abteil unterteilt ist,]

[deleted: (b) das Werkstück, eingetaucht in eine wässrige Kathodenflüssigkeit mit alkalischem pH-Wert, die im Kathoden-Abteil enthalten ist und Zinkat-Ionen und gegebenenfalls Ionen des von Zink verschiedenen Metalls umfasst, und]

[deleted: (c) eine wässrige Anodenflüssigkeit mit alkalischem pH-Wert, die im Anoden-Abteil enthalten ist und eine Anode aus der in der Anodenflüssigkeit unlöslichem Metall umgibt, wobei der Separator aus einem offenporigen Material besteht und den drei folgenden Tests genügt:]

[deleted: (1) die Porendurchmesser weisen eine Abmessung zwischen 10] [deleted: nm und 50] [deleted: µm auf;]

[deleted: (2) in ein Becken, das eine wässrige Lösung von 120g/l NaOH enthält, wird der zu testende Separator so eingetaucht, dass er in dem Becken zwei Abteile abgrenzt; dann wird in eines von diesen 20] [deleted: ml/l einer violett gefärbten Lösung von 8] [deleted: Gew.-% Nickel gegeben, welche, bezogen auf das Gewicht, umfasst:]

[deleted: - 36,2% Nickelsulfat-Hexahydrat,]

[deleted: - 15% Tetraethylenpentamin,]

[deleted: - den Rest zu 100% Wasser;einen Tag später ist die Lösung in dem Abteil, dem keine gefärbte Lösung zugesetzt wurde, nicht violett gefärbt; und]

[deleted: (3) er ergibt eine Überspannung von weniger als 5]

[deleted: Volt]."

In der Beschreibung des Hauptantrags fehlt im Vergleich zur Fassung wie ursprünglich eingereicht die folgende Passage von Seite 5, Zeilen 7 bis 10:

"Die in der WO 2005/073438 beschriebene Vorrichtung, die Verwendung eines darin beschriebenen Separators und das darin beschriebene Verfahren werden vorliegend nicht beansprucht."

IX. In Hilfsantrag 1 ist die untere Grenze des Porendurchmessers der Filtrationsmembran in Anspruch 1 von 0.001 auf 0.1 µm erhöht.

X. In Hilfsantrag 3 ist die untere Grenze des Porendurchmessers der Filtrationsmembran in Anspruch 1 von 0.001 auf auf 0.2 µm erhöht.

XI. Im Vergleich zum Hauptantrag, bzw. zu den Hilfsanträgen 1 und 3 fordert Anspruch 1 der Hilfsanträge 5, 2 und 4 jeweils zusätzlich, dass der im Anodenraum befindliche Anolyt und der im Kathodenraum befindliche Katholyt die gleiche Zusammensetzung aufweisen.

XII. Die Hilfsanträge 6 bis 10 entsprechen jeweils den Hilfsanträgen 1 bis 5, nur dass der unabhängige Verwendungsanspruch 4, 5 bzw. 6 gestrichen ist.

XIII. Die Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden.

Bezüglich der Dokumente D9 und D11 bis D13 und der damit verbundenen Argumentation wird eine gesonderte Vorabentscheidung über die Berücksichtigung beantragt.

Der Hauptantrag erfülle die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ trotz des Streichen des Disclaimers in Anspruch 1 aus den folgenden Gründen:

(1) Der Disclaimer sei überflüssig, da es keine Überschneidung zwischen dem Gegenstand des Disclaimers und dem Gegenstand von Anspruch 1 gäbe.

(2) Angesichts des allgemeinen Teils der Beschreibung gehe Anspruch 1 nicht über die ursprüngliche Fassung hinaus.

(3) Der Disclaimer sei nur aus patentrechtlichen Gründen eingeführt worden und könne in Analogie zur Situation in G 1/03 gestrichen werden.

(4) Der Disclaimer in Anspruch 1 wie ursprünglich eingereicht stelle eine unzulässige Erweiterung im Vergleich zur ursprünglichen Fassung der Stammanmeldung dar. Um die Erfordernisse von Artikel 76(1) EPÜ zu erfüllen, könne der Disclaimer im Einklang mit G 1/05 und G 1/06 gestrichen werden. Dies habe Vorrang vor den Erfordernissen von Artikel 123(2) EPÜ.

Sollte die Kammer diese Auffassung nicht teilen, sei der Großen Beschwerdekammer die folgende Frage vorzulegen:

"Ist bei einer Teilanmeldung, die gegenüber der Stammanmeldung (nur) dadurch geändert worden ist, dass (i) in den Hauptanspruch ein in der Stammanmeldung nicht offenbarter Disclaimer aufgenommen wurde, der zur Abgrenzung gegenüber einem Stand der Technik gemäß Artikel 54(3) EPÜ dient, und (ii) in die Beschreibung eine entsprechende Erläuterung aufgenommen worden ist, der Disclaimer bei der Beurteilung des Offenbarungsgehalts im Hinblick auf Artikel 100(c) EPÜ zu berücksichtigen?"

Die Hilfsanträge würden die Erfordernisse des EPÜ ebenfalls erfüllen.

XIV. Die Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:

Das Hinzufügen und das Streichen eines Disclaimers könnten nicht gleichgesetzt werden, insbesondere da das Streichen zu einer Erweiterung des Schutzbereichs führe.

Es sei mit der Rechtsicherheit nicht vereinbar, wenn in der Anmeldung wie ursprünglich eingereicht ausdrücklich erklärt wird, dass für eine bestimmte Ausführungsform kein Patentschutz begehrt wird, diese Ausführungsform dann aber doch unter den Umfang der erteilten Ansprüche fällt.

Eine Teilanmeldung müsse die Erfordernisse von Artikel 76(1) und 123(2) EPÜ unabhängig voneinander erfüllen. G 1/05 und G 1/06 räumen einem in-Einklang-Bringen mit Artikel 76(1) EPÜ keinen Vorrang gegenüber den Erfordernissen von Artikel 123(2) EPÜ ein.

Im vorliegenden Fall verstoße das Streichen des ursprünglich vorhandenen Disclaimers im Hauptantrag gegen die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ. Gleiches gelte für die Hilfsanträge.

Die Hilfsanträge 6 bis 10 seien nicht zu berücksichtigen.

XV. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde. Hilfsweise beantragt sie die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form auf Basis:

- der Hilfsanträge 1 bis 4 wie eingereicht mit Eingabe vom 2. Mai 2018, oder

- des Hilfsantrags 5 wie eingereicht mit der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung, oder

- der Hilfsanträge 6 bis 10 wie eingereicht mit Schreiben vom 2. August 2021.

Entscheidungsgründe

Hauptantrag - Änderungen

Der Hauptantrag entspricht dem Streitpatent in der erteilten Fassung.

1. Anspruch 1 der ursprünglich eingereichten Fassung des Streitpatents enthält einen Disclaimer, welcher bestimmte Vorrichtungen ausnimmt.

Durch den Disclaimer ausgenommene Vorrichtungen zur elektrolytischen Ablagerung von Zink werden im wesentlichen durch die verwendete Filtrationsmembran (bzw. Separator) beschrieben, welche drei "Tests" zu genügen hat. Der erste Test betrifft den Porendurchmesser. Der zweite Test erfordert eine begrenzte Permeabilität der Filtrationsmembran für eine Nickelkomponente unter bestimmten Testbedingungen und der dritte Test eine dabei auftretende maximale Überspannung.

Ein identisch lautender Disclaimer war bereits im Prüfungsverfahren der Stammanmeldung in einem Hilfsantrag hinzugefügt worden, um die Neuheit gegenüber dem Artikel 54(3) EPÜ Dokument WO 2005/073438 herzustellen.

2. Anspruch 1 des vorliegenden Hauptantrages enthält diesen Disclaimer nicht mehr, da der nunmehr beanspruchte Gegenstand nach Aussage der Beschwerdegegnerin durch die WO 20054/073438 nicht mehr neuheitsschädlich vorweggenommen wird.

Entsprechendes gilt auch für die Beschreibung. Im Gegensatz zur ursprünglich eingereichten Fassung der Beschreibung enthält die Beschreibung des Hauptantrags nicht mehr den ausdrücklichen Hinweis, dass die in WO 2005/073438 beschriebene Vorrichtung "vorliegend nicht beansprucht" wird.

3. Bei dem Disclaimer handelt es sich also um einen ursprünglich offenbarten Disclaimer, aber nicht im Sinne von G 2/10. Während sich G 2/10 mit Disclaimern auseinandersetzt, deren Gegenstand in der ursprünglich eingereichten Fassung als Teil der Erfindung offenbart wird, wird der Gegenstand des Disclaimers im vorliegenden Fall bereits in der Fassung wie ursprünglich eingereicht ausdrücklich ausgenommen, d.h. als "Nicht-Teil der Erfindung" offenbart.

4. Nach Meinung der Beschwerdeführerin verstößt der Hauptantrag wegen der Streichung des Disclaimers gegen Artikel 123(2) EPÜ.

5. Die Beschwerdegegnerin führt mehrere Argumentationslinien dafür an, dass die Streichung des Disclaimers in der erteilten Fassung des Streitpatents zulässig ist.

Im Folgenden wird jedoch gezeigt, dass keine dieser Argumentationslinien die Streichung des Disclaimers rechtfertigen kann. Deswegen erfüllt der Hauptantrag die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ nicht.

6. Argumentationslinie 1: Keine Überschneidung zwischen dem beanspruchten Gegenstand und dem Disclaimer

6.1 Nach Auffassung der Beschwerdegegnerin ist der Disclaimer überflüssig, da es keine Überschneidung zwischen dem Gegenstand des Disclaimers und dem Gegenstand von Anspruch 1 wie erteilt gibt.

6.2 Anspruch 1 der erteilten Fassung des Streitpatents betrifft ein "alkalisches Galvanikbad", wohingegen der Disclaimer eine "Vorrichtung zur elekrolytischen Ablagerung von Zink oder Legierungen von Zink mit mindestens einem anderen ... Metall" betrifft.

Die Beschwerdegegnerin vertritt die Auffassung, dass diese Vorrichtungen unterschiedlich sind und dass es daher keine Überschneidung zwischen dem Gegenstand von Anspruch 1 des Streitpatents und dem Gegenstand des Disclaimers geben kann. Somit ist der Disclaimer nicht weiter einschränkend und kann gestrichen werden.

Die Beschwerdegegnerin hat allerdings nicht dargelegt, warum eine "Vorrichtung zur elektrolytischen Ablagerung von Zink oder Legierungen von Zink", in dem die Kathoden- und die Anodenflüssigkeit ausdrücklich alkalische pH-Werte aufweisen, nicht als "[a]lkalisches Galvanikbad zum Aufbringen von Zinklegierungen auf Substraten" geeignet ist.

Da ein Galvanikbad zudem definitionsgemäß die elektrochemische Ablagerung von Substanzen in einem elektrolytischen Bad bezeichnet, kann das "Aufbringen von Zinklegierungen auf Substraten" nach Anspruch 1 nicht von einer "elektrolytischen Ablagerung von Zink" gemäß dem Disclaimer unterschieden werden.

6.3 Der Gegenstand von Anspruch 1 und der Gegenstand des Disclaimers weisen auch in Anbetracht der anderen Merkmale eine Überschneidung auf. So wird ein Galvanikbad:

- mit alkalischer Kathoden- und Anodenflüssigkeit, die unter die Zusammensetzung von Anspuch 1 wie erteilt fällt,

- mit einem in die Zinkat- (und gegebenenfalls weiteren Metall-) Ionen enthaltende Kathodenflüssigkeit eingetauchten Werkstück und

- mit einem Separator, welcher Porendurchmesser von 10 nm bis 1 mym aufweist und gleichzeitig den beiden anderen Tests (bzgl. Nickelpermeabilität und Überspannung) des Disclaimers genügt,

durch den Disclaimer vom Gegenstand von Anspruch 1 wie ursprünglich eingereicht ausgeschlossen, fällt aber nun doch unter den Gegenstand von Anspruch 1 wie erteilt.

Wegen dieser Überschneidung ist der Gegenstand von Anspruch 1 zumindest in bestimmten Aspekten breiter als der Gegenstand von Anspruch 1 wie ursprünglich eingereicht.

7. Argumentationslinie 2: Der allgemeine Teil der Beschreibung wie ursprünglich eingereicht als Rechtfertigung für die Streichung des Disclaimers

Die Beschwerdegegnerin vertritt die Auffassung, dass die Passage auf Seite 5, Zeile 18 bis Seite 6, Zeile 26 der Beschreibung wie ursprünglich eingereicht den Gegenstand von Anspruch 1 wie erteilt stützt.

Dies trifft jedoch nicht zu, da die vorhergehende Passage auf Seite 5, Zeilen 7 bis 10 ausdrücklich klarstellt, dass der Gegenstand des Disclaimers, d.h. die Vorrichtung der WO 2005/073438, nicht beansprucht wird.

Nun darf die Öffentlichkeit aber nach gängiger Rechtsprechung nicht mit einem Schutzbereich konfrontiert sein, den sich ein Fachmann nach Durchsicht der gesamten technischen Offenbarung der ursprünglich eingereichten Patentanmeldung nicht hätte erschließen können (siehe beispielsweise T 157/90, Gründe 2.2).

Der letzte Satz des vorletzten Absatzes der Entscheidungsgründe 4.5.5 von G 2/10 stellt ebenfalls klar: "Wird hingegen eine Ausführungsform in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung nicht als Teil der Erfindung, sondern etwa als Stand der Technik oder als Vergleichsbeispiel dargestellt, so kann sie überhaupt nicht beansprucht werden".

8. Argumentationslinie 3: Gewährbarkeit der Streichung des Disclaimers in Analogie zu G 1/03

8.1 Die Beschwerdegegnerin vertritt die Auffassung, dass der Disclaimer im vorliegenden Fall nur aus patentrechtlichen Gründen in die ursprünglich offenbarte Fassung aufgenommen worden ist, und zwar um Neuheit gegenüber einem Artikel 54(3) EPÜ Dokument herzustellen. Die Passage auf Seite 4, Zeile 10 bis Seite 5, Zeile 10 der Beschreibung wie ursprünglich eingereicht legt dies dar. In Analogie zu G 1/03 muss ein solcher Disclaimer gestrichen werden dürfen, ohne die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ zu verletzen.

8.2 Dieses Argument überzeugt ebenfalls nicht. Die Situation in den beiden Fällen ist nicht vergleichbar:

- Während sich G 1/03 mit dem Einfügen eines in der ursprünglich Fassung nicht offenbarten Disclaimers befasst, wird im Streitpatent ein in der ursprünglichen Fassung bereits vorhandener Disclaimer gestrichen.

- Während das Einfügen eines solchen ursprünglich nicht offenbarten Disclaimers nach G 1/03 zu einer Einschränkung des beanspruchten Gegenstandes führt, führt im vorliegenden Fall das Streichen des bereits offenbarten Disclaimers zu einer zumindest teilweisen Erweiterung des Anspruchsgegenstandes (siehe Punkt 6.).

Die Schlussfolgerungen aus G 1/03 können daher nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden.

8.3 Die Rechtsprechung legt für den vorliegenden Fall im Gegenteil die Schlussfolgerung nahe, dass die Streichung des ursprünglich vorhandenen Disclaimers Artikel 123(2) EPÜ verletzt.

So argumentierte die Beschwerdeführerin in T 136/12 (Gründe 2, 9 und 11), dass ein wegen eines Artikel 54(3) EPÜ Dokuments eingeführter Disclaimer nur ein patentrechtliches Mittel darstellt und bei der Bewertung von Artikel 123(3) EPÜ nicht zu berücksichtigen sei.

In diesem Fall hatte sich im Nachhinein herausgestellt, dass die Priorität des Dokuments des Standes der Technik nicht gültig war. Somit konnte es auch nicht unter Artikel 54(1) und (3) EPÜ neuheitsschädlich sein.

Bei der Bewertung von Artikel 123(2) EPÜ berücksichtigte die Kammer den Gegenstand des Disclaimers und kam zum Schluss, dass der Disclaimer unter G 1/03 nicht zulässig war und dass daher Artikel 123(2) EPÜ verletzt war.

In einem Hilfsantrag war dann versucht worden, den Disclaimer einzuschränken, was zu einer Erweiterung des Schutzumfangs führte. Dies wiederum verletzte Artikel 123(3) EPÜ. Also wurde der Gegenstand des Disclaimers hierbei ebenfalls berücksichtigt.

Die Kammer sieht keine Veranlassung, von dieser Auffassung abzuweichen. Daher muss der Gegenstand des Disclaimer hinsichtlich Artikel 123(2) EPÜ berücksichtigt werden.

8.4 Die Tatsache, dass das Streitpatent auf einer Stammanmeldung beruht und dass in einem Hilfsantrag dieser Stammanmeldung der gleiche Disclaimer als nicht offenbarter Disclaimer entsprechend den Kriterien von G 1/03 eingeführt worden ist, ist für den vorliegenden Fall ebenfalls ohne Belang. In der Tat muss eine Teilanmeldung nach gängiger Rechtsprechung unabhängig von der Stammanmeldung die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ erfüllen (G 1/05 und G 1/06, jeweils Gründe 9.2).

9. Argumentationslinie 4: Gewährbarkeit der Streichung des Disclaimers nach G 1/05 und G 1/06

9.1 Die Beschwerdegegnerin vertritt schließlich die Auffassung, dass es nach G 1/05 und G 1/06 erlaubt sein muss, den Disclaimer im vorliegenden Fall als unzulässige Änderung wieder zu streichen, damit das Streitpatent im Einklang mit Artikel 76(1) EPÜ ist.

Nach Meinung der Beschwerdegegnerin belegen die Entscheidungsgründe 3.1 und 9.1 von G 1/05 und G 1/06 in diesem Zusammenhang, dass einem in Einklang-Bringen der Anmeldung mit Artikel 76(1) EPÜ Vorrang vor den Erfordernissen von Artikel 123(2) EPÜ einzuräumen ist.

Diese Argumentation überzeugt nicht. Der Entscheidungsgrund 9.1 von G 1/05 und G 1/06 relativiert zwar die Aussage "wonach eine Teilanmeldung eine eigenständige und unabhängige Anmeldung ist" und "genauso zu behandeln ist wie eine normale Anmeldung und denselben Erfordernissen unterliegt" insofern, dass dies nur gilt, "sofern es keine anderslautenden Bestimmungen gibt"; aber der darauffolgende Entscheidungsgrund 9.2 stellt klar, dass "Änderungen in einer Teilanmeldung [] nach Artikel 123 (2) EPÜ in demselben Maße zulässig [sind] wie Änderungen in allen anderen Anmeldungen, die keine Teilanmeldungen sind".

Es ist also nicht so, dass eine Teilanmeldung, die in der ursprünglich eingereichten Fassung über den Gegenstand der Stammanmeldung wie ursprünglich eingereicht hinausgeht, so geändert werden kann, dass sie zwar konform ist mit Artikel 76(1) EPÜ, nicht aber die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ erfüllt.

10. Vorlage an die Große Beschwerdekammer

Für den Fall, dass die Kammer weder die ursprünglichen Ansprüche noch die ursprüngliche Beschreibung als ausreichende Basis ansieht, beantragt die Beschwerdegegnerin die Vorlage der unter Punkt XIII. genannten Frage an die Große Beschwerdekammer.

Die Beschwerdegegnerin hat jedoch keine Rechtsprechung zu vergleichbaren Fällen zitiert, ganz zu schweigen von dabei divergierenden Schlussfolgerungen. Das Fehlen von Rechtsprechung zu vergleichbaren Fällen zeigt außerdem, dass es sich nicht um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handelt.

Wie insbesondere unter den Punkten 8. und 9. dargelegt worden ist, liegt darüber hinaus überhaupt kein Hinweis dafür vor, dass ein in einer Teilanmeldung ursprünglich bereits als "Nicht-Teil der Erfindung" offenbarter Disclaimer in Hinsicht auf Artikel 123(2) EPÜ anders zu behandeln wäre als ein anderes negatives Merkmal.

Somit wird der Antrag auf die Vorlage einer Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer nach Artikel 112(1) EPÜ zurückgewiesen.

Hilfsanträge

11. Die Beschwerdegegnerin räumt ein, dass die Hilfsanträge sinngemäß die gleichen Streitpunkte in Hinsicht auf Artikel 123(2) EPÜ aufweisen wie der Hauptantrag, da auch die Hilfsanträge den Disclaimer nicht enthalten. Eine weitere Diskussion diesbezüglich ist nach Ansicht der Beschwerdegegnerin nicht erforderlich.

12. In der Tat reduzieren die Hilfsanträge 1 bis 5 zwar das Ausmaß der Überschneidung zwischen dem Disclaimer und dem Gegenstand von Anspruch 1, können die Überschneidung aber nicht gänzlich ausräumen.

Daher weisen auch diese Hilfsanträge eine gewisse Erweiterung des beanspruchten Gegenstandes im Vergleich zur ursprünglich eingereichten Fassung auf und erfüllen somit die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ ebenfalls nicht.

So ist der überlappende Bereich mit dem Disclaimer nach der Erhöhung der unteren Grenze des Porendurchmessers in Anspruch 1 auf 0.1 µm (Hilfsanträge 1 und 2) oder 0.2 µm (Hilfsanträge 3 und 4) zwar reduziert worden, nämlich auf den Bereich zwischen 0.1 und 1 µm bzw. zwischen 0.2 und 1 µm, aber immer noch vorhanden.

Entsprechendes gilt auch für die weitere Bedingung, dass Anolyt und der Katholyt die gleiche Zusammensetzung aufweisen (Hilfsanträge 2, 4 und 5). Der Gegenstand des Disclaimers umfasste solche Ausführungsformen ebenfalls.

13. In den Hilfsanträgen 6 bis 10 wurde im Vergleich zu den Hilfsanträgen 1 bis 5 jeweils lediglich der unabhängige Verwendungsanspruch gestrichen. Der unabhängige Vorrichtungsanspruch 1 bleibt davon aber unberührt.

Daher verletzen die Hilfsanträge 6 bis 10 ebenfalls die Artikel 123(2) EPÜ, und die Frage der Berücksichtigung/Zulassung dieser Hilfsanträge kann offen bleiben.

Antrag auf eine gesonderte Vorabentscheidung zur Berücksichtigung der Dokumente D9 und D11 bis D13

14. Die Beschwerdegegnerin beantragt eine gesonderte Entscheidung bezüglich der Berücksichtigung der Dokumente D9 und D11 bis D13 und der in diesem Zusammenhang vorgebrachten Argumente.

Da diese Dokumente jedoch für die Diskussion von Artikel 123(2) EPÜ ohne Bedeutung sind, erübrigt sich dieser Antrag.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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