T 2319/18 (Busspannungsversorgung - Tridonic) of 16.12.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T231918.20221216
Datum der Entscheidung: 16 Dezember 2022
Aktenzeichen: T 2319/18
Anmeldenummer: 12751017.0
IPC-Klasse: H05B 37/02
G06F 13/38
H04L 12/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: BUSSPANNUNGSVERSORGUNG MIT VERRINGERTER VERLUSTLEISTUNG
Name des Anmelders: Tridonic GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Siemens Aktiengesellschaft
Kammer: 3.4.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 100(b)
European Patent Convention Art 69 Protocol Interpretation Sent 3
Schlagwörter: Widerspruch im Anspruchswortlaut
Ausreichende Offenbarung - (nein)
Ausreichende Offenbarung - Verhältnis von Art. 83 zu Art. 84 EPÜ
Rechtssicherheit
Bindung der Kammer an Auslegung des Anspruchs durch die Parteien (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1513/12
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0439/22

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 2 740 329 auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 11 der Patentschrift aufrechtzuerhalten. Die Einspruchsabteilung war darin zum Schluss gekommen, dass der Gegenstand der Verfahrensansprüche 12 - 16, wie erteilt, nicht ausführbar sei.

II. Der Einspruch der Einsprechenden (Beschwerdegegnerin) hatte sich lediglich gegen die Ansprüche 12-16 in der erteilten Fassung gerichtet und war auf die Gründe fehlender Ausführbarkeit (Artikel 100 b) EPÜ), mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ) gestützt.

III. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung beruht im Wesentlichen auf der Interpretation, dass Anspruch 12 zwei "entgegenarbeitende" Schritte enthalte, die jedoch gleichzeitig eintreten sollten (Punkt 7 der angefochtenen Entscheidung). Die Formulierung "bei Erkennen eines Kurzschlusses" weise nämlich nach Auffassung der Einspruchsabteilung auf einen Zeitpunkt - in dem ein Kurzschluss erkannt werde - hin. Aus dem Anspruchswortlaut ergebe sich dann bei Erkennen des Kurzschlusses sowohl ein Verringern als auch eine kurzzeitige Aktivierung der Versorgungsspannung. Das sei widersprüchlich. Der Gegenstand des Anspruchs 12 wie erteilt sei dementsprechend nicht ausführbar.

IV. Nach Auffassung der Patentinhaberin sei der Gegenstand des ursprünglich erteilten Anspruchs 12 sehr wohl ausführbar. Die angefochtene Entscheidung beruhe auf einer "unlogischen und technisch nicht sinnvoll[en]" Auslegung des Anspruchswortlauts. Die Rechtsprechung stelle klar, dass ein Patent mit der Bereitschaft auszulegen sei, es zu verstehen, und nicht mit dem Willen, es misszuverstehen. Die Fachperson entnehme der Formulierung "bei Erkennen des Kurzschlusses, bis das Verarbeitungsmittel ein Ende des Kurzschlusses erkennt", dass nicht auf einen Zeitpunkt abgestellt werde, sondern auf eine Zeitdauer. Auf die kurzzeitige Aktivierung der Versorgungsspannung im Vergleich zur langen Zeitdauer des Vorliegens des Kurzschlusses wurde ebenfalls hingewiesen. Während der verhältnismäßig langen Zeitdauer eines Kurzschlusses werde die Versorgungsspannung kurzzeitig aktiviert, um eine Busstrom-Detektion durchzuführen. Diese technisch sinnvolle Auslegung werde durch die Beschreibung des Patents, insbesondere durch das Ausführungsbeispiel der Figur 6 gestützt.

V. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 wurden die Parteien über die vorläufige Auffassung der Kammer unterrichtet. In der Folge brachte die Patentinhaberin weitere Argumente vor, was die Ausführbarkeit des Verfahrens gemäß Anspruch 12 betrifft. Konkret wurde auf die Sendezeitdauer eines Bits und auf die im Vergleich kurzzeitige Aktivierung der Versorgungsspannung hingewiesen. Das Ausführungsbeispiel der Figur 6 sei eindeutig und falle im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerdekammer unter dem Wortlaut des Anspruchs. Das Gleiche gelte für die Abläufe der Figuren 5b und 5c der Patentschrift. Für die Frage der Ausführbarkeit gehe es darum zu bestimmen, ob die "Gesamtunterlagen des Patents" der Fachperson ermöglichten, die beanspruchte Erfindung auszuführen. Dies sei der Fall, da die Figuren 5b, 5c und 6 eine vollständige Beschreibung des Verlaufs darstellten. Im Laufe der mündlichen Verhandlung wurde wiederholt auf die Bedeutung des Flussdiagramms der Figur 6 hingewiesen. Die Patentinhaberin wies nochmal ausdrücklich darauf hin, dass der Vorgang gemäß Figur 6 durchführbar sei. Im Gegensatz zur früheren Stellungnahme in der Beschwerdeerwiderung (Seite 2, die zwei letzten Absätze) stimmte die Einsprechende selbst dem zu.

VI. Anspruch 12 wie erteilt lautet (mit der von der Einspruchsabteilung verwendeten Merkmalsgliederung):

M1: - Verfahren zur Regelung (Fig.6) einer Busversorgungsschaltung (Fig.1) zur Spannungsversorgung eines digitalen Busses mit mindestens einem Busteilnehmer,

M2: - wobei die Busversorgungsschaltung im Ruhezustand eine DC-Spannung auf den Bus beaufschlagt,

M3: - welche DC-Spannung (Ubus) zur Übermittlung eines Datenbits zumindest zeitweise kurzgeschlossen wird, mit den Schritten (Fig.6):

M4: - überwachen einer elektrischen Größe des Busses,

M5: - erkennen eines Kurzschlusses auf dem Bus durch Überwachung einer elektrischen Größe des Busses durch ein Verarbeitungsmittel,

M6: - zumindest verringern der Versorgungsspannung (Ubus) des Busses bei Erkennen des Kurzschlusses, bis das Verarbeitungsmittel ein Ende des Kurzschlusses erkennt, dadurch gekennzeichnet dass

M7: - bei Erkennen des Kurzschlusses die Busversorgungsschaltung die Versorgungsspannung kurzzeitig aktiviert und den Busstrom (ibv) detektiert.

VII. Die Beschwerdeführerin beantragt, den Einspruch unter Aufhebung und Abänderung der angefochtenen Entscheidung zurückzuweisen.

Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

Ausführbarkeit - Artikel 100 b) EPÜ

1. Auf die Verfahrensschritte M6 und M7 ist eingangs insbesondere hinzuweisen. Die Formulierung ,,bei Erkennen des Kurzschlusses, bis das Verarbeitungsmittel ein Ende des Kurzschlusses erkennt" weist auf eine Zeitdauer hin. Dies ergibt sich nicht zuletzt schon aus einer wörtlichen Auslegung des Nebensatzes "bis ... erkennt", die auf ein durch ein Ereignis definiertes Ende eines Zeitfensters hinweist. Im Kontext der beanspruchten Erfindung definiert somit das Erkennen des Kurzschlusses den Anfang dieser Dauer/dieses Zeitfensters.

2. Daraus folgt, dass beide in den Merkmalen M6 und M7 definierten Schritte (Verringern der Versorgungsspannung bzw. kurzeitige Aktivierung der Versorgungsspannung) nicht notwendigerweise gleichzeitig, aber innerhalb des durch das Erkennen des Kurzschusses und das Ende dieses Kurzschlusses definierten Zeitfensters stattfinden.

3. Der Auffassung der Patentinhaberin, dass durch den Ausdruck ,,bei Erkennen des Kurzschlusses" in Merkmal M7 ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Erkennen des Kurzschlusses und der kurzzeitigen Aktivierung der Versorgungsspannung zum Detektieren des Busstroms hergestellt werden soll, ist zuzustimmen. Dies ergibt sich schon daraus, dass der Schritt des Erkennens denknotwendigerweise erst nach dem Eintreten des zu erkennenden Ereignisses erfolgen kann. Im Kontext der Erfindung erfolgt ein Erkennen z.B. dadurch, dass der Busstrom einen Schwellwert übersteigt. Ein solcher kausaler Zusammenhang ergibt sich ebenfalls aus dem Wortlaut des Merkmals M6. Erst nach dem Eintreten des Kurzschlusses und als Konsequenz dessen Erkennens findet eine Verringerung der Versorgungsspannung statt.

4. Eine über diese kausalen Zusammenhänge hinausgehende Auslegung des Anspruchs, was die Sequenz der unterschiedlichen Ereignissen und Handlungen betrifft, ist dem Anspruchswortlaut aber nicht zu entnehmen. Daraus folgt, dass die in den Merkmalen M6 und M7 definierten Schritte (Verringern der Versorgungsspannung bzw. kurzzeitige Aktivierung der Versorgungsspannung) nicht notwendigerweise gleichzeitig stattfinden, jedenfalls aber innerhalb des durch das Erkennen des Kurzschusses und dessen Endes definierten Zeitfensters.

5. Dieses Verständnis des Anspruchs ändert jedoch nichts am Widerspruch in dessen Wortlaut. Auch die relative Dauer der einzelnen Phasen (Dauer des Kurzschlusses bzw. Aktivierung der Versorgungsspannung) spielt unter den vorliegenden Umständen keine entscheidende Rolle. Der Widerspruch im Anspruch ergibt sich aus den sich gegenseitig ausschließenden und über eine gewisse Zeitdauer andauernden, sich aus dem Verringern der Versorgungsspannung und der kurzzeitigen Aktivierung der Versorgungsspannung ergebenden Zuständen: Infolge der geforderten Verringerung der Busspannung muss innerhalb des gewissen Zeitfensters eine verringerte Busspannungsversorgung vorliegen, während ebenfalls innerhalb dieses Zeitfensters aufgrund der kurzzeitigen Aktivierung der Versorgungsspannung eine erhöhte Versorgungsspannung vorliegen soll.

6. Dass das Heranziehen allgemeiner Auslegungsprinzipien diesen Widerspruch ausräumen könnte, ist nicht ersichtlich. Die Merkmale des Anspruchs 12 sind für sich klar. Darüber hinaus enthält Anspruch 12 keine Angaben, was die eigentliche Zeitdauer des Kurzschlusses oder der eigentlichen Aktivierung der Spannungsversorgung betrifft. Somit ist auch nicht ersichtlich, welche technische Wirkung durch die Merkmalskombination des Anspruchs 12 erreicht werden soll. Für die Suche nach einer technisch sinnvollen Auslegung des Anspruchs bekommt die Fachperson dementsprechend keinerlei Hinweise.

7. Die Einsprechende räumte ein, dass das Flussdiagramm der Figur 6 ein Ausführungsbeispiel für das beanspruchte Verfahren zeige und durchführbar sei. Der Anspruchswortlaut sei jedoch viel breiter als was durch dieses Ausführungsbeispiel und die Zeitabläufe der Figuren 5b und 5c gezeigt würde. In seiner Breite wäre das Verfahren des Anspruchs 12 nicht durchführbar. Der Anspruch enthalte z.B. keine Angaben, was das Detektieren einer fallenden Flanke betreffe, was für die eigentliche Durchführung gemäß dem Ausführungsbeispiel der Figur 6 von besonderer Bedeutung sei.

8. Abgesehen davon, dass die Kammer an die Auslegung der Ansprüche durch die Parteien nicht gebunden ist (T 1513/12, Punkt 4.2.2), ist die Auffassung der Einsprechenden, dass der Wortlaut des Anspruchs 12 zu breit sei, im Hinblick auf die Lehre der Figur 6 schon aus dem Grund nicht überzeugend, da sie auf der Annahme beruht, dass Figur 6 einem Ausführungsbeispiel der Erfindung entspricht. Das ist aber nicht der Fall.

9. Die Kammer hat keine Zweifel, was die Durchführbarkeit des Verfahrens gemäß Figur 6 betrifft. Die Figur beschreibt nämlich eine Sequenz von Aktivierungen und Deaktivierungen der Versorgungsspannung, die zu Zeitverläufen führen, wie z.B. jene der Figur 5b.

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Figur 5b

10. Das Verfahren der Figur 6 entspricht jedoch im Gegensatz zur Auffassung der Einsprechenden in keiner Weise der Definition in Anspruch 12.

11. Das Flussdiagramm der Figur 6 könnte nur dann von Bedeutung sein, wenn die Fachperson aus dem Anspruchswortlaut erkennen würde, dass das Flussdiagramm einem Ausführungsbeispiel der beanspruchten Erfindung entspricht. Dies ist jedoch - wie oben ausgeführt - nicht der Fall, da im Flussdiagramm der Figur 6 das Verringern der Versorgungsspannung tatsächlich unterbrochen wird und somit nicht unter die Definition des Merkmals M6 fällt, das ein Verringern der Versorgungsspannung bis zum Ende des Kurzschlusses vorsieht.

12. Aus den für sich genommen klaren Merkmalen des Anspruchs 12 ergibt sich eine nicht sinnvolle und somit unbestimmte Definition des beanspruchten Verfahrens (Artikel 83 EPÜ). Eine Auslegung des Anspruchs 12 im Sinne des Ausführungsbeispiels der Figur 6 ist unter den vorliegenden Umständen ausgeschlossen. Das Heranziehen der Figur 6 und deren Beschreibung stellte die Fachperson nämlich vor die Herausforderung zu bestimmen, welche Merkmale des Ausführungsbeispiels eigentlich zur Definition der Erfindung gehören. In anderen Worten, das Heranziehen eines Ausführungsbeispiels als Grundlage für eine alternative, wenn auch sinnvolle Auslegung des Anspruchs würde jeden Dritten vor der Aufgabe stellen, zu bestimmen, was oder welche Merkmalskombination des Ausführungsbeispiels unter den Anspruchswortlaut fällt. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist eine solche Vorgehensweise bei der Auslegung eines Anspruchs, der widersprüchliche Merkmale enthält, ausgeschlossen.

13. Auch Artikel 1 des Protokolls über die Auslegung des Artikels 69 EPÜ unterstreicht die Bedeutung der Ansprüche und die der Beschreibung und Zeichnungen bei deren Auslegung. Der Schutzbereich ergibt sich weder aus dem genauen Wortlaut der Patentansprüche noch aus dem, was sich für die Fachperson nach Prüfung der Beschreibung und der Zeichnungen als Schutzbegehren des Patentinhabers darstellt. "Die Auslegung soll vielmehr zwischen diesen extremen Auffassungen liegen und einen angemessenen Schutz für den Patentinhaber mit ausreichender Rechtssicherheit für Dritte verbinden."

14. Aus dem Anspruchswortlaut ergibt sich keine sinnvolle Auslegung des Anspruchs. Das Verfahren des Anspruchs 12 ist wegen des Vorhandenseins von sich gegenseitig ausschließenden Zuständen nicht ausführbar im Sinne des Artikels 100(b) EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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