T 2147/18 () of 5.10.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T214718.20211005
Datum der Entscheidung: 05 October 2021
Aktenzeichen: T 2147/18
Anmeldenummer: 10768958.0
IPC-Klasse: A61L 27/22
A61L 27/34
A61L 27/52
A61K 9/06
A61K 47/42
A61K 31/00
A61K 35/30
A61K 35/32
A61K 38/38
A61K 47/48
A61K 9/00
A61L 27/54
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERWENDUNG VON BIOKOMPATIBLEN ZUSAMMENSETZUNGEN UND HIERAUS POLYMERISIERTEN MATERIALIEN ZUR INHIBIERUNG DER ANGIOGENESE
Name des Anmelders: NMI Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut an der Universität Tübingen
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.10
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 54(5)
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Änderung nach Ablauf der in einer Mitteilung nach R. 100 (2) EPÜ gesetzten Frist - berücksichtigt (ja)
Änderung nach Ablauf der in einer Mitteilung nach R. 100 (2) EPÜ gesetzten Frist - erteilungsfähige Ansprüche
Änderungen - zulässig (ja)
Änderungen - therapeutische Verwendung ursprünglich offenbart
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Ausreichende Offenbarung - therapeutische Anwendung ausreichend offenbart
Neuheit - Neuheit der Verwendung
Neuheit - zweite (bzw. weitere) medizinische Verwendung
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - beanspruchte therapeutische Verwendung nicht naheliegend
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0611/09
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 2411/18

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde des Beschwerdeführers (Anmelders) richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die Europäische Patentanmeldung No. 10 768 958.0 unter Artikel 97(2) EPÜ zurückzuweisen.

II. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung bezog sich auf folgende unabhängige Ansprüche des ihr vorliegenden Hauptantrags:

Anspruch 1:

"Biokompatible Zusammensetzung, die zu einem hydrogelbildenden Material polymerisierbar ist und die auf einem hydrophilen Polymer basiert, wobei das hydrophile Polymer vernetzbares Serumalbumin oder vernetzbares Serumprotein ist, zur Verwendung in der Inhibierung und/oder Prävention der Angiogenese oder Endothelzell-Proliferation."

Anspruch 8:

"Biokompatible Zusammensetzung eines polymerisierten, hydrogelbildenden Materials, das durch Polymerisierung einer auf Serumalbumin oder Serumproteinen basierenden Zusammensetzung erhalten wurde, zur Inhibierung und/oder Prävention der Angiogenese oder Endothelzell-Proliferation."

III. Im Prüfungsverfahren wurden folgende Dokumente des Standes der Technik angeführt:

D1: DE 10 2008 008071 A1

D2: WO 2009/010232 A1

D3: WO 01/60335 A2

IV. Nach Ansicht der Prüfungsabteilung erfüllte die Patentanmeldung in der ihr vorliegenden Form die Erfordernisse des EPÜ aus folgenden Gründen nicht:

a) Der behauptete anti-angiogene Effekt des beanspruchten hydrogelbildenden polymerisierbaren Materials (Albugel bzw. dessen polymerisierbarer Vorstufe) sei nicht nachgewiesen. Insbesondere Beispiel 4 (Hühnerembryo-CAM) zeige nur einen fehlenden angiogenen Einfluss, aber keine Hemmung der Angiogenese. Die beanspruchte Erfindung sei daher nicht ausreichend offenbart (Artikel 83 EPÜ)

b) Neuheit sei nicht gegeben, da Anspruch 1 nicht als Anspruch auf eine zweite medizinische Verwendung unter Artikel 54(5) EPÜ, sondern als Produktanspruch gelesen werden müsse, und zwar aus den im folgenden angeführten Gründen. Da das im Anspruch definierte Albugel an sich aus D1 bekannt sei, sei der Anspruch nicht neu.

i) Der Effekt der Angiogenesehemmung sei kein Symptom einer Krankheit, die vor dem Einbringen der beanspruchten Zusammensetzung vorliege, sondern ein Nebeneffekt des Einbringens der Zusammensetzung selbst. Deshalb sei das Einbringen der Zusammensetzung keine Therapie, weil vor dem Einbringen kein pathologischer Zustand bestehe.

ii) Die Anmeldung zeige nur, dass keine Blutgefäße in das eingebrachte Material, d. h. in das Albugel einwachsen, aber keinen aktiven anti-angiogenen Effekt der Zusammensetzung. Da kein anti-angiogener Effekt auf das umliegende Gewebe gezeigt sei, finde keine therapeutische Behandlung statt. Der Effekt wirke nur auf das Implantat selbst, nicht auf den Körper. Dabei wurde auf T 611/09 verwiesen.

c) Anspruch 8 sei nicht im korrekten Format für einen Anspruch unter Artikel 54(5) EPÜ abgefasst und müsse daher ebenfalls als Produktanspruch gelesen werden. Dieser Anspruch sei daher ebenfalls nicht neu gegenüber der D1.

Diese Einwände wurden gegenüber allen der Prüfungsabteilung vorliegenden Anträge geltend gemacht.

V. In seiner Beschwerdebegründung brachte der Beschwerdeführer vor, die Einwände der Prüfungsabteilung seien unberechtigt. Er verteidigte die Ansprüche in seinem Hauptantrag in der der Entscheidung zugrundeliegenden Fassung.

Eine antiangiogene Wirkung der beanspruchten Zusammensetzungen sei durch die durchgeführten Versuche nachgewiesen. Die Erfordernisse des Artikel 83 EPÜ seien daher erfüllt.

Die nachgewiesene antiangiogene Wirkung der Zusammensetzungen führe zu einer therapeutischen Behandlung des Körpers, nicht nur zu einer Wirkung auf das Implantat. Gemäß Artikel 54(5) EPÜ müsse daher der Verwendungszweck bei der Neuheitsbeurteilung berücksichtigt werden. Alle Ansprüche seien daher neu gegenüber D1.

Erfinderische Tätigkeit sei in der angefochtenen Entscheidung nicht diskutiert. Falls dieser Punkt diskutiert werden müsse, sollte die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen werden.

VI. Am 11. September 2020 teilte die Kammer dem Beschwerdeführer durch eine Mitteilung unter Regel 100(2) EPÜ ihre vorläufige Einschätzung der Sach- und Rechtslage mit.

Die Kammer hielt die Beschwerde im wesentlichen für begründet. Sie war aber der Ansicht, die Ansprüche umfassten auch nicht-therapeutische Anwendungen und müssten daher entsprechend beschränkt werden. Anspruch 8 sei zudem nicht in einem Artikel 54(5) EPÜ entsprechenden Format abgefasst.

VII. Der Beschwerdeführer reichte daraufhin am 19. November 2020 einen geänderten Anspruchssatz ein.

Die geänderten unabhängigen Ansprüche haben folgenden Wortlaut (Änderungen hervorgehoben):

Anspruch 1:

"Biokompatible Zusammensetzung, die zu einem hydrogelbildenden Material polymerisierbar ist und die auf einem hydrophilen Polymer basiert, wobei das hydrophile Polymer vernetzbares Serumalbumin oder vernetzbares Serumprotein ist, zur therapeutischen Verwendung in der Inhibierung und/oder Prävention der Angiogenese oder Endothelzell-Proliferation."

Anspruch 8:

"Biokompatible Zusammensetzung eines polymerisierten, hydrogelbildenden Materials, das durch Polymerisierung einer auf Serumalbumin oder Serumproteinen basierenden Zusammensetzung erhalten wurde, zur therapeutischen Verwendung in der Inhibierung und/oder Prävention der Angiogenese oder Endothelzell-Proliferation."

VIII. Nach telefonischer Rücksprache reichte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 23. Juli 2021 und 20. September 2021 geänderte Anspruchssätze ein, in denen die abhängigen Ansprüche entsprechend an die oben wiedergegebenen unabhängigen Ansprüche angepasst wurden.

IX. Mit Schreiben vom 20. September 2021 beantragte der Beschwerdeführer als alleinigen Antrag die Erteilung eines Patents auf Basis des mit diesem Datum eingereichten Anspruchsatzes.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulässigkeit der geänderten Ansprüche unter Artikel 13(2) VOBK 2020

Gemäß Artikel 13(2) VOBK bleiben Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Ablauf einer in einer Mitteilung unter Regel 100(2) EPÜ gesetzten Frist grundsätzlich unberücksichtigt, sofern keine außergewöhnlichen Umstände durch stichhaltige Gründe dargelegt werden können.

Im vorliegenden Fall hat die Kammer die mit der Beschwerdebegründung vorgebrachten Argumente als überzeugend angesehen; die wesentlichen Zurückweisungsgründe der Prüfungsabteilung waren daher insoweit ausgeräumt. Die spätere Einreichung geänderter Ansprüche ist keine Änderung des Beschwerdevorbringens, sondern im wesentlichen eine Reaktion auf von der Kammer erhobene Einwände, um zu einem erteilungsfähigen Anspruchssatz zu gelangen und eine Zurückverweisung an die Prüfungsabteilung in der Sache (Artikel 111 EPÜ) zu vermeiden.

Unter diesen Umständen wird der geänderte Anspruchssatz ins Verfahren zugelassen.

3. Änderungen (Artikel 123(2) EPÜ)

3.1 Verglichen mit Anspruch 1 in der ursprünglich eingereichten Fassung wurde der ursprüngliche Verwendungsanspruch in einen verwendungsbegrenzten Produktanspruch unter Artikel 54(5) EPÜ umformuliert. Dies ist unter Artikel 123(2) EPÜ nicht zu beanstanden.

Weiterhin wurde der Anspruch auf therapeutische Verwendungen beschränkt. Auch wenn keine diesem geänderten Anspruch wörtlich entsprechende Passage in der ursprünglichen Offenbarung zu finden ist, so wird doch durch die Einführung des Begriffs "therapeutisch" kein ursprünglich nicht offenbarter Sachverhalt eingefügt. Auf Seite 12, zweiter Absatz, wird die Verwendung der beanspruchten Zusammensetzungen in der Behandlung von Angiogenese-assoziierten Krankheiten beschrieben; dies bedeutet ja nichts anderes als Therapie. Dass dies durch Verhinderung der Endothelzellen-Proliferation geschehen soll, wird etwa auf Seite 5, letzter Absatz, offenbart.

3.2 Die in Anspruch 8 sowie in den abhängigen Ansprüchen gemachten Änderungen sind analog. Die bezüglich Anspruch 1 gemachte Begründung gilt daher entsprechend.

4. Ausreichende Offenbarung (Artikel 83 EPÜ).

4.1 Technischer Hintergrund

Die Anmeldung beschreibt ein Material, das die Angiogenese hemmt, d. h. die von Endothelzellen ausgehende Neubildung von Blutgefäßen. Anti-angiogene Medikamente werden etwa in der Tumortherapie eingesetzt, aber auch Implantate können mit derartigen Wirkstoffen beschichtet werden, um die Bildung von unerwünschten Schwellungen oder Verdickungen zu verhindern, siehe Seiten 2 und 3 der Beschreibung.

Bei dem beschriebenen Material handelt es sich um funktionalisiertes Serumalbumin oder Serumprotein, das mittels eines hydrophilen Polymers, etwa PEG, zu einem Hydrogel vernetzt werden kann. Das polymerisierte Material wird gemäß der Nomenklatur der Anmeldung im folgenden als "Albugel" bezeichnet. Die in den Ansprüchen definierten Materialien an sich sind aus der D1 identisch bekannt.

4.2 Da das Material an sich aus D1 bekannt ist, stellt sich die Frage der ausreichenden Offenbarung nicht für das Material selbst, sondern für die beanspruchte Verwendung. Wie von der Prüfungsabteilung richtig angeführt, ist im Fall von Ansprüchen, die auf eine zweite medizinische Verwendung gerichtet sind, die Erzielung der beanspruchten Wirkung ein funktionelles Merkmal des Anspruchs. Es muss daher für den Fachmann in ausreichender Weise offenbart sein, wie diese Wirkung erzielt werden kann (siehe Rechtsprechung, II C, 7.2).

4.2.1 Der experimentelle Teil der Patentanmeldung offenbart unter anderem folgende Ergebnisse:

a) Auf dem Albugel proliferieren keine Endothelzellen, auch bei Zugabe von Gelatine nicht, die normalerweise eine Zellproliferation fördert (siehe Abschnitt "Ergebnisse" auf Seite 18/19 der Anmeldung).

b) VEGF-stimulierte Endothelzellenproliferation kann durch Beschichtung mit Albugel verhindert werden. In mit Albugel beschichtete Filter wachsen keine Endothelzellen ein (siehe Abschnitt "Ergebnisse" auf Seite 21).

c) In einem Hühnereiertest (CAM-Test) wurde nachgewiesen, dass Blutgefäße nicht auf die Albugele zuwachsen (Seite 22). Das gleiche Ergebnis zeigt ein Test in Mäusen (Seite 22/23 der Anmeldung)

Insgesamt wurde nach Ansicht der Kammer gezeigt, dass das Albugel insbesondere deshalb inhibierend auf die Angiogenese wirkt, weil es den Endothelzellen kein Substrat zur Proliferation lässt.

4.2.2 Die Prüfungsabteilung war der Ansicht, die in der Patentanmeldung vorgelegten Daten ließen nur auf eine lokale Abwesenheit eines angiogenen Einflusses schließen. Daraus folge aber nicht, dass das Albugel einen die Angiogenese inhibierenden Effekt habe. Die beanspruchte Inhibierung und/oder Prävention der Angiogenese oder Endothelzell-Proliferation sei daher nicht ausreichend offenbart.

4.2.3 Dem kann die Kammer nicht zustimmen.

Wie oben dargelegt, ist in der Patentanmeldung durch verschiedene in-vitro und in-vivo Tests ein zumindest lokaler antiangiogener Effekt eindeutig nachgewiesen. An Stellen, an denen das Gel aufgebracht wird, findet keine Angiogenese statt, weil sich die Endothelzellen weder festsetzen noch vermehren können. Dieser nachgewiesene Effekt entspricht auch zweifellos der beanspruchten Inhibierung und/oder Prävention der Angiogenese oder Endothelzell-Proliferation.

Weitergehende Daten, etwa aus in-vivo-Versuchen im menschlichen Körper, sind im vorliegenden Fall zum Nachweis der beanspruchten Wirkung nicht erforderlich. Es bestehen keine begründeten Zweifel, dass die erhaltenen Ergebnisse nicht auf eine therapeutische Behandlung des menschlichen/tierischen Körpers übertragbar sein sollen.

Ebenso wenig ist eine systemische Wirkung auf den menschlichen Körper Voraussetzung für die Anerkennung einer therapeutischen Anwendung. Auch lokale Effekte können schließlich therapeutischen Zwecken dienen.

4.3 Der von der Prüfungsabteilung erhobene Einwand unter Artikel 83 EPÜ hält daher einer Überprüfung nicht stand.

5. Neuheit (Artikel 54(5) EPÜ)

5.1 Die Ansprüche sind als verwendungsbegrenzte Produktansprüche gemäß einer zweiten medizinischen Verwendung unter Artikel 54(5) EPÜ formuliert.

Die Prüfungsabteilung hat auf mangelnde Neuheit gegenüber D1 erkannt.

Dabei war unstrittig, dass das Verwendungsmerkmal in der Inhibierung und/oder Prävention der Angiogenese oder Endothelzell-Proliferation in D1 nicht offenbart ist; dort werden identische Materialien zur Wiederherstellung von Geweben oder als Drug-Release-Implantat eingesetzt.

Strittig war hingegen, ob dieses Merkmal des Anspruchs limitierend wirkt. Die Prüfungsabteilung war der Ansicht, die beanspruchte Verwendung sei nicht therapeutisch und dürfe daher nicht als limitierendes Merkmal im Sinne des Artikels 54(5) EPÜ gelesen werden.

5.2 Ein Argument der Prüfungsabteilung war, dass die Angiogenesehemmung, wie in der Patentanmeldung gezeigt, kein Symptom einer Krankheit behandle, das vor dem Einbringen der beanspruchten Zusammensetzung vorliege. Vielmehr sei sie ein Nebeneffekt des Einbringens der Zusammensetzung selbst. Deshalb sei das Einbringen der Zusammensetzung keine Therapie, weil vor dem Einbringen kein pathologischer Zustand bestehe.

Dem kann die Kammer nicht folgen. Selbst wenn, wie von der Prüfungsabteilung angeführt, etwa eine Albugel-Beschichtung auf einem Implantat nur die Nebenwirkungen des Einbringens des Implantats bekämpft, so ist dies doch jedenfalls eine therapeutische oder prophylaktische Verwendung, denn es soll ja das Zustandekommen eines pathologischen Zustands, nämlich von Schwellungen und Verdickungen, verhindert werden. Es ist daher unerheblich, ob vor dem Einbringen des Implantats ein pathologischer Zustand vorlag oder nicht.

5.3 Ein zweites Argument der Prüfungsabteilung war, es werde nur gezeigt, dass keine Blutgefäße in das eingebrachte Albugel einwüchsen. Ein aktiver anti-angiogener Effekt der Zusammensetzung auf das umliegende Gewebe liege nicht vor. Der Effekt wirke nur auf das Implantat selbst, nicht auf den Körper. Dabei wurde auf T 611/09 verwiesen.

Die Kammer folgt dem nicht. Selbst wenn man sich auf den Standpunkt stellen würde, das eingebrachte Albugel führe nur dazu, dass an dessen Rändern keine Angiogenese stattfindet, so wäre dies doch eine Wirkung auf den Körper. Schließlich werden physiologische Vorgänge im Körper, die ansonsten ablaufen würden, gehemmt. Die Wirkung des Albugels richtet sich eindeutig auf den zu therapierenden Körper, und nicht auf das Implantat. Der angeführte Fall T 611/09 betraf eine antibiotische Lösung, die im wesentlichen zur Desinfektion eines Implantats verwendet wurde und keinen Effekt auf den zu therapierenden Körper ausübte. Dieser Fall ist insofern mit der vorliegenden Sachlage nicht vergleichbar.

5.4 Die beanspruchten Verwendungen sind daher therapeutischer Natur. Das Verwendungsmerkmal in der Inhibierung und/oder Prävention der Angiogenese oder Endothelzell-Proliferation muss im Sinne von Artikel 54(5) EPÜ limitierend verstanden werden. Im übrigen sind die vorliegenden Ansprüche nach der im Beschwerdeverfahren durchgeführten Änderung ohnehin wörtlich auf therapeutische Verwendungen beschränkt.

5.5 Weitere Neuheitseinwände wurden nicht angeführt. Auch die Kammer erkennt solche nicht. Neuheit gegenüber den zitierten Dokumenten D1-D3 ist daher gegeben.

6. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

Einwände wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit wurden weder in der angefochtenen Entscheidung noch im vorherigen Verlauf des Prüfungsverfahrens erhoben.

Auch die Kammer sieht gegenüber den zitierten Dokumenten D1-D3 keinen derartigen Einwand.

Keines der Dokumente D1-D3 beschreibt Materialien mit angiogenesehemmenden Eigenschaften.

D1 offenbart das in den vorliegenden Ansprüchen definierten Albugel. Dieses Material kann für verschiedene Zwecke verwendet werden, etwa zur Geweberekonstruktion oder als Drug-Release-Implantat, siehe Anspruch 12 der D1.

Ausgehend von D1 stellte sich für den Fachmann das technische Problem, eine weitere Verwendung für das dort beschriebene Albugel zu finden.

Dieses Problem wurde durch die beanspruchte therapeutische Verwendung zur Inhibierung und/oder Prävention der Angiogenese oder Endothelzell-Proliferation gelöst. Da die beanspruchten Materialien den beanspruchten Effekt zeigen, wurde das Problem tatsächlich gelöst; dies wurde bereits oben im Abschnitt über die ausreichende Offenbarung unter Artikel 83 EPÜ ausgeführt.

Die beanspruchte Lösung ist dem Fachmann aus dem zitierten Stand der Technik nicht nahegelegt. Keines der zitierten Dokumente beschäftigt sich mit Angiogenese oder Endothelzellen-Proliferation. Ein Fachmann hatte daher keinen Anhaltspunkt, dass die in D1 beschriebenen Materialien für die beanspruchten Zwecke geeignet wären.

Erfinderische Tätigkeit gegenüber dem angeführten Stand der Technik ist daher gegeben.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

Die Sache wird an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, ein Patent zu erteilen auf Basis der Ansprüche 1-11 wie eingereicht mit Schreiben vom 20. September 2021 und einer daran noch anzupassenden Beschreibung.

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