T 2087/18 (Handapparat für Telekommunikationsanlage/AVAYA) of 27.7.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T208718.20220727
Datum der Entscheidung: 27 Juli 2022
Aktenzeichen: T 2087/18
Anmeldenummer: 07019896.5
IPC-Klasse: H04M 1/03
H04M 1/60
H04M 1/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Handapparat für eine Breitbandtelekommunikationsanlage
Name des Anmelders: Avaya GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.5.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(8)
European Patent Convention R 103(4)(c)
Schlagwörter: Entscheidung im schriftlichen Verfahren - (ja): Aufhebung der mündlichen Verhandlung nach Mitteilung der Partei, nicht an der Verhandlung teilzunehmen
Neuheit - Hauptantrag und Hilfsantrag (nein)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr in Höhe von 25 %
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - (ja): rechtzeitige Zurücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0003/90
T 0166/17
T 0517/17
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Anmelderin richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die vorliegende europäische Patentanmeldung zurückzuweisen, da der Gegenstand des Anspruchs 1 eines einzigen Antrags nicht neu sei.

II. Der folgende Stand der Technik ist für die vorliegende Entscheidung relevant:

D1: WO 00/21330 A1.

III. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin einen Hilfsantrag ein und beantragte, die Entscheidung der Prüfungsabteilung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage der folgenden Anspruchssätze zu erteilen:

- Hauptantrag (Grundlage der angefochtenen Entscheidung), oder hilfsweise

- Hilfsantrag (mit der Beschwerdebegründung eingereicht).

IV. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020, die der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügt war, teilte die Kammer ihre negative vorläufige Meinung in Bezug auf die Beschwerde unter Verweis auf mangelnde Neuheit mit.

V. In Erwiderung teilte die Beschwerdeführerin der Kammer mit, dass sie nicht an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen beabsichtige und beantragte eine Entscheidung nach Aktenlage. Diese Erwiderung erfolgte innerhalb eines Monats ab Zustellung der in Punkt IV genannten Mitteilung.

VI. Der Termin zur mündlichen Verhandlung wurde daraufhin aufgehoben.

VII. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:

"Handapparat (1) für eine Breitbandtelekommunikations­anlage mit einer Lautsprechereinheit (10), dessen Gehäuse unter Bildung einer Fügekante (6) aus einer Ober- (2) und einer Unterschale (4) zusammengesetzt ist, wobei das Gehäuse die [sic] mit einer Anzahl von das Innere des Handapparates mit dem Freiraum verbindenden Koppelschlitzen (8) versehen ist, dadurch gekennzeichnet, dass die dem Rückraumvolumen (16) der Lautsprechereinheit (10) zugeordneten Koppelschlitze (8) in der Fügekante (6) angeordnet sind."

VIII. Anspruch 1 des Hilfsantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass der kennzeichnende Teil wie folgt lautet (Änderungen gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags durch die Kammer kenntlich gemacht):

"dadurch gekennzeichnet, dass [deleted: die] alle dem Rückraumvolumen (16) der Lautsprechereinheit (10) zugeordneten Koppelschlitze (8) in der Fügekante (6) angeordnet sind."

Entscheidungsgründe

1. Entscheidung im schriftlichen Verfahren - teilweise Rückerstattung der Beschwerdegebühr

Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist die Ankündigung eines Verfahrensbeteiligten, an einer anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilzunehmen, mit der Rücknahme des Antrags auf eine solche mündliche Verhandlung gleichzusetzen (siehe z.B. T 3/90, OJ 1992, 737, Gründe, Punkt 1).

Folglich konnte im vorliegenden Fall die mündliche Verhandlung abgesetzt werden (vgl. auch T 166/17, Gründe, Punkt 1) und eine Entscheidung im schriftlichen

Verfahren ergehen (Artikel 12(8) VOBK 2020).

Des Weiteren erfolgte die Ankündigung der Beschwerdeführerin, an der anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilzunehmen, innerhalb eines Monats ab Zustellung der von der Beschwerdekammer zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung erlassenen Mitteilung (s. Punkt V oben).

Somit sind nach Auffassung der Kammer alle Erfordernisse für eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr in Höhe von 25 % nach Regel 103 (4) c) EPÜ erfüllt (siehe T 517/17, Gründe 6).

2. Hauptantrag - Neuheit (Artikel 54 EPÜ)

2.1 Anspruch 1 des Hauptantrags enthält folgende Merkmale (Gliederung der Kammer):

a) Handapparat für eine Breitbandtelekommunikationsanlage mit einer Lautsprechereinheit,

b) dessen Gehäuse unter Bildung einer Fügekante aus einer Ober- und einer Unterschale zusammengesetzt ist, wobei

c) das Gehäuse mit einer Anzahl von das Innere des Handapparates mit dem Freiraum verbindenden Koppelschlitzen versehen ist, und

d) die dem Rückraumvolumen der Lautsprechereinheit zugeordneten Koppelschlitze in der Fügekante angeordnet sind.

2.2 Auslegung des Anspruchswortlauts

Merkmal c) führt allgemein Koppelschlitze ein, die das Innere des Gehäuses mit dem Freiraum verbinden.

Von diesen Koppelschlitzen werden in Merkmal d) "die dem Rückraumvolumen der Lautsprechereinheit zugeordneten Koppelschlitze" (Unterstreichung durch die Kammer) weiter dahingehend spezifiziert, dass sie in der Fügekante angeordnet sind. Nach Ansicht der Kammer sind damit alle Koppelschlitze gemeint, die dem Rückraumvolumen zugeordnet sind und das Gehäuseinnere mit dem Freiraum verbinden.

Weitere Koppelschlitze, die nicht dem Rückraumvolumen zugeordnet sind oder die nicht mit dem Freiraum verbunden sind, sind von Merkmal d) nicht berührt.

Der Begriff Breitbandtelekommunikation wird in der Regel für Datenübertragungen mit einer Rate verwendet, die über einem bestimmten Wert in der Grössenordnung von beispielsweise 1 Mbit/s liegt. Die Anmeldung selber enthält keine widersprechende Aussage dazu und misst diesem Begriff die Übertragung mit besonders breitem Frequenzspektrum bei (siehe Beginn des Absatzes [0008] der Anmeldung wie veröffentlicht). Die Kammer versteht die Einschränkung Breitband- als auf die Datenübertragung bezogen.

Da sich Anspruch 1 auf einen Handapparat für eine Telekommunikationsanlage richtet und seine Merkmale unabhängig von der Datenübertragungsrate der Telekommunikationsanlage sind, stellt der Zusatz "Breitband-" keine Einschränkung des Handapparats dar.

2.3 D1 offenbart einen Handapparat für eine Telekommunikationsanlage mit einer Lautsprechereinheit ("transducer") (Seite 1, Zeilen 2 - 5 und Seite 7, Zeilen 8 - 14).

Das Gehäuse des Handapparats ist aus einer Ober- und einer Unterschale zusammengesetzt, zwischen denen implizit eine Fügekante ausgebildet ist (Seite 7, Zeilen 4 - 14).

Das Gehäuse weist Öffnungen bzw. Koppelschlitze auf, die akustisch den Innenraum mit dem Aussenraum verbinden (Fig. 1, Öffnungen 41 - 44). Die Oberfläche des Handapparats wird in einen Bereich 31 (im Folgenden "Ohr"-Bereich), der innerhalb eines Auflagefläche eines Ohrmodells 30 liegt, und einen Bereich 32 (im Folgenden "Frei"-Bereich) unterteilt, der ausserhalb der Auflagefläche des Ohrmodells liegt (Seite 8, Zeilen 16 - 23).

Bezüglich der akustischen Verbindungen wird als erfindungswesentlich herausgestellt, dass sowohl das Rückraumvolumen als auch das Frontraumvolumen der Lautsprechereinheit sowohl mit dem "Ohr"-Bereich zur Ankopplung an das Ohr des Benutzers ("for engagement with a user's ear") als auch mit dem "Frei"-Bereich zur Ankopplung an den Freiraum ("ambient air") akustisch verbunden ist (Seite 5, Zeilen 7 - 15 und Seite 6, Zeilen 10 - 12). Es werden somit vier verschiedene akustische Verbindungen unterschieden, die beim bestimmungsgemäßem Gebrauch des Handapparats und in dem in Fig. 1 abgebildeten Zustand vorliegen, in dem der Handapparat am Ohrmodell anliegt (Seite 8, Zeilen 16 - 18). Diesen vier akustischen Verbindungen lassen sich implizit entsprechende Öffnungen oder Koppelschlitze zuordnen.

Die Koppelschlitze zur Verbindung des Rückraumvolumens mit dem Freiraum können in der Fügekante angeordnet sein ("According to the invention, the acoustic connection between the rear side of the transducer diaphragm and the surrounding air ... may even be formed as a discontinuity in the form of an incision in one of the edges of the shells at the assembly", Seite 7, Zeilen 8 - 14, Fig. 1: Koppelschlitze 43). Weitere Koppelschlitze zur Ankopplung des Rückraumvolumens an den Freiraum sind nicht offenbart.

D1 offenbart somit, dass alle Koppelschlitze, die dem Rückraumvolumen zugeordnet sind und dieses mit dem Freiraum verbinden, in der Fügekante angeordnet sind.

2.4 D1 offenbart somit einen Handapparat für eine Telekommunikationsanlage mit allen Merkmalen des Anspruchs 1, der damit nicht neu ist.

2.5 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass beim Handapparat der D1 nicht sämtliche dem Rückraumvolumen zugeordneten Koppelschlitze in der Fügekante angeordnet seien.

Die Kammer stimmt dem zu, merkt aber an, dass in Anspruch 1 diese Einschränkung für die Koppelschlitze gilt, die den Innenraum des Handapparats mit dem Freiraum verbinden. Bei Betrachtung nur der Koppelschlitze des Handapparats der D1, die der Ankopplung des Innenraums an den Freiraum dienen, ist es allerdings ebenso zutreffend, dass alle diese Koppelschlitze in der Fügekante angeordnet sind.

Weiter argumentiert die Beschwerdeführerin, dass in der D1 die Anordnung der Koppelschlitze in der Fügekante nur zufällig sei und dass dem Fachmann die daraus resultierenden Vorteile aus der D1 in keiner Weise bewusst seien.

Die Kammer ist dagegen der Ansicht, dass der Offenbarungsgehalt der D1 unabhängig davon ist, ob Gründe für die Anordnung der Koppelschlitze in der Fügekante angegeben sind. Abgesehen davon ist der damit erzielte Effekt einer Reduzierung der Schallleckage durch die Rückseite des Handapparats offensichtlich und war für den Fachmann zum Prioritätszeitpunkt ersichtlich (Absatz [0008] der Anmeldung wie veröffentlicht).

2.6 Der Hauptantrag ist somit nicht nach Artikel 54 EPÜ gewährbar.

3. Hilfsantrag - Neuheit (Artikel 54 EPÜ)

3.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags nur dadurch, dass in Merkmal d) klargestellt ist, dass alle dem Rückraumvolumen zugeordneten Koppelschlitze in der Fügekante angeordnet sind.

Da Anspruch 1 des Hauptantrags bereits in dieser Art ausgelegt wurde, gelten die Ausführungen zur mangelnden Neuheit von Anspruch 1 des Hauptantrags auch für Anspruch 1 des Hilfsantrags, der somit nicht neu ist.

3.2 Somit ist auch der Hilfsantrag nicht nach Artikel 54 EPÜ gewährbar.

4. Da kein gewährbarer Anspruchssatz vorliegt, ist die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Die Beschwerdegebühr wird in Höhe von 25 % zurückgezahlt.

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