T 2066/18 (Suspension/BASF) of 7.7.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T206618.20210707
Datum der Entscheidung: 07 Juli 2021
Aktenzeichen: T 2066/18
Anmeldenummer: 10710346.7
IPC-Klasse: A23D 7/005
A23K 20/179
A23L 33/10
A23K 20/105
A23L 2/52
A61K 31/07
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: GEBRAUCHSFERTIGE, STABILE SUSPENSION TEILAMORPHER BETA-CAROTINPARTIKEL
Name des Anmelders: BASF SE
Name des Einsprechenden: DSM Nutritional Products AG
Kammer: 3.3.09
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Spät eingereichter Antrag - zugelassen (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0936/09
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, das Patent EP 2 413 710 zu widerrufen.

II. Die Einsprechende hatte den Widerruf des Patents im gesamten Umfang insbesondere auf Grundlage der Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit und Ausschluss unter Artikel 52(2)(a) EPÜ), Artikel 100 b) EPÜ und Artikel 100 c) EPÜ beantragt.

III. Anspruch 1 des Patents wie erteilt lautet wie folgt:

"Gebrauchsfertige, stabile Suspension teilamorpher beta-Carotin Partikel, enthaltend:

1 bis 20 Gew.-% beta-Carotin,

0,2 bis 20 Gew.-% eines essbaren Öles,

3 bis 60 Gew.-% Octenyl-Succinat Stärke als hydrophiles Schutzkolloid,

5 bis 60 Gew.-% eines physiologisch verträglichen Polyalkohols und

5 bis 60 Gew.-% Wasser,

wobei sich die Gew.-%-Angaben auf die gebrauchsfertige, stabile Suspension beziehen, die Summe der Anteile des beta-Carotins, des essbaren Öles, der Octenyl-Succinat Stärke, des physiologisch verträglichen Polyalkohols und des Wassers zusammen mindestens 80 Gew.-% beträgt, und das Gewichtsverhältnis zwischen beta-Carotin und essbarem Öl von 1:0,01 bis 1:2 reicht."

IV. Die Einspruchsabteilung hat unter anderem entschieden, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 bis 4 und 8 bis 13 des Patents wie erteilt gegenüber D2 nicht neu sei und der Gegenstand der Ansprüche 1, 2 und 4 des Patents wie erteilt gegenüber D4 als nächstliegendem Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

V. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin einen Hauptantrag und Hilfsantrag 1 ein.

Anspruch 1 des Hauptantrags (eine Kombination der Ansprüche 1 und 5 des Patents wie erteilt) betrifft eine gebrauchsfertige, stabile Suspension teilamorpher ß-Carotin Partikel enthaltend,

3 bis 10 Gew.-% ß-Carotin,

1 bis 5 Gew.-% mittelkettiges Triglycerid als essbares Öl,

0,5 bis 2,0 Gew.-% d,l-alpha-Tocopherol,

10 bis 24 Gew.-% Octenyl-Succinat Stärke als hydrophiles Schutzkolloid,

30 bis 40 Gew.-% Glycerin als physiologisch verträglichen Polyalkohol und

30 bis 40 Gew.-% Wasser,

wobei sich die Gew.-%-Angaben auf gebrauchsfertige, stabile Suspension beziehen, die Summe der Anteile von ß-Carotin, mittelkettigem Triglycerid, d,l-alpha-Tocopherol, Octenyl-Succinat Stärke, Glycerin und Wasser zusammen mindestens 95 Gew.-% beträgt, und das Gewichtsverhältnis zwischen ß-Carotin und mittelkettigem Triglycerid von 1:0,3 bis 1:0,7 reicht.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass an dessen Ende das Merkmal "und wobei die beta-Carotin Partikel eine mittlere Teilchengröße von 0,05 bis 0,8 mym und durchschnittlich einen röntgenamorphen Anteil zwischen 50 und 100 % aufweisen" (Merkmale des Anspruchs 6 des Patents wie erteilt) eingefügt wurde.

VI. Die Einsprechende (Beschwerdegegnerin) argumentierte in ihrer Beschwerdeerwiderung unter anderem, unter Verweis auf T 936/09, dass der (neue) Hauptantrag und Hilfsantrag 1 nicht zum Verfahren zugelassen werden sollten.

VII. Die Kammer erließ eine Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK, in der sie erklärte, dass sie beabsichtige, den Hauptantrag und Hilfsantrag 1 nicht zum Verfahren zuzulassen.

VIII. Die Beschwerdegegnerin nahm ihren Einspruch zurück und war somit nicht länger am Verfahren beteiligt.

IX. Die Beschwerdeführerin beantrage eine Entscheidung nach Aktenlage.

X. Anträge

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage des Hauptantrags oder Hilfsantrags 1, beide mit der Beschwerdebegründung eingereicht.

Entscheidungsgründe

1. Artikel 12(4) VOBK 2007

1.1 Nach Artikel 12(4) VOBK 2007 berücksichtigt die Kammer das gesamte Vorbringen der Beteiligten nach Artikel 12(1) VOBK 2007, wenn und soweit es sich auf die Beschwerdesache bezieht und die Erfordernisse des Artikel 12(2) VOBK 2007 erfüllt. Artikel 12(4) VOBK 2007 stellt es jedoch in das Ermessen der Kammer, Tatsachen, Beweismittel oder Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können.

1.2 Die Kammer hat in ihrer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK die vorläufige Meinung vertreten, dass sie nicht beabsichtige, den Hauptantrag und Hilfsantrag 1 zum Verfahren zuzulassen (Artikel 12(4) VOBK 2007). In dieser Beurteilung folgte die Kammer der Meinung der Beschwerdegegnerin, die gestützt auf T 936/09 argumentierte, dass sowohl der mit der Beschwerdebegründung eingereichte Hauptantrag als auch Hilfsantrag 1 nicht zum Verfahren zugelassen werden sollten.

1.3 Die Beschwerdeführerin hat keine Gründe vorgebracht, die rechtfertigen könnten, den Hauptantrag und Hilfsantrag 1 zum Verfahren zuzulassen. Auch nach der Mitteilung der Kammer und der Rücknahme des Einspruchs der Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin keine Argumente vorgebracht, die für eine Berücksichtigung des Hauptantrags und Hilfsantrags 1 im Beschwerdeverfahren sprechen könnten.

1.4 Aus den folgenden Gründen übt die Kammer ihr Ermessen nach Artikel 12(4) VOBK 2007 dahingehend aus, den Hauptantrag und Hilfsantrag 1 nicht zum Verfahren zuzulassen.

1.4.1 Nach Ansicht der Kammer ist T 936/09 im vorliegenden Fall einschlägig. Die darin getroffenen wesentlichen Schlussfolgerungen können kurz wie folgt zusammengefasst werden.

Die Patentinhaberin ist nach dem EPÜ rechtlich zwar nicht verpflichtet, sich aktiv am Einspruchsverfahren zu beteiligen. Allerdings steht es ihr auch nicht frei, ihr Vorbringen im Laufe des Einspruchs- oder Einspruchsbeschwerdeverfahrens jederzeit nach Belieben darzulegen oder zu ergänzen. Beschließt die Patentinhaberin, sich inhaltlich überhaupt nicht zum Einspruch zu äußern - beispielsweise durch Argumente oder durch Einreichung geänderter Ansprüche - oder beschließt sie, ihr Vorbringen im Stadium des erstinstanzlichen Verfahrens nicht zu ergänzen, sondern nimmt erst in der Beschwerdeschrift oder der Beschwerdebegründung dazu Stellung bzw. ergänzt ihr Vorbringen dort, dann muss sie damit rechnen, dass die Kammer ihr Vorbringen in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12(4) VOBK 2007 nicht in das Beschwerdeverfahren zulässt (siehe Entscheidungsgründe, Punkt 9).

1.4.2 Die Kammer teilt die in T 936/09 getroffenen Schlussfolgerungen und hält sie für auf den vorliegenden Fall anwendbar.

1.4.3 Die Beschwerdeführerin hat im Verfahren vor der Einspruchsabteilung keine Erwiderung auf den Einspruchsschriftsatz und auch keinen Antrag eingereicht oder Argumente vorgebracht. Auch in sonstiger Weise hat sie sich nicht am erstinstanzlichen Verfahren beteiligt, sondern lediglich die Entscheidung abgewartet. Da die Einspruchsabteilung Gründe sah, die gegen die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung sprachen, hat sie das Patent widerrufen.

1.4.4 Die Beschwerdeführerin hat sich freiwillig dazu entschieden, sich nicht am Verfahren vor der Einspruchsabteilung zu beteiligen und im erstinstanzlichen Verfahren keinerlei Anträge zu stellen bzw. Argumente vorzubringen.

Folglich verteidigt sie das Patent nun erstmals im Beschwerdeverfahren im Rahmen des vorliegenden (neuen) Hauptantrags und Hilfsantrags 1, um bereits mit dem Einspruchsschriftsatz erhobenen Einwänden entgegenzutreten. Von Seiten der Beschwerdeführerin wurden kein Gründe vorgebracht, warum die Anträge erst im Beschwerdeverfahren gestellt worden sind.

Dies ist nicht im Einklang mit einer effizienten Verfahrensführung, sowie generell der Anforderung an ein ordnungsgemäßes Überprüfungsverfahren. Die Parteien trifft auch eine Pflicht zur sorgfältigen und beförderlichen Verfahrensführung. Dazu gehört es, alle relevanten Tatsachen, Beweismittel, Argumente und Anträge so früh und vollständig wie möglich vorzulegen. Dies wurde im vorliegenden Fall von der Beschwerdeführerin nicht getan.

1.4.5 Unter Berücksichtigung des passiven Verhaltens der Beschwerdeführerin im Verfahren vor der Einspruchsabteilung ist die Kammer der Ansicht, dass die Zulassung des Haupt- und Hilfsantrags 1 nicht im Einklang mit dem rechtlichen Charakter des Beschwerdeverfahrens wäre.

Im Falle der Zulassung dieser Anträge würde die Beschwerdeführerin erstmals im Beschwerdeverfahren überhaupt versuchen, das Patent zu verteidigen. Dies hätte zur Folge, dass das Beschwerdeverfahren lediglich eine Fortsetzung des Einspruchsverfahrens wäre, was nicht Sinn und Zweck des Beschwerdeverfahrens ist.

1.4.6 Anspruch 1 des Hauptantrags geht zurück auf eine Kombination der Ansprüche 1 und 5 des Patents wie erteilt und Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 basiert auf einer Kombination der Ansprüche 1, 5 und 6 des Patents wie erteilt.

Derartige Gegenstände sind in der Entscheidung der Einspruchsabteilung weder ausdrücklich diskutiert worden, noch ist darüber entschieden worden. Der Entscheidung ist lediglich explizit zu entnehmen, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 bis 4 und 8 bis 13 des Patents wie erteilt gegenüber D2 nicht neu sei und der Gegenstand der Ansprüche 1, 2 und 4 des Patents wie erteilt gegenüber D4 als nächstliegendem Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Somit setzt sich die Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung auch inhaltlich nicht mit der angefochtenen Entscheidung auseinander, sondern versucht diese gerade zu umgehen.

1.4.7 Die Beschwerdeführerin hat keine Gründe vorgebracht, warum die Entscheidung der Einspruchsabteilung fehlerhaft gewesen sein könnte. Durch Aufnahme der Merkmale des Anspruchs 5 wie erteilt in Anspruch 1 verlagert sich der Schwerpunkt der Diskussion in Bezug auf den Hauptantrag und Hilfsantrag 1 verglichen mit dem erstinstanzlichen Verfahren auch wesentlich, so dass in der Beschwerde nun ein neu gelagerter Fall entsteht, der neue Fragen aufwirft.

1.4.8 Auch hat die Beschwerdeführerin selbst in Kenntnis der negativen vorläufigen Meinung der Kammer zur Frage der Zulassung des Hauptantrags und Hilfsantrags 1 keinerlei Argumente vorgebracht, die für eine Zulassung dieser Anträge zum Verfahren sprechen könnten, sondern stattdessen eine Entscheidung nach Aktenlage beantragt. Angesichts dieser Umstände sieht die Kammer keinen Grund, warum sie ihre in der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK abgegebene vorläufige Meinung ändern sollte.

1.4.9 Die Beschwerdeführerin hätte den Hauptantrag und Hilfsantrag 1 bereits im Verfahren vor der Einspruchsabteilung vorbringen können und sollen, um berücksichtigt werden zu können.

Vor diesem Hintergrund entscheidet die Kammer, den Hauptantrag und Hilfsantrag 1 nicht zum Verfahren zugelassen.

2. Somit liegt kein (gewährbarer) Antrag vor.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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