T 2063/18 (Lithiumsilikat Glaskeramik/Ivoclar) of 25.5.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T206318.20200525
Datum der Entscheidung: 25 Mai 2020
Aktenzeichen: T 2063/18
Anmeldenummer: 13179987.6
IPC-Klasse: C03C10/12
A61K6/027
A61K6/02
C03C3/095
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Lithiumsilikat-Glaskeramik und -Glas mit Gehalt an ZrO2
Name des Anmelders: Ivoclar Vivadent AG
Name des Einsprechenden: Vita Zahnfabrik H. Rauter GmbH & Co. KG
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 76(1) (2007)
European Patent Convention Art 123(2) (2007)
European Patent Convention Art 123(3) (2007)
European Patent Convention Art 83 (2007)
European Patent Convention Art 54 (2007)
European Patent Convention Art 56 (2007)
Schlagwörter: Teilanmeldung - unzulässige Erweiterung (nein)
Änderungen - zulässig (ja)
Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0500/11
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) und der ehemaligen Einsprechenden betreffen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, dass das europäische Patent EP-B1-2 664 594 in geändertem Umfang basierend auf dem Hilfsantrag 1 den Erfordernissen des EPÜ genüge.

Die Einspruchsabteilung entschied, dass die Einspruchsgründe unter Artikel 100(b) EPÜ sowie Artikel 100(c) EPÜ nicht durchgriffen, dass jedoch Anspruch 1 wie erteilt nicht neu gegenüber D6 sei und Anspruch 12 wie erteilt nicht neu gegenüber D9 sei. Der damalige Hilfsantrag 1 wurde als gewährbar angesehen.

II. Folgende in der angefochtenen Entscheidung zitierten Dokumente sind hier von Relevanz.

D5: Höland, W. et al.; Phil. Trans. R. Soc. Lond. A (2003) 361, 575-589

D6: DE 197 50 794 A1

D9: EP 0 690 031 A1

D21: US 2003/0073563 A1

III. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin unter anderem einen Hilfsantrag 1A ein, der jetzt alleiniger Antrag ist.

Der für die vorliegende Entscheidung relevante unabhängige Anspruch 1, der dem erteilten Anspruch 1 entspricht, und der unabhängige Anspruch 12 lauten wie folgt:

"1. Verwendung einer Lithiumsilikat-Glaskeramik, die 8,0 bis 16,0 Gew.-% ZrO2 enthält und Lithiummetasilikat oder Lithiumdisilikat als Hauptkristallphase aufweist, zur Beschichtung dentaler Restaurationen und insbesondere zur Beschichtung von Zirkonoxidkeramiken."

"12. Verwendung eines Lithiumsilikatglases mit Keimen, die zur Ausbildung von Lithiummetasilikat- oder Lithiumdisilikatkristallen als Hauptkristallphase geeignet sind, wobei das Glas 8,0 bis 16,0 Gew.-% ZrO2 enthält, zur Beschichtung dentaler Restaurationen und insbesondere zur Beschichtung von Zirkonoxidkeramiken."

IV. Die Einsprechende nahm ihren Einspruch am 10. Dezember 2018 zurück.

V. Die mündliche Verhandlung fand am 25 Mai 2020 als Videokonferenz statt. Darin machte die Beschwerdeführerin ihren den Hilfsantrag 1A zu ihrem einzigen Antrag.

VI. Die Beschwerdeführerin beantragt die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf Basis des einzigen Antrags, eingereicht als Hilfsantrag 1A mit der Beschwerdebegründung.

Entscheidungsgründe

1. Zu den Ansprüchen 14 bis 16 wurde in der Entscheidung nicht explizit Stellung genommen und im Beschwerdeverfahren nichts vorgetragen, sodass nur Ansprüche 1 bis 13 zur Debatte stehen.

2. Artikel 100(c) EPÜ in Verbindung mit Artikel 76(1) EPÜ

Die Bedingungen des Artikels 76(1) EPÜ sind erfüllt. Anspruch 1 geht unmittelbar und eindeutig aus der Kombination der Ansprüche 19, 18 und 2 bis 4 der Stammanmeldung (EP 11162840.0) hervor. Der Gegenstand der Ansprüche 2 bis 11 basiert auf den Ansprüchen 3-4 sowie 7 bis 13 der Stammanmeldung. Anspruch 12 geht aus einer Kombination der Ansprüche 19, 18, 14 und 2 hervor. Zudem ergibt sich aus der Beschreibung der Stammanmeldung (Seite 6, Zeilen 15, 16, 22 und 23 in Kombination mit Seite 8, Zeilen 14 bis 16), dass die Keime bevorzugt geeignet sein sollen, Lithiummetasilikat- oder Lithiumdisilikatkristalle als Hauptkristallphase auszubilden. Anspruch 13 geht aus Anspruch 16 der Stammanmeldung hervor.

3. Artikel 100(c) EPÜ in Verbindung mit Artikel 123(2) EPÜ

Die Bedingungen des Artikels 123(2) EPÜ sind aus folgenden Gründen erfüllt:

Ansprüche 1 bis 11 und 13 entsprechen Ansprüchen 1 bis 11 und 13 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung. Anspruch 12 geht unmittelbar und eindeutig aus Anspruch 12 in Kombination mit der Offenbarung in der Beschreibung auf Seite 8, Zeilen 9 bis 14 und Seite 4, Zeilen 2 bis 5 hervor.

4. Artikel 123(3) EPÜ

Der einzige geänderte Anspruch gegenüber dem erteilten Patent ist Anspruch 12. Der Rückbezug in Anspruch 12 des erteilten Patents auf die Komponenten der in einem der Ansprüche 1 oder 4 bis 10 definierten Glaskeramik ist so auszulegen, dass dieser sich nur auf die Ausgangskomponenten des Ausgangsglases, also nur auf ZrO2 bezieht, nicht jedoch auf die Gewichtsangaben und auch nicht auf die Kristallphase. Anspruch 12 ist jetzt gegenüber Anspruch 12 des erteilten Patents dahingehend eingeschränkt, dass das zu verwendende Glas 8,0 bis 16,0 Gew.-% ZrO2 enthalten muss, was gemäß erteiltem Anspruch 12 durch die fehlende Gewichtsangabe nicht der Fall war.

Die Bedingungen des Artikels 123(3) EPÜ sind somit erfüllt.

5. Artikel 100(b) EPÜ

Die Kammer stimmt mit der Einspruchsabteilung überein, dass die Ausführbarkeit, angesichts der zahlreichen Beispiele im Patent und des Fehlens von Gegenbeispielen gemäß Patent seitens der ehemaligen Einsprechenden, die Ausführbarkeit nicht in Frage gestellt werden kann. Die Unschärfe in der Quantifizierung der Kristallphasen ist ein Problem der Klarheit, das im vorliegenden Fall nicht die Ausführbarkeit betrifft.

Die in der Beschwerdebegründung der ehemaligen Einsprechenden vorgelegten Versuchsresultate betreffen nicht Glaskeramiken gemäß dem Patent und sind deshalb nicht relevant für die Ausführbarkeit des vorliegenden Patents.

6. Artikel 100(a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ

Den Neuheitseinwänden der Einspruchsabteilung gegen Ansprüche 1 und 12 kann aus folgenden Gründen nicht zugestimmt werden:

6.1 D9 beschreibt keine Glaskeramik, die Lithiummetasilikat oder Lithiumdisilikat als Hauptkristallphase aufweist. Es soll vielmehr eine ZrO2-Kristallphase und eine weitere Kristallphase, wie z.B. Lithiumphosphat, vorliegen (Ansprüche 1 und 5 sowie Tabelle II). Deswegen kann auch nicht gefolgert werden, dass ein Glas beschrieben ist, das Keime enthält, die geeignet sind Lithiummetasilikat oder Lithiumdisilikat als Hauptkristallphase auszubilden. Die Bildung solcher Keime erfordert eine spezifische kontrollierte Wärmebehandlung des Ausgangsglases, sodass in diesem Glas mit Keimen anschließend durch eine weitere spezifische Wärmebehandlung die gewünschten Lithiummetasilikat- oder Lithiumdisilikatkristalle gebildet werden können. Es fehlt an jeder Offenbarung, dass das Vorhandensein beliebiger Keime zur Bildung von Lithiummetasilikat oder Lithiumdisilikat als Hauptkristallphase geeignet wäre.

6.2 Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass die Bereichsgrenze des Gew.-% Anteils an ZrO2 als explizit offenbart anzusehen ist (siehe T 500/11, Gründe 2.4), so offenbart D6 nicht unmittelbar und eindeutig, dass die dort gezeigte Lithiumdisilikat Glaskeramik zur Beschichtung dentaler Restaurationen verwendet wird. Die Offenbarung auf Seite 5 (Zeilen 66 bis 68), dass bevorzugte geformte Dentalprodukte Dentalrestaurationen sind, wie z. B. ein Inlay, ein Onlay, eine Brücke, ein Stiftaufbau, eine Verblendung, ein Veneer, eine Facette, eine Krone oder eine Teilkrone, lässt nicht den Schluss zu, dass es sich zwingend um eine Beschichtung handelt. Auch wenn die beschriebenen Dentalrestaurationen Beschichtungen enthalten können, so wird eine solche dort nicht unmittelbar und eindeutig offenbart.

6.3 Der Neuheitseinwand basierend auf D5 wurde von der ehemaligen Einsprechenden im Beschwerdeverfahren nicht mehr vorgetragen.

7. Artikel 100(a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ

7.1 Anspruch 1

7.1.1 Die Erfindung betrifft die Verwendung von Lithiumsilikatglas enthaltend ZrO2 zur Herstellung dentaler Restaurationen (Absatz [0001]).

7.1.2 D6 wird als nächstliegender Stand der Technik angesehen, da es geformte Dentalprodukte wie z.B. ein Inlay, ein Onlay, eine Brücke, ein Stiftaufbau, eine Verblendung, ein Veneer, eine Facette, eine Krone oder eine Teilkrone offenbart, die aus einer Lithiumdisilikat-Glaskeramik bestehen, die bis zu 10 Gew.-% ZrO2 enthalten können (Ansprüche 1, 9 und 18).

7.1.3 Die zu lösende Aufgabe besteht darin, die Oberfläche der dentalen Restauration zu verändern, wobei eine im wesentlichen von Rissen und Sprüngen freie Beschichtung gebildet wird (siehe Absätze [0003] und [0010]).

7.1.4 Die Aufgabe wird durch die Verwendung gemäß Anspruch 1 gelöst, dadurch gekennzeichnet, dass die Glaskeramik zur Beschichtung dentaler Restaurationen verwendet wird.

7.1.5 Es gibt keine Grund zu zweifeln, dass die Aufgabe erfolgreich gelöst wird.

7.1.6 Die Lösung scheint aus folgenden Gründen nicht naheliegend:

D6 offenbart nicht, dass die beschriebene transluzente Lithiumdisilikat-Glaskeramik auch zur Beschichtung dentaler Restaurationen verwendet werden kann. Im offenbarten Beispiel werden die Glaskeramik-Rohlinge zu dentalkeramischen Restaurationen verarbeitet. Daraus geht nicht hervor, dass diese Glaskeramik auch dazu geeignet wäre, auf eine andere Restauration aufgetragen zu werden, und dass dabei eine von Rissen und Sprüngen freie Beschichtung gebildet würde. Zudem enthalten die beispielhaft gezeigten Ausgangsgläser in Tabelle 1 maximal 6.1 Gew.% ZrO2.

D21 offenbart nicht eindeutig, dass die Lithiumdisilikat Glaskeramiken die Oberfläche von dentalen Restaurationen beschichten können. Zudem enthalten die in Beispiel 2 benutzten Zusammensetzungen 2, 6, 8 und 9 kein Zirkonium. Zwar sind Zusammensetzungen, die bis 3% Zirkonium enthalten, in D21 offenbart (Tabelle 1). Trotzdem gibt es keinen Hinweis, dass eine Glaskeramik, enthaltend 8 bis 16 Gew.-% ZrO2, also deutlich mehr als die in D21 offenbarte Menge, die formulierte Aufgabe erfolgreich lösen kann.

Wie unter Punkt 6.2 beschrieben, offenbart D9 keine Glaskeramik, die Lithiumdisilikat oder Lithiummetasilikat enthält. Zudem beschäftigt sich D9 nicht mit der Beschichtung dentaler Restaurationen.

7.1.7 Der Gegenstand des Anspruchs 1 und der abhängigen Ansprüche 2 bis 11 beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.

7.2 Anspruch 12

Die für Anspruch 1 vorgebrachte Argumentation gilt auch hier, da das Glas Keime enthalten muss, die geeignet sind zur Ausbildung von Lithiummetasilikat- oder Lithiumdisilikatkristallen als Hauptkristallphase. Das Glas stellt somit eine Vorgängerstufe der in Ansprüchen 1 bis 11 verwendeten Glaskeramik dar. Wie oben angegeben (Punkt 6.1), kann nicht einfach davon ausgegangen werden, dass das Vorhandensein beliebiger Keime zur Bildung von Lithiummetasilikat oder Lithiumdisilikat als Hauptkristallphase geeignet ist.

Der Gegenstand des Anspruchs 12 und des abhängigen Anspruchs 13 beruht somit ebenfalls auf einer erfinderischen Tätigkeit.

7.3 Die Bedingungen des Artikels 56 EPÜ sind erfüllt.

8. Anpassung der Beschreibung

Die einzige Änderung gegenüber dem erteilten Patent fand in Anspruch 12 statt. Diese Änderung erfordert keine Anpassung der Beschreibung, da sie bereits in Absatz [0037] reflektiert ist.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geändertem Umfang auf Basis des einzigen Antrags (eingereicht mit der Beschwerdebegründung als Hilfsantrag 1A) und der Beschreibung und Figuren des Patents wie erteilt aufrecht zu erhalten.

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