T 2039/18 () of 24.1.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T203918.20230124
Datum der Entscheidung: 24 Januar 2023
Aktenzeichen: T 2039/18
Anmeldenummer: 09781705.0
IPC-Klasse: F01D 11/14
F01D 5/28
F01D 11/12
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: SCHAUFELANORDNUNG EINER GASTURBINE
Name des Anmelders: Ansaldo Energia IP UK Limited
Name des Einsprechenden: Siemens Aktiengesellschaft
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 111(1)
European Patent Convention R 103(1)(a)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(3)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Wesentlicher Verfahrensmangel - (nein)
Spät eingereichte Tatsachen - zugelassen (nein)
Zurückverweisung an die erste Instanz
Zurückverweisung - (nein)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - (nein)
Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0460/87
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Einsprechende) richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, die feststellte, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin (im Folgenden: Beschwerdegegnerin) im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen das Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Europäischen Übereinkommens genügen.

II. Die Beschwerdeführerin beantragte mit der Beschwerdebegründung, die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, die Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung und die Rückzahlung der Beschwerdegebühr, hilfsweise, den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin beantragte mit der Beschwerdeerwiderung die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des Streitpatents in geänderter Fassung auf Grundlage des Hilfsantrags 1.

III. Die folgenden Dokumente sind für diese Entscheidung relevant:

D5 US-A-5 780 171

D6 US-A-2003/0175116

D8 US-A-6 149 389

D10 US-A-2008/0038575

IV. Im Anschluss an ihre Ladung zur mündlichen Verhandlung hat die Kammer eine Mitteilung versandt, in der sie ihre vorläufige Meinung zum Ausdruck brachte, wonach es fraglich erscheine, ob die angeblichen Verfahrensfehler hinreichend substantiiert wurden. Die Kammer wies ferner darauf hin, dass die Einwände nach Artikel 83 EPÜ möglicherweise in der mündlichen Verhandlung zu erörtern wären und dass der Gegenstand von Anspruch 1 sowohl neu sein dürfte als auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen dürfte.

V. Mit Schreiben vom 2. November 2022 ergänzte die Beschwerdeführerin ihre Aussagen zu den gerügten Verfahrensfehlern und präsentierte weitere Argumente zu ihren Einwänden unter Artikeln 83 und 56 EPÜ.

VI. Mit Schreiben vom 28. November 2022 reichte die Beschwerdegegnerin Hilfsanträge 2 und 3 ein.

VII. Am 24. Januar 2023 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Am Ende der mündlichen Verhandlung lagen folgende Anträge vor:

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte

die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung,

die Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung und

die Rückzahlung der Beschwerdegebühr,

hilfsweise, den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte

die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des Streitpatents in geänderter Fassung auf Grundlage des Hilfsantrags 1, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung,

weiter hilfsweise auf Grundlage der Hilfsanträge 2 oder 3, eingereicht mit Schriftsatz vom 28. November 2022.

VIII. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet:

"Schaufelanordnung (30) einer thermischen Strömungsmaschine mit wenigstens einer Schaufel (11), welche in radialer Richtung in einen zu einer Achse (16) konzentrisch angeordneten Heissgas durchströmten Kanal (13) hineinragt und in einer Schaufelspitze (27) endet, die mit einem Spiel (25) einem den Kanal (13) begrenzenden Hitzeschild (12) gegenüber liegt, wobei die Schaufel (11) und der Hitzeschild (12) in Umfangsrichtung relativ zueinander beweglich sind, und die Schaufelspitze (27) und der Hitzeschild (12) mit Schichten (22, 23, 24) bedeckt sind, welche ein gezieltes Einschleifen der Schaufelspitze (27) in den Hitzeschild (12) ermöglichen, und wobei der Hitzeschild (12) als äussere, abschleifbare Schicht eine poröse Wärmedämmschicht (23) aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass die poröse Wärmedämmschicht (23) eine poröse Keramikschicht ist und dass die Schaufelspitze (27) lediglich mit einer homogenen metallischen Abdeckschicht (24) aus MCrAlY versehen ist."

IX. Der entscheidungsrelevante Vortrag der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

i) Verfahrensfehler

Die Einspruchsabteilung habe nicht alle Argumente zur Ausführbarkeit aufgegriffen. Diese sei nicht darauf eingegangen, dass eisenhaltiges MFeCrAlY bei den Temperaturen an der Schaufelspitze nicht oxidationsbeständig sei und dass trotz einer aufwändigen Recherche der Beschwerdeführerin kein Hinweis gefunden werden konnte, dass FeMCrAlY in Gasturbinen eingesetzt werde. Die Einspruchsabteilung sei auch nicht auf das Argument eingegangen, dass im Anspruch 1 des Streitpatents Ausführungsbeispiele geschützt würden, die nicht ausführbar sind und dass es in der Offenbarung kein einziges Ausführungsbeispiel gebe, obwohl MCrAlY eine wichtige Rolle in der Erfindung spiele. Die Einspruchsabteilung sei zudem nicht auf die Ausführbarkeit bezüglich der Porosität der Wärmedämmschicht eingegangen. Dies stelle einen weiteren schwerwiegenden Verfahrensmangel dar. Deswegen sei eine Rückzahlung der Beschwerdengebühr sowie die Zurückweisung der Sache an die erste Instanz gerechtfertigt.

ii) Artikel 83 EPÜ

Die Erfindung sei von der Fachperson nicht ausführbar.

Die Fachperson für eine thermische Strömungsmaschine sei in der Entscheidung nicht definiert. Solch eine Maschine liege auf dem Fachgebiet der Physik oder des Maschinenbaus, sodass der Fachperson die spezifischen Kenntnisse bezüglich der Materialauswahl von Dichtungssystemen fehlten. Ihr sei nicht bekannt, wie man für die Strömungsmaschine eine poröse und dennoch abschleifbare Keramikschicht produzieren könne.

Das Patent offenbare nicht, wofür "M" in MCrAlY steht. Das Metal könnte Eisen sein, jedoch sei FeCrAlY absolut nicht oxidationsbeständig. Anspruch 1 schütze Ausführungsbeispiele in großem Umfang, die nicht ausführbar seien. MCrAlY-Legierungen würden beansprucht, ohne ein einziges Ausführungsbeispiel zu offenbaren, sodass fast unendlich viele Möglichkeiten für die metallische Abdeckschicht bestehen würden. Ferner werde das Material des Hitzeschilds in Anspruch 1 nicht angegeben. Darüber hinaus sei nicht ausreichend dargestellt, wie die Porosität der Wärmedämmschicht gemessen wird.

Es gebe zudem keine Grundlage für die Annahme der Einspruchsabteilung, dass nur eine vertretbare Anzahl von Versuchen notwendig sei.

iii) Neuheit (Artikel 54 EPÜ)

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei gegenüber D6 nicht neu. D6 weise eine keramische Beschichtung auf der Schaufelspitze auf. MCrAlY sei als Beschichtungsmaterial der Schaufelspitze geeignet und der Fachperson sei klar, dass die Schaufelspitze heißen und oxidativen Bedingungen ausgesetzt wird, damit MCrAlY auch hier implizit eingesetzt wird.

iv) Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. D5 offenbare sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 außer, dass die Schaufelspitze lediglich mit einer homogenen metallischen Abdeckschicht aus MCrAlY versehen ist. Da D5 eine Beschichtung auf der Klingenspitze zum Abschleifen des Hitzeschildes offenbare, biete die beanspruchte Erfindung keinen technischen Vorteil und es könne kein technisches Problem formuliert werden. Sollte dennoch die zu lösende Aufgabe, wie von der Einspruchsabteilung formuliert, darin bestehen, eine geeignete Oxidationsschutzschicht für die Schaufelspitze zu finden, offenbare D8 MCrAlY als geeignete Korrosionsschutzschicht für eine Turbinenschaufel. Die Fachperson würde eine Legierung mit ausreichender Härte aussuchen, um ein Einschleifen zu ermöglichen. Es gebe keinen Grund, die Boronitridpartikel an der Schaufelspitze beizubehalten, da MCrAlY die erforderliche Härte liefern könne.

Absatz [0036] der D10 lehre der Fachperson auch, die Schaufelspitzen mit MCrAlY zu beschichten, um neben dem Schutz vor Oxidation auch die mechanische Abnutzung zu verhindern.

X. Die Beschwerdegegnerin hat im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

i) Artikel 83 EPÜ

Das Patent offenbare die Erfindung so klar und vollständig, dass sie ausgeführt werden könne.

Die Fachperson sei nicht notwendigerweise eine einzelne Person, sondern könne als ein Team von Experten betrachtet werden. Folglich wäre die Identifizierung einer geeigneten MCrAlY-Legierung und porösen Keramikschicht gemäß der Erfindung kein Hindernis für die Fachperson, die Erfindung wie beansprucht auszuführen.

Die Absätze [0012] und [0018] des Streitpatents enthielten alle erforderlichen Angaben zur Porosität der Keramikschicht. Für die Fachperson, die die Porosität mit jeder bekannten Methode messen würde, ergeben sich keine besonderen Schwierigkeiten.

ii) Neuheit (Artikel 54 EPÜ)

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei neu gegenüber Dokument D6, da es keine Schaufelspitze mit einer homogenen metallischen Abdeckschicht aus MCrAlY offenbart. MCrAlY werde lediglich als Beschichtung des den Kanal begrenzenden Hitzeschilds offenbart (vgl. Absatz [0030]) und gebe keinen Hinweis zu dem Beschichtungsmaterial der Schaufelspitze.

iii) Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit. Ausgehend von D5 bestehe die zu lösende Aufgabe darin, eine geeignete Oxidationsschutzschicht für die Schaufelspitze zu finden. Weder D8 noch D10 führten die Fachperson zu der beanspruchten Lösung. In D8 sei keinen Hinweis offenbart, dass die darin offenbarte MCrAlY Abdeckschicht geeignet wäre, ein Einschleifen in die poröse Keramikschicht der D5 zu ermöglichen. Gleiches gelte für D10, wobei die Bezugnahme der Beschwerdeführerin auf Absatz [0036] eine Änderung ihres gesamten Vorbringens darstelle und daher nicht zugelassen werden sollte.

Entscheidungsgründe

1. Angebliche Verfahrensfehler

1.1 In ihrer Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin geltend gemacht, dass die Einspruchsabteilung bei ihrer Entscheidung mehrere Verfahrensfehler begangen habe, weil sie nicht auf die Argumente der Beschwerdeführerin eingegangen sei. Sie hat hierzu jedoch nicht vorgetragen, wann und wo die entsprechenden Argumente im Einspruchverfahren präsentiert wurden.

Artikel 12(1) VOBK 2020 bestimmt die Grundlage des Beschwerdeverfahrens. Diese umfasst ohne entsprechenden Vortrag einer Partei nicht das schriftsätzliche Vorbringen im Einspruchsverfahren, so dass die Kammer nicht veranlasst war, das erstinstanzliche Vorbringen der Beschwerdeführerin von Amts wegen zugrunde zulegen. Sie war insbesondere nicht gehalten zu recherchieren, wann und wo die Beschwerdeführerin entsprechende Argumente vorgebracht haben könnte. Vielmehr obliegt es den Parteien des Beschwerdeverfahrens ihr Vorbringen so zu präsentieren, dass es von der Beschwerdekammer ohne eigene Recherchen nachvollzogen und überprüft werden kann. Diesen Anforderungen entspricht die pauschale und daher unsubstantiierte Behauptung, ein Argument sei von der Einspruchsabteilung übergangen worden, nicht.

1.2 Die Beschwerdeführerin hat Angaben zu den Zeitpunkten und Fundstellen der angeblich übergangenen Behauptungen erstmals nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 2. November 2022 in Antwort auf die vorläufige Meinung der Kammer präsentiert. Gemäß Artikel 13(2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, es liegen außergewöhnliche Umstände vor.

1.3 Bei der Erörterung der Rechtslage während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, räumte die Beschwerdeführerin ein, dass keine außergewöhnlichen Umstände vorlägen, die eine Berücksichtigung des verspätet eingereichten Vorbringens rechtfertigen könnten. Sie stützte sich im Übrigen ausschließlich auf ihr schriftliches Vorbringen zum Verfahrensfehler.

1.4 Mangels außergewöhnlicher Umstände hat die Kammer ihr Ermessen dahingehend ausgeübt, das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu den gerügten Verfahrensfehlern im Schreiben vom 2. November 2022 nicht zu berücksichtigen (Artikel 13(2) VOBK 2020) und den verbleibenden Vortrag in der Beschwerdebegründung mangels hinreichender Substantiierung gemäß Artikel 12(3) VOBK 2020 (vgl. auch Artikel 12 (2) VOBK 2007) in Verbindung mit Artikel 12(4) VOBK 2007 nicht zu berücksichtigen.

1.5 Mangels eines wesentlichen Verfahrensmangels besteht keine Veranlassung für eine Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung (Artikel 111(1) EPÜ) oder die Rückzahlung der Beschwerdegebühr (Regel 103(1)a) EPÜ).

2. Artikel 83 EPÜ

2.1 Die Kammer stellt fest, dass die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

2.2 Das Argument der Beschwerdeführerin, dass das Patent kein Beispiel für das Metall (M) enthalte, das für die MCrAlY-Beschichtung der Schaufelspitze zu verwenden ist, hindert die Fachperson nicht am Ausführen der Erfindung. Der Fachperson sind typische Metalle, die in dieser Anwendung zu verwenden sind, allgemein bekannt. MCrAlY Legierungen mit verschiedensten Metallen M als Beschichtung der Komponenten bei thermischen Strömungsmaschinen sind insbesondere auch im Stand der Technik vielfach offenbart (siehe z.B. D2 Seite 4, Zeilen 21 bis 25; D5 Spalte 3, Zeilen 12 bis 15 oder D6 - Absatz [0030]). In diesem Zusammenhang argumentierte die Beschwerdeführerin ferner, dass die Fachperson im Patent nicht definiert sei und sich auf dem Gebiet der Strömungsmaschinen nicht mit der Materialauswahl von Dichtungssystemen auskenne. Zunächst ist festzustellen, dass die Fachperson selbst auf dem Gebiet der Turbomaschinen die wichtigsten Beschichtungsmaterialien kennen würde, die erforderlich sind, um den harten Prozessbedingungen in thermischen Strömungsmaschinen standzuhalten. Selbst wenn Zweifel an einem solchen Verständnis bestünden, ist die fiktive Fachperson in der Regel nicht auf eine einzelne Person beschränkt, sondern kann als eine Gruppe von Personen aus verschiedenen Fachgebieten, die für die betreffende Anwendung typischerweise bedeutsam sind, angesehen werden (siehe z.B. T460/87, 4.3.1). Das wären in diesem Fall, z.B. ein Maschinenbauingenieur und ein Werkstoffingenieur. Folglich hätte die Fachperson keine Schwierigkeiten, eine geeignete MCrAlY-Beschichtung für die beanspruchte Strömungsmaschine bereitzustellen.

2.3 Die Behauptung der Beschwerdeführerin, die Fachperson habe nicht gewusst, wie man eine poröse Isolierschicht herstellen könne, trifft nicht zu. In Absatz [0018] des Patents wird diesbezüglich eine beispielhafte YSZ-Keramikschicht beschrieben, bei der die Porosität erreicht wird durch Einlagerung von Polymeren, die später ausgeheizt werden. Bezüglich verschiedener Porositätsmessverfahren hat die Beschwerdeführerin nicht belegt, dass sich unterschiedliche Porositäten ergeben würden.

2.4 Die Beschwerdeführerin beanstandet ferner, dass die Fachperson nicht in der Lage sei, geeignete Materialien für die Wärmedämmschicht und die Abdeckschicht bereitzustellen, weil sich fast unendlich viele Möglichkeiten dafür ergeben würden. Von Bedeutung ist hier aber vor allem, dass die MCrAlY-Abdeckschicht lediglich härter sein muss als die poröse Keramikschicht, um ein gezieltes Einschleifen der Schaufelspitze in den Hitzeschild zu ermöglichen. Dies wäre für die unter Punkt 2.2 erwähnte Fachperson verständlich und ohne weiteres realisierbar.

2.5 Die weitere Behauptung, dass eine eisenhaltige MCrAlY Abdeckschicht nicht eine langhaltige und daher ausführbare Lösung gemäß Anspruch 1 ergeben würde, ist nicht überzeugend, da in Anspruch 1 nicht gefordert wird, dass die Maschine über einen längeren Zeitraum in Betrieb sein muss. Eine eventuelle Oxidation der MCrAlY Abdeckschicht steht demzufolge der Ausführbarkeit der Erfindung gemäß Anspruch 1 nicht entgegen.

2.6 Folglich ist die Kammer zu dem Ergebnis gekommen, dass keines der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumente der Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung entgegensteht.

3. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)

3.1 Die Neuheit des Gegenstandes von Anspruch 1 wurde lediglich gegenüber D6 in Frage gestellt.

3.2 Es ist lediglich streitig, ob D6 das folgende Merkmal von Anspruch 1 offenbart:

"die Schaufelspitze lediglich mit einer homogenen metallischen Abdeckschicht aus MCrAlY versehen ist".

3.3 D6 betrifft abschleifbare Beschichtungen von Gasturbinengehäusen. Abbildung 3 zeigt eine typische abschleifbare Beschichtung 24, die, um hohen Temperaturen zu widerstehen, aus einer MCrAlY-Superlegierung bestehen kann (siehe Absätze [0029 - 0030]). Das Material der Turbinenschaufel wird nicht offenbart. Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin auf Seite 6, 2. Absatz der Beschwerdebegründung wird auch keine Aussage zum Material einer Abdeckschicht auf ihrer Schaufelspitze getroffen. MCrAlY wird lediglich als Beschichtung des den Kanal begrenzenden Hitzeschilds offenbart ([0030]) und gibt keinen Hinweis zu dem Beschichtungsmaterial der Schaufelspitze.

3.4 In D6 fehlt daher eine eindeutige Offenbarung, dass die Schaufelspitze lediglich mit einer homogenen metallischen Abdeckschicht aus MCrAlY versehen ist.

3.5 Die Neuheit des Gegenstandes von Anspruch 1 ist somit gegeben (Artikel 54 EPÜ).

4. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

4.1 Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wurde diese Sachlage erläutert. Nachdem die Kammer auf Substantiierungsprobleme im Hinblick auf den von D2 ausgehenden Angriff gegen die erfinderische Tätigkeit hingewiesen hat, hat die Beschwerdeführerin erklärt, dass lediglich ein Einwand ausgehend von D5 in Kombination mit D8 oder D10 geltend gemacht werde.

4.2 D5 offenbart sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 außer, dass die Schaufelspitze lediglich mit einer homogenen metallischen Abdeckschicht aus MCrAlY versehen ist. Dies wurde von beiden Parteien anerkannt. Die einzige in D5 offenbarte Beschichtung auf der Schaufelspitze wird in Sp.7, Z. 54 als ein Schleifmaterial z.B. kubisches Bor-Nitrid ("cubic boron nitride") offenbart.

4.3 Ausgehend von dem Unterscheidungsmerkmal des Anspruchs 1 gegenüber D5, ist die zu lösende objektive technische Aufgabe darin zu sehen, eine geeignete Oxidationsschutzschicht für die Schaufelspitze zu finden.

4.4 Die Ansicht der Beschwerdeführerin, dass Anspruch 1 keinen technischen Vorteil gegenüber D5 offenbare und daher keine technische Aufgabe formuliert werden könne, wird nicht geteilt. Die objektive technische Aufgabe muss auf der Grundlage der Unterscheidungsmerkmale von Anspruch 1 gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik, in diesem Fall D5, formuliert werden. Die Bereitstellung einer metallischen Abdeckschicht aus MCrAlY hat den technischen Effekt, eine oxidationsbeständige Beschichtung auf der Schaufelspitze bereitzustellen, so dass das formulierte technische Problem in Punkt 4.3 tatsächlich als objektiv angesehen werden kann. Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin dahingehend zu, dass die Schaufelspitze von D5, wenn sie kubisches Bor-Nitrid enthält, ein gezieltes Einschleifen der Schaufelspitze in den Hitzeschild ermöglicht und dass die beanspruchte MCrAlY-Abdeckschicht dasselbe bewirken muss. Jedoch ist die beanspruchte MCrAlY-Abdeckschicht aus D5 nicht bekannt und bietet somit die Grundlage für die Formulierung der zu lösenden technischen Aufgabe. Insoweit ist nicht entscheidend, ob es auch Anhaltspunkte für eine verbesserte Beschichtung gibt, da auch eine alternative Lösung Grundlage für die objektive Formulierung der Aufgabe sein kann.

4.5 D8 gibt der Fachperson keine Hinweise darauf, wie er die gestellte Aufgabe lösen soll, um zum beanspruchten Gegenstand zu gelangen. D8 offenbart zwar eine Schicht aus MCrAlY auf einer Schaufel der Turbine. Jedoch verlangt Anspruch 1 des Streitpatents, dass die beanspruchte homogene Abdeckschicht auf der Schaufelspitze ein gezieltes Einschleifen der Schaufelspitze in den Hitzeschild ermöglicht. In D8 wird nichts über ein gezieltes Einschleifen einer mit MCrAlY beschichteten Schaufelspitze in den Hitzeschild offenbart. Eine Härte der MCrAlY Beschichtung wird in D8 schlichtweg nicht angesprochen, sodass die Fachperson keine Lehre daraus entnehmen kann, eine entsprechend harte MCrAlY-Beschichtung auszuwählen, um das beanspruchte Einschleifen der Schaufelspitze in den Hitzeschild (wie in der D5) zu ermöglichen.

4.6 Das Argument der Beschwerdeführerin, dass die Fachperson eine Legierung mit ausreichender Härte aussuchen würde, um ein Einschleifen zu ermöglichen, ist nicht überzeugend. D5 offenbart kubisches Bor-Nitrid auf der Schaufelspitze um ein Einschleifen zu gewährleisten (siehe Sp. 7, Zeilen 54 bis 58). Der Fachmann hätte daher keine Anregung, eine harte Beschichtung aus MCrAlY auf der Schaufelspitze aufzubringen, da die kubischen Bor-Nitrid Partikel der D5 ein Einschleifen der Schaufelspitze in die Keramikschicht bereits ermöglichen.

4.7 Die Beschwerdeführerin machte geltend, die Kammer habe in Bezug auf Artikel 83 EPÜ festgestellt, dass die Fachperson in der Lage sei, eine angemessene Härte der Schaufel im Verhältnis zur Beschichtung zu wählen. Daraus folge, dass dieses relative Härteverhältnis das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht begründen könne. Dass trifft indes nicht zu. Eine solche Gleichsetzung der Anforderungen von Artikel 83 und 56 EPÜ ist nicht gerechtfertigt. Ersterer verlangt, dass die Erfindung im Patent selbst oder in der eingereichten Anmeldung so vollständig offenbart wird, dass die Fachperson sie unter Berücksichtung des allgemeinen Fachwissens ausführen kann. Im Gegensatz dazu ist im Hinblick auf Artikel 56 EPÜ die Offenbarung im Patent selbst von geringerer Bedeutung, während das aus dem Stand der Technik bekannte Wissen für die Frage, ob der beanspruchte Gegenstand naheliegend ist, ausschlaggebend ist. Folglich ist die Fähigkeit der Fachperson, eine Erfindung auf Grundlage der Informationen im Streitpatent und im allgemeinen Fachwissen auszuführen, völlig unabhängig davon, ob ihr Gegenstand für dieselbe Fachperson im Hinblick auf den Stand der Technik naheliegend ist. So wäre die Fachperson hier, wie oben dargelegt, in der Lage, eine bestimmte Beschichtung mit einem bestimmten Härtegrad auf Grundlage der Beschreibung des Streitpatents und des allgemeinen Fachwissens herzustellen, um die Erfindung auszuführen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Fachperson ausgehend von einer bestimmten Druckschrift (hier D5) ohne Veranlassung entsprechende Maßnahmen ergreifen würde. Hierzu reicht es nicht, dass die Fachperson über entsprechende Fähigkeiten verfügt, es muss vielmehr auch eine Veranlassung für die Maßnahme bestehen. Diese darf nicht aufgrund einer retrospektiven Betrachtung konstruiert werden.

4.8 Das weitere Argument der Beschwerdeführerin, dass eine einfache einstufige Änderung von D5 erforderlich wäre, um den beanspruchten Gegenstand zu erreichen, ist ebenfalls nicht überzeugend. Die Kammer hält viel mehr weitere Modifikationen für erforderlich, nämlich erstens die Wahl von MCrAlY als geeignetem Oxidationsschutz für die Schaufelspitze, zweitens die Beseitigung des Bor-Nitrids von der Schaufelspitze und drittens die Wahl einer angemessen harten MCrAlY-Beschichtung, um das Einschleifen zu ermöglichen. Eine solche mehrstufige Änderung von D5, um zum beanspruchten Gegenstand zu gelangen, kann für die Fachperson nicht als naheliegend angesehen werden.

4.9 Ausgehend von D5 und im Lichte der objektiven technische Aufgabe, erhält die Fachperson aus D8 keine Lehre, wie sie zum beanspruchten Gegenstand gelangen kann, ohne eine erfinderische Tätigkeit auszuüben (Artikel 56 EPÜ).

4.10 Die gleiche Schlussfolgerung ergibt sich, wenn man von Dokument D5 ausgeht und dies mit der technischen Lehre von D10 kombiniert. Zwar offenbart D10 die Beschichtung von Turbinenschaufel mit MCrAlY, jedoch wird die Härte der MCrAlY Beschichtung in D10 nicht angesprochen, sodass die Fachperson daraus nicht die Lehre entnehmen kann, eine entsprechend harte MCrAlY-Beschichtung auszuwählen, um das beanspruchte Einschleifen der Schaufelspitze in den Hitzeschild beizubehalten.

4.11 Das Argument der Beschwerdeführerin, dass Absatz [0036] der D10 die Fachperson lehre, die Schaufelspitzen mit MCrAlY zu beschichten, um neben dem Schutz vor Oxidation auch die mechanische Abnutzung zu verhindern, überzeugt nicht. Ungeachtet des Umstands, dass Absatz [0036] und das darauf beruhende Argument zum ersten Mal in der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurde und seine Zulassung nur unter außergewöhnlichen Umständen erfolgen könnte (Artikel 13(2) VOBK 2020), würde diese Lehre die Fachperson nicht eindeutig zum beanspruchten Gegenstand führen. D10 offenbart nämlich nicht eindeutig ein Einschleifen der Schaufelspitze in die metallische Abdeckschicht. In Absatz [0036] der D10 wird ein enger Sitz der Schaufelspitze 25 in einer Nut 19 offenbart, um das Entweichen von Gasen um die Turbinenstufe herum zu minimieren. Selbst wenn die Schaufelspitze mit einer gehärteten oder schützenden Schicht überzogen wäre, um mechanischer Abnutzung sowie Korrosion und Oxidation zu widerstehen, könnte eine solche mechanische Abnutzung durch die Gase mit hoher Temperatur und hohem Druck verursacht werden, die durch den Spalt zwischen der Spitze 25 und der Nut 19 entweichen. Die angesprochene mechanische Abnutzung offenbart also nicht zwingend ein nötiges Einschleifen der Schaufelspitze in die Abdeckschicht.

4.12 Die Fachperson erhält auch aus D10 keine Lehre, wie er die ausgehend von D5 gestellte Aufgabe lösen soll. Daher würde die Fachperson nicht zum beanspruchten Gegenstand gelangen ohne eine erfinderische Tätigkeit auszuüben.

4.13 Mangels weitere Einwände zu erfinderischer Tätigkeit beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 daher auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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