T 1954/18 () of 24.1.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T195418.20230124
Datum der Entscheidung: 24 Januar 2023
Aktenzeichen: T 1954/18
Anmeldenummer: 06793470.3
IPC-Klasse: E01C 21/00
B60G 3/01
E01C 23/088
B60G 17/019
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: SELBSTFAHRENDE BAUMASCHINE MIT HUBSÄULE
Name des Anmelders: Wirtgen GmbH
Name des Einsprechenden: BOMAG GmbH
Caterpillar Inc.
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
European Patent Convention Art 100(c)
European Patent Convention Art 100(b)
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein)
Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit (ja)
Verspätetes Vorbringen - Beweismittel erstinstanzlich zugelassen (nein)
Verspätetes Vorbringen - korrekte Ermessensausübung (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0002/10
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das Europäische Patent mit der Nummer 1 924 746 betrifft eine selbstfahrende Straßenbaumaschine mit einem von einem Fahrwerk getragenen Maschinenrahmen und einer an dem Maschinenrahmen gelagerten Arbeitswalze, wobei das Fahrwerk Räder oder Ketten aufweist, die über Hubsäulen mit dem Maschinenrahmen verbunden und die jeweils relativ zu dem Maschinenrahmen höhenverstellbar sind.

II. Gegen das Patent wurden Einsprüche eingelegt auf Basis der Einspruchsgründe unter Artikel 100 c) und 100 b) EPÜ sowie unter Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 54 und 56 EPÜ. Die Einspruchsabteilung hat entschieden, die Einsprüche gegen das Patent zurückzuweisen.

III. Gegen diese Entscheidung wenden sich die Einsprechende I (BOMAG GmbH, im Folgenden "Beschwerdeführerin 1") sowie die Einsprechende II (Caterpillar Inc., im Folgenden "Beschwerdeführerin 2") mit der Beschwerde.

IV. Am 24. Januar 2023 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

Die Schlussanträge lauteten wie folgt:

Die Beschwerdeführerinnen beantragten, die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patentes.

Die Patentinhaberin (im Folgenden "Beschwerdegegnerin") beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und damit die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung. Sie beantragte hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage eines der mit Schreiben vom 20. März 2018 erstmalig und mit der Beschwerdeerwiderung erneut eingereichten Hilfsanträge I bis VI.

V. Die folgenden Beweismittel sind relevant für die Entscheidung.

E1: US 3,946,506

E8: DE 4017107 A1 (auch "KBS6" im

Einspruchsverfahren)

E26: Datenblatt der Kaltfräse W 50 der Firma

Wirtgen GmbH, datiert "2004"

KBS5: DE 103 57 074 B3

KBS7: Artikel aus der Zeitschrift 'Steine und

Erden', Ausgabe 4/2002

VI. Antragsfassung, soweit für diese Entscheidung relevant

Anspruch 1 des Patents wie erteilt lautet wie folgt (Merkmalsgliederung in "[]" hinzugefügt; die substanziellen Änderungen gegenüber Anspruch 1 der ursprünglich eingereichten Fassung sind fett hervorgehoben):

"[1.1] Selbstfahrende Straßenbaumaschine (1), insbesondere Recycler oder Kaltfräse, mit

[1.2] - einem von einem Fahrwerk (2) getragenen Maschinenrahmen (4)

[1.3] - einer an dem Maschinenrahmen (4) ortsfest oder verschwenkbar gelagerten Arbeitswalze (6) zum Bearbeiten einer Boden- oder Verkehrsfläche (24), wobei

[1.4] - das Fahrwerk (2) Räder (10) oder Kettenlaufwerke aufweist, die über Hubsäulen (14) mit dem Maschinenrahmen (4) verbunden sind und die jeweils relativ zu dem Maschinenrahmen (4) höhenverstellbar sind,

[1.5] - wobei die Hubsäulen (14) aus zwei ineinanderschiebbaren Hohlzylindern (13, 15) bestehen, die als Führungseinheit dienen und die mindestens eine Kolben-Zylindereinheit (16) zur Höhenverstellung vorzugsweise koaxial im Inneren aufnehmen,

dadurch gekennzeichnet, dass

[1.6] - jede einzeln höhenverstellbare Hubsäule (14) eine Messeinrichtung (18) zum Messen des aktuellen Hubzustandes der Hubsäule (14) aufweist,

[1.7] -die Messeinrichtung (18) mit relativ zueinander entsprechend der Hubstellung verstellbaren Elementen der Hubsäule (14) derart gekoppelt ist, dass kontinuierlich ein Wegsignal zur Information hinsichtlich der aktuellen Hubposition jeder Hubsäule (14) von der Messeinrichtung (18) detektierbar ist, und

[1.8] - eine Steuerung (23), die die Wegmesssignale der Messeinrichtungen (18) aller Hubsäulen (14) erhält und den Hubzustand der Hubsäulen (14) in Abhängigkeit von den Wegmesssignalen der Messeinrichtungen (18) und/oder deren zeitliche Veränderungen regelt,

[1.8.1] so dass eine frei wählbare Position des Maschinenrahmens (4) einstellbar und als Betriebsposition definierbar ist."

VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:

a) Artikel 100 c) EPÜ

Der Gegenstand von Anspruch 1 gehe über die ursprünglich eingereichte Offenbarung hinaus. Merkmal [1.8.1] sei in der Gesamtheit der Offenbarung lediglich in Verbindung mit einer Anzeigeeinrichtung offenbart, wobei diese es dem Fahrzeugführer erst ermögliche, beliebige Hubpositionen als Betriebsposition auszuwählen. Ein Anspruchsgegenstand ohne das Merkmal "Anzeigevorrichtung" gehe somit nicht direkt und unmittelbar aus der ursprünglich eingereichten Fassung hervor. Auch die Aufgabenstellung auf Seite 3 beruhe auf einer Interaktion mit dem Fahrzeugführer, für die eine Anzeige notwendig sei. Somit liege eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vor.

b) Artikel 100 b) EPÜ

Die Erfindung sei bezüglich der in Merkmal [1.8] definierte Option der Regelung in Abhängigkeit von der zeitlichen Veränderung der Wegmesssignale nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass eine Fachperson sie ausführen könne. So benötige eine solche Regelung Anfangswerte der Hubposition, deren Notwendigkeit und Ermittlung nicht beschrieben sei.

c) Zulassung E26

Beweismittel E26 und die hierauf begründeten Einwände mangelnder Patentierbarkeit seien ins Verfahren zuzulassen. Die Einspruchsabteilung habe das Kriterium der prima facie Relevanz fehlerhaft angewandt. Das Dokument sei hochrelevant, da die Position des Maschinenrahmens auch mit lediglich zwei Hubsäulen bei mindestens drei den Maschinenrahmen tragenden Rädern frei einstellbar sei und somit unter die Definition in Anspruch 1 falle. D26 offenbare zudem eine Bestimmung der Hubhöhen sowie deren Anzeige.

d) Artikel 100 a) und 56 EPÜ

Der Gegenstand des Anspruch 1 sei nicht erfinderisch ausgehend von E1 oder KBS5 und in Verbindung mit der Offenbarung von E8. Wie Beweismittel KBS7 zeige, seien die Maschinen aus E1/KBS5 sowie E8 für eine Fachperson jeweils sowohl im Straßenbau als auch in der Materialgewinnung einsetzbar, und deren Lehren somit kombinierbar. E1 und KBS5 offenbarten bereits die manuelle freie Einstellbarkeit des Maschinenrahmens mittels Hubsäulen. Die Unterscheidungsmerkmale [1.6] bis [1.8.1] seien daher eine bloße Automatisierung, die gemäß ständiger Rechtsprechung nicht erfinderisch sei. Zudem sei die beanspruchte Steuerung unter Regelung der Hubzustände durch E8 nahegelegt, da in E8 die Position des Maschinenrahmens ebenfalls über Hubsäulen der Rad- bzw. Kettenaufhängung geregelt werde. Die weiteren Eingangsgrößen für in der in E8 offenbarten Regelung, wie die Quer- und Längsneigung des Maschinenrahmens, sowie die Kraftsensoren an den Hubsäulen würden für andere Aufgaben benötigt, so dass die Fachperson zur Regelung des Hubzustands der Hubsäulen lediglich die Messung der Hubposition und deren entsprechende Regelung aus E8 übernehmen würde. Auch eine vollständige Übernahme des aus E8 bekannten Regelungskonzepts würde zu einem unter den Anspruch fallenden Gegenstand führen.

VIII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:

a) Artikel 100 c) EPÜ

Der Gegenstand von Anspruch 1 gehe nicht über die ursprünglich eingereichte Fassung hinaus. In der Beschreibung sei durchweg offenbart, dass neben der Bedienung durch einen Fahrzeugführer alternativ auch eine automatische Steuerung die in den Merkmalen [1.8] und [1.1.8] definierte Regelung auf eine beliebige gewünschte Hubposition und damit auf eine vorab bestimmte Betriebsposition übernehmen könne.

b) Artikel 100 b) EPÜ

Der Gegenstand der Erfindung sei ausreichend offenbart. Die Fachperson wisse, dass Anfangswerte bestimmt werden müssten, wenn die zeitliche Änderung gemessen werde. Die im Patent beschriebene Ausführungsform des Hubpositionssensor als Seilzugsensor ermögliche sowohl die Positionsbestimmung als auch, unter Einbeziehung einer Zeitmessung, eine Umrechnung in ein Geschwindigkeits- oder Beschleunigungssignal.

c) Zulassung E26

Die Nichtzulassung von E26 durch die Einspruchsabteilung sei nicht ermessensfehlerhaft. E26 hätte bereits mit der Einspruchsbegründung vorgebracht werden müssen. Zudem falle eine Ausführungsform mit lediglich zwei höhenverstellbaren Hubsäulen nicht unter Anspruch 1, da so die Betriebsposition relativ zu dem dritten offenbarten Rad nicht frei wählbar sei. Auch seien keine Hubpositionssensoren in E26 offenbart. Somit mangele es E26 prima facie an Relevanz.

d) Artikel 100 a) und 56 EPÜ

Der Gegenstand von Anspruch 1 sei erfinderisch. Es handele sich nicht lediglich um eine Automatisierung, da E1 und KBS5 keine Angaben über die Einstellung und Haltung einer Betriebsposition machten. Zudem betreffe E8 ein anderes technisches Gebiet als E1 und KBS5, und die Fachperson würde deren Lehre schon aus diesem Grunde nicht berücksichtigen. Die Aufgabe der vorliegenden Erfindung liege darin, beliebige Hubpositionen der Hubsäulen als Betriebsposition frei auswählen zu können. Der Gegenstand von Anspruch 1 werde aus E8 nicht nahegelegt, da E8 auf eine Regelung zur Einhaltung der Betriebsposition relativ zum Erdmittelpunkt gerichtet sei, wogegen Anspruch 1 des Patents eine Ausrichtung des Maschinenrahmens relativ zu den Räder oder Ketten regele, also nicht mit dem Erdmittelpunkt als Bezugspunkt. Zudem sei das Regelungskonzept in E8 komplexer und umfasse zusätzliche Kraft- und Lagesensoren. Eine isolierte Berücksichtigung lediglich der Hubpositionssensoren sei Ergebnis einer rückschauenden Betrachtungsweise.

Entscheidungsgründe

1. Anzuwendende Verfahrensordnung

Gemäß der Übergangsvorschriften von Artikel 25(2) VOBK 2020 ist im vorliegenden Fall auf die jeweils vor dem 1. Januar 2020 eingereichten Beschwerdebegründungen und die hierauf fristgerecht eingereichte Beschwerdeerwiderung Artikel 12(4) VOBK 2007 anzuwenden.

2. Einspruchsgrund unter Artikel 100 c) EPÜ

Der Gegenstand von Anspruch 1 geht nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ steht der Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt daher nicht entgegen.

Die im folgenden genannten Referenzen beziehen sich auf die ursprünglich eingereichte Fassung.

2.1 Die Beschwerdeführerinnen argumentieren, dass das Merkmal [1.8.1] lediglich auf Seite 4, Absatz 2, und nur in Verbindung mit einer Anzeigeeinrichtung offenbart sei. Deren Weglassung stelle daher eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar.

Dieser Auffassung folgt die Kammer nicht.

2.2 Zwar ist die explizite Formulierung des Merkmals [1.8.1] der oben genannten Offenbarungsstelle entnommen, die einen kausalen Bezug zur Anzeige der Information über den aktuellen Hubzustand jeder Hubsäule über eine Anzeigeeinrichtung herstellt. Es kommt jedoch darauf an, ob die Änderung dazu führt, dass der Fachmann neue technische Informationen erhält (G 2/10, Gründe 4.5.1). Die im Anspruch definierte technische Information, insbesondere betreffend die in den Merkmalen [1.8] und [1.8.1] definierte Steuerung, ist auch in anderen, nicht auf den Zusammenhang mit einer Anzeigeeinrichtung beschränkten Offenbarungsstellen enthalten.

So ermöglicht es die Erfindung gemäß Seite 3, Absatz 3, dem Fahrzeugführer beliebige Hubpositionen der Hubsäulen als Betriebsposition auszuwählen.

Ein Auswählen erfordert keine Anzeige, sondern kann z. B. auch durch das Drücken eines Knopfes erfolgen. Das Auswählen ist auch unabhängig davon, wie besagte beliebige Hubpositionen als Betriebspositionen zuvor eingestellt und definiert worden sind. Hierfür ist nicht zwingend erforderlich, dass der Fahrzeugführer überhaupt eine Information über den momentanen Hubzustand jeder Säule erhält. Die Einstellung und Definition kann zwar durch eine Interaktion mit dem Fahrzeugführer auf der Basis von Informationen über den aktuellen Hubzustand jeder Hubsäule mittels einer Anzeigeeinrichtung geschehen (sein). Dies ist aber optional, wie sowohl Seite 4, zweiter Absatz, erster Satz der Beschreibung ("die Messsignale können einer Anzeigeeinrichtung ... zuführbar sein") als auch der Formulierung der Anzeigeeinrichtung in einem abhängigen Anspruch (Anspruch 3 wie ursprünglich eingereicht) zu entnehmen ist.

Die Steuerung enthält die Messsignale der Messeinrichtung und "kann in Abhängigkeit von den Messsignalen der Messeinrichtungen und/oder deren zeitliche Veränderung eine gewünschte Hubposition der Hubsäule ... geregelt einstellen" (Seite 4, erster Absatz). Die hier einzustellende "gewünschte Hubposition", ist dabei nichts Anderes als eine (nämlich die ausgewählte) der "beliebigen Hubpositionen der Hubsäulen als Betriebsposition" von Seite 3, Absatz 3.

Eine "beliebige" Hubposition ist aber gerade eine "frei wählbare Position des Maschinenrahmens als Betriebsposition" (Merkmal [1.8.1]), d. h. die offenbarte Steuerung regelt die Hubsäulen so, dass eine frei wählbare Position des Maschinenrahmens als Betriebsposition einstellbar ist. Damit diese Betriebsposition ausgewählt und eingestellt werden kann, muss sie zuvor festgelegt bzw. definiert sein, was eine Hinterlegung der Sollwerte der Hubpositionen in der Steuerung impliziert. Demnach ist die Position als Betriebsposition definierbar im Sinne von Merkmal [1.8.1]. Wie die Sollwerte in die Steuerung gelangen, ist nicht Teil des Anspruchs, und für den Gegenstandsanspruch ist dies auch nicht erforderlich. Im Ergebnis regelt somit die offenbarte Steuerung den Hubzustand der Hubsäulen anhand der Wegmesssignale der Messeinrichtungen aller Hubsäulen, sodass eine frei wählbare Position des Maschinenrahmens einstellbar und als Betriebsposition definierbar ist. Nichts anderes ist beansprucht.

3. Einspruchsgrund unter Artikel 100 b) EPÜ

Das Patent offenbart die Erfindung so deutlich und vollständig, dass eine Fachperson sie ausführen kann. Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ steht der Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt daher nicht entgegen.

3.1 Der einzige verbliebene Einwand betrifft das Merkmal [1.8]. Hierin sind zwei Regelungsoptionen definiert. Die Steuerung erhält die Wegmesssignale der Messeinrichtungen aller Hubsäulen und regelt den Hubzustand der Hubsäulen wie folgt:

a) in Abhängigkeit der Wegmesssignale der Messeinrichtungen und / oder

b) deren zeitliche Veränderungen (unstreitig ist hier "in Abhängigkeit der zeitlichen Veränderungen der Wegmesssignale" gemeint), also in Abhängigkeit von einem Geschwindigkeits- oder Beschleunigungssignal.

Hierdurch soll gemäß Merkmal [1.8.1] eine frei wählbare Position des Maschinenrahmens einstellbar und als Betriebsposition definierbar sein. Die Regelgröße ist also für beide Optionen die Hubposition, entsprechendes gilt auch für den vorzugebenden Sollwert. Als Messgröße dienen jeweils die Wegmesssignale der Messeinrichtungen, also die "aktuelle Hubposition" (vgl. Merkmal [1.7]).

3.2 Die Beschwerdeführerinnen argumentieren, Option b) von Merkmal [1.8] sei nicht ausführbar, da nicht offenbart sei, wie eine Regelung ausschließlich auf der Basis der zeitlichen Veränderungen der Wegmesssignale durchzuführen ist. So sei beispielsweise eine Anfangshubposition notwendig, deren Ermittlung jedoch nicht beschrieben sei.

Dies überzeugt jedoch nicht. Da gemäß Merkmal [1.6] bereits jede einzeln höhenverstellbare Hubsäule eine Messeinrichtung zum Messen des aktuellen Hubzustandes der Hubsäule aufweist, stehen die Istwerte der Hubposition als Anfangswerte zur Verfügung. Eine Ausführungsform des Sensors kann gemäß der Absätze [0050] bis [0053] des Patents ein Seilzugsensor sein, der sowohl zur direkten Bestimmung der aktuellen Position als auch zur Ermittlung dessen zeitlicher Veränderung geeignet ist. Erzielbar ist dies gemäß Absatz [0053] des Patents durch die Erfassung der zeitlichen Veränderung der Position. Inwieweit bei vorhandenen Hubpositionsmesswerten überhaupt noch eine Ermittlung der zeitlichen Veränderung derselben notwendig oder sinnvoll ist, um hierüber wiederum die Hubposition zu regeln, ist keine Frage, die die Ausführbarkeit betrifft.

4. Nichtzulassung des Beweismittels E26

Die Kammer lässt E26 nicht in das Verfahren zu.

4.1 Gemäß Artikel 12(4) VOBK 2007 hat die Kammer die Befugnis, Beweismittel nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren nicht zugelassen worden sind.

4.2 Das Beweismittel E26 wurde seitens der Beschwerdeführerin 1 etwa zwei Monate vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung als "hochrelevant" in Verbindung mit neuen Einwänden mangelnder Patentierbarkeit des Hauptantrags vorgebracht. Die Einspruchsabteilung kommt in der angefochtenen Entscheidung zu dem Schluss, dass das Beweismittel E26 auf Grund verspäteten Vorbringens nicht im Verfahren zu berücksichtigen sei. Diese Beurteilung wird von der Beschwerdeführerin 1 als unzutreffend bemängelt. Somit ist zu überprüfen, ob die Ermessensausübung der Einspruchsabteilung korrekt war.

4.3 Die Einspruchsabteilung begründet die Nichtzulassung mit dem Kriterium der mangelnden prima facie Relevanz. Die Beschwerdeführerinnen argumentieren, dass keine mangelnde prima facie Relevanz vorliege. So fielen unter Merkmal [1.4] auch Maschinen mit lediglich zwei höhenverstellbaren Hubsäulen wie in E26 offenbart. Auch sei eine freie Einstellbarkeit des Maschinenrahmens im Sinne von Merkmal [1.8.1] hiermit möglich. Zudem offenbare E26 eine Einrichtung zur Höhenmessung in E26 sowie eine automatisierte Höhenverstellung ("Nivellierautomatik").

4.4 Dieser Auslegung von E26 folgt die Kammer nicht.

Die Maschine aus E26 weist unstreitig lediglich zwei Hubsäulen auf, an denen die hinteren Rädern gelagert sind. Das Vorderrad (bzw. die Vorderräder) ist (sind) höheninvariant mit dem Maschinenrahmen verbunden. In der in E26 offenbarten Ausführung kann der Maschinenrahmen somit zwar sowohl in Quer- als auch in Längsrichtung eine beliebige Neigung im Rahmen der Limitierungen der Maschine realisieren, jedoch kann der Auflagerpunkt des Maschinenrahmens relativ zum Vorderrad (bzw. zu den Vorderrädern) nicht geändert werden. Zwar mögen, wie seitens der Beschwerdeführerinnen argumentiert, bei jeder realen Maschine stets inhärente Limitierungen bezüglich der freien Bewegbarkeit um die Auflagerpunkte des Maschinenrahmens vorliegen (z. B. maximaler Hub, maximal einstellbarer Winkel). Jedoch ermöglicht ein Auflagerpunkt, der in seinem Abstand zum Vorderrad gar nicht veränderlich ist, jedenfalls keine Einstellbarkeit einer "frei wählbaren Position des Maschinenrahmens".

4.5 Somit ist die Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung, dass eine anspruchsgemäße "freie" Einstellbarkeit mit der in E26 offenbarten Maschine nicht erzielbar ist, und E26 somit nicht prima facie relevant zur Beurteilung der Patentierbarkeit ist, nicht zu bemängeln. Dies gilt selbst unter der Annahme, E26 offenbare, dass die hinteren Hubsäulen unabhängig voneinander einstellbar sind und dass auch eine nicht näher ausgeführte Höhenanzeige offenbart ist, ggf. in Zusammenwirkung mit einer nicht näher beschriebenen "Nivellierautomatik ".

5. Einspruchsgrund unter Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ.

Der Gegenstand von Anspruch 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

5.1 Die Beschwerdeführerinnen hielten lediglich die Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von den Dokumenten E1 bzw. KBS5 aufrecht, und zwar jeweils in Verbindung mit der Offenbarung von E8.

Unstreitig offenbaren sowohl KBS5 als auch E1 die Merkmale [1.1] bis [1.5]. Sie stellen somit äquivalente Ausgangspunkte für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit dar.

Ebenfalls unstreitig ist, dass keine Messeinrichtungen und keine Steuerung im Sinne der Merkmale [1.6] bis [1.8.1] in KBS5 und E1 offenbart sind.

5.2 Aufgabenstellung

5.2.1 Im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerdeführerinnen liegt die Aufgabe nicht lediglich in einer bloßen Automatisierung, um eine bisher manuell einzustellende Position des Maschinenrahmens für den Bediener zu erleichtern.

5.2.2 Gemäß ständiger Rechtsprechung ist eine bloße Automatisierung von bisher vom Menschen durchgeführten Funktionen nicht erfinderisch und gehört zu den üblichen Bestrebungen der Fachperson (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10.Auflage, 2022, I.D.9.21.6). Mit Verweis auf die in dem Kapitel I.9.21.6 zitierten Entscheidungen führen die Beschwerdeführerinnen aus, dass im vorliegenden Fall die Merkmale [1.6] bis [1.8.1] eine bloße Automatisierung der bereits in E1 oder KBS5 offenbarten Einstellung einer Betriebsposition seien.

5.2.3 Dies überzeugt nicht. In den Dokumenten KBS5 und E1 wird zwar jeweils auf die individuelle Einstellbarkeit der Hubsäulen verwiesen, hierzu wird jedoch kein Kriterium zum Einstellen einer Betriebsposition offenbart, insbesondere keines, das auf der Kenntnis der Hubstellung der Hubsäulen basiert. Die Hubstellung der Hubsäulen wird gar nicht gesondert ermittelt. Vielmehr ist von einer Einstellung einer beliebigen Betriebsposition des Maschinenrahmens abhängig von externen Messwerten oder Beobachtungen des Fahrzeugführers auszugehen, wie sie im Fachgebiet bekannt sind (z. B: abhängig von Bodenabstandssensoren, Neigungssensoren, bzw. einer Ausrichtung der Walze zum Boden, etc.). Mit der Messung der Hubposition und der Regelung auf vorgegebene Sollwerte wird also nicht lediglich ein aus E1 oder KBS5 bekanntes manuelles Einstellungskonzept automatisiert, sondern es wird ein anderes Einstellungskonzept realisiert. Im Gegensatz zu den Maschinen in KBS5 oder E1 werden erfindungsgemäß die Abstände des Maschinenrahmens nun gehalten, auch wenn sich die Lastverteilung (z. B. aufgrund von Lageänderungen des Maschinenrahmens zum Erdmittelpunkt, beispielsweise auf einer Rampe) ändern (vgl. Patent, Absatz [0012]). Diese Abstände lassen sich auch vordefiniert automatisch anfahren.

5.2.4 Die objektive technische Aufgabe liegt somit darin, beliebige Betriebspositionen für einen Bediener in erleichterter Weise einstellen oder auswählen und letztlich halten zu können.

Im Hinblick auf die Aufgabe ist zudem zu berücksichtigen, dass die geregelte Betriebsposition gemäß Anspruch 1 nicht auf beliebige Referenzgrößen, sondern auf den Abstand des Maschinenrahmens relativ zu den jeweiligen Auflagerpunkten (Räder oder Ketten) bezogen ist. Somit ist bei unterschiedlichen Bodenbeschaffenheiten (Böschung, Steigung, Unebenheiten) die definierte und geregelte Betriebsposition nicht unveränderlich gegenüber dem Erdmittelpunkt.

5.3 Berücksichtigung der Lehre von E8

5.3.1 Zunächst ist festzustellen, dass die Fachperson ausgehend von KBS5 oder E1 das Dokument E8 grundsätzlich berücksichtigen würde. Das Argument der Beschwerdegegnerin, E8 betreffe ein "Gewinnungsgerät für den Tagebaubetrieb" und keine Maschine für den Straßenbau wie die Ausgangsdokumente KBS5 und E1, überzeugt nicht. Wie die Beschwerdeführerinnen anhand des Beweismittels KBS7 gezeigt haben, überschneiden sich die Einsatzbereiche solcher Maschinen. Die Lehre von E8 erstreckt sich zudem, wie auch KBS5, auf Maschinen sowohl mit Rädern als auch mit Kettenlaufwerken als Fahrwerk (E8, Spalte 1, Zeilen 33 bis 38), bei denen der Abstand zum Maschinenrahmen veränderbar ist und Arbeitswalze am Maschinenrahmen gelagert ist.

5.3.2 Allerdings ist in E8 bezüglich der Lage des Maschinenrahmens ("Gerätechassis") ein komplexes Regelungskonzept offenbart, das bezüglich der Betriebsposition ein anderes Ziel verfolgt als dasjenige der oben definierten objektiven technischen Aufgabe. Dieses Ziel liegt in der Beibehaltung der Lastenverteilung durch Einhaltung einer vorgegebenen Lage des Maschinenrahmens unter Vermeidung einer Querneigung der Fördermittel sowie der hieran aufgehängten Verbindungsbrücke (vgl. E8, Spalte 1, Zeilen 14 bis 24). Die Einhaltung der Betriebsposition gemäß E8 erfolgt also, wie auch von der Beschwerdegegnerin argumentiert, relativ zum Erdmittelpunkt (vgl. auch Figur 3). Diese Ausrichtung wird durch einen Lagesensor überwacht, und zwar in Quer- und Längsrichtung (Spalte 3, Zeilen 22 bis 26). Als Sollwert der Steuerung ("Automatisierungsgerät") dient in E8 somit die Winkelstellung des Maschinenrahmens zum Erdmittelpunkt sowie die Abtragshöhe (Spalte 1, Zeilen 55 bis Spalte 2, Zeile 4). Zusätzlich wird auch noch die Belastung der einzelnen Raupen eingestellt, wozu jede Hubsäule einen zusätzlichen Kraftsensor aufweist.

5.3.3 Bei der Durchführung dieses Regelungskonzepts werden zwar in der Tat die Hubstellungen der Hubzylinder gemessen. Diese Information wird jedoch verwendet, um den Sollwert der Winkelstellung des Maschinenrahmens bei gegebener Abtragstiefe zu regeln, aber nicht, um die Betriebsebene relativ zum Abstand zum jeweiligen Auflagerpunkt (Kette oder Rad) zu regeln. Daher sind im Gegensatz zu Anspruch 1 die Hubstellungen selbst nicht auf Sollwerte geregelt. Im Ergebnis wird auch der Maschinenrahmen in E8 auf eine Betriebsebene geregelt, die allerdings anders definiert ist als im Patent.

Die Fachperson würde deshalb zur Lösung der gestellten Aufgabe nicht auf die komplexe Regelung aus E8 als Ganzes zurückgreifen.

5.3.4 Um von E1 oder KBS5 zum Gegenstand von Anspruch 1 zu gelangen, müsste die Fachperson vielmehr einen Teil des Messkonzepts aus E8 selektiv herauslösen (nämlich die Messung lediglich der Hubsensoren, ohne Neigungs- und Kraftmessung) und mit einer anderen Regelung bzw. Sollwertvorgabe verknüpfen (die, die Hubwege konstant bzw. auf Sollwert zu halten). Ein solcher Lösungsansatz ist jedoch rückschauend, da dieser dem komplexen Regelkonzept und insbesondere dem Regelziel aus E8 zuwiderläuft und lediglich in Kenntnis des erfindungsgemäßen Regelungskonzeptes möglich ist.

6. Im Ergebnis sind die Beschwerden nicht begründet.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

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