T 1924/18 () of 7.6.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T192418.20210607
Datum der Entscheidung: 07 Juni 2021
Aktenzeichen: T 1924/18
Anmeldenummer: 13189863.7
IPC-Klasse: G07B 15/06
G01C 21/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 418 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Onboard-Unit und Transaktionsserver für ein Straßenmautsystem
Name des Anmelders: Kapsch TrafficCom AG
Name des Einsprechenden: Toll Collect GmbH
Kammer: 3.5.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56 (2007)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1437/15
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 3287/19

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 7. Mai 2018, das europäische Patent Nr. 2 866 206 in geändertem Umfang nach Artikel 101(3)a) EPÜ aufrechtzuerhalten.

II. Im Einspruchsverfahren wurden u. a. die folgenden Dokumente betrachtet:

D1 |EP 1 909 231 A1, 9. April 2008 |

D3 |EP 1 821 259 A2, 22. August 2007 |

D5N|DE 10 2005 029447 A1, 28. Dezember 2006|

D10|WO 98/54682 A1, 3. Dezember 1998 |

D11|JP 2001 208824 A, 3. August 2001 |

D12|EP 1605419 A1, 14. Dezember 2005 |

D13|DE 10 2005 018557 A1, 26. Oktober 2006|

D14|DE 10 2007 039200 A1, 13. März 2008|

D15|WO 2008/132267 A1, 6. November 2008|

III. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass sowohl der Gegenstand des Anspruchs 9 gemäß dem Hauptantrag als auch der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag 1 nicht neu sei. In der Folge hat die Einspruchsabteilung entschieden, das Patent auf Basis des Hilfsantrags 2 aufrechtzuerhalten.

IV. In ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 hat die Kammer ihre vorläufige Auffassung mitgeteilt, dass die beiden unabhängigen Ansprüche 1 und 9 des Streitpatents in der aufrechterhaltenen Fassung nicht erfinderisch seien (Artikel 56 EPÜ).

V. Die mündliche Verhandlung fand am 7. Juni 2021 als Videokonferenz statt.

VI. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

VII. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise, das Streitpatent gemäß einem der mit Schreiben vom 7. Mai 2021 eingereichten Hilfsanträge 1-12 aufrechtzuerhalten.

VIII. Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag lautet wie folgt (Nummerierung wie von der Einsprechenden eingeführt):

(M1) Onboard-Unit für ein Straßenmautsystem, umfassend

(M1.1) einen Satellitenempfänger (4) zur Erzeugung einer Folge von Positionsfixen (pi) aus Positionssignalen eines globalen Satellitennetzwerks,

(M1.2) ein Mobilfunkmodul (12) zur Kommunikation über ein Mobilfunknetz (13) mit einem entfernten Transaktionsserver (14), und

(M1.3) einen an den Satellitenempfänger (12) angeschlossenen und das Mobilfunkmodul (12) steuernden Prozessor (3'),

dadurch gekennzeichnet, dass

der Prozessor dafür ausgebildet ist,

(M1.3.1) in einem ersten Betriebszustand aus der Folge von Positionsfixen (pi) durch Datenreduktion eine datenreduzierte Folge von Positionsmeldungen (mj) zu erzeugen und über das Mobilfunkmodul (12) an den Transaktionsserver (14) zu senden und

(M1.3.2) in einem zweiten Betriebszustand alle Positionsfixe (pi) der Folge über das Mobilfunkmodul (12) an den Transaktionsserver (14) zu senden,

(M1.3.3) wobei der Prozessor (3') mittels einer über das Mobilfunkmodul (12) empfangenen Aufforderungsnachricht vom ersten Betriebsmodus alternativ oder zusätzlich in den zweiten Betriebsmodus versetzbar ist,

(M1.4) wobei die Onboard-Unit (3) zur Datenreduktion eine oder mehrere der folgenden Komponenten umfasst:

(M1.4.1) einen Mittelwertbildner (7), welcher aus mehreren Positionsfixen (pi) eine Positionsmeldung (mj) mittelt;

(M1.4.2) einen Schätzer (7), welcher mehrere Positionsfixe (pi) durch einen Polygonzug oder eine Kurve approximiert und daraus eine Positionsmeldung (mj) erzeugt;

(M1.4.3) ein Geschwindigkeitsfilter (8), welches mit zunehmender Geschwindigkeit eine zunehmende Datenreduktion durchführt;

(M1.4.4) ein Stillstandsfilter (8), welches bei Detektion von Stillstand eine Datenreduktion durchführt;

(M1.4.5) ein Kurven- bzw. Richtungsfilter (9), welches mit abnehmender Richtungsänderung eine zunehmende Datenreduktion durchführt.

IX. Anspruch 9 gemäß dem Hauptantrag lautet wie folgt (Nummerierung wie von der Einsprechenden eingeführt):

(M9) Transaktionsserver für ein Straßenmautsystem, mit einer Schnittstelle zu einem Mobilfunknetz,

dadurch gekennzeichnet, dass

(M9.1) der Transaktionsserver (14) dafür ausgebildet ist,

(M9.1.1) eine von einer Onboard-Unit (3) über das Mobilfunknetz (13) empfangene Folge von Positionsfixen (pi) aus Positionssignalen eines globalen Satellitennetzwerks mit

(M9.1.2) einer von derselben Onboard-Unit (3) über das Mobilfunknetz (13) empfangenen Folge von Positionsmeldungen (mj), die durch Datenreduktion der Positionsfixe (pi) entstanden sind, zu vergleichen,

(M9.1.3) indem der Transaktionsserver (14) zu Vergleichszwecken eine Referenz-Datenreduktion (7' - 11') an den empfangenen Positionsfixen (pi) durchführt,

(M9.2) wobei der Transaktionsserver (14) zur Datenreduktion eine oder mehrere der folgenden Komponenten umfasst:

(M9.2.1) einen Mittelwertbildner (7'), welcher aus mehreren Positionsfixen (pi) eine Referenz-Positionsmeldung (mj') mittelt;

(M9.2.2) einen Schätzer (7'), welcher mehrere Positionsfixe (pi) durch einen Polygonzug oder eine Kurve approximiert und daraus eine Referenz-Positionsmeldung (mj') erzeugt;

(M9.2.3) ein Geschwindigkeitsfilter (8'), welches mit zunehmender Geschwindigkeit eine zunehmende Datenreduktion durchführt;

(M9.2.4) ein Stillstandsfilter (8'), welches bei Detektion von Stillstand eine Datenreduktion durchführt;

(M9.2.5) ein Kurven- bzw. Richtungsfilter (9'), welches mit abnehmender Richtungsänderung eine zunehmende Datenreduktion durchführt.

Entscheidungsgründe

1. Das Streitpatent betrifft die Überprüfung von komprimiert übertragenen Positionsdaten in einem GPS-gestützten Mautsystem.

2. Stand der Technik: Dokument D1

Die Einspruchsabteilung hat in der mündlichen Verhandlung das Dokument D1 als Stand der Technik für Anspruch 1 (Onboard-Unit für ein Straßenmautsystem) zugelassen. Dabei stellte die Einspruchsabteilung fest, dass das Dokument D1 prima facie relevant für Anspruch 1 sein müsse, da es neuheitsschädlich für Anspruch 9 (Transaktionsserver) sei.

2.1 Die Beschwerdegegnerin hat die Zulassung von Dokument D1 durch die Einspruchsabteilung beanstandet und dazu angeführt, dass in der Einspruchsbegründung eine auf Dokument D1 basierende Argumentationslinie lediglich gegen Anspruch 9, nicht aber gegen Anspruch 1 vorgebracht worden sei. Daher sei Dokument Dl als Stand der Technik für Anspruch 1 erst verspätet vorgebracht. Da die Relevanz des Dokuments D1 für Anspruch 1 von der Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren geraume Zeit nicht erkannt worden sei, könne eine prima facie Relevanz des Dokuments D1 nicht gegeben sein. Folglich habe die Einspruchsabteilung das Dokument D1 nicht als Stand der Technik für Anspruch 1 in das Verfahren zulassen dürfen.

2.2 Eine von der ersten Instanz getroffene Ermessensentscheidung ist von der Beschwerdekammer nur eingeschränkt, und zwar nur darauf überprüfbar, ob das rechtlich eingeräumte Ermessen unter Anwendung der richtigen Kriterien und willkürfrei ausgeübt wurde. Das gilt auch im Zusammenhang mit der Zulassung verspäteten Vorbringens. Dagegen ist es nicht Aufgabe der Beschwerdekammer, die Sachlage noch einmal darauf zu überprüfen, ob sie das Ermessen in derselben Art und Weise ausgeübt hätte (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Aufl., IV.C.4.5.2 und die dort zitierte Rechtsprechung).

Die Kammer stellt fest, dass die auf Dokument D1 basierende Argumentationslinie gegen Anspruch 1 von der damaligen Einsprechenden verspätet vorgebracht worden war. Es war daher von der Einspruchsabteilung zu prüfen, ob diese Argumentationslinie prima facie relevant ist. Dazu hat sie in der mündlichen Verhandlung (wie aus Abschnitt 6.2 der Niederschrift ersichtlich) ermittelt, dass das Dokument D1 einen Transaktionsserver gemäß Anspruch 9 offenbart, der mit der Onboard-Unit gemäß Anspruch 1 in Beziehung steht. Auf dieser Grundlage ist sie zu dem Schluss gekommen, dass das bezüglich Anspruch 9 zitierte Dokument D1 prima facie auch für Anspruch 1 relevant sein müsse. Die Einspruchsabteilung hat somit ihr Ermessen in zulässiger Weise ausgeübt. Die Entscheidung, Dokument D1 und die darauf basierenden Argumentationslinien gegen Anspruch 1 zuzulassen, ist daher nicht zu beanstanden.

2.3 Ferner hat die Beschwerdegegnerin in der Beschwerdeerwiderung bemängelt, dass die angegriffene Entscheidung nicht die Gründe für die Zulassung des Dokuments D1 und der besagten Argumentationslinie gegen Anspruch 1 nenne. Dies stelle einen schweren Verfahrensmangel dar.

2.4 Die Kammer stellt fest, dass die angegriffene Entscheidung tatsächlich nicht die Gründe für die Zulassung des Dokuments D1 und der besagten Argumentationslinie nennt. Dies ist im Hinblick auf Regel 111 (2) EPÜ problematisch, gemäß der "Entscheidungen ... zu begründen sind". Dies bezieht sich nicht nur auf die Entscheidung insgesamt, sondern auch auf einzelne Elemente. Allerdings hat die Einspruchsabteilung die Gründe für die Zulassung besagter Argumentationslinie in der mündlichen Verhandlung erläutert, wie aus der Niederschrift dieser Verhandlung hervorgeht. Da die Gründe der Beschwerdegegnerin somit bekannt waren, kann das alleinige Fehlen einer Teilbegründung in der schriftlichen Entscheidung keinen schweren Verfahrensmangel im Sinne der Verletzung des rechtlichen Gehörs oder der mangelnden Begründung der Entscheidung schlechthin darstellen.

3. Zulässigkeit der Angriffslinien gegen Anspruch 1

In der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin vorgetragen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht erfinderisch gegenüber der Lehre des Dokuments D1 u.a. in Kombination mit einem der Dokumente D3 oder D12 sei. Aus der Niederschrift der mündlichen Verhandlung, Abschnitt 7.3, gehe hervor, dass verschiedene Angriffslinien gegen Anspruch 1 auf Basis beider Ausführungsbeispiele des Dokuments D1 vorgetragen worden seien. Dabei sei auf die "bekannten Kompressionsverfahren" verwiesen worden, was einen impliziten Verweis auf Tabelle 1 der Einspruchsschrift darstelle, welche die im vorliegenden Verfahren betrachteten, u.a. aus den Dokumenten D3 und D12 bekannten, Kompressionsverfahren aufzähle. Folglich seien insbesondere die Angriffslinien auf Basis der Dokumentenkombinationen D1 mit D3 bzw. D1 mit D12 bereits Gegenstand des Verfahrens vor der Einspruchsabteilung gewesen und könnten daher im Beschwerdeverfahren ohne weiteres weiterverfolgt werden. Dem ist die Beschwerdegegnerin mit ihrer Auffassung entgegengetreten.

Die Kammer interpretiert Abschnitt 7.3 der Niederschrift dahingehend, dass die Anspruchsalternativen "Mittelwertbildner", "Geschwindigkeitsfilter" und "Stillstandsfilter" von der Beschwerdeführerin vor der Einspruchsabteilung auf der Grundlage der Kombination des Dokuments D1 mit den in Tabelle 1 der Einspruchsschrift genannten Dokumenten als naheliegend erachtet wurden. Bei Dokument D1 wurden dabei beide Ausführungsbeispiele, d.h. "on-board map matching" und "off-board map matching" betrachtet. Da insbesondere die auf der Kombination der Dokumente D1 und D3 bzw. D12 basierenden Einwände in der Beschwerdebegründung weiterverfolgt wurden, stellen diese die Grundlage für die Überprüfung der Entscheidung hinsichtlich des Anspruchs 1 dar.

4. Hauptantrag

4.1 Anspruch 1, Artikel 56 EPÜ: Unterscheidungsmerkmale

Die Beschwerdeführerin hat sich die Auffassung der Einspruchsabteilung zu eigen gemacht, dass die Merkmale (M1)-(M1.4) aus Dokument D1 bekannt seien, und hat dazu weiter ausgeführt, dass die Alternativen (M1.4.1) bis (M1.4.5) die Unterscheidungsmerkmale darstellten.

Die Beschwerdegegnerin hat dazu vorgebracht, dass Dokument D1 darüber hinaus auch nicht das Merkmal (Ml.3.2) offenbare, da die Übertragung nicht "alle Positionsfixe" umfasse, sondern GPS-Rohdaten, welche überdies einer Auswahl ("Selection and summarisation", vgl. [0133]) unterlägen. Aus diesen ließen sich jedoch auch andere Folgen von Positionsfixen erzeugen als die gemäß Merkmal (M1.1). Ferner sei das Merkmal (Ml.3.3) nicht offenbart, da es keinen Wechsel in einen zweiten Betriebsmodus gebe. Schließlich stelle auch das Merkmal (M1.4) einen Unterschied dar, da keine Datenreduktion offenbart sei. Somit unterscheide sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von der aus Dokument D1 bekannten Lehre hinsichtlich der Merkmale (Ml.3.2), (Ml.3.3) und (Ml.4) bis (M1.4.5).

Die Beschwerdeführerin hat sich insoweit auf den Standpunkt gestellt, dass die erneute Diskussion der Neuheit und die Feststellung weiterer Unterscheidungsmerkmale erst im Beschwerdeverfahren gegen das Verschlechterungsverbot verstoße, da dadurch ihre Stellung als einzige Beschwerdeführerin verschlechtert werde. Im Übrigen handele es sich hierbei um verspätet vorgebrachte neue Argumente der Beschwerdegegnerin, die nicht in das Verfahren zuzulassen seien. Hinsichtlich des Merkmals (Ml.3.2) hat sie zudem auf Dokument D1, Absätze [0133], [0170] und [0171] verwiesen, worin offenbart sei, dass das "evidential log" auch Positionsdaten umfasse. Im erstgenannten Absatz werde zwar offenbart, dass die Daten im "evidential log" reduziert würden. Dies beziehe sich jedoch nicht auf die Positionsdaten, sondern auf "satellites not used ... or unwanted data from sensors", wie aus den Absätzen [0134] und [0135] ersichtlich. Da somit offenbart sei, dass das "evidential log" alle Positionsdaten beinhalte, sei Merkmal (Ml.3.2) folglich nicht neu.

Die Kammer ist der Auffassung, dass in Dokument D1 nicht offenbart ist, dass im zweiten Betriebszustand (Übertragung des angefragten "evidential log") tatsächlich alle Positionsfixe übertragen werden. Absatz [0171] offenbart eindeutig, dass die Positionsfixe ("vehicle position data") einer Auswahl ("selected and/or summarised") unterliegen. Diese technische Lehre des Absatzes [0171] ändert sich selbst dann nicht, wenn diese in Kombination mit Absatz [0135] betrachtet wird, da sich in Letzterem die Auswahl auf "satellites not used ... or unwanted data from sensors" bezieht. Da gemäß Dokument D1 nur einige ausgewählte und somit eben nicht alle Positionsfixe übertragen werden, offenbart Dokument D1 das Merkmal (Ml.3.2) nicht. Bezüglich Merkmal (Ml.3.3) ist die Kammer aber der Auffassung, dass der zweite Betriebszustand eindeutig aus Absatz [0119] hervorgeht: "the evidential data is only transferred to the back-end system when a remote request is received from the back-end system. Hinsichtlich Merkmal (M1.4) konnte die Beschwerdegegnerin nicht überzeugend darlegen, weshalb es sich bei dem in Absatz [0203] des Dokuments D1 genannten "data reduction algorithm" nicht um eine Datenreduktion durch die Onboard-Unit im Sinne des Anspruchs handelt. Folglich gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass das Dokument D1 nicht "alle" (Positionsfixe) aus Merkmal (M1.3.2), sowie auch nicht die Alternativen (M1.4.1) - (M1.4.5) offenbart. Diese stellen somit die Unterscheidungsmerkmale des Anspruchs 1 gegenüber Dokument D1 dar.

Hinsichtlich der vermeintlichen "reformatio in peius" weist die Kammer darauf hin, dass das Verschlechterungsverbot ausschließlich die Rechtswirkung einer angegriffenen Entscheidung betrifft, nicht jedoch Anwendung auf einzelne Fragen oder Einwände findet (siehe Entscheidung T 1437/15, Gründe 3.2.2). Auch wurden die Argumente insbesondere hinsichtlich Merkmal (Ml.3.2) sowohl in der Verhandlung vor der Einspruchsabteilung als auch in der Beschwerdeerwiderung vorgetragen. Daher handelt es sich dabei nicht um neue Argumente, so dass sich Fragen der Zulassung ebenfalls nicht stellen.

4.2 Anspruch 1: Erfinderische Tätigkeit

Die Beschwerdeführerin hat argumentiert, dass das zweite Unterscheidungsmerkmal - umfassend die Alternativen (M1.4.1) bis (M1.4.5) - naheliegend sei. Ausgehend von Dokument D1 als nächstem Stand der Technik stelle sich dem Fachmann die Aufgabe, das in Dokument D1 angezeigte Verfahren zur Datenkompression mit Leben zu füllen. Dazu würde der Fachmann auf sein allgemeines Fachwissen zurückgreifen und beispielsweise einen Mittelwertbildner auswählen. Auf diese Weise würde er ohne erfinderisches Zutun zu Merkmal (M1.4.1) gelangen. Demgegenüber habe das erste Unterscheidungsmerkmal("alle Positionsfixe") die technische Wirkung, die Überprüfung der Gebührenberechnung zu verbessern. Da Dokument D1 dieses Problem in Absatz [0117] nennt ("should the efficacy of the algorithms used to convert the raw data into route usage data be challenged"), sei es für den Fachmann naheliegend, nach einer Lösung für dieses Problem zu suchen. Da ein größerer Datenbestand stets eine bessere Überprüfung ermögliche, sei es naheliegend vorzusehen, dass alle Positionsfixe übertragen werden, um die Aufgabe zu lösen. Da die beiden Unterscheidungsmerkmale eine reine Nebeneinanderstellung darstellten, sei es legitim, zwei unterschiedliche Teilaufgaben zu benennen und nur das Naheliegen eines jeden Unterscheidungsmerkmals separat zu belegen.

Die Beschwerdegegnerin hat demgegenüber argumentiert, dass Absatz [0117] die Überprüfung der Rechnung, ausgehend von GPS-Rohdaten, offenbare. Damit könne diese Textstelle nicht die Übertragung "aller Positionsfixe" nahelegen. Folglich wäre der Fachmann nicht ohne erfinderisches Zutun zum ersten Unterscheidungsmerkmal gelangt. Zudem offenbare Dokument D1 mehrfach (siehe z.B. Absätze [0131], [0171]), dass die Positionsdaten für die Übertragung "selected and/or summarised" würden. Dies hätte den Fachmann davon abgehalten, das erste Unterscheidungsmerkmal zu implementieren.

Die Kammer stellt fest, dass gemäß Dokument D1 die "vehicle position data" im "evidential log" "selected and/or summarized" sind, vgl. Absatz [0171]. Da der Fachmann keinerlei Veranlassung hat, gegen diese Lehre des Dokuments D1 zu handeln, kommt die Kammer zu der Auffassung, dass das Teilmerkmal "alle" des Merkmals (M1.3.2) nicht nahegelegt ist. Das Argument der Beschwerdeführerin, dass "mehr Daten den Vergleich besser machen", verfängt nicht, da die Sicherheit gegen etwaige Manipulationen nicht allein von der bloßen Datenmenge abhängt. Ausgehend von der Lehre des Dokuments D1 hätte der Fachmann die technische Aufgabe zwar womöglich dadurch gelöst, mehr Rohdaten zu übermitteln, da bei diesen etwaige Manipulationen leichter zu erkennen sind. Dennoch vermag die Kammer daraus nicht auch zu schließen, dass er ohne jede Veranlassung "alle Positionsfixe" wie in Anspruch 1 gefordert, übermittelt hätte und man deshalb annehmen könnte, dass er in naheliegender Weise zum ersten Unterscheidungsmerkmal gelangt wäre. Anders als die Einspruchsabteilung interpretiert die Kammer dabei das Teilmerkmal "alle Positionsfixe" umfassender, d.h. als alle Positionsfixe, die der Satellitenempfänger innerhalb eines bestimmten Zeitraumes erzeugt.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 erfüllt daher die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.

4.3 Anspruch 9, Artikel 56 EPÜ: Interpretation

Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, dass der Transaktionsserver gemäß Anspruch 9 keinen Einfluss darauf habe, welche Daten er erhalte. Die in Anspruch 9 genannten Eigenschaften der Daten ("Folge von Positionsfixen aus Positionssignalen eines globalen Satellitennetzwerks", "Folge von Positionsmeldungen, die durch Datenreduktion der Positionsfixe entstanden sind") beschränkten den Gegenstand des auf den Transaktionsserver gerichteten Anspruchs daher nicht.

Die Beschwerdegegnerin hat demgegenüber argumentiert, dass Anspruch 9 eindeutig auf den Empfang einer unreduzierten und einer reduzierten Datenfolge beschränkt sei.

Die Kammer stellt zunächst fest, dass die in Anspruch 9 genannten Eigenschaften der Daten ("Folge von Positionsfixen aus Positionssignalen eines globalen Satellitennetzwerks", "Folge von Positionsmeldungen, die durch Datenreduktion der Positionsfixe entstanden sind") keine Merkmale des Transaktionsservers als solchem sind. Die Kammer stimmt mit der Beschwerdeführerin insofern überein, dass seitens des Transaktionsservers nicht feststellbar ist, ob die "Folge von Positionsfixen" tatsächlich aus Positionsfixen besteht, die "aus Positionssignalen eines globalen Satellitennetzwerks" entstanden sind, und die "Folge von Positionsmeldungen" tatsächlich aus Positionsmeldungen besteht, "die durch Datenreduktion der Positionsfixe entstanden sind". Erstens ist nicht sicher erkennbar, ob die Positionsfixe aus Positionssignalen eines globalen Satellitennetzwerks oder anderweitig erzeugt sind. Zweitens ist seitens des Transaktionsservers nicht unterscheidbar, ob die Positionsmeldungen aus der im Anspruch 9 genannten Folge von Positionsfixen oder einer anderen Folge von Positionsfixen erzeugt wurden. Hierauf kommt es in diesem Zusammenhang für die dem Transaktionsserver zugeschriebene Aufgabe des Datenvergleichs auch nicht an, da hierfür die Art und Weise der Erzeugung der zu vergleichenden Daten ohne Belang ist. Folglich können die in Anspruch 9 genannten Eigenschaften der Datensätze, die einem Vergleich unterzogen werden sollen, auch nicht indirekt Merkmale des Transaktionsservers darstellen.

Im vorliegenden Falle sind die Eigenschaften der Datenfolgen ("Folge von Positionsfixen aus Positionssignalen eines globalen Satellitennetzwerks", "Folge von Positionsmeldungen, die durch Datenreduktion der Positionsfixe entstanden sind") durch den jeweiligen Prozess der Erzeugung in der Onboard-Unit bestimmt, vgl. [0018] bzw. [0019] der Streitpatentschrift. Dementsprechend legt die Kammer Anspruch 9 so aus, dass die für diese beiden Erzeugungsprozesse erforderlichen Vorrichtungsmerkmale der Onboard-Unit den Gegenstand des Anspruchs 9 beschränken.

4.4 Anspruch 9: Unterscheidungsmerkmale

Die Kammer stellt zu Merkmal (M9.1.2) fest, dass gemäß Dokument D1 die vom Transaktionsserver empfangenen Datenfolgen zwar aus den gleichen GPS-Rohdaten abgeleitet sind, aber nicht, dass die eine Datenfolge aus der anderen entstanden ist. Dies wurde von der Beschwerdeführerin nicht bestritten. Es war ferner unstreitig, dass Dokument D1 die Alternativen (M9.2.1) - (M9.2.5) nicht offenbart. Hinsichtlich Merkmal (M9.1.1) trug die Beschwerdegegnerin zudem vor, dass Dokument D1 "nicht die beanspruchte datenreduzierte Folge" zeige. Dieses Argument überzeugt die Kammer jedoch nicht, da nach Auffassung der Kammer das Merkmal (M9.1.1) die darin vorgeblich beanspruchte "datenreduzierte Folge" weder nennt noch impliziert.

Folglich gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass das Dokument D1 nicht das Merkmal (M9.1.2) sowie die Alternativen (M9.2.1) - (M9.2.5) offenbart. Diese stellen somit die Unterscheidungsmerkmale des Anspruchs 1 gegenüber Dokument D1 dar.

4.5 Anspruch 9: Erfinderische Tätigkeit

Die Beschwerdeführerin hat argumentiert, dass Anspruch 9 keinen Zusammenhang zwischen dem Vergleich in Merkmal (M9.1.2) und den "Vergleichszwecken" des Merkmals (M9.1.3) festlege. Dementsprechend falle es auch unter den Anspruchswortlaut, wenn zwei unterschiedliche Verfahren zur Datenreduktion verwendet würden. Außerdem sei in Anspruch 9 nicht festgelegt, welche Daten verglichen würden und auf welche Weise. Da zudem der beanspruchte Transaktionsserver effektiv nur durch die Art der Daten beschränkt sei, aber nicht durch deren Erzeugung, lasse sich der aus Dokument D1 bekannte Transaktionsserver auf den Anspruch lesen, da in diesem ähnliche Daten auf vergleichbare Weise verglichen würden (siehe Absatz [0230]). Das effektiv einzige Unterscheidungsmerkmal, nämlich die verschiedenen alternativen Kompressionsalgorithmen, seien dem Fachmann aber bekannt. Der Fachmann würde eine Datenreduktion auf Seiten des Transaktionsservers beispielsweise vornehmen, um Rechenleistung beim Vergleich der Datenpunkte des "evidential log" mit einer Karte zu sparen. Daher sei der Gegenstand des Anspruchs 9 nicht erfinderisch gegenüber der Lehre des Dokuments D1.

Die Beschwerdegegnerin hat dem entgegnet, dass Dokument D1 die in Anspruch 9 spezifizierten Datenfolgen nicht offenbare. Ferner löse Dokument D1 die Aufgabe, Rechnungen zu überprüfen, während hingegen der Gegenstand des Anspruchs 9 sich mit dem Überprüfen der Datenreduktion befasse.

Unter Berücksichtigung der in Abschnitt 4.3 genannten Auslegung des Anspruchs 9 lässt sich die durch die Unterscheidungsmerkmale hervorgerufene technische Wirkung dahingehend formulieren, die korrekte Arbeitsweise der Datenreduktion der Onboard-Unit zu überprüfen. Die objektive technische Aufgabe besteht folglich darin, das aus Dokument D1 bekannte System so zu verändern, dass die korrekte Arbeitsweise der Datenreduktion der Onboard-Unit überprüft werden kann. Der aus Dokument D1 bekannte Transaktionsserver dient jedoch dazu, Rechnungen zu überprüfen. Einen Hinweis bezüglich der Überprüfung der Datenreduktion gibt es in Dokument D1 nicht. Folglich gelangt die Kammer zu der Auffassung, dass die Lehre des Dokuments D1 dem Fachmann keine Veranlassung gibt, dem Transaktionsserver die Datenfolge des Merkmals (M9.1.2) - die im Lichte der Beschreibung den Gegenstand wie oben dargelegt beschränkt - zuzuführen. Das Argument der Beschwerdeführerin, dass Dokument D1 Datenfolgen mit - auf Seiten des Transaktionsservers - identischen Eigenschaften offenbar und folglich der Transaktionsserver des Anspruchs 9 nahegelegt sei, verfängt nicht, da die Kammer Anspruch 9 so interpretiert, dass die OBU-seitigen Merkmale der Erzeugung der Datenfolge den Anspruch beschränken (vgl. Abschnitt 4.3). Da aus den vorgenannten Gründen zumindest das erste Unterscheidungsmerkmal nicht naheliegend ist, beruht der Gegenstand des Anspruchs 9 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Der Gegenstand des Anspruchs 9 erfüllt daher die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.

4.6 Aufgrund der vorstehenden Erwägungen hat die Einspruchsabteilung zutreffend entschieden, dass die geltend gemachten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents nach dem dortigen Hilfsantrag 2 und hiesigem Hauptantrag nicht entgegenstehen.

4.7 Die Beschwerde ist daher nicht begründet.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Quick Navigation