T 1778/18 (G-CSF Flüssigformulierung/BIOCEUTICALS) of 3.6.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T177818.20200603
Datum der Entscheidung: 03 Juni 2020
Aktenzeichen: T 1778/18
Anmeldenummer: 09158328.6
IPC-Klasse: A61K38/18
A61K9/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: G-CSF Flüssigformulierung
Name des Anmelders: Bioceuticals Arzneimittel AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56 (2007)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein), Hilfsanträge 1 bis 4 (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Anmelderin (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung No. 09 158 328.6 zurückzuweisen.

II. Die Prüfungsabteilung begründete die Zurückweisung der Anmeldung damit, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des ihr vorliegenden Hauptantrags sowie der ihr vorliegenden zwei Hilfsanträge nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe (Artikel 56 EPÜ).

III. Mit ihrer Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin einen Hauptantrag und vier Hilfsanträge ein und beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Fall an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen mit der Maßgabe ein Patent auf der Basis des Hauptantrags oder hilfsweise auf Basis eines der vier Hilfsanträge zu erteilen, wobei der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 und 2 den in der angefochtenen Entscheidung behandelten Anträgen entsprächen. Sollte dem Hauptantrag nicht stattgegeben werden können, beantragte die Beschwerdeführerin hilfsweise die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung gemäß Artikel 116 EPÜ.

IV. Die ersten Ansprüche des Haupt- und des ersten Hilfsantrags lauten jeweils wie folgt:

"1. Flüssigformulierung von G-CSF, enthaltend G-CSF als Wirkstoff, Acetat als Puffer, Polysorbat 20 und/oder Polysorbat 80 als Tensid, Sorbitol als isotonisierendes Mittel und Natrium und darüber hinaus keine weiteren Inhaltsstoffe, wobei die Formulierung einen pH-Wert zwischen 4,1 und 4,3 aufweist und der pH-Wert mit NaOH eingestellt wird, zur Verwendung als Arzneimittel.

1. Verwendung einer Flüssigformulierung von G-CSF, enthaltend G-CSF als Wirkstoff, Acetat als Puffer, Polysorbat 20 und/oder Polysorbat 80 als Tensid, Sorbitol als isotonisierendes Mittel und Natrium und darüber hinaus keine weiteren Inhaltsstoffe, wobei die Formulierung einen pH-Wert zwischen 4,1 und 4,3 aufweist und der pH-Wert mit NaOH eingestellt wird, zum Befüllen einer Fertigspritze."

Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass vor dem Merkmal "zur Verwendung als Arzneimittel" das Merkmal "und wobei die Konzentration an G-CSF 0,6 mg/ml beträgt" hinzugefügt ist.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 dadurch, dass vor dem Merkmal "zum Befüllen einer Fertigspritze" das Merkmal "und wobei der Gehalt an aktiven G-CSF-Molekülen nach dreimonatiger Lagerung der G-CSF-Flüssigformulierung bei 25°C 80% oder mehr der Ausgangkonzentration ist," hinzugefügt ist.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrages dadurch, dass vor dem Merkmal "zur Verwendung als Arzneimittel" das Merkmal "und wobei der Gehalt an aktiven G-CSF-Molekülen nach dreimonatiger Lagerung der G-CSF-Flüssigformulierung bei 25°C 80% oder mehr der Ausgangkonzentration ist," hinzugefügt ist.

V. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 äußerte die Kammer ihre vorläufige Meinung unter anderem darüber, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 sämtlicher anhängiger Anspruchssätze ausgehend von Dokument D6 als nächstliegendem Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Die Kammer führte zwei neue Dokumente (D10 und D11; bibliographische Daten, siehe unten) in das Verfahren ein.

VI. Die mündliche Verhandlung fand wie anberaumt am 3. Juni 2020 statt. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete die Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.

VII. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:

D6: Herman, A.C. et al., Characterization,

Formulation, and Stability of Neupogen

(Filgrastim), a Recombinant Human Granulocyte

Colony Stimulating Factor, in "Formulation,

Characterization, and Stability of Protein Drugs";

Herausgeber: Pearlman, R. and Wang, Y.J.; (1996)

Seiten 303-327

D7: AHFS (American Society of Health-System

Pharmacists) Drug Information (2001),

Seiten 1454-1463

D8: EP 0 373 679 B1

D10: DRUGS DataBase www.drugsDB.eu; Eintrag "NEUPOGEN -

filgastrim injection, solution - AMGEN, INC",

Datum der Abfrage: 11. März 2020

D11: Rote Liste (2005) - Eintrag 51 035 "Neupogen®

30 Mio.E. (300myg/1,0 ml)(auf dieses Dokument

wird auf Seite 6, Zeile 7 der Anmeldung Bezug

genommen).

VIII. Das entscheidungsrelevante schriftliche und mündliche Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

Hauptantrag - Anspruch 1

Betrachte man, im Einklang mit der vorläufigen schriftlichen Meinung der Kammer, Dokument D6 als den nächstliegenden Stand der Technik, dann unterscheide sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von der relevanten Offenbarung dieses Dokumentes hinsichtlich zweier technischer Merkmale. Zum einen beschreibe Dokument D6 einen pH-Wert von 4 für die G-CSF enthaltende Neupogen®-Formulierung, während der anspruchsgemäße pH-Wert im Bereich von 4,1 bis 4,3 liege. Zum anderen beschreibe Dokument D6 nicht, mittels welcher Verbindung die Einstellung des pH-Wertes erfolge, während anspruchsgemäß der pH-Werts mittels NaOH eingestellt werde.

Das zu lösende technische Problem liege in der Bereitstellung einer alternativen G-CSF Flüssigformulierung.

pH-Wert im Bereich von 4,1 bis 4,3

Dokument D6 offenbare auf Seite 322, Absatz 3.1., dass natürliches G-CSF unter physiologischen Bedingungen ziemlich stabil ("quite stable") sei und dass Neupogen® bei pH-Werten von über 5 und gleichzeitig erhöhten Temperaturen aggregiere, und zwar unabhängig davon, ob 5% Mannitol oder 150 mM NaCl als die Tonizität beeinflussende Substanzen zugesetzt werden.

Minimale Aggregation von Neupogen® finde sich hingegen bei einem Wert von pH 4 in Anwesenheit von 5% Mannitol.

Der Fachmann interpretiere die Angabe "pH 4" im Abschnitt 3.1 auf Seite 322 als "pH 4,0" und zwar im Lichte der Beschreibung in Absatz 3.3. auf Seite 323 von Dokument D6. Dort werde erwähnt, dass andere Puffersysteme mit einer Pufferkapazität in einem pH Bereich von "pH 4 ± 0,5" die Aggregation nicht vollständig eliminierten.

Der Wert von pH 4 werde für die Formulierung von Neupogen® seit 20 Jahren verwendet. Angesichts der Offenbarung in den Abschnitten 3.1 und 4.0 des Dokumentes D6, in denen beschrieben werde, dass G-CSF bzw. Neupogen® bei diesem pH Wert extrem stabil seien, habe der Fachmann keinen Anlass gehabt, von diesem optimalen und etablierten Wert abzuweichen.

Dokument D8 belege anhand experimenteller Stresstestdaten in Tabelle 1 auf Seite 5, dass ein pH Wert von kleiner als 4,0 zu einer verbesserten Stabilität von G-CSF führe. Somit rege die Lehre aus Dokument D8 den Fachmann keinesfalls an, einen pH-Wert, der größer ist als 4,0, zu verwenden.

Allerdings sei auch bekannt gewesen, dass ein zu saurer pH-Wert für die Verträglichkeit von Injektionslösungen problematisch sei. Deswegen hätte der Fachmann pH-Werte unter 4,0 nicht in Betracht gezogen.

Letztendlich wäre daher der Fachmann nicht von dem etablierten pH-Wert von 4,0 abgewichen.

Dokument D7 beschreibe auf Seite 1455, linke Spalte, Zeile 28 zwar, dass eine kommerziell erhältliche G-CSF-Injektionslösung in einem Bereich zwischen pH 3,8 bis 4,2 stabil sei. Der Fachmann schenke dieser Offenbarung jedoch kein Vertrauen, da Dokument D7 keine wissenschaftliche Literatur sei und die pH-Angabe ohne Literaturangabe gemacht werde. Zudem sei ein so breiter pH Bereich für eine kommerzielle G-CSF Formulierung wegen seiner Breite unglaubwürdig.

Einstellung des pH-Werts mit NaOH

Auch wenn das technische Problem lediglich die Bereitstellung einer alternativen Flüssigformulierung für G-CSF sei, müsse die beanspruchte Lösung aus dem Stand der Technik zumindest naheliegend sein, um als nicht erfinderisch zu gelten. Dokument D6 offenbare keine pH-Wert Einstellung. Dem Fachmann sei bekannt, dass der pH-Wert auf vielfältigste Weise eingestellt werden könne und daher nicht zwingenderweise mit NaOH.

Hilfsantrag 1 - Anspruch 1

Im schriftlichen Verfahren hatte die Beschwerdeführerin hinsichtlich des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 argumentiert, dass das Anspruchsmerkmal "zum Befüllen einer Fertigspritze" als funktionelles Merkmal so zu verstehen sei, dass es das Befüllen anderer Gefäße vom Anspruchswortlaut ausschließe. Erst die spezifische Zusammensetzung der erfindungsgemäßen G-CSF-Flüssigformulierung und deren Stabilität bei einem pH-Wert von 4,1 bis 4,3 ermögliche es, diese zum Befüllen von Fertigspritzen zu verwenden.

Auch seien die in Dokument D7 beschriebenen Spritzen keine Fertigspritze im Sinne des Anspruchs.

Darüber hinaus beschreibe Dokument D7 keine lagerstabile G-CSF Flüssigformulierung.

Während der mündlichen Verhandlung verzichtete die Beschwerdeführerin darauf, für den Hilfsantrag 1 einen separaten Aufgabe-Lösungsansatz auf Basis von Dokument D6 als nächstliegendem Stand der Technik zu entwickeln.

Hilfsantrag 2 - Anspruch 1

In der Beschwerdebegründung argumentierte die Beschwerdeführerin, dass die Wirkstoffkonzentration für die Stabilität einer Proteinlösung eine entscheidende Rolle spiele. Es könne nicht einfach davon ausgegangen werden, dass die doppelte Menge Protein in demselben pH-Bereich genauso stabil sei wie die halbe Menge. Es sei allgemeines Fachwissen, dass aufkonzentrierte Proteine erhöhte Instabilitäten besäßen und eher zu Aggregation neigten.

Die Lehre des Dokuments D7 gebe keinerlei Aufschluss darüber, welche Zusammensetzung die Stabilisierung von 0,6 mg/ml G-CSF ermöglichen könne. Absatz 2 auf Seite 15 sowie die Abbildungen 1 und 2 der vorliegenden Anmeldung zeigten jedoch eine positive Langzeitstabilisierung der erfindungsgemäßen 0,6 mg/ml G-CSF enthaltenden Flüssigformulierungen bei Temperaturen von 30°C bzw. 40°C über einen Zeitraum von 6 Monaten.

Während der mündlichen Verhandlung verzichtete die Beschwerdeführerin darauf, für den Hilfsantrag 2 einen separaten Aufgabe-Lösungsansatz auf Basis von Dokument D6 als nächstliegendem Stand der Technik zu entwickeln.

Hilfsanträge 3 und 4 - Anspruch 1

In der Beschwerdebegründung verwies die Beschwerdeführerin bezüglich der Hilfsanträge 3 und 4 auf die für die Hilfsanträge 1 und 2 vorgebrachte Argumentationslinie. Ausgehend von Dokument D7 gelange der Fachmann somit keinesfalls in naheliegender Weise zu der beanspruchten Flüssigformulierung zum Befüllen von Fertigspritzen bzw. zur Verwendung als Arzneimittel.

Auch für die Hilfsanträge 3 und 4 verzichtete die Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung darauf, einen von Dokument D6 als nächstliegendem Stand der Technik ausgehenden separaten Aufgabe-Lösungsansatzes zu entwickeln.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig, da die Erfordernisse der Artikel 106 bis 108 EPÜ sowie der Regel 99 EPÜ erfüllt sind.

Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

Hauptantrag - Anspruch 1

2. Nach Ansicht der Kammer stellt Dokument D6 den nächstliegenden Stand der Technik dar. Dokument D6 ist ein Kapitel aus dem Buch "Formulation, Characterization and Stability of Protein Drugs". Das Kapitel beschäftigt sich mit der Charakterisierung, Formulierung und Stabilität von "Neupogen®".

Auf Seite 322 wird im Abschnitt 3.1 offenbart, dass der Wirkstoff im Produkt Neupogen® ("Filgrastim"; ein humaner, rekombinant in E. coli hergestellter Granulozyten-Kolonie-stimulierender Faktor (G-CSF); siehe Dokument D6, Seite 304, erster Absatz) einen hohen Anteil hydrophober Aminosäuren enthält. Die in natürlichem G-CSF vorhandenen Kohlenhydratketten maskieren einen Teil dieser Hydrophobizität. Deshalb mussten besondere Überlegungen angestellt werden, um eine langzeitstabile Formulierung für das in E. coli produzierte - und daher aglykosylierte - Produkt zu erhalten. Weiters wird in Dokument D6 in Kapitel 3.1 berichtet, dass, obwohl natürliches G-CSF unter physiologischen Bedingungen ziemlich stabil ("quite stable") ist, Neupogen® bei pH-Werten über 5 jedoch aggregiert, wenn es bei erhöhten Temperaturen getestet wird.

Die vermarktete Neupogen® Flüssigformulierung mit einer G-CSF Konzentration von 300 myg/ml ist bei 2 bis 8 °C für mehr als 24 Monate stabil (siehe Seite 322, Kapitel 3 "FORMULATION"). Diese Neupogen® Flüssigformulierung hat einen pH-Wert von 4 und enthält zusätzlich zu G-CSF 10 mM Natriumazetat, 5 % Mannitol sowie 0,004 % Polysorbat-80 (siehe Seite 322, Abschnitt 3.1).

Auf Seite 323, Abschnitt 3.3 wird angeführt, dass Mannitol in der jetzigen Neupogen® Formulierung durch Sorbitol ersetzt wird ("Presently, sorbitol is being substituted for mannitol in the formulation of Neupogen®").

Sich unterscheidende technische Merkmale

3. Wie auch von der Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung vorgebracht, unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von der in Dokument D6 beschriebenen Neupogen® Flüssigformulierung hinsichtlich zweier Merkmale:

i) im pH-Wert, der anspruchsgemäß zwischen 4,1 und 4,3 liegt, während der pH-Wert von Neupogen® 4,0 beträgt; ii) hinsichtlich des Mittels, mit dem der pH-Wert eingestellt wird, das anspruchsgemäß NaOH ist, während das Mittel, mit dem der pH-Wert der Neupogen®-Formulierung eingestellt wird, in Dokument D6 nicht beschrieben ist.

Technischer Effekt der Unterschiede

4. Die vorliegende Anmeldung beinhaltet keine Daten, die einen Vergleich von Eigenschaften der beanspruchten Flüssigformulierung mit jener aus dem nächstliegenden Stand der Technik zeigen.

Auf Seite 15, Zeilen 2 bis 5, wird jedoch festgestellt:

"Die erfindungsgemäßen Formulierungen wurden zusammen mit entsprechenden Formulierungen mit einem pH-Wert von 4,0, die den Stand der Technik darstellen und als Vergleichsformulierung dienten, bei verschiedenen Temperaturen über verschiedene Zeiträume gelagert." Das Ergebnis des Vergleichs wird auf Seit 15 unten wie folgt beschrieben: "Insgesamt zeigten die erfindungsgemäßen Formulierungen vergleichbare Ergebnisse wie die Vergleichsformulierung, die sich lediglich durch einen saureren pH-Wert, nämlich von pH 4,0, von den getesteten Formulierungen gemäß der Erfindung unterschied." (Hervorhebung von der Kammer).

Zu lösendes technisches Problem

5. Die Kammer stimmt daher mit der Beschwerdeführerin überein, dass das gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik zu lösende technische Problem in der Bereitstellung einer alternativen G-CSF-enthaltenden Flüssigformulierung liegt.

Offensichtlichkeit der Lösung

6. Ausgehend vom nächstliegenden Stand der Technik stellt sich also die Frage zum einen, ob der Fachmann einen pH-Bereich zwischen 4,1 und 4,3 für G-CSF enthaltende Flüssigformulierungen gewählt hätte und zum anderen, ob der Fachmann den pH-Wert mittels NaOH eingestellt hätte.

7. Mit dem Problem konfrontiert, eine alternative G-CSF-enthaltenden Flüssigformulierung bereitzustellen, würde der Fachmann irgendeines der die Neupogen® Formulierung kennzeichnenden Merkmale herausgreifen und verändern, wie zum Beispiel den pH-Wert oder das Mittel zur pH-Wert Einstellung.

pH-Wert im Bereich von 4,1 bis 4,3

8. Dem Fachmann ist bekannt, dass seit langer Zeit die kommerziell erhältliche, G-CSF enthaltende Flüssigformulierung Neupogen® stabil ist und einen pH-Wert von 4,0 aufweist. Aus Dokument D6 ist dem Fachmann weiterhin bekannt, dass Neupogen® bei pH-Werten über 5 aggregiert, wenn es bei erhöhten Temperaturen getestet wird.

Schließlich weiß der Fachmann, wie seitens der Beschwerdeführerin ausgeführt wurde, um die allgemein bekannte Problematik der geringeren Patientenverträglichkeit von Injektionslösungen mit niedrigeren pH-Werten.

Deswegen hätte der Fachmann für die alternative Flüssigformulierung weder einen pH-Wert über 5 noch einen unter 4 gewählt.

9. Im pH-Bereich über 4 und unter 5, also zwischen 4 und 5, zu arbeiten, lag daher nahe. Nach Ansicht der Kammer lag es ebenso nahe, einen Bereich knapp über dem pH-Wert von 4 - bei dem Neupogen® stabil ist - zu wählen, sodass keine die Stabilität des zu formulierenden Proteins negativ beeinträchtigenden Effekte zu erwarten waren. Die Auswahl des pH-Bereichs zwischen 4.1 bis 4.3 aus dem Bereich zwischen 4 und 5 (und nicht zum Beispiel den Bereich zwischen 4.1 bis 4.2) betrachtet die Kammer als willkürlich. Das heißt, dass seine Auswahl nicht zielgerichtet erfolgte, also nicht, um eine spezielle Wirkung zu erzielen. Das hat die Beschwerdeführerin auch nicht geltend gemacht.

10. Stattdessen bringt die Beschwerdeführerin vor, dass der Fachmann es im Lichte von Dokument D8 nicht in Erwägung gezogen hätte, einen pH-Wert zwischen 4,1 und 4,3 für die Formulierung zu verwenden. Dokument D8 zeige nämlich in Tabelle 1 auf Seite 5, dass G-CSF bei pH 4,2 und einer Lagerung für zwei Wochen bei 52°C verhältnismäßig stark aggregiert.

11. Die Kammer überzeugt dieses Vorbringen nicht. Zum einen unterscheidet sich die in Dokument D8 getestete G-CSF-enthaltende Formulierung von der anspruchsgemäßen G-CSF Formulierung dadurch, dass sie 5% Mannitol, kein Polysorbat und kein Puffersystem enthält, wogegen die anspruchsgemäße Formulierung Sorbitol und Polysorbat-20 und einen Acetatpuffer enthält. Dem Fachmann ist bewusst, dass diese Bestandteile einen Einfluss auf die Stabilität des Proteins haben können.

Zum anderen beschreibt Dokument D8, dass bei einer zweiwöchigen Inkubationszeit bei 42 °C, also bei einer niedrigeren Temperatur, keinerlei Aggregation auftritt.

Nach Ansicht der Kammer hätte daher die Lehre aus Dokument D8 den Fachmann nicht davon abgehalten, im beanspruchten pH-Bereich zu arbeiten.

12. Die Kammer kommt somit zum Schluss, dass der Fachmann, basierend auf der Lehre des Dokumentes D6 und dem allgemeinen Fachwissen, den beanspruchten pH-Bereich gewählt hätte, ohne erfinderisch tätig werden zu müssen.

13. Die Beschäftigung mit der Glaubwürdigkeit der Offenbarung in Dokument D7, dass eine kommerziell erhältliche Filgrastim-Injektionslösung in einem pH-Bereich zwischen 3,8 und 4,2 stabil ist, erübrigt sich daher.

Einstellung des pH-Werts mittels NaOH

14. Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass Dokument D6 nicht offenbare, wie der pH-Wert eingestellt werde, dass dem Fachmann aber bekannt sei, dass dies auf vielfältigste Weise geschehen könne und daher nicht zwingenderweise, wie anspruchsgemäß, mit NaOH.

15. Es ist dem Fachmann bekannt, dass es eine Reihe von gleichwertigen alternativen Mitteln gibt, mit denen der pH-Wert eingestellt werden kann. Dass NaOH ein solches bekanntes Mittel zur pH-Einstellung ist, steht außer Zweifel.

16. Wie bei der Auswahl des pH-Bereichs (siehe Punkt 8. bis 9.),so erachtet die Kammer auch die Wahl von NaOH zum Einstellen des pH-Werts als eine willkürliche Auswahl. Das heißt, dass dieses Mittel nicht zielgerichtet ausgewählt wurde, also nicht, um eine spezielle Wirkung zu erzielen. Das hat die Beschwerdeführerin auch nicht geltend gemacht.

17. Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass die Wahl von NaOH als Mittel zur Einstellung des pH-Werts erfolgte, ohne dass der Fachmann erfinderisch tätig werden musste.

18. Folglich ist die Kammer der Auffassung, dass Anspruch 1 des Hauptantrages den Erfordernissen des Artikels 56 EPÜ nicht genügt.

Hilfsantrag 1 - Anspruch 1

19. Die Frage, die sich im Rahmen des Hilfsantrags 1 stellt, ist, ob es einer erfinderischen Tätigkeit bedurfte, das Produkt gemäß Anspruch 1 des Hauptantrages - dem eine erfinderische Tätigkeit abgesprochen wurde, siehe die Punkte 7. bis 18. oben - zu verwenden, um es in eine bestimmte Darreichungsform zu bringen, i.e. es zum Befüllen einer Fertigspritze zu nutzen.

Dies ist zu verneinen. Die Verwendung von G-CSF Flüssigformulierungen zum Befüllen von Fertigspritzen war Teil des allgemeinen Fachwissens wie durch die Dokumente D10 oder D11 belegt wird.

20. Dokument D10 offenbart auf Seite 30, in einem Beipackzettel der Firma Amgen aus dem Jahr 2000, das kommerzielle Produkt Neupogen® - das auch in Dokument D6 beschrieben wird - als Inhaltstoff einer Fertigspritze in einer Konzentration bzw. mit einem Volumen von 300 myg/0,5 ml bzw. 480 myg/0,8 ml.

Ebenso offenbart Dokument D11 unter der Eintragsnummer 51 035 die Spezifikationen für Neupogen® der Firma Amgen in der Form einer Fertigspritze mit einer Konzentration von 300 myg/0,5 ml bzw. 480 myg/0,8 ml.

21. Nach Ansicht der Kammer ist daher die beanspruchte Verwendung durch die Lehre des nächstliegendem Stands der Technik Dokument D6 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen, repräsentiert durch die Dokumente D10 und D11, nahegelegt.

22. Deshalb erfüllt auch der Hilfsantrag 1 die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ nicht.

Hilfsantrag 2 - Anspruch 1

23. Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 definiert die Flüssigformulierung im Vergleich zu Anspruch 1 des Hauptantrages durch das zusätzliche Merkmal, dass die "Konzentration an G-CSF 0,6 mg/ml beträgt"

(i.e. 600 myg/ml).

24. Die Frage stellt sich daher, ob die Formulierung des nicht erfinderischen Produktes gemäß Anspruch 1 des Hauptantrages in dieser Konzentration eine erfinderische Tätigkeit begründen kann.

25. Wie oben in Punkt 20. erwähnt, offenbaren Dokument D10 sowie D11 das Produkt Neupogen® als Inhaltsstoff von Fertigspritzen in zwei verschiedenen Konzentrationen: 300 myg/0,5 ml bzw. 480 myg/0,8 ml. Diese beiden Werte entsprechen umgerechnet beide der anspruchsgemäßen Konzentration von 0,6 mg/ml.

Die anspruchsgemäße Konzentration ist daher eine für das in Dokument D6 beschriebene Produkt Neupogen® bekannte Konzentration, deren Wahl somit keine erfinderische Tätigkeit erfordert.

26. Im Lichte dieser Offenbarung kommt die Kammer zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ nicht erfüllt.

Hilfsanträge 3 und 4 - Anspruch 1

27. Im Vergleich zu den Hilfsanträgen 1 und 2 beinhalten die Hilfsanträge 3 und 4 das zusätzliche Erfordernis, dass in der beanspruchten G-CSF Flüssigformulierung "der Gehalt an aktiven G-CSF Molekülen nach dreimonatiger Lagerung der G-CSF Flüssigformulierung bei 25°C 80% oder mehr der Ausgangskonzentration ist."

28. Dieses Erfordernis erfüllte jedoch bereits Neupogen®, wie aus Dokument D6 ersichtlich ist. Das Kapitel 4.1, "Aggregation Analysis", beginnend auf Seite 323, offenbart, dass Neupogen® erst nach 6 bis 8 Monaten bei 29 °C die geforderte Spezifikation von nicht mehr als 1 % aggregiertem Gesamtproteins überschreitet. Bei 2 bis 8 °C wird dieser Wert sogar erst nach 36 Monaten erreicht.

Deshalb kann der den Hilfsanträgen 3 und 4 hinzugefügte Parameter nicht als technisches Unterscheidungsmerkmal gesehen werden und somit auch nicht zur erfinderischen Tätigkeit beitragen.

29. Somit beruht der Gegenstand des jeweiligen Anspruchs 1 der Hilfsanträge 3 und 4 aus den gleichen Gründen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit wie der der Hilfsanträge 1 und 2.

Deshalb erfüllen beide Hilfsanträge nicht die Erfordernisse gemäß Artikel 56 EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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