T 1729/18 (Magerbeton/Intellectual Property Management Luxembourg) of 14.1.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T172918.20210114
Datum der Entscheidung: 14 Januar 2021
Aktenzeichen: T 1729/18
Anmeldenummer: 10178571.5
IPC-Klasse: H02G9/02
C04B28/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: THERMISCHLEITFÄHIGER MAGERBETON
Name des Anmelders: Intellectual Property Management Luxembourg SARL
Name des Einsprechenden: Rheinische NETZGesellschaft mbH(RNG)
HeidelbergCement AG
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(b) (2007)
European Patent Convention Art 100(a) (2007)
European Patent Convention Art 54(1) (2007)
European Patent Convention Art 54(2) (2007)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4) (2007)
RPBA2020 Art 025(2) (2020)
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung - (nein)
Neuheit - (nein)
Spät eingereichte Hilfsanträge - Hilfsanträge hätten bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht werden können (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0003/90
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. EP 2 266 930 B1 zu widerrufen.

II. Das Streitpatent bezieht sich auf thermisch leitfähigen Magerbeton.

III. Der erteilte Anspruch 1 lautet wie folgt:

"Thermisch leitfähiger Magerbeton dessen Wärmewiderstand weniger als 0,50 Km/W beträgt, der mindestens 40 kg/m**(3) Bindemittel und wenigstens 75 Gew.% eines Natursandes mit runder Körnung enthält, der eine Körnung von <= 0/2 f5 nach EN 13139 und EN 13242 aufweist."

IV. In der Entscheidung der Einspruchsabteilung wurde u.a. auf folgendes Dokument Bezug genommen:

O13|Hartmut Biewald et al., Untersuchungen über thermisch stabilisierte Kabelbettungsmaterialien, Elektrizitätswirtschaft, Jg. 94 (1995), Heft 12, 699 - 704|

V. Die Einspruchsabteilung widerrief das Patent wegen mangelnder Offenbarung (Artikel 100 b) in Verbindung mit Artikel 83 EPÜ) und mangelnder Neuheit gegenüber O13 (Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 54(1),(2) EPÜ).

VI. Gegen diese Entscheidung legte die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) Beschwerde ein. Mit ihrer Beschwerdebegründung reichte sie 14 Hilfsanträge ein.

VII. Die Einsprechenden 1 und 2 (Beschwerdegegnerinnen 1 und 2) argumentierten in ihren Beschwerdeerwiderungen, dass die Einspruchsentscheidung zutreffend sei. Dabei verwies die Beschwerdegegnerin 2 auf ihre mit der Einspruchsschrift eingereichten Vergleichsversuche (E1 und E2). Ferner erhoben sie Beanstandungen gegenüber sämtlichen Hilfsanträgen. Die Beschwerdegegnerin 1 bemängelte zudem, dass die Hilfsanträge bereits vor der Einspruchsabteilung hätten eingereicht werden sollen, und daher nicht zu berücksichtigen seien.

VIII. Die wesentlichen Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:

Der Anspruch sei auf ohne Zugabe von Anmachwasser, d.h. lediglich durch Bodenfeuchte, ausgehärteten Beton beschränkt. Um den beanspruchten thermisch leitfähigen Magerbeton zu erhalten, müsse der Fachmann lediglich den anspruchsgemäßen Sand und Zement mischen, als Bettungsmaterial für die unterirdische Verlegung von Hochspannungsleitungen in den Boden einbringen und mehrere Wochen durch die Bodenfeuchte aushärten lassen. Nach anschließender Inbetriebnahme der Hochspannungsleitung werde das Bettungsmaterial durch die abgegebene Hitze ausgetrocknet. Der Wärmewiderstand sei unter diesen Bedingungen zu bestimmen und liege dann im beanspruchten Bereich.

Die Beschwerdeführerin verweist zur Stützung ihrer Argumentation insbesondere auf Seite 1, Zeile 20ff der Anmeldung, zusammen mit der Aufgabe der Erfindung gemäß Seite 2, Zeile 4ff, entsprechend den Absätzen [0004] und [0006] des Streitpatents, sowie Absätze [0012], [0024] und die Beispiele des Streitpatents.

Nach Auffassung der Beschwerdeführerin bedürfe es hierbei keiner hohen Verdichtung des Betons (Absatz [0012]). Ein Einfluss möglicher weiterer Zusatzstoffe auf den Wärmewiderstand sei nicht nachgewiesen worden.

Die Erfindung sei somit ausreichend offenbart.

Der beanspruchte Magerbeton sei auch neu, da alle zitierten Dokumente des Stands der Technik Anmachwasser verwenden. Ferner beschreibe O13 kein Sand-Zement Gemisch mit dem geforderten niedrigen Wärmewiderstand. Der von der Einspruchsabteilung zitierte Wert von 0.46 K.m/W sei der spezifische Wärmewiderstand des feuchten Gemischs. Für den Fachmann sei jedoch eindeutig, dass der Wärmewiderstand an trockenen Proben gemessen werden müsse, da der Magerbeton durch die Hitze der unterirdisch verlegten Hochspannungsleitungen nach und nach komplett austrockne und bei seiner bestimmungsgemäßen Verwendung als Bettungsmaterial im Trockenbereich des unterirdischen Hochspannungskabels somit absolut trocken sei. Der Wärmewiderstand des trockenen Sand-Zement Gemischs liege gemäß O13 bei 1.45 K.m/W und damit oberhalb des beanspruchten Bereichs.

Die Beschwerdeführerin legte zudem dar, welche Einschränkungen und Präzisierungen in den Hilfsanträgen erfolgten.

IX. In ihrer Mitteilung gemäß Art. 15(1) VOBK 2020 vom 13. Oktober 2020 teilte die Kammer ihre vorläufige Meinung mit, dass die Beschwerde voraussichtlich zurückzuweisen sei. Die Kammer äußerte Bedenken zur Zulässigkeit der Hilfsanträge ins Beschwerdeverfahren und führte aus, dass diese unabhängig davon auch nicht gewährbar zu sein schienen.

X. Die Beschwerdeführerin kündigte mit ihrem Schreiben vom 17. Dezember 2020 an, dass sie an der anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde. Die Beschwerdeführerin hat auf die vorläufige Einschätzung der Kammer hin keine weiteren Argumente vorgebracht.

XI. Daraufhin sagte die Kammer die mündliche Verhandlung ab.

XII. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Einsprüche zurückzuweisen, oder hilfsweise das Patent in geänderter Form auf Grundlage eines der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1-14 aufrechtzuerhalten.

Die Beschwerdegegnerin 1 (Einsprechende 1) und die Beschwerdegegnerin 2 (Einsprechende 2) beantragten, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung

1.1 Die Erklärung der Beschwerdeführerin, nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen zu werden, ist als Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung zu werten (T 3/90, Abl. 1992, 737, Leitsatz).

1.2 Die Beschwerdegegnerinnen haben eine mündliche Verhandlung nur hilfsweise beantragt.

1.3 Daher bestand keine Notwendigkeit für eine mündliche Verhandlung.

Hauptantrag (erteilte Fassung)

2. Auslegung von Anspruch 1

2.1 Anspruch 1 bezieht sich auf einen thermisch leitfähigen Magerbeton. Dieser Magerbeton wird einerseits durch Bezugnahme auf Eigenschaften des Natursandes definiert, d.h. eines Bestandteils des Trockengemischs, und andererseits durch Bezugnahme auf den Wärmewiderstand, d.h. eine Eigenschaft des erhärteten Betons.

2.2 Unabhängig von der zwischen den Parteien strittigen Frage einer möglichen Zugabe von Anmachwasser bezieht sich der Begriff "Magerbeton" im Sprachgebrauch des Streitpatents sowohl auf ein Sand-Zement Gemisch (Absatz [0014]), als auch auf den erhärteten Beton mit der gewünschten Eigenschaft des niedrigen Wärmewiderstands.

2.3 Daher ist es zweckmäßig, bei der Beurteilung der Patentfähigkeit zwischen diesen Ausführungsformen zu unterscheiden.

3. Unzureichende Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ)

3.1 Die Frage der ausreichenden Offenbarung betrifft insbesondere den erhärteten Beton, der den angegebenen Wärmewiderstand als Materialeigenschaft aufweist.

3.2 Gemäß der angefochtenen Entscheidung versetzt das Streitpatent den Fachmann nicht in die Lage, einen Magerbeton mit dem gewünschten niedrigen Wärmewiderstand von < 0,50 K.m/W bereitzustellen, da aufwendige Versuche erforderlich seien, um den beanspruchten Gegenstand im gesamten Schutzbereich zu erreichen.

3.3 Die von der Beschwerdegegnerin 2 im Einspruchsverfahren eingereichten Vergleichsversuche (E1, E2) zeigen, dass trotz Verwendung eines anspruchsgemäßen Sand-Zement-Gemischs der beanspruchte Wärmewiderstand nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen erreicht wurde.

3.4 In diesen Vergleichsversuchen wurde Anmachwasser verwendet. Im Einklang mit der angefochtenen Entscheidung steht die Zugabe von Wasser der Lehre des Streitpatents jedoch nicht entgegen. Der Wärmewiderstandswert wird auf die Wahl des bestimmten Sandes (Absätze [0008], [0015], und [0016] des Streitpatents) und insbesondere dessen Kornform (Absatz [0009]) zurückgeführt, und nicht auf das Fehlen von Anmachwasser.

Zwar wird in Absatz [0024] beschrieben, dass eine Bettungsschicht aus Magerbeton verlegt wird, die im Laufe der Zeit durch die Bodenfeuchtigkeit aushärtet und eine feste Schicht bildet. In Absatz [0012] wird zudem festgestellt "Des Weiteren bedarf es keiner hohen Verdichtung, da der Magerbeton im Kontakt mit dem Erdreich aushärtet." Der Fachmann würde diesen Angaben jedoch nicht entnehmen, dass der Magerbeton als wesentliches Merkmal kein Anmachwasser enthält.

Auch die Erklärung, dass unter Magerbeton im Zusammenhang mit der Erfindung ein Sand-Zement Gemisch verstanden wird (Absatz [0014]), schließt nicht aus, dass zur Verarbeitung Wasser hinzugegeben wird. Gleiches gilt für Absatz [0018], der sich auf den Bindemittelanteil bezieht und besagt, dass beim Kontakt mit Grundwasser ein Teil des Bindemittels während der Abhärtung ausgeschwemmt werden kann. Zudem wird auch der im Stand der Technik verwendete Magerbeton lediglich als Sand-Zement-Gemisch beschrieben (Absatz [0004] sowie der nachträglich eingefügte Absatz [0005]), ohne Angaben zum Vorliegen bzw. Fehlen von Wasser.

Ferner kann der Fachmann der Angabe "im Laufe der Zeit durch die Bodenfeuchtigkeit ausgehärtet" keine konkreten Bedingungen für das Aushärten entnehmen, da unter "Bodenfeuchte" keine definierten Bedingungen verstanden werden können, weder im Hinblick auf das umgebende Erdreich, noch im Hinblick auf möglicherweise durch den Sand eingebrachte Feuchtigkeit. Auch bleibt unklar, wie genau die Aushärtung und etwaige Trocknung der Testblöcke in den Beispielen erfolgte. Es gibt keine explizite Bezugnahme auf Absatz [0024], der sich wohl auf die übliche technische Praxis bezieht und nicht auf einen Test.

3.5 Dem Fachmann, der die Lehre des Streitpatents nacharbeitet und die von der Beschwerdegegnerin 2 vorgelegten Versuchsergebnisse erhält, hat eine Vielzahl möglicher Einflussfaktoren zu prüfen, warum der gewünschte Wärmewiderstand nicht erreicht wurde, z.B. die chemische Zusammensetzung des Sands (und der damit verbundene materialabhängige Wärmewiderstand), weitergehende Aspekte der Korngrößenverteilung, die Verdichtung, etwaige Zusätze und die Feuchtigkeit.

Die Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung, dass das Streitpatent dem Fachmann keine Anweisungen oder Effektbeschreibungen an die Hand gibt, durch welche Mechanismen sich der Wärmewiderstand steuern lässt, und dieser somit aufwendige Versuche im Sinn eines Forschungsprogramms durchzuführen hat, ist daher korrekt.

3.6 Somit steht der Einspruchsgrund unter Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents entgegen.

4. Neuheit

4.1 Die Einspruchsabteilung befand, dass O13 den Gegenstand des Anspruchs 1 neuheitsschädlich vorwegnehme.

4.2 Insoweit Anspruch 1 ein Sand-Zement Gemisch definiert (vgl. Punkt 2.), ist die Angabe des Wärmewiderstands von weniger als 0,50 K.m/W so zu verstehen, dass der Anspruch auf solche Sand-Zement Gemische beschränkt ist, die geeignet sind, sich zu einem Beton mit diesem Wärmewiderstand verarbeiten zu lassen.

4.3 Dieses Erfordernis impliziert aber keine zusätzliche Eigenschaft des Sand-Zement-Gemischs als solches. Der erhaltene Wärmewiderstand des Betons hängt vor dem Hintergrund der Ausführungen der Beschwerdeführerin vielmehr vom Verarbeitungs- und Aushärteprozess ab, der im Anspruch nicht definiert wird, sowie von der Restfeuchte, die ebenfalls nicht angegeben wird.

4.4 Die Angabe des Wärmewiderstands erlaubt somit keine klare Abgrenzung des Sand-Zement-Gemischs als solches.

4.5 Aus O13 ist im Einklang mit der angefochtenen Entscheidung ein Sand-Zement Gemisch mit einem Zementgehalt von mindestens 40 kg/m**(3) und wenigstens 75 Gew.-% eines Natursandes (Seite 699, rechte Spalte, Punkt 3.2.2; Mischungsverhältnis Sand:Zement von 40:1 gemäß Tafel 2 auf Seite 702) mit der angegebenen Korngrößenverteilung bekannt (Tafel 2; Kornverteilungslinie "b" in Bild 3; der Sand lässt sich gedanklich so aufteilen, dass im Gemisch wenigstens 75 Gew.-% Sand die geforderte Körnung hat). Unter Berücksichtigung der Trockendichte von 1,8 t/m**(3) beträgt der Zementanteil 43 kg/m**(3). Die Körnung des Natursands - im Gegensatz zu "Bruchsand" - ist als "rund" anzusehen (Absatz [0014] des Streitpatents). Auch beschreibt der Begriff "Natursand" keine bestimmte chemische Zusammensetzung. Damit offenbart O13 einen anspruchsgemäßen Magerbeton im Sinne eines Sand-Zement Gemischs.

4.6 Darüber hinaus stimmt die Kammer mit der angefochtenen Entscheidung dahingehend überein, dass O13 auch den erhärteten Beton neuheitsschädlich vorwegnimmt, da Wärmewiderstandswerte von 0,46 bzw. 0,47 K.m/W des feuchten Gemischs explizit genannt werden (Tafel 2). Anspruch 1 lässt offen, ob der Wärmewiderstand am feuchten oder trockenen Gemisch zu messen ist. Auch das Streitpatent selbst enthält keine Lehre, unter welchen Bedingungen der Wärmewiderstand zu messen ist. In den Beispielen wird lediglich eine Aushärtezeit von 8 Wochen und anschließendes Testen genannt (Absatz [0026]). Hieraus kann nicht eindeutig geschlossen werden, dass die Wärmewiderstandswerte in den Beispielen unter Dauerbetrieb der Hochspannungsleitungen erhalten wurden.

4.7 Somit steht auch der Einspruchsgrund unter Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54(1),(2) EPÜ der Aufrechterhaltung des Streitpatents entgegen.

Hilfsanträge

5. Zulassung ins Beschwerdeverfahren

5.1 Die Beschwerdeführerin hat im Einspruchsverfahren keinerlei Änderungen vorgelegt, um den bereits in den Einspruchsschriften erhobenen Einwänden zu begegnen, oder um auf die negative vorläufige Meinung der Einspruchsabteilung zu reagieren. Die Hilfsanträge stellen somit keine Reaktion auf Entwicklungen im Verfahren dar.

5.2 Auf die vorläufige Meinung der Kammer hin, dass die Hilfsanträge bereits im Einspruchsverfahren hätten vorgelegt werden sollen, hat die Beschwerdeführerin keine Argumente zur Zulässigkeit der Hilfsanträge vorgebracht.

5.3 Daher hat die Kammer keinen Grund, von ihrer vorläufigen Meinung abzuweichen, und lässt die Hilfsanträge nicht ins Beschwerdeverfahren zu, in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 12(4) VOBK 2007 zusammen mit Artikel 25(2) VOBK 2020.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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