T 1725/18 () of 17.3.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T172518.20220317
Datum der Entscheidung: 17 März 2022
Aktenzeichen: T 1725/18
Anmeldenummer: 08801121.8
IPC-Klasse: A61L 29/14
A61L 29/16
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERBESSERTE ARZNEIMITTELBESCHICHTETE MEDIZINPRODUKTE UND DEREN HERSTELLUNG
Name des Anmelders: Invatec Technology Center GmbH
Name des Einsprechenden: Cook Medical Technologies LLC
Kammer: 3.3.10
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Änderungen - zulässig (ja)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - nicht naheliegende Alternative
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 2044/09
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Einsprechende) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, ihren Einspruch gegen das Europäische Patent Nr. 2 170 421 unter Artikel 101(2) EPÜ zurückzuweisen.

II. Das Patent betrifft einen Ballonkatheter umfassend einen Katheterballon mit hydrophiler Ballonoberfläche, die mit einem offen aufliegenden Wirkstoff und Harnstoff beschichtet ist, wobei der Wirkstoff bei der Expansion des Katheterballons sofort freigesetzt wird.

III. Die unabhängigen Ansprüche 1 bzw. 21 des Streitpatents lauten wie folgt:

"Ballonkatheter, umfassend einen Katheterballon mit einer Ballonmembran, die hydrophil oder hydrophilisiert ist und/oder die Oberfläche der Ballonmembran eine hydrophile Beschichtung trägt, wobei die Ballonmembran dafür geeignet ist mit einer Gefäßwand in Berührung zu kommen, wobei die Ballonmembran mit mindestens einem offen auf deren Oberfläche aufliegenden Wirkstoff und Harnstoff beschichtet ist und wobei der mindestens eine Wirkstoff bei der Expansion des Katheterballons sofort freigesetzt wird."

"Verfahren zur Herstellung von Katheterballons eines Ballonkatheters nach einem der Ansprüche 1-20 umfassend die Schritte:

a) Bereitstellung eines Katheterballons mit einer Ballonmembran, die hydrophil oder hydrophilisiert ist und/oder die Oberfläche der Ballonmembran eine hydrophile Beschichtung trägt,

b) Bereitstellung einer Mikrodosiereinheit enthaltend eine Beschichtungszusammensetzung die nicht im Kontakt mit einer Gasphase steht, wobei der Beschichtungszusammensetzung einen Wirkstoff und Harnstoff umfasst,

c) verlustfreie und gleichmäßige Beschichtung des Katheterballons mit der Beschichtungszusammensetzung unter Verwendung der Mikrodosiereinheit."

IV. Die Einspruchsabteilung kam in ihrer Entscheidung zu dem Schluss, dass die vorgebrachten Einspruchsgründe unter Artikeln 100(a), 100(b) und 100(c) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegen stehen.

Insbesondere gingen weder der unabhängige Produktanspruch noch der unabhängige Verfahrensanspruch über die ursprüngliche Offenbarung hinaus. Die beanspruchte Erfindung sei für den Fachmann ausreichend offenbart und sei ihm ausgehend von Dokument D2 als nächstem Stand der Technik nicht nahegelegt gewesen.

V. Im Verfahren wurden unter anderem folgende Dokumente angeführt:

D1: |US 2006/0020243 A1 |

D2: |US 2004/0073284 A1 |

D3: |WO 2008/086794 A1 |

D4: |US 6,858,644 B2 |

D5: |M. R. Jafari et al., Int. J. Pharm. 48, 207-215 (1988) |

D12:|WO 89/03232 |

D13: |J. A. Anderson et al., Acta Biomaterialia 29(2016), 333-351|

VI. In ihrer Beschwerdebegründung und im weiteren Verlauf des Beschwerdeverfahrens brachte die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgendes vor:

Sowohl der Produktanspruch 1 als auch der Verfahrensanspruch 21 seien im Rahmen des Prüfungsverfahrens unerlaubt geändert worden. Das Merkmal der hydrophilen Beschichtung sei ursprünglich nicht im Zusammenhang mit den anderen Anspruchsmerkmalen offenbart gewesen, ebenso wenig wie eine Beschichtung, die einen Wirkstoff und Harnstoff enthält. Das Herstellungsverfahren in Anspruch 21 sei ursprünglich nicht auf die jetzt in Anspruch 1 definierten Ballonkatheter rückbezogen und die Gegenwart einer Beschichtungslösung, die den Wirkstoff zusammen mit Harnstoff in einer Mikrodosiereinheit enthält, ursprünglich nicht offenbart gewesen.

Es sei im Patent keine für den Fachmann ausführbare Lehre offenbart, wie eine sofortige Wirkstofffreisetzung bei Expansion des Katheterballons zu erreichen wäre.

Schließlich sei der beanspruchte Ballonkatheter dem Fachmann ausgehend von D2 bereits durch D2 alleine, zumindest aber in Kombination mit der Lehre anderer Dokumente, insbesondere D1, D3, D4, D5 oder D12, nahegelegt gewesen.

VII. In ihrer Beschwerdeerwiderung und im weiteren Verlauf des Beschwerdeverfahrens brachte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) im wesentlichen folgendes vor:

Die Entscheidung der Einspruchsabteilung sei korrekt. Die Ansprüche seien nicht unerlaubt geändert worden und die beanspruchte Erfindung sei für den Fachmann ausreichend offenbart. Ausgehend von D2 hätte der Fachmann auch keine Veranlassung gehabt, der Beschichtung des Katheterballons Harnstoff zuzusetzen und wäre daher nicht auf naheliegende Weise zu den anspruchsgemäßen Ballonkathetern gelangt.

VIII. In einer Mitteilung gemäß Regel 100(2) EPÜ von 16. Oktober 2020 informierte die Kammer die Parteien über ihre vorläufige Einschätzung der Sach- und Rechtslage. Die Kammer kam vorläufig zu der Einschätzung, die Beschwerde wäre zurückzuweisen.

IX. Mit Ladung vom 8. März 2021 wurden die Parteien für den 24. Februar 2022 zu einer mündlichen Verhandlung geladen; der Termin der Verhandlung wurde im weiteren Verlauf auf den 17. März 2022 verlegt.

X. Am 17. März 2022 fand die mündliche Verhandlung in Form einer Videokonferenz statt. Die Schlussanträge der Parteien waren die folgenden:

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Europäischen Patents Nr. 2170421 in vollem Umfang.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde. Hilfsweise beantragte sie die Aufrechterhaltung des Patents auf Basis der Hilfsanträge 1-4, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung vom 7 Januar 2019. Außerdem beantragte sie die Nichtzulassung das mit der Beschwerdebegründung eingereichte Dokument D13.

XI. Am Ende der Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Das Patent beschäftigt sich mit Ballonkathetern umfassend einen wirkstoffbeschichteten, expandierbaren Katheterballon, die zur Behandlung erkrankter Gefäße verwendet werden können. Die in Anspruch 1 beanspruchten Ballonkatheter besitzen eine hydrophile Oberfläche, die mit einem Wirkstoff und Harnstoff beschichtet ist. In Anspruch 21 wird ein Beschichtungsverfahren zur Herstellung der Ballonkatheter beansprucht.

3. Änderungen, Artikel 100(c) und 123(2) EPÜ

3.1 Die Beschwerdeführerin bemängelt das Merkmal "und/oder die Oberfläche der Polymermembran eine hydrophile Beschichtung trägt", das dem ursprünglichen Anspruch 1 hinzugefügt wurde. Die Beschwerdeführerin bringt insbesondere vor, der ursprüngliche Anspruch 1 entspreche der auf Seite 14, Zeilen 26-31 der Beschreibung der Anmeldung offenbarten Ausführungsform, in der dieses Merkmal nicht vorkomme. Der darüberliegende Absatz, der dieses Merkmal offenbare, beziehe sich nicht auf wirkstoffbeschichtete Ballons. Zwar werde im folgenden Absatz auf Seite 14 (Zeilen 33-37) die Kombination einer hydrophilen und wirkstoffhaltigen Beschichtung erwähnt, jedoch nur für hydrophile Wirkstoffe. Ein eine hydrophile Beschichtung tragender und mit einem Wirkstoff beschichteter Ballon sei daher nicht ursprünglich offenbart.

Dies ist nicht überzeugend. Die beiden Absätze auf Seite 14 in Zeilen 19-24 und 26-31 betreffen nicht zwei verschiedene Ausführungsformen eines Ballons, sondern beschreiben beide die Erfindung als solches. Sie müssen daher als zusammenhängende Offenbarung gelesen werden. Im übrigen ist ja der Fall, dass die Oberfläche eine hydrophile Beschichtung trägt, von den im zweiten Absatz beschriebenen Ballonen mit "hydrophiler oder hydrophilisierter Ballonmembran" umfasst, so dass sich die Offenbarung des zweiten Absatzes ohnehin auch auf die Ballone des ersten Absatzes bezieht.

Eine unzulässige Erweiterung liegt daher nicht vor.

3.2 Die Beschwerdeführerin bemängelt in Anspruch 1 weiterhin das Merkmal, dass der Ballon mit einem Wirkstoff und Harnstoff beschichtet ist. Ihrer Ansicht nach ist Harnstoff zwar im ursprünglichen Anspruch 22 genannt, allerdings sei die Aufnahme dieses Merkmals in Anspruch 1 mit einer unerlaubten Auswahl verbunden. Zudem würden jetzt Kombinationen beansprucht, die ursprünglich nicht offenbart waren, etwa die Kombination eines Ballons mit hydrophiler Beschichtung, der zusätzlich mit Harnstoff beschichtet ist.

Die Kammer kann dem nicht zustimmen. Dass die Ballone allgemein mit Hilfsstoffen beschichtet werden können, ist in den bereits oben angeführten Absätzen auf Seite 14, Zeilen 19-31 beschrieben, ebenso in Anspruch 3. Die Auswahl von Harnstoff aus den auf Seite 13, Zeilen 22-24 genannten bevorzugten vier Hilfsstoffen fügt der ursprünglichen Offenbarung nichts hinzu. Eine Auswahl einer der vier Hilfsstoffe bewegt sich im Rahmen der ursprünglichen Offenbarung. Anspruch 1 richtet sich nicht auf spezifische Kombinationen von Merkmalen, die ursprünglich nicht offenbart gewesen wären.

3.3 Die Beschwerdeführerin bemängelt ebenfalls den Verfahrensanspruch 21, der aus dem ursprünglichen Anspruch 27 hervorging. Ihrer Ansicht nach war ursprünglich nicht offenbart worden, dass (i) dieses Herstellungsverfahren für den Ballon gemäß Anspruch 1 verwendet wird, (ii) der zu beschichtende Ballon eine hydrophile bzw. hydrophilisierte bzw. mit einer hydrophilen Beschichtung versehenen Membran besitzt und (iii) die Beschichtungszusammensetzung in der Mikrodosiereinheit einen Wirkstoff und Harnstoff umfasst.

Dass das im ursprünglichen Anspruch 27 beschriebene Verfahren für einen Ballon gemäß Anspruch 1 verwendet wird, ist dem Fachmann aus der ursprünglichen Anmeldung unmittelbar klar. Ein solches Verfahren wird ja in den Beispielen verwendet; auch das noch unter den Anspruchsumfang fallende Beispiel 1 des Patents (ursprüngliches Beispiel 9) verwendet ein solches Verfahren. Daher ist auch Punkt (ii) ursprünglich offenbart, da dies für die beanspruchten Ballone der Fall ist (siehe oben). Dass die Beschichtungslösung den Wirkstoff zusammen mit dem Hilfsstoff (Harnstoff) enthält und in der Mikrodosiereinrichtung eingesetzt wird (Punkt (iii)), ist ebenfalls unmittelbar klar, denn es wird ja nur ein Beschichtungsvorgang durchgeführt (siehe etwa Seite 21 der ursprünglichen Offenbarung, Punkt B)). Auch wenn, wie etwa in Beispiel 2 mehrere Beschichtungen durchgeführt werden, so doch immer mit der gleichen Beschichtungslösung; es findet sich nirgends ein Hinweis, dass Wirkstoff und Hilfsstoff getrennt aufgebracht werden. Zwar ist richtig, wie von der Beschwerdeführerin bemerkt, dass derartige Ballone auch auf andere Weise hergestellt werden könnten, allerdings sind in den ursprünglichen Unterlagen keine anderen solchen Verfahren beschrieben.

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, ein Vorhandensein von Harnstoff und Wirkstoff gemeinsam in der Mikrodosiereinheit sei nicht ursprünglich offenbart, ist daher nicht überzeugend.

3.4 Die Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung in Punkt 31 der angefochtenen Entscheidung, die Ansprüche des erteilten Patents erfüllten die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ, hat daher Bestand.

4. Ausführbarkeit, Artikel 100(b) und 83 EPÜ

4.1 Die Beschwerdeführerin bemängelt das Merkmal in Anspruch 1, dass der Wirkstoff bei der Expansion des Katheterballons sofort freigesetzt wird. Ihrer Ansicht nach ist das einzige vorhandene Beispiel des Patents (Absatz [0099]) nicht ausreichend, um einen Fachmann in die Lage zu versetzen, Ballons herzustellen, die für die gesamte Breite des Anspruchs, d. h. insbesondere für alle Kombinationen von Wirkstoff, Lösungsmittel und Ballonoberfläche, eine sofortige Freisetzung des Wirkstoffs ermöglichen.

4.2 Dies ist nicht überzeugend. Die Herstellung der beschichteten Ballone ist offenbar möglich, wie im Beispiel gezeigt. Dass der im Beispiel hergestellte Ballon bei Expansion und Kontakt mit der Gefäßwand eine sofortige Wirkstofffreisetzung erlaubt, wurde nicht angezweifelt.

Es wurde von der Beschwerdeführerin kein stichhaltiger Grund angegeben, weshalb der Fachmann bei Verwendung anderer Kombinationen an Wirkstoffen und Lösungsmitteln nicht in der Lage sein sollte, anspruchsgemäße Ballonkatheter zu erhalten. Der Verweis auf Absatz [0068] des Patents liefert keinen solchen Grund. In diesem Absatz wird zwar ausgeführt, dass die Auswahl eines geeigneten Hilfsstoffs von der Art des Wirkstoffs und des Lösungsmittels abhängig ist, Harnstoff wird aber als geeigneter Hilfsstoff beschrieben. Des weiteren enthält der Absatz Anleitungen zur Dosierung und Oberflächenkonzentration der aufzubringenden Stoffe. Dass die Verwendung bestimmter Kombinationen von Wirkstoffen und Lösungsmitteln nicht zu einem anspruchsgemäßen Ballon führen würde, steht dort nicht.

Es ist auch nicht entscheidend, dass, wie von der Beschwerdeführerin bemängelt, das Patent kein Testprotokoll zur Messung der sofortigen Freisetzung enthält. Ein Fachmann ist durchaus in der Lage, festzustellen, ob bei der Expansion ein Wirkstoff freigesetzt wird oder nicht.

4.3 Die Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung in Punkt 35 der angefochtenen Entscheidung, das Streitpatent erfülle die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ, hat daher Bestand.

5. Erfinderische Tätigkeit, Artikel 100(a) und 56 EPÜ

5.1 Nächstliegender Stand der Technik

In der angefochtenen Entscheidung wurde in Übereinstimmung mit den Parteien D2 als nächster Stand der Technik angesehen. D2 offenbart mit Wirkstoffen (vorzugsweise lipophilen Wirkstoffen, etwa Paclitaxel) beschichtete Katheterballone, die zudem mit einer hydrophilen Beschichtung versehen sind, siehe Absatz [0014], Absatz [0093] und Abbildung 11. Bei Kontakt des Ballons mit der inneren Wand eines Blutgefäßes wird der Wirkstoff auf die Gefäßwand übertragen.

Demnach besteht der Unterschied der beanspruchten Ballonkatheter zu denen der D2 darin, dass vorliegend zusätzlich noch Harnstoff in der Beschichtung vorhanden ist. Dies war unstrittig.

Von der Beschwerdeführerin wurden auch D1 und D3 als nächster Stand der Technik ins Spiel gebracht. Da diese Dokumente ebenso wenig Harnstoff erwähnen, ist das unterscheidende Merkmal jedoch dasselbe, so dass sich an der Diskussion der erfinderischen Tätigkeit nichts ändert. Überdies fehlt bei diesen Dokumenten zusätzlich die Offenbarung einer hydrophilen Ballonoberfläche. D1 und D3 sind daher weiter vom beanspruchten Gegenstand entfernt.

5.2 Aufgabe und Lösung

5.2.1 Die Formulierung der objektiven technischen Aufgabe, die das vorliegende Patent ausgehend von D2 zu lösen versucht, war zwischen den Parteien strittig.

5.2.2 Die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin brachte vor, durch die Anwesenheit von Harnstoff werde die Ablösung des Wirkstoffs verbessert. Sie verwies dazu auf den letzten Absatz auf Seite 24 der ursprünglichen Offenbarung, wo die ablösungsfördernde Wirkung der Zusatzstoffe beschrieben sei.

Allerdings liegen keine Daten vor, die einen derartigen Effekt belegen würden. Das Patent enthält keine Vergleichsversuche und es wurden auch im Verlauf des Prüfungs- oder Einspruchsverfahrens keine Vergleichsdaten eingereicht. Dieser behauptete Effekt kann daher nicht für die Formulierung der objektiven technischen Aufgabe verwendet werden. Dies gilt unabhängig von der Zulässigkeit und dem Inhalt von D13, weshalb hierauf nicht näher eingegangen werden muss.

5.2.3 Die Beschwerdeführerin brachte vor, in Abwesenheit einer belegten Verbesserung könne als objektive technische Aufgabe nur die Bereitstellung eines alternativen Ballonkatheters gesehen werden. Eine sofortige Wirkstofffreisetzung dürfe nicht in die Aufgabenstellung einbezogen werden, da sie als technisches Merkmal in Anspruch 1 Teil der beanspruchten Lösung sei.

5.2.4 Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin insoweit zu, als üblicherweise Merkmale, die als zu erreichender Effekt im Anspruch stehen, bei der Formulierung der objektiven technischen Aufgabe außer Acht gelassen werden. Solche Anspruchsmerkmale, die ein zu erreichendes Ergebnis bestimmen, werden stattdessen als Teil der beanspruchten Erfindung unter Artikel 83 EPÜ dahingehend geprüft, ob dafür für den Fachmann eine ausreichende Offenbarung vorliegt. Dies ist, wie oben ausgeführt, auch im vorliegenden Fall geschehen.

Andererseits hat der in D2 beschriebene Ballon die Eigenschaft, den Wirkstoff bei Kontakt mit der Gefäßwand sofort zu übertragen, siehe Absatz [0014]. Insofern impliziert auch die Formulierung der Aufgabe als bloße Alternative, wie sie von der Beschwerdeführerin vorgeschlagen wurde, dass ein Ballon, der diese Aufgabe löst, den Wirkstoff sofort freisetzen muss; ansonsten wäre er ja keine gleichwertige Alternative.

5.2.5 Die ausgehend von D2 objektiv zu lösende technische Aufgabe lag daher darin, einen zu D2 alternativen Ballonkatheter zur Verfügung zu stellen.

5.2.6 Die beanspruchte Lösung der Aufgabe ist der in Anspruch 1 definierten Ballonkatheter, der sich dadurch auszeichnet, dass der verwendete Ballon zusätzlich Harnstoff in der Beschichtung enthält.

5.2.7 Dass der beanspruchte Ballonkatheter diese Aufgabe löst, wurde nicht bestritten.

5.3 Naheliegen der Lösung

Bleibt zu entscheiden, ob es für den Fachmann naheliegend war, dem in D2 beschriebenen Ballon Harnstoff in der Wirkstoffschicht hinzuzufügen, in der Erwartung, einen brauchbaren alternativen Ballonkatheter zu erhalten. Die Beschwerdeführerin hat hierzu verschiedene Argumente vorgebracht.

5.3.1 Sie hat vorgebracht, der Zusatz von Harnstoff sei willkürlich. Sie verwies auf die Entscheidung T 2044/09, in der festgestellt worden sei, dass die Hinzfügung eines willkürlichen Merkmals ohne technischen Effekt keinen erfinderischen Beitrag leisten könne. Der beanspruchte Ballonkatheter sei daher schon gegenüber D2 alleine nicht erfinderisch.

Dies überzeugt nicht. Ein Fachmann hatte aus D2 ja keinerlei Informationen, ob die Zugabe von Harnstoff auf die Ballonoberfläche die Brauchbarkeit des Ballons für den beabsichtigten Zweck erhalten würde und so zu einem Ballonkatheter führen würde, der die gestellte technische Aufgabe löst.

5.3.2 Die Beschwerdeführerin hat auf D1 verwiesen. D1 offenbart in Absatz [0027], dass Hilfsstoffe jeglicher Art Verwendung finden können. In Beispiel 5 werde Mannitol, ein ebenfalls hydrophiler Hilfsstoff, verwendet. Ebenfalls verwies sie auf D3, wo auf Seite 37, letzter Absatz, die Möglichkeit der Zugabe verschiedener biologisch verträglicher organischer Stoffe zur Wirkstofflösung offenbart wird.

Allerdings behandeln weder D1 noch D3 Katheterballone mit hydrophiler oder hydrophilisierter Oberfläche. Zudem sind die Hilfsstoffe sowohl in D3 (siehe Seite 37 unten) als auch in D1 (siehe Absatz [0025]) als Matrix zur Einlagerung der Wirkstoffe gedacht, wohingegen vorliegend ein offen auf der Oberfläche aufliegender Wirkstoff verlangt wird. Schließlich erwähnt weder D1 noch D3 Harnstoff.

Ausgehend von D2 wird der beanspruchte Ballonkatheter daher durch Kombination mit D1 oder D3 nicht nahegelegt.

5.3.3 Die Beschwerdeführerin hat weiterhin auf D4 und D5 verwiesen. D4 und D5 betreffen die Verwendung von Harnstoff als Träger- oder Hilfsstoff in pharmazeutischen Zubereitungen. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin ist die Zugabe allgemein bekannter Hilfsstoffe wie Harnstoff für den Fachmann naheliegend.

Allerdings werden weder in D4 noch in D5 Ballonkatheter erwähnt. Ein Fachmann kann daher weder D4 noch D5 Informationen über die Eignung von Harnstoff als Beschichtungsmaterial für Katheterballone entnehmen.

Die Kammer hält es nicht für ausreichend, dass Harnstoff als allgemeiner pharmazeutischer Hilfsstoff im Stand der Technik beschrieben wird. Ein Fachmann hätte zumindest einen Hinweis aus dem Stand der Technik erhalten müssen, dass Harnstoff als Beschichtung auf Katheterballonen oder ähnlichen Instrumenten verwendet werden kann.

5.3.4 Die Beschwerdeführerin hat weiterhin auf D12 verwiesen.

D12 erwähnt Harnstoff in einer Liste möglicher Additive, beschäftigt sich aber nicht mit der Übertragung von Wirkstoffen auf Gefäße durch Kontakt mit einem Ballon. In D12 wird der Wirkstoff matrixkontrolliert in gleichförmiger Weise abgegeben, siehe etwa Seite 5 Zeilen 25ff. Dies steht im Gegensatz zu der vorliegend beanspruchten Beschichtung, die den Wirkstoff ja erst bei Kontakt mit der Gefäßwand übertragen soll. Das einzige Beispiel eines Ballonkatheters in D12 ist ein Blasenkatheter, bei dem die fragliche Beschichtung aber nicht auf der Ballonhülle, sondern auf der Katheterspitze angebracht ist (siehe Abbildungen 1 und 2). Der Fachmann kann daher D12 keinen Hinweis auf die Lösung der vorliegenden technischen Aufgabe entnehmen.

5.4 Zusammenfassend ist festzustellen, dass es für den Fachmann ausgehend von D2 auch unter Zuhilfenahme der weiteren angeführten Dokumente nicht naheliegend war, Harnstoff zur Beschichtung hinzuzufügen, um einen zu D2 alternativen Katheterballon zu erhalten.

Keines der Dokumente, die Kathetherballone behandeln (D1-D3), erwähnt Harnstoff. Die anderen angeführten Dokumente (D4, D5, D11 oder D12), enthalten keinen Hinweis auf die Verwendung von Harnstoff in Katheterballonen.

Die oben definierte technische Aufgabe wurde daher auf nicht-naheliegende Weise gelöst.

5.5 Da der in Anspruch 1 definierte Ballonkatheter auf erfinderischer Tätigkeit beruht, gilt gleiches auch für das in Anspruch 21 definierte Herstellungsverfahren.

6. Keine der angeführten Einspruchsgründe steht der Aufrechterhaltung des Patents entgegen. Im Ergebnis hat daher die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch unter Artikel 101(2) EPÜ zurückzuweisen, Bestand.

7. Da der Hauptantrag der Beschwerdegegnerin gewährt wird, sind die eingereichten Hilfsanträge gegenstandslos.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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