European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2020:T153918.20201110 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 10 November 2020 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1539/18 | ||||||||
Anmeldenummer: | 12710517.9 | ||||||||
IPC-Klasse: | A61Q1/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | ISOPENTYLESTER ZUR VERWENDUNG IN KOSMETISCHEN, DERMATOLOGISCHEN ODER PHARMAZEUTISCHEN KOMPOSITIONEN | ||||||||
Name des Anmelders: | Evonik Operations GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.3.07 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit - Auswahlerfindung (ja) Rechtliches Gehör - Gelegenheit zur Stellungnahme (nein) , wesentlicher Verfahrensmangel (ja) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die vorliegende Beschwerde der Anmelderin (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 12 710 517.9 zurückzuweisen.
II. Die Anmeldung bezog sich auf ein Estergemisch einer Carbonsäure mit einer Kettenlänge von 6-30 Kohlenstoffatomen mit 2-Methyl-1-butanol und 3-Methyl-1-butanol. In ihren Mitteilungen vom 4. April 2016 und 6. April 2017, die der Entscheidung vorhergingen, erhob die Prüfungsabteilung unter anderem einen Neuheitseinwand hinsichtlich des Dokuments EP 2 327 756 A2 (im folgenden: Dokument D3). Sie verwies in diesem Zusammenhang auf die Ansprüche 1 und 5 des Dokuments D3, die eine Esterzusammensetzung aus Isoamylalkohol und Laurinsäure beschrieben, und auf den Absatz [0020] des Dokuments D3, nach dem der verwendete Isoamylalkohol vorzugsweise ein 20:80 Gemisch aus 2-Methyl-1-butanol und 3-Methyl-1-butanol war.
Die Mitteilung vom 6. April 2017 wurde mit der folgenden Bemerkung abgeschlossen:
"Der Anmelderin wird daher nochmals die Möglichkeit gegeben, sich auf einen neuen Gegenstand zu beschränken und ggf. den vorliegenden Satz Patentansprüche in Form eines Hilfsantrags weiterzuverfolgen.
Sollte dies nicht geschehen, würde wohl als nächster Schritt eine mündliche Verhandlung anberaumt werden müssen."
III. In Antwort auf diese Mitteilung vom 6. April 2017 reichte die Beschwerdeführerin mit ihrem Schreiben vom 24. Mai 2017 einen neuen Anspruchssatz ein. Es wurde gegenüber dem vorher gültigen Anspruchsatz nur der Anspruch 3 abgeändert. Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass der beanspruchte Gegenstand angesichts der Auswahl der definierten Fettsäuren in Kombination mit dem definierten Verhältnis der Alkohole gegenüber dem Dokument D3 neu sei.
IV. Grundlage für die angefochtene Entscheidung war dieser Antrag vom 24. Mai 2017, der 3 Ansprüche umfasst.
Anspruch 1 dieses Antrags lautete wie folgt:
"Estergemisch von mindestens einer gegebenenfalls verzweigten, gegebenenfalls ungesättigten, gegebenenfalls substituierten Carbonsäure mit einer Kettenlange von 6 bis 30, insbesondere 8 bis 22, bevorzugt 10 bis 16 Kohlenstoffatomen mit 2-Methyl-1-butanol und 3-Methyl-1-butanol, wobei das Gewichtsverhaltnis von 2- Methyl-1-butanol und 3-Methyl-1-butanol von 0,1 : 1 bis 1 : 1, bevorzugt von 0,1 : 1 bis 0,67 : 1 beträgt, dadurch gekennzeichnet, dass die Carbonsäure ausgewahlt ist aus der Gruppe: Capronsäure, Caprylsäure, Caprinsäure, Laurinsäure, Myristinsäure, Palmitinsäure, Palmitoleinsäure, Isostearinsäure, 12-Hydroxystearinsäure, Dihydroxystearinsäure, Ölsäure, Linolsäaure, Petrolesinsäure, Elaidinsäure, Arachinsäure, Behensäure, Erucasäure, Gadoleinsäure, Linolensäure, Eicosapentaensäure, Docosahexaensäure, Arachidonsäure, Mischungen von Kokosfettsäuren, insbesondere vollhydrierten Kokosfettsäuren, besonders bevorzugt vollhydrierten Kokosfettsäuren mit einem Gehalt an Fettsäuren der Kettenlangen C12 bis C18 von zusammen >98 Gew.-% bezogen auf die Summe aller Carbonsäuren."
Die Ansprüche 2 und 3 bezogen sich auf die Verwendung eines Estergemisches gemäß Anspruch 1 zur Herstellung von kosmetischer, dermatologischer oder pharmazeutischer Formulierungen oder Pflege- und Reinigungsmitteln für Haushalt oder Industrie, beziehungsweise auf eine kosmetische, dermatologische oder pharmazeutische Formulierung oder ein Pflege und Reinigungsmittel für Haushalt oder Industrie enthaltend ein Estergemisch gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass sie Wasser-in-Öl-, Öl-in Wasser- oder Wasser-in-Silicon-Emulsionen sind.
V. In ihrer Entscheidung kam die Prüfungsabteilung zu dem Ergebnis, dass die Ansprüche 1 und 2 im Hinblick auf das Dokument D3 nicht das Erfordernis der Neuheit erfüllten, weil das Dokument D3 klar und eindeutig eine Esterzusammensetzung, bei welcher die Säurekomponente ausschließlich aus Kokosfettsauren (alternativ: Laurinsäure) und die Alkoholkomponente ausschließlich aus 2-Methyl- und 3-Methyl-1-butanol besteht, wobei das Verhaltnis von 2-Methyl- zu 3-Methyl-1-butanol 40:60, also etwa 0,7:1, betragt, offenbare. Insbesondere führte sie dazu aus, dass:
- Zusammensetzungen, die ausschließlich aus Estern von Isoamylalkoholen mit relevanten Fettsäuren bestehen, eindeutig aus den Absätzen [0032] und [0042], sowie die Tabelle 7 in Zusammenhang mit Absatz [0049] hervor gehen würden,
- die relevante Fettsäuren, (Mischungen von Kokosfettsäuren, Laurinsäure) in den Ansprüchen 2-3 und 5 sowie in den Absätzen [0024], [0035], [0042] und [0049] beschrieben worden seien, und
- die Alkoholkomponente, Isoamylalkohol, gemäß den Absätzen [0019] und [0020] vorzugsweise in Form eines als Fuselöl bezeichnetes Alkoholgemisches und alternativ auch in Form eines Alkoholgemisches aus 40% 2-Methyl-1-butanol zu 60% 3-Methyl-1-butanol eingesetzt worden seien.
VI. Die Beschwerdeführerin legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein.
Sie beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, die Feststellung, dass die Ansprüche, eingereicht am 24. Mai 2017 den Erfordernissen des Artikels 54 EPÜ genügen, sowie die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Prüfungsabteilung mit der Anordnung, die Prüfung der Anmeldung auf Grundlage der Anspruche eingereicht am 24. Mai2017 fortzuführen und die Anmeldung nicht zurückzuweisen, ohne zuvor eine weitere Mitteilung nach Artikel 94 (3) EPÜ bezüglich des Gegenstands dieser Anspruche zu erlassen.
Ferner stellte die Beschwerdeführerin Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr aufgrund wesentlicher Verfahrensmängel.
Als Hilfsantrag reichte die Beschwerdeführerin einen alternativen Anspruchssatz ein. Hilfsweise beantragte sie auch die Einräumung einer mündlichen Verhandlung.
VII. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Der Anspruchsgegenstand betraf ein Estergemisch von ausgewählten Carbonsäuren mit 2-Methyl-1-butanol und 3-Methyl-1-butanol in einem bestimmten, ausgewählten Gewichtsverhältnis. Die in der Entscheidung angeführten Abschnitte des Dokuments D3 ließen sich nicht zu einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung des Anspruchsgegenstandes konstruieren.
Dabei stützte die Entscheidung auf eine neu konstruierte Argumentation, zu der die Beschwerdeführerin vorher keine Möglichkeit erhalten hatte, Stellung zu nehmen.
Entscheidungsgründe
1. Wesentliche Verfahrensmängel
1.1 Die Entscheidungsgründe für die Zurückweisung unterscheiden sich erheblich von dem Einwand der mangelnder Neuheit, den die Prüfungsabteilung der Beschwerdeführerin in ihren vorangegangenen Bescheiden mitgeteilt hat. In der Entscheidung werden verschiedene Abschnitte des Dokuments D3 herangezogen, die zuvor nicht erwähnt worden waren, und wird damit die Neuheit verneint in Bezug auf eine Auslegung des Anspruchsgegenstandes, die zuvor nicht angesprochen worden war.
Insbesondere richten sich die Entscheidungsgründe ausdrücklich auf eine Zusammensetzung, die ausschließlich aus Estern von 2-Methyl-1-butanol und 3-Methyl-1-butanol mit den definierten Carbonsäuren besteht (siehe Abschnitt 8.5). In diesem Zusammenhang zitiert die Entscheidung speziell die Absätze [0032], [0042], [0049] und Tabelle 7, Ansprüche 2-3 und 5 sowie die Absätze [0024], [0035], [0042] und [0049] zusätzlich zu dem Absatz [0020], der auf den Absatz [0019] rückbezogen ist und in den vorhergehenden Mitteilungen herangezogen wurde. Die vorhergehenden Mitteilungen befassten sich ferner auch nicht speziell mit dem Aspekt des ausschließlichen Vorhandenseins der definierten Ester.
Die Beschwerdeführerin wurde somit in der Entscheidung mit einem im Wesentlichen neuen Einwand der mangelnder Neuheit konfrontiert. Damit hat die Prüfungsabteilung dem Artikel 113(1) EPÜ zuwider der Beschwerdeführerin das rechtliche Gehör versagt.
1.2 Die Kammer stellt außerdem fest, dass die Prüfungsabteilung die Anmeldung zurückgewiesen hat, obwohl sie im letzten Abschnitt ihrer vorhergehenden Mitteilung vom 6. April 2017 der Beschwerdeführerin die Einräumung einer mündlichen Verhandlung im Aussicht gestellt hatte. Die Entscheidung zur Zurückweisung verstößt damit in Zusammenhang mit der Verletzung des rechtlichen Gehörs auch gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes, weil die Entscheidung entgegen der von der Prüfungsabteilung erweckten und somit berechtigten Erwartung, das keine Zurückweisung als nächster Schritt erfolgen würde, getroffen wurde.
1.3 Die angefochtene Entscheidung weist somit wesentliche Verfahrenmängel auf, die eine Aufhebung der Entscheidung sowie die Rückerstattung der Beschwerdegebühr gemäß Regel 103(1)(a) EPÜ rechtfertigen.
2. Neuheit
2.1 Die Prüfungsabteilung ist in ihrer Entscheidung offensichtlich davon ausgegangen, dass der gemäß Anspruch 1 definierte Gegenstand eine Esterzusammensetzung betrifft, bei welcher die Säurekomponente ausschließlich aus den definierten Carbonsäuren ausgewählt worden ist und die Alkoholkomponente ausschließlich aus 2-Methyl- und 3-Methyl-1-butanol besteht.
Diese Auslegung der Ansprüche entspricht dem Wortlaut des Anspruchs und steht im Einklang mit der Beschreibung, in der auf die Eignung des Estergemisches zur Herstellung kosmetischer, dermatologischer und pharmazeutischer Formulierungen hingewiesen wird (siehe Seite 4, Zeilen 14-28). Eine solche Eignung wäre nicht mit einem eventuellen Zusatz unbestimmter Komponenten vereinbar. Auch die Ausführungsbeispiele betreffen Gemische die ausschließlich aus den definierten Estern bestehen.
Die Kammer kann sich deswegen dieser Auslegung des Anspruchs 1 anschließen.
2.2 Das Dokument D3 bezieht sich auf Zusammensetzungen, die einen Ester von Isoamylalkohol mit mindestens einer C8-C14 Fettsäure enthalten und die zum Beispiel in Reinigungsmittel verwendet werden können (siehe Anspruch 1 und die Absätze [0031] und [0057]).
Das Dokument D3 enthält Abschnitte, in denen Zusammensetzungen beschrieben werden, die ausschließlich aus Estern von Isoamylalkohol mit C8-C14-Fettsäuren bestehen (siehe die Absätze [0032], [0041]-[0042], [0049] und Tabelle 7).
Des Weiteren beschreibt das Dokument D3 die Verwendung relevanter Fettsäuren, insbesondere Laurinsäure oder Mischungen von Kokosfettsäuren (siehe die Ansprüche 2-3 und 5 sowie die Absätze [0024], [0035], und [0049]).
Ferner erwähnt das Dokument D3, dass der Isoamylalkohol vorzugsweise in Form eines als Fuselöl bezeichnetes Alkoholgemisches eingesetzt werden kann (siehe den Absatz [0019]. In diesem Zusammenhang wird weiter erklärt, dass der Isoamylalkohol typischerweise in einem 10-30%, oft 20% 2-Methyl-1-butanol und 70-90%, oft 80% 3-Methyl-1-butanol Gemisch vorliegt, welches in einer bevorzugten Ausführungsform verwendet wird. Alternativ kann der Isoamylalkohol aber auch in Form eines Alkoholgemisches aus 5-40% 2-Methyl-1-butanol zu 95-60% 3-Methyl-1-butanol verwendet werden (siehe Absatz [0020]).
2.3 Die angefochtene Entscheidung kombiniert diese Abschnitte zur Verneinung der Neuheit einer Esterzusammensetzung, bei welcher die Säurekomponente ausschließlich aus Kokosfettsauren (alternativ: Laurinsäure) und die Alkoholkomponente ausschließlich aus 2-Methyl- und 3-Methyl-1-butanol in einem dem Anspruch 1 der Anmeldung entsprechenden Verhältnis besteht.
Die Kammer stellt jedoch fest, dass die betreffenden Abschnitte nicht durch eine entsprechende eindeutige Präferenz oder technische Überlegung verknüpft sind. Der Abschnitt über das Gemisch aus 2-Methyl-1-butanol und 3-Methyl-1-butanol (Absätze [0019] und [0020]) drückt sogar eine Präferenz für die Verwendung von Fuselöl aus. Ein solches Fuselöl enthält wesentliche Menge zusätzlicher Alkohole und lässt gerade nicht auf ein reines Estergemisch schließen.
Die spezifische Auswahl einer Zusammensetzung, die ausschließlich aus Isoamylalkohol und C8-C14-Fettsäuren besteht, in Kombination mit der Auswahl der Einsatz einer Mischung aus 2-Methyl-1-butanol und 3-Methyl-1-butanol, geschweige einer solchen Mischung im entsprechenden Verhältnis und in Kombination mit den relevanten spezifischen Fettsäuren, kann daher nicht unmittelbar und eindeutig aus Dokument D3 abgeleitet werden.
2.4 Der gemäß Anspruch 1 definierte Gegenstand ist deswegen als Neu gegenüber dem bekanntgewordenen Stand der Technik zu betrachten.
Gleiches gilt für den Gegenstand gemäß Anspruch 2, der sich auf die Verwendung des Gemisches gemäß Anspruch 1 bezieht.
Der Gegenstand des Anspruchs 3 bezieht sich auf kosmetische, dermatologische und pharmazeutische Formulierungen oder Reinigungsmittel für Haushalt oder Industrie, die ein Estergemisch gemäß Anspruch 1 enthalten und die als Wasser-in-Öl, Öl-in-Wasser oder Wasser-in-Silicon-Emulsionen vorliegen. Dieser Gegenstand wurde in der Entscheidung der Prüfungsabteilung nicht wegen fehlender Neuheit bemängelt und wurde auch nach Ansicht der Kammer in dem bekanntgewordenen Stand der Technik nicht vorbeschrieben.
2.5 Die Kammer stellt somit fest, dass die am 24. Mai 2017 eingereichte Ansprüche den Erfordernisse des Artikels 54 EPÜ genügen.
3. Zurückverweisung
Die Angefochtene Entscheidung befasste sich ausschließlich mit dem Erfordernis der Neuheit. In Zusammenhang mit den oben ausgeführten Feststellungen hält die Kammer die Zurückverweisung an die Prüfungsabteilung zur Fortführung der Prüfung entsprechend des Antrags der Beschwerdeführerin (siehe oben Punkt VI) für angebracht (Artikel 11 Verfahrensordnung der Beschwerdekammern 2020).
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.
3. Die Beschwerdegebühr wird zurückgezahlt.