T 1165/18 () of 2.2.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T116518.20220202
Datum der Entscheidung: 02 Februar 2022
Aktenzeichen: T 1165/18
Anmeldenummer: 09002179.1
IPC-Klasse: C08G 64/24
C01D 3/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung von Polycarbonat
Name des Anmelders: Covestro Intellectual Property GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: SABIC Global Technologies B.V.
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 108
European Patent Convention R 99(2)
European Patent Convention R 101(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Zulässigkeit der Beschwerde der Patentinhaberin (ja)
Spät eingereichte Beweismittel - eingereicht mit der Beschwerdebegründung
Erfinderische Tätigkeit - alle Anträge (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0007/93
T 0971/11
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der Patentinhaberin und der Einsprechenden betreffen die am 13. März 2018 zur Post gegebene Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung bezüglich der Aufrechterhaltung des Europäischen Patents Nr. 2 096 131 in geänderter Fassung auf Grundlage der Ansprüche des während der mündlichen Verhandlung am 10. Januar 2018 eingereichten Hilfsantrags 1 und einer angepassten Beschreibung.

II. Der Entscheidung lagen ein Hauptantrag und der Hilfsantrag 1, welche beide während der mündlichen Verhandlung am 10. Januar 2018 eingereicht wurden, zugrunde.

Anspruch 1 des Hauptantrags lautete wie folgt:

"1. Verfahren zur Herstellung von Polycarbonat nach dem Phasengrenzflächenverfahren und Verarbeitung mindestens eines Teils der dabei anfallenden Alkalichlorid-haltigen Lösung in einer nachgeschalteten Alkalichlorid-Elektrolyse, umfassend die folgenden Schritte:

a) Herstellung von Phosgen durch Umsetzung von Chlor mit Kohlenmonoxid,

b) Umsetzung des gemäß Schritt a) gebildeten Phosgens mit wenigstens einem Bisphenol in Gegenwart wenigstens einer Base, wenigstens eines basischen Katalysator und wenigstens eines organischen Lösungsmittels zu einem Polycarbonat und einer Alkalichlorid-haltigen Lösung, wobei es sich bei dem basischen Katalysator um ein tertiäres Amin handelt und bei dem organischen Lösungsmittel um einen aromatischen und/oder aliphatischen chlorierten Kohlenwasserstoff handelt,

c) Abtrennung und Aufarbeitung des in Schritt b) gebildeten Polycarbonats,

d) Abtrennung der gemäß Schritt c) verbliebenen Alkalichlorid-haltigen Lösung von Lösungsmittelresten und Katalysatorresten durch Strippen der Lösung mit Wasserdampf, und Behandlung mit Aktivkohle,

e) Elektrochemische Oxidation wenigstens eines Teils der Alkalichlorid-haltigen Lösung aus d) unter Bildung von Chlor, Alkalilauge und gegebenenfalls Wasserstoff,

dadurch gekennzeichnet, dass bei der Abtrennung d) der Lösung vor der Behandlung mit Aktivkohle die Lösung durch den Einsatz von Salzsäure oder Chlorwasserstoff auf einen pH-Wert kleiner oder gleich 8 eingestellt wird und

f) wenigstens ein Teil des gemäß Schritt e) hergestellten Chlors in die Herstellung von Phosgen gemäß Schritt a) zurückgeführt wird und/oder

g) wenigstens ein Teil des gemäß Schritt e) hergestellten Alkalilauge in die

Herstellung von Polycarbonat gemäß Schritt b) zurückgeführt wird."

Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterschied sich vom Anspruch 1 des Hauptantrags durch folgende Änderungen (im Vergleich zum Anspruch 1 des Hauptantrags werden Hinzufügungen in fett gekennzeichnet):

"d) Abtrennung der gemäß Schritt c) verbliebenen Alkalichlorid-haltigen Lösung von Lösungsmittelresten und Katalysatorresten zuerst durch Strippen der Lösung mit Wasserdampf, und danach durch Behandlung mit Aktivkohle,"

"dadurch gekennzeichnet, dass bei der Abtrennung d) der Lösung nach dem Strippen und vor der Behandlung mit Aktivkohle die Lösung durch den Einsatz von Salzsäure

oder Chlorwasserstoff auf einen pH-Wert kleiner oder gleich 8 eingestellt wird".

III. In der angefochtenen Entscheidung wurde unter anderem auf folgende Dokumente Bezug genommen:| |

D19: WO 03 059818

D20: US 5 460 792

D21a: Environ. Sci. Technol., 2010, 44, 4161-4168

D21b: Unexpected Role of Activated Carbon in

Promoting Transformation of Secondary Amines

to N-Nitrosamines, L. Padhye et al.,

Seiten 1-2

IV. In ihrer Entscheidung ließ die Einspruchsabteilung unter anderen die Dokumente D19 und D20 ins Verfahren zu, jedoch nicht die Dokumente D21a/b.

Die Einspruchsabteilung war ferner unter anderem der Meinung, dass der dann geltende Hauptantrag ausgehend von dem experimentellen Teil der D19 als nächstliegendem Stand der Technik nicht erfinderisch sei. Diesbezüglich seien keine der von der Einspruchsabteilung anerkannten Unterscheidungsmerkmale III bis V des geltenden Anspruchs 1 gegenüber D19 mit einem technischen Effekt verbunden. Ferner seien diese Unterscheidungsmerkmale naheliegend im Lichte des zitierten Standes der Technik (Entscheidungsgründe: Abschnitte 4.3.1 bis 4.3.4). Für die Unterscheidungsmerkmale VI und VII wurde wohl ein Effekt anerkannt, jedoch keine erfinderische Tätigkeit zugewiesen (Entscheidungsgründe: Abschnitte 4.3.5 und 4.3.6). Somit beruhe der Hauptantrag nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Was den Hilfsantrag 1 betreffe, seien die Erfordernisse von Artikeln 123 (2) und (3) EPÜ erfüllt. Bezüglich der erfinderischen Tätigkeit unterscheide sich der im Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 beanspruchte Gegenstand von D19 durch das - im Vergleich zum Hauptantrag - zusätzliche Unterscheidungsmerkmal, dass die Ansäuerung des Abwassers zwischen dem Strippen und vor dem Absorptionsschritt vorgenommen werden muss (Entscheidungsgründe: Abschnitt 5.3, erster Absatz). Da dieses zusätzliche Unterscheidungsmerkmal aus dem Stand der Technik nicht naheliegend sei, sei eine erfinderische Tätigkeit anzuerkennen.

Infolgedessen entschied die Einspruchsabteilung, dass das Streitpatent in geänderter Fassung auf Grundlage des Hilfsantrags 1 den Erfordernissen des EPÜ genüge.

V. In ihrer Beschwerdebegründung beantragte die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin 1) die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage eines Hauptantrags und vier Hilfsanträgen, die mit der Beschwerdebegründung eingereicht wurden.

VI. In ihrer Beschwerdebegründung beantragte die Einsprechende (Beschwerdeführerin 2) die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Ferner wurde beantragt, dass die Dokumente D21a/b ins Verfahren zugelassen werden.

VII. Mit der Beschwerdeerwiderung (Schreiben vom 5. November 2018) beantragte die Beschwerdeführerin 2, die Beschwerde der Beschwerdeführerin 1 als unzulässig zu verwerfen. Ferner wurde beantragt, dass die mit der Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin 1 eingereichten "Versuche 1 bis 3" nicht ins Verfahren zugelassen werden.

VIII. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 teilte die Kammer ihre vorläufige Meinung zur Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung mit.

IX. Mit Schreiben vom 16. November 2021 reichte die Beschwerdeführerin 1 einen neuen Hauptantrag und neue Hilfsanträge 1 bis 3 ein und beantragte, dass das Streitpatent in geänderter Fassung auf der Grundlage eines dieser Anträge aufrechterhalten werde. Diese Anträge entsprachen den vier Hilfsanträgen, die mit der Beschwerdebegründung eingereicht wurden.

Der jeweilige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag 1 entsprach Anspruch 1 des in der angefochtenen Entscheidung behandelten Hauptantrags und Hilfsantrags 1.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterschied sich vom Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 durch folgende Änderung (Hinzufügungen in fett):

"dadurch gekennzeichnet, dass bei der Abtrennung d) der Lösung nach dem Strippen und vor der Behandlung mit Aktivkohle die Lösung durch den Einsatz von Salzsäure

oder Chlorwasserstoff auf einen pH-Wert kleiner oder gleich 8 eingestellt wird, wobei der pH-Wert der Lösung vor der Elektrolyse e) kleiner als 7 beträgt, und".

Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 unterschied sich vom Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 durch folgende Änderung (Hinzufügungen in fett, Streichungen in [deleted: gestrichen])

"wobei der pH-Wert der Lösung vor der Elektrolyse e) [deleted: kleiner als 7] von 0,5 bis 6 beträgt".

X. Die mündliche Verhandlung fand am 2. Februar 2022 als Videokonferenz unter Zustimmung beider Parteien statt.

XI. Die für diese Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin 1 können wie folgt zusammengefasst werden:

Zulässigkeit der Beschwerde der Beschwerdeführerin 1

a) In der Beschwerdebegründung der Patentinhaberin sei ausführlich begründet worden, warum der von der Einspruchsabteilung abgelehnte Hauptantrag auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Zumindest implizit sei dargelegt worden, wo die Einspruchsabteilung nach Ansicht der Patentinhaberin einer Fehleinschätzung unterlag, nämlich in Bezug auf die im Abschnitt 3.04 der Beschwerdebegründung identifizierten unterscheidenden Merkmale V und VI. Somit sei die Beschwerde der Patentinhaberin ordnungsgemäß eingereicht worden und daher zulässig.

Zulassung von D21a/b und von "Versuche 1 bis 3"

b) D21a/b seien nicht prima facie relevant. Ferner gebe es keine Rechtfertigung für die späte Einreichung dieser Dokumente. Somit sollten D21a/b nicht ins Verfahren zugelassen werden.

c) Die mit der Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin 1 eingereichten "Versuche 1 bis 3" seien bereits am Anfang des Einspruchsverfahrens eingereicht worden. Somit sollten sie ins Verfahren zugelassen werden.

Hauptantrag - Artikel 56 EPÜ

d) Obwohl der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags sich vom nächstliegenden Stand der Technik D19 durch die in Abschnitt 3.1.2 der Beschwerdebegründung identifizierten Merkmale I bis IX unterscheide, wurde während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer anerkannt, dass lediglich folgende Unterscheidungsmerkmale zur erfinderischen Tätigkeit beitragen würden:

- IV. Behandlung des Abwassers mit Aktivkohle anstatt des Adsorptionsmittels aus D19;

- VIII. die Lösung zuerst gestrippt und dann erst angesäuert wird;

- IX. bei der Abtrennung d) der Lösung vor der Behandlung mit Aktivkohle die Lösung durch den Einsatz von Salzsäure oder Chlorwasserstoff auf einen pH-Wert kleiner oder gleich 8 eingestellt wird.

Es wurde diesbezüglich während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer zugestimmt, dass - im Einklang mit der angefochtenen Entscheidung - die anderen von der Beschwerdeführerin 1 angegebenen Unterscheidungsmerkmale I bis III und V bis VII entweder in D19 implizit offenbart oder im Lichte des Stands der Technik naheliegend seien. Ferner wurde das in der Beschwerdebegründung vorgebrachte Argument, dass das Strippen mit Wasserdampf die Wirkung der oben angegebenen Unterscheidungs-merkmale VIII und IX unterstütze, nicht weiterverfolgt.

Bezüglich des Merkmals IV sei aus der Lehre von D19 ersichtlich, dass AMBERSORB 572 nicht mit Aktivkohle gleichzusetzen sei. Ferner beziehe sich der in den Methoden 1 bis 3 von D19 angegebene pH-Wert von 3,5 auf das Adsorbens AMBERSORB 572 selbst und nicht auf den pH-Wert der Salzlösung.

Was das Merkmal VIII betrifft, wurde während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer dargelegt, dass, obwohl dieses Merkmal nicht explizit im geltenden Anspruch 1 angegeben werde, der Fachmann diesen Anspruch so lesen würde.

Der im Merkmal IX anwesende Wortlaut ", dass ... durch den Einsatz ... auf einen pH-Wert von ... eingestellt wird" bedeute, dass diese Ansäuerung ein aktiver Schritt des beanspruchten Verfahrens sei. Jedoch sei ein solcher aktiver Schritt in D19 nicht offenbart.

e) Wie im Streitpatent erwähnt und durch die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Versuche 1 bis 3 weiter belegt, führten die oben angegebenen Unterscheidungsmerkmale zu einem verbesserten Reinigungsverfahren, welches zudem energie- und umweltschonender sei. Insbesondere ermögliche das beanspruchte Verfahren, dass das Alkalichlorid-haltige Abwasser nach der Behandlung mit Aktivkohle direkt der Elektrolyse (Merkmal e) des geltenden Anspruchs 1) zugeführt werde, was im Verfahren der D19 nicht der Fall sei.

f) Es könne weder aus D19 entnommen werden, noch sei es gezeigt worden, dass es naheliegend sei, die oben angegebene Aufgabe durch Abwandlung der Lehre von D19 gemäß dem Gegenstand von Anspruch 1 zu lösen.

g) Somit sei der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags erfinderisch.

Hilfsantrag 1 - Artikel 56 EPÜ

h) Die im Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 durchgeführten Änderungen verlangten, dass die Lösung zuerst gestrippt und erst dann angesäuert und mit Aktivkohle behandelt werden müsse. Diese zwangsläufige Reihenfolge stelle ein weiteres Unterscheidungsmerkmal gegenüber D19 dar. Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wurde vorgetragen, dass diese Änderungen ferner implizierten, dass die Lösung beim Strippen einen pH-Wert größer als 8 haben müsse.

Diese zusätzlichen Unterscheidungsmerkmale führten zu einem verbesserten Verfahren, wie bereits für den Hauptantrag dargelegt.

Es könne weder aus D19 entnommen werden, noch sei gezeigt worden, dass es naheliegend sei, diese Aufgabe durch Abwandlung der Lehre von D19 gemäß dem Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 zu lösen.

Somit sei der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 erfinderisch.

Hilfsanträge 2 und 3 - Artikel 56 EPÜ

i) Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wurde anerkannt, dass selbst, wenn die in Anspruch 1 der jeweiligen Hilfsanträge 2 und 3 durchgeführte Änderungen weitere Unterscheidungsmerkmale gegenüber D19 darstellen, diese Änderungen nicht zur erfinderischen Tätigkeit beitrügen. Die für den Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 vorgebrachten Argumente bezüglich der erfinderischen Tätigkeit gälten daher gleichermaßen für den Anspruch 1 der Hilfsanträge 2 und 3.

XII. Die für diese Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin 2 können wie folgt zusammengefasst werden:

Zulässigkeit der Beschwerde der Beschwerdeführerin 1

a) Die Patentinhaberin habe in ihrer Beschwerdebegründung nicht hinreichend und klar begründet, warum die angefochtene Entscheidung falsch sei. Somit sei diese Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

Zulassung von D21a/b und von "Versuche 1 bis 3"

b) Es sei aus D21a/b zu entnehmen, dass die in D19 verwendete Komponente AMBERSORB 572 einer Aktivkohle, wie im Anspruch 1 der in der angefochtenen Entscheidung behandelten Anträge definiert, entspreche. Somit bestätigten D21a/b die von der Beschwerdeführerin 2 während des Einspruchsverfahrens vorgebrachte Argumentationslinie. Daher sollten D21a/b ins Verfahren zugelassen werden.

c) Die mit der Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin 1 eingereichten "Versuche 1 bis 3" seien nicht relevant und sollten daher nicht ins Verfahren zugelassen werden.

Hauptantrag - Artikel 56 EPÜ

d) Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags unterscheide sich vom nächstliegenden Stand der Technik D19 durch folgende Merkmale:

- In Verfahrensstufe d) werde das Strippen mit Wasserdampf (anstatt von Luft in D19) durchgeführt;

- Die Ansäuerung auf einen pH-Wert kleiner oder gleich 8 erfolge durch den Einsatz von Salzsäure oder Chlorwasserstoff (in D19 werde nicht angegeben, wie die Ansäuerung durchgeführt werde).

Es wurde diesbezüglich während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer zugestimmt, dass - im Einklang mit der angefochtenen Entscheidung - die anderen, in Abschnitt 3.1.2 der Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin 1 angegebenen Unterscheidungsmerkmale I bis III und V bis VII entweder in D19 implizit offenbart oder im Lichte des Stands der Technik naheliegend seien. Somit seien diese Merkmale für die vorliegende Entscheidung nicht relevant.

Das von der Beschwerdeführerin 1 identifizierte Merkmal VIII sei durch den Wortlaut des geltenden Anspruchs 1 nicht widergespiegelt. Es gebe ferner keinen Grund, dieses Merkmal als implizit anzusehen.

Bezüglich des von der Beschwerdeführerin 1 identifizierten Merkmals IV sei aus der Lehre von D19, D20 und D21a/b ersichtlich, dass AMBERSORB 572 einer Aktivkohle gemäß dem geltenden Anspruch 1 entspreche. Ferner sei aus D19 selbst herleitbar, dass sich der in den Methoden 1 bis 3 von D19 angegebene pH-Wert von 3,5 nicht auf das Adsorbens AMBERSORB 572 selbst, sondern auf den pH-Wert der Salzlösung beziehe.

Der Wortlaut des geltenden Anspruchs 1 ", dass ... durch den Einsatz ... auf einen pH-Wert von ... eingestellt wird" mache nur Sinn, wenn der pH-Wert dieser Lösung größer als 8 sei. Sollte dies nicht der Fall sein, sei dieses Merkmal implizit erfüllt. In D19 finde eine solche Ansäuerung entweder vor dem Strippen (Seite 21, zweiter Absatz) oder nach dem Strippen (Seite 22: siehe Angabe "AMBERSORB 572 (pH 3.5, 2 bed volumes/hr)" in Bezug auf die Methode 1 bis 3). Somit sei dieses Merkmal, mit der Ausnahme, dass diese Ansäuerung durch Zugabe von Salzsäure oder Chlorwasserstoff stattfinde, in D19 bereits offenbart.

e) Es sei weder gezeigt, noch argumentiert worden, dass die oben identifizierten Unterscheidungsmerkmale zu irgendeinem technischen Effekt führten. Die von der Beschwerdeführerin 1 erwähnte Verbesserung, dass das beanspruchte Verfahren ermögliche, dass die Elektrolyse e) direkt nach der Ansäuerung stattfinde, werde durch den Wortlaut des geltenden Anspruch 1 nicht widergespiegelt. Insbesondere seien Verfahren, in denen nach der Ansäuerung und vor der Elektrolyse weitere Schritte durchgeführt werden, wie z.B. in der Methode 1 gemäß D19, nicht ausgeschlossen. Somit liege die gegenüber D19 tatsächlich gelöste Aufgabe lediglich darin, ein weiteres Verfahren, in Alternative zu dem Verfahren der D19, bereitzustellen.

f) Es sei unbestritten, dass das Strippen mit Wasserdampf anstatt von Luft und/oder eine Ansäuerung durch Einsatz von Salzsäure oder Chlorwasserstoff üblich seien und zur erfinderischen Tätigkeit nicht beitragen könnten.

g) Somit sei der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags ausgehend von D19 nicht erfinderisch.

Hilfsantrag 1 - Artikel 56 EPÜ

h) Die im Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 durchgeführte Änderungen stellten kein weiteres Unterscheidungsmerkmal gegenüber D19 dar.

Selbst wenn man diese Änderungen so lesen würde, dass sie definieren, dass die Lösung beim Strippen einen pH-Wert größer als 8 haben müsse, sei es nicht gezeigt worden, dass dieses Merkmal zu irgendeinem technischen Effekt führe. Es sei ferner bekannt, dass ein solches Strippen bei einem pH-Wert größer als 8 durchgeführt werden könne.

Somit sei Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 aus den gleichen Gründen wie Anspruch 1 des Hauptantrags nicht erfinderisch.

Hilfsanträge 2 und 3 - Artikel 56 EPÜ

i) Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wurde vorgebracht, dass es nicht gezeigt wurde, dass die in Anspruch 1 durchgeführten Änderungen zu irgendeinem Effekt führen. Diese Maßnahmen, die üblich seien, seien somit ferner willkürlich definiert worden. Somit trügen die durchgeführten Änderungen zur erfinderischen Tätigkeit nicht bei. Die für den Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 vorgebrachten Argumente bezüglich der erfinderischen Tätigkeit gälten daher gleichermaßen für den Anspruch 1 der Hilfsanträge 2 und 3.

XIII. Die Beschwerdeführerin 1 beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage des Hauptantrags oder eines der Hilfsanträge 1 bis 3, sämtliche Anträge eingereicht mit Schreiben vom 16. November 2021.

Die Beschwerdeführerin 2 beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Ferner wurde die Verwerfung der Beschwerde der Patentinhaberin als unzulässig beantragt.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerde der Beschwerdeführerin 1

1.1 Für die Beurteilung der Zulässigkeit der Beschwerde der Patentinhaberin ist u.a. zu prüfen, ob die Erfordernisse von Artikel 108 EPÜ in Verbindung mit Regel 99 (2) EPÜ und Regel 101 (1) EPÜ erfüllt sind, was von der Beschwerdeführerin bestritten wird. Diese Regeln haben folgenden Wortlaut:

"In der Beschwerdebegründung hat der Beschwerdeführer darzulegen, aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung aufzuheben oder in welchem Umfang sie abzuändern ist und auf welche Tatsachen und Beweismittel er seine Beschwerde stützt" (Regel 99 (2) EPÜ);

"Entspricht die Beschwerde nicht den Artikeln 106 bis 108, Regel 97 oder Regel 99 Absatz 1 b) oder c) oder Absatz 2, so verwirft die Beschwerdekammer sie als unzulässig, sofern die Mängel nicht vor Ablauf der Fristen nach Artikel 108 beseitigt worden sind" (Regel 101 (1) EPÜ).

1.2 Diesbezüglich ist nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern eine Beschwerde als zulässig anzusehen, wenn sich die Beschwerdeführerin mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandergesetzt hat. Diesbezüglich reicht es aus, dass mindestens einer der Gründe in der Beschwerdebegründung sich auf eine Frage bezieht, die die Vorinstanz zuungunsten der Beschwerdeführerin entschieden hat, und eine Entscheidung zu seinen Gunsten in dieser Frage zumindest vertretbar gewesen wäre und zu einem anderen Ergebnis geführt hätte (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 9. Auflage, 2019, V.A.2.6.3.e: siehe insbesondere die Passagen betreffend die Entscheidungen T 213/85 und T 846/01).

1.3 Im vorliegenden Fall stimmt die Kammer der Patentinhaberin zu, dass sie in Abschnitt 3.04 ihrer Beschwerdebegründung (Seiten 19 bis 21) ausgeführt hat, warum sie im Gegensatz zur Einspruchsabteilung die dort identifizierten Merkmale V und VI als Unterscheidungsmerkmale gegenüber der Offenbarung von Dokument D19 sehe und inwiefern diese Merkmale zur erfinderischen Tätigkeit des in der angefochtenen Entscheidung aufgrund fehlender erfinderischer Tätigkeit ausgehend von D19 abgelehnten Hauptantrags, welcher in der Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin 1 weiterverteidigt wurde, beitragen. Somit ist die Kammer der Auffassung, dass mindestens diese Passage der Beschwerdebegründung der Patentinhaberin als eine Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung angesehen werden kann und dass somit der Beschwerdebegründung zu entnehmen ist, inwiefern die Patentinhaberin der Meinung ist, dass diese Entscheidung in Bezug auf den dann geltenden Hauptantrag falsch sei.

1.4 Mindestens aus diesen Gründen sind die Erfordernisse von Regeln 99 (2) EPÜ erfüllt. Somit wird der Antrag der Beschwerdeführerin 2, die Beschwerde der Patentinhaberin als unzulässig zu verwerfen (Regel 101 (1) EPÜ), zurückgewiesen. Infolgedessen ist die Beschwerde der Patentinhaberin zulässig.

2. Infolge der im Abschnitt 1 getroffenen Entscheidung hat die Patentinhaberin den Status einer Beschwerdeführerin. Ferner sind sowohl der geltende Hauptantrag (welcher identisch mit dem von der Einspruchsabteilung abgelehnten Hauptantrag ist), als auch die geltenden Hilfsanträge 1 bis 3 (wobei der Hilfsantrag 1 identisch mit dem in der angefochtenen Entscheidung behandelten Hilfsantrag 1 ist) zu berücksichtigen.

3. Zulassung von D21a/b und von "Versuche 1 bis 3"

3.1 Die Beschwerdeführerin 2 beantragt, dass D21a/b, welche von der Einspruchsabteilung nicht in das Verfahren zugelassen wurden, doch zugelassen werden, was von der Beschwerdeführerin 1 bestritten wird.

3.1.1 Obwohl D21a/b von der Einspruchsabteilung nicht ins Verfahren zugelassen wurden, kann eine Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung von den Kammern aufgehoben werden, wenn feststeht, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen nicht nach den richtigen Grundsätzen oder in unangemessener Weise ausgeübt hat (siehe Rechtsprechung, supra, V.A.3.5.1; siehe auch Entscheidung G 7/93, ABl. EPA 1994, 775: Abschnitt 2.6 der Begründung). Der Umstand, dass die Einspruchsabteilung ein verspätet eingereichtes Dokument nicht zugelassen und dabei die Grenzen ihres Ermessens nicht überschritten hat, hindert die Kammer jedoch grundsätzlich nicht daran, das Dokument insbesondere dann zuzulassen, wenn sie es z.B. für prima facie relevant hält (T 971/11 vom 4. März 2016, Abschnitte 1.1 bis 1.3 der Gründe; Rechtsprechung, supra, V.A.3.5.2.b und V.A.3.5.3.a). Insbesondere darf ein Dokument, das im Beschwerdeverfahren zugelassen worden wäre, wenn es erstmals zu Beginn dieses Verfahrens eingereicht worden wäre, nicht allein deshalb nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 für unzulässig erklärt werden, weil es bereits vor der ersten Instanz eingereicht und nicht zugelassen wurde (T 971/11, Abschnitt 1.3 der Entscheidungsgründe).

3.1.2 Im vorliegenden Fall wird nicht bestritten, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen in angemessener Weise ausgeübt hat.

3.1.3 Jedoch brachte die Beschwerdeführerin 2 in ihrer Beschwerdebegründung (Seite 2, Abschnitt 1.1; Seite 16, erster Absatz) vor, dass aus D21a/b zu entnehmen sei, dass die in D19 verwendete Komponente AMBERSORB 572 einer Aktivkohle, wie im Anspruch 1 der in der angefochtenen Entscheidung behandelten Anträge definiert, entspreche. Nach Meinung der Kammer war diese Fragestellung für die Entscheidung relevant (siehe Definition des Unterscheidungsmerkmals V und Abschnitt 4.3.4 der Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung). Ferner ist diese Fragestellung im Beschwerdeverfahren zwischen den Parteien weiterhin strittig (Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin 1: Seite 25, Absatz "Zusätzlich ...; Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin 2: Seite 16, erster Absatz; Beschwerdeerwiderung der Beschwerdeführerin 2: Seite 18, 4. und 5. Absätze). Aus diesen Gründen erachtet es die Kammer für nicht angebracht, ihre Befugnis nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 (siehe Artikel 25 (2) VOBK 2020) auszuüben und die Dokumente D21a/b vom Verfahren auszuschließen.

3.2 Die Beschwerdeführerin 2 beantragt, dass die von der Beschwerdeführerin 1 in ihrer Beschwerdebegründung eingereichten experimentellen Daten (Versuche 1 bis 3: siehe Seiten 10, 11 und 15 der Beschwerdebegründung) nicht in das Verfahren zugelassen werden.

3.2.1 Jedoch wurde nicht bestritten, dass diese experimentellen Daten identisch mit den experimentellen Daten, die von der Patentinhaberin mit Schreiben vom 2. Juni 2016 (Seiten 7 und 11) während des Einspruchsverfahrens bereits eingereicht wurden, sind. Unter solchen Umständen ist es für die Kammer nicht gerechtfertigt, ihre Befugnis nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 (siehe Artikel 25 (2) VOBK 2020) dahingehend auszuüben, die Versuche 1 bis 3 nicht in das Verfahren zuzulassen.

3.3 Somit sind sowohl D21a/b als auch die "Versuche 1 bis 3" im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen.

Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit

4. Artikel 56 EPÜ

4.1 Bezüglich der erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 des Hauptantrags sind beide Beschwerdeführerinnen im Einklang mit der Einspruchsabteilung der Auffassung, dass D19 den nächstliegenden Stand der Technik darstellt. Die Kammer hat auch keinen Grund, einen anderen Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zugrunde zu legen.

4.2 Diesbezüglich ist insbesondere zu betrachten, dass, wie auf Seite 6, erstem bis drittem Absatz der angefochtenen Entscheidung angegeben, D19 sich wie das angefochtene Patent mit der Aufreinigung von Abwassern aus der Polycarbonatherstellung beschäftigt (siehe Seite 1, Zeilen 10-23, insbesondere Zeilen 13-16). Dabei wird insbesondere auf die Reaktion von Bisphenol A mit Phosgen in Methylenchlorid in der Anwesenheit von Natronlauge hingewiesen. Im experimentellen Teil der D19 wird zunächst eine Vorreinigung des Abwassers ("primary brine treatment", siehe Seite 21, zweiter Absatz und Seite 11, dritter Absatz) offenbart, die das Ansäuern des Abwassers gefolgt von Strippen mit Luft zur Entfernung von organischen Lösungsmitteln und gelösten Katalysatoren umfasst. Darauf folgt ein weiteres Reinigungsverfahren ("secondary brine treatment"), welches gemäß einer der auf Seite 22 angegeben Methoden 1 bis 3 durchgeführt wird (Seite 20, dritter Absatz, erster Satz und vierter Absatz; Seite 21, erster voller Absatz, erster Satz und letzter Absatz). In den Beispielen 2 bis 4 der D19 (Seiten 23-26; Tabelle 1, Seite 23) werden recycelte Abwasserlösungen ("recycled brine") zuerst durch eine solche Vorreinigung des Abwassers ("primary brine treatment") und dann mit einem solchen weiteren Reinigungsverfahren gemäß einer der Methoden 1 bis 3 ("secondary brine treatment") durchgeführt (siehe D19: Seite 21, zweiter Absatz, erster Satz).

4.3 Unterscheidungsmerkmal(e)

4.3.1 Die Parteien waren sich nicht einig, inwiefern das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags sich von einem Verfahren gemäß dem experimentellen Teil der D19, insbesondere die in den Beispielen der D19 beschriebene Kombination einer Vorreinigung des Abwassers ("primary brine treatment") mit einem weiteren Reinigungsverfahren ("secondary brine treatment"), unterscheidet.

4.3.2 Diesbezüglich wurde von der Beschwerdeführerin 1 nicht bestritten, dass, wie von der Beschwerdeführerin 2 vorgebracht (Beschwerdebegründung: Seite 8, erster Absatz, letzter Satz), durch die offene Formulierung des geltenden Anspruchs 1 andere Verfahrensstufen als die, die dort beschrieben sind, nicht ausgeschlossen sind. Die Kammer sieht auch keinen Grund, eine andere Meinung zu vertreten. Somit schließt ein Verfahren gemäß dem geltenden Anspruch 1 nicht aus, dass andere Verfahrensschritte, auch z.B. zwischen den im Anspruch 1 explizit definierten Strippen und Ansäuerung/Behandlung mit Aktivkohle, stattfinden.

4.3.3 In diesem Zusammenhang war es ferner während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer zwischen den Parteien unstrittig, dass nur die Unterscheidungsmerkmale, die von den folgenden Merkmalen des geltenden Anspruchs 1 definiert sind, zur erfinderischen Tätigkeit beitragen können:

- das Merkmal d) "Abtrennung der gemäß Schritt c) verbliebenen Alkalichlorid-haltigen Lösung von Lösungsmittelresten und Katalysatorresten, durch Strippen der Lösung mit Wasserdampf, und Behandlung mit Aktivkohle" und

- die Merkmalkombination "dadurch gekennzeichnet, dass bei der Abtrennung d) der Lösung vor der Behandlung mit Aktivkohle die Lösung durch den Einsatz von Salzsäure oder Chlorwasserstoff auf einen pH-Wert kleiner oder gleich 8 eingestellt wird".

Die Kammer sieht keinen Grund, eine andere Meinung zu vertreten. Insbesondere wurden die Schlussfolgerungen der Einspruchsabteilung, dass sämtlichen weiteren in D19 nicht explizit offenbarten Merkmalen keine technische Wirkung zugewiesen wurde und sie entweder in D19 implizit offenbart oder im Lichte des Standes der Technik naheliegend sind, nicht bestritten (Entscheidungsgründe: Seite 7, letzte zwei Absätze vor Abschnitt 4.3.1; Abschnitte 4.3.2 bis 4.3.6). Somit bleibt in der vorliegenden Entscheidung zu identifizieren, inwiefern der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 sich von den oben angegebenen Merkmal d) und Merkmalkombination unterscheidet.

4.3.4 Was Merkmal d) gemäß dem geltenden Anspruch 1 betrifft, blieb unbestritten, dass ein Strippen der Lösung wie im geltenden Anspruch 1 definiert nur bei der Vorreinigung des Abwassers ("primary brine treatment") im experimentellen Teil der D19 (Seite 21: zweiter Absatz, vorletzter Satz) offenbart wird. Jedoch wird dort das Strippen der Lösung mit Luft und nicht mit Wasserdampf wie in geltendem Anspruch 1 definiert durchgeführt. Somit stellt die Verwendung von Wasserdampf beim Strippen ein Unterscheidungsmerkmal dar.

Darüber hinaus ist für die Kammer aus D20 (Spalte 12, Zeilen 24-48), D21a (Seite 4162: linke Spalte, Absatz "ACs' Modifications and Characterization: erste zehn Zeilen; Seite 4163: Tabelle 1) und D21b (Seite 2: zweiter Absatz, erster Satz) ersichtlich, dass die in D19 eingesetzte Komponente "AMBERSORB 572" einer Aktivkohle gemäß dem Merkmal d) von Anspruch 1 des Hauptantrags entspricht. In diesem Zusammenhang ist das Argument der Beschwerdeführerin 1, dass die Natur vom kommerziellen Produkt AMBERSORB 572 im Verlauf der Jahre sich geändert haben könne (Beschwerdebegründung: Seite 25, Ende vom sechsten Absatz), von Fakten nicht gestützt und kann daher nicht überzeugen.

4.3.5 Was die Merkmalkombination "dadurch gekennzeichnet, dass ... eingestellt wird" betrifft, stimmt die Kammer die Beschwerdeführerin 1 zu, dass dieser Wortlaut definiert, dass im beanspruchten Verfahren ein aktiver Schritt stattfinden muss, in dem:

- Salzsäure oder Chlorwasserstoff eingesetzt, d.h. zugegeben, werden muss;

- diese Zugabe dazu führen muss, dass der pH-Wert der Lösung von einem Wert größer als 8 sich auf einen pH-Wert kleiner oder gleich 8 ändern muss.

a) In diesem Zusammenhang war zwischen den Parteien strittig, was die Angabe "AMBERSORB 572 (pH 3.5, 2 bed volumes/hr)" bei der Beschreibung der Methode 1 bis 3 des weiteren Reinigungsverfahrens ("secondary brine treatment") gemäß Seite 22 der D19 bedeutet.

b) Die Beschwerdeführerin 1 war diesbezüglich der Meinung, dass sich der angegebene pH-Wert von 3,5 auf das Adsorbens AMBERSORB 572 selbst und nicht auf den pH-Wert der Salzlösung beziehe.

Jedoch wird in der Methode 2 auf Seite 22 der D19 auch ein Verfahrensschritt als "AMBERSORB 572 (pH 10.4, 2 bed volumes/hr)" offenbart. Angesichts dieser unterschiedlichen pH-Werte für AMBERSORB 572 können die auf Seite 22 genannten pH-Werte in Bezug auf AMBERSORB 572 sich nicht auf dieses Produkt selbst beziehen. Ferner wird in D19 (Seite 23, letzte vier Zeilen) explizit offenbart, dass die Angabe "AMBERSORB 572 (pH 10.4, 2 bed volumes/hr)" bedeutet, dass das Produkt bei einem pH-Wert von 10,4 behandelt wird. Somit wird das Argument der Beschwerdeführerin 1 zurückgewiesen.

c) Angesichts der Offenbarung der D19 (Ansprüche 1 und 2; Seite 11, letzter Absatz bis Seite 17, erster Absatz; in diesen Passagen wird öfters offenbart, dass der pH-Wert "eingestellt" oder "wieder-eingestellt" wird) hat ferner die Kammer keinen Zweifel, dass der auf Seite 22 der D19 bei der Beschreibung der Verfahrensschritte der Methoden 1 bis 3 angegebene Wortlaut "Transition Metal Cation Removal (pH 3.5, 2 bed volumes/hr)" und "Hardness Removal (pH 10.4, 2 bed volumes/hr)" bedeutet, dass bei diesen Verfahrensschritten der pH-Wert aktiv eingestellt wird. Es gibt ferner für die Kammer keinen Grund, dass eine andere Interpretation für den gleichen Wortlaut "AMBERSORB 572 (pH 3.5, 2 bed volumes/hr)" in den gleichen Passagen auf der Seite 22 der D19 verwendet wird. Daher ist die Offenbarung auf Seite 22 der D19 so zu verstehen, dass bei der ersten Stufe der Methoden 1 und 2 und bei der letzten Stufe der Methode 3 bei der Behandlung mit AMBERSORB 572 die Lösung auf einen pH-Wert von 3,5 eingestellt - d.h. gemäß dem Wortlaut des geltenden Anspruchs 1 - wird. In diesem Zusammenhang war unbestritten, dass die auf Seite 22 der D19 angegebenen Verfahrensschritte der Methoden 1 bis 3 in der dort angegebenen Reihenfolge durchgeführt wurden, was auch für die Kammer aus der Offenbarung der D19 (Seite 12, zwei erste Absätze; Seite 15, erster Absatz; Seite 16, zweiter voller Absatz; Seite 21 letzter Absatz) folgt.

b) Darüber hinaus ist anzumerken, dass in der Methode 3 der D19 (Seite 22) die Behandlung mit AMBERSORB 572 bei einem eingestellten pH-Wert von 3,5 nach einem Verfahrensschritt "Hardness Removal" erfolgt, welcher bei einem eingestellten pH-Wert von 10,4 durchgeführt wird. Somit gibt es für die Kammer einen zusätzlichen Grund zu schließen, dass bei der Methode 3 der D19, eine Einstellung des pH-Wertes zwangsläufig stattfindet.

c) Es blieb jedoch unbestritten, dass D19 nicht offenbart, dass diese pH-Wert Einstellung durch Einsatz von Salzsäure oder Chlorwasserstoff, wie im geltenden Anspruch 1 definiert, stattfindet. Somit stellt eine Ansäuerung durch Einsatz von Salzsäure oder Chlorwasserstoff ein Unterscheidungsmerkmal des geltenden Anspruchs 1 gegenüber D19 dar.

4.3.6 Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass der Fachmann Anspruch 1 des Hauptantrags so lesen würde, dass die Lösung zuerst gestrippt und dann erst angesäuert werde.

a) Jedoch wird im Merkmal d) gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags lediglich definiert, dass die dort angegebene Abtrennung durch Strippen der Lösung und Behandlung mit Aktivkohle durchgeführt wird, ohne jedoch die Reihenfolge, in dem diese Verfahrensschritte durchgeführt werden, einzuschränken. Die weitere Angabe im geltenden Anspruch 1, dass bei der Abtrennung d) "vor der Behandlung mit Aktivkohle die Lösung ... auf einen pH-Wert eingestellt wird" definiert lediglich, dass eine Ansäuerung vor der Behandlung mit Aktivkohle stattfindet, schränkt jedoch auch nicht ein, in welche Reihenfolge das Strippen und die Ansäuerung durchgeführt werden.

Es wurde ferner nicht gezeigt, dass die restlichen Merkmale des geltenden Anspruchs 1, explizit oder implizit, definieren, dass das Strippen vor der Ansäuerung stattfinden muss.

Aus diesen Gründen wird das Argument der Beschwerdeführerin 1 zurückgewiesen.

b) Ferner wird angemerkt, dass im experimentellen Teil der D19 während das Strippen (mit Luft) als Teil des "primary brine treatment" offenbart wird, die Behandlung mit AMBERSORB 572 bei einem eingestellten pH-Wert von 3,5 als Teil des nachfolgenden "secondary brine treatment" (Methoden 1, 2 oder 3) beschrieben wird. Somit kann die Tatsache, dass die Lösung zuerst gestrippt und dann erst angesäuert wird, kein Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem experimentellen Teil der D19 darstellen.

4.3.7 Aus diesen Gründen lauten die für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit relevanten Unterscheidungsmerkmale von Anspruch 1 des Hauptantrags gegenüber dem experimentellen Teil der D19 wie folgt:

- Die Verwendung von Wasserdampf anstatt von Luft beim Strippen der Lösung gemäß Merkmal d);

- Die Verwendung von Salzsäure oder Chlorwasser bei der Ansäuerung (auf einen pH-Wert kleiner oder gleich 8).

4.4 Die gegenüber D19 gelöste Aufgabe

Die von der Beschwerdeführerin 1 betrachtete Formulierung der gegenüber D19 gelösten Aufgabe beruhte auf anderen Unterscheidungsmerkmalen als die in Abschnitt 4.3.7 oben definiert. Es blieb jedoch unbestritten, insbesondere während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, dass den beiden in Abschnitt 4.3.7 angegebenen Merkmalen kein technischer Effekt zugewiesen wurde. Somit kann die gegenüber D19 gelöste Aufgabe nur darin bestehen, ein weiteres Verfahren zur Herstellung von Polycarbonat nach dem Phasengrenzflächenverfahren und Verarbeitung mindestens eines Teils der dabei anfallenden Alkalichlorid-haltigen Lösung in einer nachgeschalteten Alkalichlorid-Elektrolyse bereitzustellen.

4.5 Naheliegen der Lösung

Es blieb im Beschwerdeverfahren weiterhin unbestritten, dass die in Abschnitt 4.3.7 angegebenen Merkmale im Lichte des Standes der Technik naheliegend sind und zur erfinderischen Tätigkeit nicht beitragen können, wie bereits von der Einspruchsabteilung entschieden (Entscheidungsgründe: Abschnitte 4.3.3 und 4.3.5).

4.6 Aus diesen Gründen ist der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ausgehend von D19 als nächstliegendem Stand der Technik nicht erfinderisch.

4.7 Somit ist der Hauptantrag nicht gewährbar.

Hilfsantrag 1 - Erfinderische Tätigkeit

5. Es ist zwischen den Parteien unstrittig, dass die im Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 durchgeführten Änderungen zusätzlich definieren, dass im beanspruchten Verfahren die Lösung zuerst gestrippt und erst dann angesäuert und mit Aktivkohle behandelt werden muss.

Jedoch, wie in Abschnitt 4.3.6.b) oben dargelegt, stellt diese zwangsläufige Reihenfolge der Verfahrensschritte Strippen/Ansäuerung/Behandlung mit Aktivkohle kein weiteres Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem experimentellen Teil der D19 dar.

Ferner teilt die Kammer die Ansicht der Beschwerdeführerin 1, dass die durchgeführten Änderungen dazu führen, dass die Lösung beim Strippen einen pH-Wert größer als 8 aufweisen muss, nicht. Diesbezüglich wird im Merkmal d) des geltenden Anspruchs 1 lediglich definiert, dass die Lösung zuerst gestrippt und danach mit Aktivkohle behandelt wird, wobei keine Einschränkung bezüglich des pH-Wertes der gestrippten Lösung angegeben wird. Da die offene Formulierung des beanspruchten Verfahrens andere, in Anspruch 1 nicht erwähnte Verfahrensschritte, nicht ausschließt, ändert die Tatsache, dass in geltenden Anspruch 1 definiert wird, dass nach dem Strippen eine Ansäuerung auf einen pH-Wert kleiner oder gleich 8 durchgeführt wird, diese Schlussfolgerung nicht. Somit wird das Argument der Beschwerdeführerin 1 zurückgewiesen.

Aus diesen Gründen führen die in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 durchgeführten Änderungen zu keinem weiteren Unterscheidungsmerkmal gegenüber D19 (im Vergleich zu Anspruch 1 des Hauptantrags).

Somit ist der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 ausgehend von D19 nicht erfinderisch aus den gleichen Gründen wie für Anspruch 1 des Hauptantrags ausgeführt.

Hilfsanträge 2 und 3 - Erfinderische Tätigkeit

6. Weder im schriftlichen Verfahren, noch während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wurden von den Parteien zur erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 der Hilfsanträge 2 und 3 weitergehende Argumente als für den Hilfsantrag 1 vorgebracht. Insbesondere wurde von der Beschwerdeführerin 1 nicht dargelegt, dass die in Anspruch 1 dieser Hilfsanträge vorgenommenen Änderungen eine andere Aufgabe lösen würden oder im Lichte des Standes der Technik nicht willkürlich und/oder nicht naheliegend seien. Daher können diese Hilfsanträge nur das Schicksal des Hilfsantrags 1 teilen, sodass der Gegenstand des Anspruchs 1 der Hilfsanträge 2 und 3 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

7. Da keiner der Anträge der Beschwerdeführerin 1 gewährbar ist, ist das Patent zu widerrufen. Über weitere Punkte war daher nicht zu entscheiden.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Beschwerde der Patentinhaberin ist zulässig.

2. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

3. Das Patent wird widerrufen.

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