T 1111/18 () of 21.5.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T111118.20210521
Datum der Entscheidung: 21 Mai 2021
Aktenzeichen: T 1111/18
Anmeldenummer: 13742381.0
IPC-Klasse: F27D 3/16
C22B 9/05
C22B 21/06
F27D 27/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 632 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VORRICHTUNG ZUM RAFFINIEREN VON METALLSCHMELZEN
Name des Anmelders: JAP INDUSTRIES s.r.o.
Name des Einsprechenden: Foseco International Limited
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0939/92
T 1014/07
T 1317/08
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das Patent betrifft eine Vorrichtung zum Raffinieren von Metallschmelzen mit einem Rotor, über den Gas und Salze eingebracht und in der Schmelze verteilt werden können.

II. Die Einspruchsabteilung hat den auf Artikel 100(a) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 54 und 56 EPÜ basierten Einspruch gegen das Europäische Patent mit der Nummer 2 739 927 (im Folgenden: das Patent) mit der angefochtenen Entscheidung zurückgewiesen.

III. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Einsprechende (Beschwerdeführerin) mit der Beschwerde.

IV. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 3. August 2020 teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Meinung mit, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Patents wie erteilt nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit zu beruhen scheint.

V. Am 21. Mai 2021 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt, bei deren Ende die vorliegende Entscheidung verkündet wurde. Die Schlussanträge lauteten wie folgt:

Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, d.h. die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf Basis eines der Hilfsanträge 1 bis 6 eingereicht mit der Eingabe vom 15. Januar 2018 in der Reihenfolge Hilfsantrag 2, Hilfsantrag 5, Hilfsantrag 3, Hilfsantrag 1, Hilfsantrag 4 und Hilfsantrag 6.

VI. Die folgenden für die Entscheidung relevanten Beweismittel waren bereits Bestandteil des Einspruchsverfahrens:

D3: WO-A-2004/057 045, im Patent zitiert;

D4: EP-A-0 332 292;

D8: Riverin G. et al. "A Novel Crucible Metal

Treatment Process for impurity Removal in

Secondary Aluminium", Light Metals, 2006, The

Minerals, Metals & Materials Society;

D12: Trial Report 1, datiert 7. Juli 2016;

D16: "Vergleich von Raffinationsrotoren JAP":

Simulationsergebnisse vorgebracht von der

Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom

16. Dezember 2016, 10 Seiten.

Mit Schreiben vom 14. Juni 2019 wurden zusätzlich die Beweismittel D18 und D19 von der Beschwerdeführerin erstmalig vorgebracht:

D18: Erklärung von Wenwu Shi vom 6. November 2019 mit

Simulationsberechnungen, 5 Seiten; und

D19: Kerdouss F. et al., "Mathematical Modeling of

Aluminium Refining by Rotary Injection", Light

Metals, 2004, Seiten 793-798 (Referenz 10 in

D8).

VII. Anspruchssätze

a) Der für die Entscheidung relevante unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags lautet (die Merkmalsgliederung wurde gemäß der angefochtenen Entscheidung in "[]" hinzugefügt):

"[A] Vorrichtung zum Raffinieren von Metallschmelzen,

[B] die einen an einem hohlen Schaft (2) befestigten zylinderförmigen Rotor (1) aufweist,

[C] der durch zwei parallele mit radialen Zwischenwänden (5) verbundene Scheiben (3,4) gebildet ist,

[D] und der eine Zentralaushöhlung (6) aufweist, die unten offen und oben mit einer Zuführbohrung in dem Schaft (2) verbunden ist,

[E] wobei von der Zentralaushöhlung (6) Kanäle (7) ausgehen, die durch Zwischenwände (5) getrennt und in radialer Richtung breiter sind,

[F] dadurch gekennzeichnet, dass der Rotor (1) an der unteren Seite mit radialen Schaufeln (8) versehen ist."

b) Der für die Entscheidung relevante unabhängige Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 weist folgende Änderungen im Merkmal [F] gegenüber dem Hauptantrag auf (fett hervorgehoben):

"... der Rotor (1) an der unteren Seite mit radialen Schaufeln (8) versehen ist, und der Umfang des Rotors (1) mit Längsrippen (9) versehen ist, die an die Trennwände (5) anschließen."

Im Lichte des Tenors der vorliegenden Entscheidung ist es nicht notwendig, den Wortlaut der Ansprüche 1 der weiteren Hilfsanträge wiederzugeben.

VIII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:

a) Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit

Ausgehend von dem nächstliegenden Stand der Technik D3 unterscheide sich der Gegenstand von Anspruch 1 lediglich durch die radialen Schaufeln gemäß Merkmal (F). Es fehle zunächst ein Nachweis, dass die beanspruchten Schaufeln ohne weitere Merkmale wie eine bogenförmige Geometrie überhaupt die Aufgabe lösten. Zudem lege die Offenbarung von D8 diese Schaufeln auch in offensichtlicher Weise nahe. D8 offenbare ebenfalls einen Rotor für eine Schmelze, zu der ein inertes Gas und ein Salz hinzugefügt und mit dessen Hilfe in der Schmelze verteilt würde. D8 untersuche bezüglich der Rotorauslegung gezielt und ausschließlich die Hinzufügung von radialen Schaufeln an der Unterseite. Dabei werde explizit auf die Lösung der gleichen Aufgaben wie im Patent verwiesen. Damit erhalte die Fachperson in D8 eine gezielte Anregung, den Rotor aus D3 rein additiv und ohne weitere Modifikationen zur Lösung der technischen Aufgabe durch untere Schaufeln zu ergänzen.

b) Hilfsantrag 2 - Erfinderische Tätigkeit

Das in Merkmal (F) zusätzlich eingeführte Merkmal löse nicht die Aufgabe der Verbesserung der Entfernung von Einschlüssen und der Schlackeabtrennung. Wie die Ergebnisse in der Tabelle des Patents zeigten, sei mit dem zusätzlichen Merkmal keine Verbesserung der maximalen Geschwindigkeiten und somit der Salz- und Gasverteilung, sondern eine Verschlechterung zu erwarten. Die Ergebnisse in D16 bewiesen auch keine Verbesserung, zumal bekannt sei, dass die dort verwendeten Strömungssimulationen abhängig von der gewählten Parametrierung fehlerbehaftet seien.

Zudem sei ausgehend von D3 oder in gleicher Weise von D4 als nächstliegendem Stand der Technik und im Lichte von D8 das zusätzliche Merkmal der Längsrippen der Fachperson aus allgemeinem Fachwissen offensichtlich. Die Fachperson kenne das Prinzip des Rushton-Turbinenrührers, welcher Längsrippen zur besseren Verteilung aufweise. Diese Längsrippen würde der Fachmann daher in offensichtlicher Weise rein additiv dem Rotor gemäß des Hauptantrags hinzufügen, um eine verbesserte horizontale Verteilung der Gas- und Salzblasen zu erreichen.

IX. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:

a) Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit

Ausgehend von dem Rotor aus D3 berücksichtige die Fachperson D8 nicht, da zum einen hier lediglich eine Verteilung von Salz und nicht von Gas thematisiert wird, und zum anderen das Rotorkonzept grundsätzlich verschieden sei. In D3 und im Patent werde ein Schleuderpumpeneffekt mit einer gezielten radialen Richtungsaufprägung erzielt, während mit dem Rotor aus D8 lediglich eine ungerichtete Verwirbelung erzielt werde, bei dem zudem noch das verwendete Inertgas gleich nach oben aufsteige. Selbst wenn man den Standpunkt einnähme, die Fachperson könne die Schaufeln aus D8 verwenden, so fehle der Hinweis, warum er sie zur Lösung des technischen Problems auf den Rotor aus D3 übertragen würde. Im Ergebnis wäre eine Kombination der Lehren von D3 und D8 nur das Ergebnis einer rückschauenden Betrachtung.

b) Hilfsantrag 2 - Erfinderische Tätigkeit

Das in Merkmal (F) zusätzlich eingeführte Merkmal sei im zitierten Stand der Technik nicht offenbart und aus diesem auch nicht nahegelegt und trage in synergistischer Weise zur Lösung der Aufgabe bei. Hierdurch erziele man eine weitere Verbesserung.

Zwar sei das Konzept des Rushton-Turbinenrührers allgemeines Fachwissen, die Fachperson bekomme jedoch keinerlei Anregung, mit den Längsrippen Teile davon auf den sehr spezifischen Rotor des Hauptantrags zu übertragen und eine Verbesserung für die sehr spezifische Anwendung der Aufbereitung von Schmelzen zu erzielen.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit

1.1 Nächstliegender Stand der Technik

D3 stellt einen geeigneten nächstliegenden Stand der Technik dar und offenbart (vergleiche Figuren 2 und 3) eine Vorrichtung zum Raffinieren von Metallschmelzen, die einen Rotor aufweist, der alle Merkmale von Anspruch 1 mit Ausnahme der unteren radialen Schaufeln (Merkmal (F)) aufweist. Dies ist unter den Parteien unstreitig.

Wie das Patent ist auch D3 auf die effizientere Entfernung von Gasen und Einschlüssen aus der Schmelze gerichtet (D3, Seite 2, zweiter Absatz: "more efficient removal of solid impurities such as oxide inclusions"). Hierzu wird wie auch im Patent beispielsweise ein Gas-/Salzgemisch eingebracht (Absatz zwischen Seite 6 und 7).

Somit liegt der einzige Unterschied zwischen dem Gegenstand von Anspruch 1 und der Offenbarung von D3 in der Vorsehung von radialen Schaufeln an der Unterseite des Rotors (Merkmal (F)).

1.2 Objektive technische Aufgabe

1.2.1 Auch im Patent wird von D3 als Ausgangspunkt ausgegangen. Der mittels Merkmal (F) erzielte Effekt liegt, wie in Absatz [0025] und [0028] bis [0029] des Patents beschrieben, in der Ausbildung einer torusförmigen Strömung unterhalb des Rotors und der Aufwirbelung von Unreinheiten. Hierdurch wird eine verbesserte Vermischung durch höhere lokale Geschwindigkeiten in der Schmelze und somit eine schnellere Austragung von Einschlüssen (im Patent: "Einschüsse") erzielt. In der Konsequenz sinken die Behandlungszeiten der Schmelze, wie in Absatz [0030] des Streitpatents beispielhaft gezeigt wird.

1.2.2 Die Tatsache, dass mit dem Rotor aus Figur 3 des Patents dieser Effekt mit einem Rotor gezeigt wird, der zusätzliche Merkmale umfasst, die nicht beansprucht sind (beispielsweise die bogenförmige Geometrie der radialen Schaufeln), reicht nicht aus, um hinreichende Zweifel an der Erzielbarkeit des Effekts mittels der Merkmale von Anspruch 1 zu wecken. Die Beweislast liegt diesbezüglich bei der Beschwerdeführerin; dieser ist sie jedoch nicht nachgekommen.

1.2.3 Die seitens der Beschwerdeführerin formulierte Aufgabe der verbesserten Durchmischung der Schmelze, insbesondere auf dem Boden des (Misch-)Behältnisses (Punkt 1 der Beschwerdebegründung), beinhaltet mit dem Verweis auf die verbesserte Durchmischung am Boden bereits eine rückschauende Betrachtungsweise.

1.2.4 Die Kammer folgt daher im Wesentlichen der Aufgabenstellung, wie sie in Absatz [0011] des Patents formuliert wird. Sie ist gerichtet auf eine reduzierte Fertigungszeit zur Entfernung von Einschlüssen aus der Schmelze und der Verringerung des Metallinhalts in der Schlacke.

1.3 Relevanz der D8

1.3.1 Die Kammer schließt sich der angefochtenen Entscheidung, Punkt II.4.1, nicht an, die Fachperson habe "keine Gründe, die Offenbarung der D8 in Betracht zu ziehen". Auch der Beschwerdegegnerin wird nicht zugestimmt, die Fachperson würde D8 nicht zur Lösung der objektiven technischen Aufgabe berücksichtigen, da diese kein Gas zur Reinigung verwende und auf einem grundsätzlich anderen Rotorprinzip beruhe, als dem "Schleuderpumpenprinzip" des im Ausgangspunkt D3 verwendeten Rotors.

1.3.2 Es ist nicht streitig, dass es sich bei D8 um ein Dokument auf dem gleichen technischen Gebiet wie D3 handelt, in dem eine Vorrichtung mit einem Rotor zur Verteilung eines Reinigungsmittels zur Entfernung von Einschlüssen in Aluminiumschmelzen offenbart wird.

Wie gemäß des Patents (Absatz [0003]) und D3 (die Seiten 6 und 7 überbrückender Absatz) wird auch in D8 ein Gemisch aus Gas und Salzen ("flux") in die Schmelze eingebracht. Dabei werden zwar keine Reaktivgase (Seite 1, rechte Spalte, dritter Absatz), sondern Inertgase wie Stickstoff verwendet (Seite 3, linke und rechte Spalte). Inertgase werden jedoch auch im Patent (Absätze 24 und 30) und in D3 (Seite 6, Absatz 2) zur Verwendung vorgeschlagen.

Es ist nicht überzeugend, dass das Gas hierbei keine Reinigungs-, sondern lediglich eine Transportfunktion für das Salz übernimmt und nach dem Zugaberohr direkt wieder aufsteigt, wie von der Beschwerdegegnerin argumentiert. Zum einem ist D8 auch auf die Verteilung des Gases gerichtet (Seite 1, rechte Spalte, vierter Absatz), zum anderen erfolgt von der Aufgabestelle des Gas-Salzgemisches zumindest für den zweiseitigen Rotor gemäß Figur 2 trotz der Unterschiede in der Gestaltung der Rotoren und der Aufgabestelle ebenfalls im Wesentlichen eine radiale Verteilung. Diese wird auch von den Simulationsergebnissen in D18, Figur 4 ("D8 (2-sided)") bestätigt.

Die Verteilung des Gases in der Schmelze bewirkt inhärent den gleichen Reinigungseffekt wie auch im Patent und in D3, selbst wenn dieser Effekt in D8 nicht explizit beschrieben wird. Eine für den Effekt bestimmtes erforderlicher Mindestgasanteil des Gases in der Zugabe wird, wie die Beschwerdegegnerin selbst einräumt, im Patent oder auch in D3 nicht vorgeschrieben. Somit kann auch nicht, wie dies die Beschwerdegegnerin argumentiert, von einer grundsätzlich unterschiedlichen Verteilung in der Schmelze auf Grund der unterschiedlichen Dichten von Salz und Gas im Patent bzw. in D3 im Vergleich zu D8 ausgegangen werden.

1.3.3 Dass, wie seitens der Beschwerdegegnerin angegeben, der Rotor gemäß der D8 "erheblichte konstruktive Unterschiede" zu dem in D3 aufweise (nur eine Scheibe, keine Gas-/ und Salzzuführung über den Schaft, keine Strömungsführung zwischen Rotorscheiben), ist für die Relevanz von D8 nicht erheblich. Wie zuvor ausgeführt (vgl. D18, Figur 4) prägt auch der zweiseitige Rotor in D8 der Schmelze eine Radialströmung in der Rotorebene auf, auch ohne dass der Zugaberaum für das Salz-Gasgemisch durch eine obere Scheibe begrenzt wird. Das hier im Sinne eines von der Beschwerdegegnerin als "Schleuderpumpeneffekt" angeführtes signifikant unterschiedliches Strömungsprofil entsteht, ist weder technisch begründet noch den Simulationsergebnissen (D8, D18) zu entnehmen. Zudem wird in D8 mit der zusätzlichen Verwendung der radialen Schaufeln an der Unterseite (Figur 1, "2-sided impeller") ausschließlich und gezielt der Einfluss des Merkmals (F) als additive Maßnahme untersucht.

Daher sieht die Kammer keinen Grund, warum der Fachmann ausgehend von D3 das Dokument D8 nicht als relevanten Stand der Technik in Betracht ziehen sollte.

1.4 Anregung in D8 zur Lösung der technischen Aufgabe

1.4.1 Gemäß ständiger Rechtsprechung (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, 2019, I.D.5) kommt es bei der Beurteilung der Offensichtlichkeit nicht darauf an, ob der Fachmann durch Modifikation des Stands der Technik zur Erfindung hätte gelangen können, sondern ob er in Erwartung der tatsächlich erzielten Vorteile, also im Lichte der bestehenden technischen Aufgabe so vorgegangen wäre, weil dem Stand der Technik entsprechende Anregungen für die Erfindung zu entnehmen waren. Auf die Notwendigkeit von Anregungen im Lichte der objektiven Aufgabe für den Nachweis einer offensichtlichen Kombination von Lehren weisen auch die von der Beschwerdeführerin angeführten Entscheidungen T 1014/07 (Punkt 12) und T 0939/92, Punkt 2.4.2 sowie T 1317/08 (Punkt 2.10) hin. In letzterer wird darauf hingewiesen, dass hierbei eine rückschauende Betrachtung zu vermeiden ist.

1.4.2 Im vorliegenden Fall war also zu überprüfen, ob die Fachperson in D8 ohne Kenntnis der Erfindung eine Anregung erhält, die dort offenbarten radialen Schaufeln tatsächlich dem Rotor aus D3 hinzuzufügen, um diesen im Sinne der technischen Aufgabe zu optimieren.

Dabei enthält die Aufgabenstellung selbst keine Lösungselemente und die Druckschrift D8 beschäftigt sich zudem explizit mit der gleichen Aufgabenstellung, ohne das hierfür eine Interpretation in Kenntnis der Erfindung notwendig wäre. Daher stimmt die Kammer der Auffassung der Beschwerdegegnerin nicht zu, dass sich die Frage nach der Übertragung der radialen Schaufeln aus D8 der Fachperson nur im Rahmen einer rückschauenden Betrachtung erschließt.

1.4.3 D8 ist gerichtet auf die Verbesserung der Effektivität der Abtrennung von Einschlüssen aus Schmelzen und bringt diese in direkten Zusammenhang mit der Durchmischung (D8, Seite 2, Kapitel "Lab-scale Experiments", erster Absatz: "fluxing efficiency depends directly on the dispersal efficiency of the salt in the melt"). Hierzu wird unter anderem zu zwei verschiedenen Rotorbauformen das sich ausbildende Strömungsfeld in der Schmelze (Figur 2) sowie dessen Einfluss auf die Abtrennung der Einschlüsse untersucht (D8, Seite 4, Kapitel: "Effect of Impeller Design"). Den zusätzlichen radialen Schaufeln werden unter anderem genau die Vorteile zuerkannt, die der objektiven technischen Aufgabe entsprechen:

- effektivere Verteilung des Metalls ("more overall metal circulation");

- bessere Abtrennung von Einschlüssen ("better inclusion removal");

- bessere Trennung von Metall und Schlacke ("improved dross dewetting")

Diese Effekte werden zudem in Figur 2 durch die Ergebnisse der Strömungssimulation noch mit der besseren Durchmischung unterhalb des Rotors in Verbindung gebracht. Hiermit wird gemäß D8 eine maximale Dispersion des Gases und des Salzes erreicht (D8, Seite 1, rechte Spalte, vierter Absatz: "maximum gas and flux dispersion").

1.4.4 Daher erhält die Fachperson aus D8 eine direkte und eindeutige Anregung, dass radiale Schaufeln an der Unterseite eines Rotors einen Ansatz zur Lösung der objektiven technischen Aufgabe darstellen. Sie würde somit unmittelbar zu dem Schluss kommen, dass hierfür diese Schaufeln dem Rotor aus D3 additiv hinzuzufügen sind. Sie ist dabei mit keinerlei technischen Schwierigkeiten konfrontiert und gelangt dadurch zum beanspruchten Gegenstand, ohne erfinderisch tätig zu werden.

1.4.5 Da in D8 lediglich der Einfluss der radialen Schaufeln untersucht wird und der Ausgangspunkt in D8 nicht mit dem im nächstliegenden Stand der Technik D3 übereinstimmt, würde der Fachmann auch nicht, wie von der Beschwerdegegnerin argumentiert, den Rotor aus D3 gänzlich mit dem zweiseitigen Rotor aus D8 ersetzten, da D8 keinerlei Rückschlüsse auf den Effekt des Austausch der weiteren Merkmale im Hinblick auf die technische Aufgabe zulässt.

1.4.6 Nach alledem ist der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags nicht erfinderisch (Artikel 56 EPÜ).

2. Hilfsantrag 2 - Erfinderische Tätigkeit

Die in Anspruch 1 eingeführten Änderungen basieren auf Anspruch 5 des Patents wie erteilt bzw. Anspruch 5 der ursprünglich eingereichten Unterlagen (siehe Punkt VII.b oben). Unstreitig sind somit die Erfordernisse der Artikel 84, 123 (2) und (3) EPÜ erfüllt bzw. nicht zu diskutieren.

2.1 D3 ist wie bereits für Anspruch 1 des Hauptantrags der nächstliegende Stand der Technik. Die Beschwerdeführerin bestätigte, dass sich ausgehend von D4 keine andere Betrachtung ergibt. Unstreitig offenbaren weder D3 als nächstliegender Stand der Technik noch D8 das zusätzliche Merkmal der Längsrippen. Ebenfalls nicht streitig war, dass die objektive technische Aufgabe gegenüber dem Hauptantrag unverändert ist.

2.2 Als Effekt wird im Patent beschrieben, dass durch die Längsrippen eine bessere radiale Zerstreuung der Gas-Salzblasen und damit bessere Verteilung im Gefäß erreicht wird (Absätze [0016] und [0024]). Ob es sich hierbei um einen rein additiven Effekt handelt, oder ob die Längsrippen synergistisch mit den weiteren Rotormerkmalen zusammenwirken, ist für die folgende Betrachtung unerheblich, da die Längsrippen weder aus weiteren Dokumenten noch aus allgemeinem Fachwissen nahegelegt werden. Bereits die Betrachtung als Teilaufgabe führt die Kammer zu der Schlussfolgerung, dass der Gegenstand von Anspruch 1 erfinderisch ist, wie im Folgenden erläutert wird.

2.3 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass das zusätzliche Merkmale bezüglich der technischen Aufgabe keinen oder sogar einen negativen Effekt habe. Zudem war sie der Auffassung, dass der Fachperson aus ihrem allgemeinem Fachwissen heraus die Vorsehung von Längsrippen offensichtlich sei. Beiden Auffassungen stimmt die Kammer nicht zu.

2.4 Nachweis des technischen Effekts

2.4.1 Gemäß Absatz [0024] und [0028] des Patents ermöglicht ein Vergleich der maximalen Geschwindigkeiten am Rotorausgang und unterhalb des Rotors im Strömungsfeld eine Aussage bezüglich der Effektivität der Vermischung von Verunreinigungen und Gasblasen.

2.4.2 Es ist dabei nicht korrekt, dass für die zusätzlichen Längsrippen keine Verbesserung nachgewiesen wurde. Der Verweis der Beschwerdeführerin auf den Vergleich der maximalen Geschwindigkeiten von Rotor B und E gemäß der Tabelle im Patent ist hierfür ungeeignet. Rotor B (vergleiche Figur 4 des Patents) weist bei niedrigeren maximalen Geschwindigkeiten zwar Längsrippen auf, während dies für Rotor E (Figur 2) nicht der Fall ist. Allerdings sind bei Rotor E dafür Fugen (10) vorgesehen, die bei Rotor B fehlen. Somit ist ein direkter Vergleich zur Bestimmung der Wirkung der Längsrippen nicht möglich. Hierfür wäre ein Vergleich des Rotors der Figur 1 (Rotor F in D16) mit dem Rotor der Figur 4 (Rotor B) oder ein Vergleich des Rotors der Figur 1 (Rotor F in D16) mit dem von Figur 3 (Rotor A in D16) geeignet, da hier die Längsrippen den einzigen Unterschied darstellen.

Ein solcher Vergleich ist den Simulationsergebnissen von D16 zu entnehmen. Gemäß der Tabellen 1 und 2 weisen die Rotoren der Figuren 3 bzw. 4 (Rotoren A bzw. B) mit Längsrippen jeweils höhere Geschwindigkeiten auf als der Rotor der Figur 1 (Rotor F).

2.4.3 Die Beschwerdeführerin zweifelt zudem die Aussagekräftigkeit der Simulationsergebnisse in D16 an. Diese seien fehlerbehaftet und zudem abhängig von der Parametrierung der Simulation. Hierfür legt sie allerdings keine Beweise vor und kommt somit ihrer Beweispflicht nicht nach. Da die Simulation von Strömungsfeldern in der Schmelze Stand der Technik ist (vergleiche z.B. D8 oder D19), ist in Abwesenheit von weiteren Beweismitteln von der Richtigkeit der Berechnungen auszugehen.

Zudem sind die Berechnungsergebnisse mit einer Genauigkeit von zwei Dezimalstellen angegeben, während die Unterschiede in den Maximalgeschwindigkeiten zumindest in der Größenordnung der ersten Dezimalstelle liegen. Die Kammer sieht daher keinen Grund daran zu zweifeln, dass die in den Tabellen 1 und 2 von D16 angegebenen Ergebnisse für die Geschwindigkeiten von dem Rotor F auf einer Seite und den Rotoren A bzw. B auf der anderen Seite einen signifikanten Unterschied aufweisen.

2.4.4 Daher ist ein Effekt der Längsrippen bezüglich der technischen Aufgabe hinreichend belegt.

2.5 Offensichtlichkeit aus dem allgemeinen Fachwissen

2.5.1 Das zusätzliche Merkmal ergibt sich für die Fachperson auch nicht in offensichtlicher Weise aus allgemeinem Fachwissen. Die Beschwerdeführerin sieht dieses allgemeine Fachwissen in der Kenntnis des Rushton-Turbinenrührers gegeben, welcher Längsrippen zur Verbesserung der Durchmischung aufweise (die Beschwerdeführerin verwies während der mündlichen Verhandlung hierzu auf die nachfolgend dargestellte Figur 11a aus D12).

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Rushton-Turbinenrührer gemäß der Beschwerdeführerin

2.5.2 Die Kammer ist zwar wie die Beteiligten der Auffassung, dass das technische Konzept eines Rushton-Turbinenrührers an sich allgemeines Fachwissen darstellt. Aus der Kenntnis der Existenz dieses Rotorkonzeptes lässt sich jedoch noch kein allgemeines Fachwissen für dessen vorteilhafte Verwendung in dem speziellen Gebiet der Entfernung von Einschlüssen in Schmelzen mittels eines Salz-Gasgemisch ableiten. Entsprechende Belege wurden auch nicht vorgebracht. Somit fehlt der Fachperson die Anregung, das aus dem allgemeinen Fachwissen bekannte Rotorkonzept zur Lösung der technischen Aufgabe heranzuziehen.

2.5.3 Der Rushton-Turbinenrührer stellt zudem ein eigenständiges und in sich abgeschlossenes technisches Konzept dar. Die Beschwerdegegnerin weist zurecht darauf hin, dass Rushton-Turbinenrührer nicht nur Längsrippen aufweisen, vielmehr gehen die Längsrippen beidseitig eines Tellers in radiale Schaufeln über. Es ist nicht ersichtlich, warum die Fachperson nun selektiv Teile dieses Konzepts in Form von Längsrippen undefinierter Länge anderen Rotoren wie dem gemäß D3 in der Erwartung der Lösung des technischen Problems hinzufügen sollte.

Zudem gibt es keinerlei Hinweis darauf, die spezifischen Längsrippen von einem Rushton-Turbinenrührer wie beansprucht an die Trennwände anzuschließen, da die Längsrippen bei dem Rushton-Turbinenrührer stets an der Scheibe befestigt sind.

2.5.4 Nach alldem werden die Längsrippen nicht aus dem allgemeinen Fachwissen nahegelegt.

Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 ist somit erfinderisch (Artikel 56 EPÜ).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen, mit der Anordnung das Patent auf der Basis folgender Unterlagen aufrechtzuerhalten:

- Ansprüche 1 bis 7 des mit Schreiben vom 15. Januar 2018 eingereichten Hilfsantrags 2;

- Beschreibungsseiten 2 bis 4, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer;

- Zeichnungen gemäß Patentschrift.

Quick Navigation