T 1066/18 (Bildqualität/BUNDESDRUCKEREI) of 20.7.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T106618.20210720
Datum der Entscheidung: 20 Juli 2021
Aktenzeichen: T 1066/18
Anmeldenummer: 07704063.2
IPC-Klasse: G06K 9/03
G06T 7/00
G06F 17/24
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR BEWERTUNG DER QUALITÄT EINES BILDES, VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG EINES DOKUMENTS COMPUTERPROGRAMMPRODUKT, NUTZER-SCHNITTSTELLE, DATEI UND ELEKTRONISCHES GERÄT
Name des Anmelders: Bundesdruckerei GmbH
Name des Einsprechenden: Mühlbauer GmbH & Co. KG
Kammer: 3.5.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 52(2)
European Patent Convention 1973 Art 52(3)
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 Art 99
European Patent Convention 1973 Art 100(a)
European Patent Convention 1973 Art 100(b)
European Patent Convention 1973 Art 101
European Patent Convention 1973 Art 111(1)
European Patent Convention 1973 R 27(1)(e)
European Patent Convention 1973 R 55(c)
European Patent Convention 1973 R 56(1)
RPBA2020 Art 011
RPBA2020 Art 012(2)
Schlagwörter: Zulässigkeit des Einspruchs - (ja)
Technischer Charakter - (ja)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Zurückverweisung an die erste Instanz
Zurückverweisung - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/03
T 0134/88
T 0065/00
T 0258/03
T 0424/03
T 1090/12
T 1370/15
T 0623/18
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsab­teilung, mit Gründen vom 21. Februar 2018, das europä­ische Patent EP 1 984 851 zu widerrufen.

II. Der Einspruch ist darauf gestützt worden, dass der im Streitpatent beanspruchte Gegenstand nicht neu oder nicht erfinderisch sei (Artikel 100(a) i.V.m. Artikel 52, 54 und 56 EPÜ).

III. Die Einspruchsabteilung hat von Amts wegen und unter Verweis auf G 10/91 weitere Einspruchsgründe als prima facie relevant einge­führt, nämlich ob der Gegenstand des Streitpatents technischen Charakter habe (Artikel 100(a) i.V.m. Artikel 52(2)(3) EPÜ, sowie die Frage, welche Merkmale ggf. zum tech­nischen Charakter der Erfindung beitrügen, und ob die Erfindung ausreichend offenbart sei (Artikel 100(b) EPÜ).

IV. Die Einspruchsabteilung hat den Einspruch als zulässig erachtet. In ihrer Entscheidung, das Patent zu wider-rufen, stützte sie sich nur auf den Einspruchs­grund unter Artikel 100(b) EPÜ (dem Wortlaut der Entscheidung nach auf Artikel 83 EPÜ und Regel 42(1)(e) EPÜ).

V. Die Beschwerde wurde am 25. April 2018 eingelegt und die einschlägige Beschwerdegebühr am selben Tag ent­richtet. Am 3. Juli 2018 ging eine Beschwerdebegrün­dung ein. Die Beschwerdeführerin hat darin beantragt,

1. die Entscheidung aufzuheben,

2. den Einspruch als unzulässig zurückzuwei­sen,

3. das Patent in der erteilten Form aufrecht zu erhal­ten, oder hilfsweise

4. das Patent aufrecht zu erhalten im Umfang eines der Hilfsanträge I bis V wie mit der Beschwerdebegründung vorgelegt.

VI. In einer Erwiderung vom 7. Januar 2019 beantragte die Einsprechende (Beschwerdegegnerin) die Zurückweisung der Beschwerde. Der Widerruf des Streitpatents sei zurecht ergangen, da der darin beanspruchte Gegenstand

a) keine technische Erfindung im Sinne von Artikel 52(2) EPÜ zum Gegenstand habe,

b) keine durch den Fachmann ausführbare Erfindung offenbare (Artikel 83 und Regel 42(1) EPÜ),

c) nicht neu (Artikel 52 und 54 EPÜ) und

d) nicht erfinderisch sei (Artikel 52 und 56 EPÜ).

Zudem habe die Einspruchsabteilung den Einspruch richtigerweise als zulässig erkannt.

VII. In einem Zusatz zur Ladung zur mündlichen Verhandlung teilte die Beschwerdekammer den Parteien ihre vor­läu­fige Meinung mit, nach der der Einspruch zulässig, die beanspruchte Erfindung gemäß allen Anträgen ausreichend offenbart, und jedenfalls die Erfindung gemäß den Hilfsanträgen ein computergestütztes Verfahren und damit eine Er­fin­dung im Sinne von Artikel 52(2)(3) EPÜ sei. Hingegen sei die Erfindung gemäß allen Anträgen nicht er­finde­risch, ohne dass dazu auf die von der Beschwerdegegne­rin vorgelegten Druckschriften Bezug genommen werden müsse. Eine Zurückverweisung zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung avisierte die Kammer nur unter der Maßgabe, dass sich für ihre Entscheidung der druckschriftliche Stand der Technik als entscheidend erweisen sollte.

VIII. Die Beschwerdegegnerin antworte schriftlich nicht auf die Ladung. Die Beschwerdeführerin hingegen beantragte mit Schreiben vom 21. Juni 2021 ausdrücklich und hilfsweise die Zurückverweisung zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung für eine Diskussion der Neuheit/des erfinderischen Schritts unter Berücksichtigung des technischen Charakters der Merkmale der Ansprüche.

IX. Die Verhandlung fand am 20. Juli 2021 als Videokonferenz statt. In der mündlichen Verhandlung beantragte die Beschwerdeführerin:

1. die angefochtene Entscheidung aufzuheben,

2. den Einspruch als unzulässig zurückzuweisen,

3. die Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung festzustellen,

4. hilfsweise, für eine Diskussion der Neuheit/des erfinderischen Schritts unter Berücksichtigung des technischen Charakters der Merkmale der Ansprüche, die Sache zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen,

5. weiter hilfsweise das Patent in der erteilten Form aufrecht zu erhalten, oder

6. das Patent aufrecht zu erhalten im Umfang eines der Hilfsanträge I bis V wie mit der Beschwerdebegründung vorgelegt.

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

X. Am Ende der Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.

XI. Anspruch 1 wie erteilt lautet wie folgt:

"Verfahren zur Bewertung der Qualität eines Bildes mit folgenden Schritten:

- Zugriff auf eine Bewertungsdatei (132, 134), die ein Bewertungsschema beinhaltet durch ein Bewertungsprogramm (130),

- Bewertung von Bildanalyseergebnissen anhand des Bewertungsschemas durch das Bewertungsprogramm,

- Ausgabe der Bewertung,

wobei das Bewertungsschema ein oder mehrere Muss-Kriterien und ein oder mehrere Kann-Kriterien beinhaltet, wobei bei Nichterfüllung eines der Muss-Kriterien unabhängig von den Kann-Kriterien die Qualität des Bildes als nicht ausreichend bewertet wird,

wobei das Bewertungsschema den einzelnen Muss- und Kann-Kriterien weiterhin Bewertungspunkte zuordnet, die Bewertungspunkte aufaddiert werden, soweit die Muss- und Kann-Kriterien erfüllt sind, die Summe der aufaddierten Bewertungspunkte mit einem Schwellwert verglichen wird und die Qualität des Bildes als nicht ausreichend bewertet wird, wenn die Summe kleiner als der Schwellwert ist."

XII. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I lautet wie folgt:

"Verfahren zur Bewertung der Qualität eines Gesichtsbildes mittels eines Computers (100), wobei die Bewertung zur Überprüfung einer Biometrietauglichkeit des Gesichtsbildes erfolgt, mit folgenden Schritten:

- Eingabe des Gesichtsbildes als Bilddatei (104) in den Computer (100),

- Ausführen eines Analyseprogramms (110), welches zur Durchführung einer Bildanalyse des Gesichtsbildes ausgebildet ist, durch einen Prozessor (106) des Computers (100), wobei eine Analyse der Bilddatei (104) durchgeführt wird,

- Ausgabe mit Hilfe des Analyseprogramms (110) erhaltener Bildanalyseergebnisse in Form einer Bildanalysedatei (128),

- Ausführen eines Bewertungsprogramm (130) durch den Prozessor (106), das zur Bewertung der Bildanalyseergebnisse, wie sie in der Bildanalysedatei (128) festgehalten sind, anhand eines Bewertungsschemas dient,

- Zugriff auf eine in einem Speicher (108) des Computers (100) gespeicherte separate Bewertungsdatei (132, 134), die das Bewertungsschema beinhaltet, und auf die Bildanalysedatei durch das Bewertungsprogramm (130),

- Bewertung der Bildanalyseergebnisse anhand der Bildanalysedatei und des Bewertungsschemas durch das Bewertungsprogramm,

- Ausgabe der Bewertung durch Ausführung von Programminstruktionen einer graphischen Nutzer-Schnittstelle (140) des Computers (100), die zur Generierung von Ausgabesignalen ausgebildet ist, welche das Bewertungsergebnis anzeigen, durch den Prozessor (106), wobei zur Ausgabe der Bewertung ein erstes oder zweites Signal erzeugt wird, wobei das erste Signal anzeigt, dass das Gesichtsbild eine ausreichende Qualität aufweist, und das zweite Signal anzeigt, dass das Gesichtsbild eine nicht ausreichende Qualität aufweist,

wobei das Bewertungsschema mehrere Muss-Kriterien und mehrere Kann-Kriterien beinhaltet, wobei bei Nichterfüllung eines der Muss-Kriterien unabhängig von den Kann-Kriterien die Qualität des Gesichtsbildes als nicht ausreichend bewertet wird,

wobei das Bewertungsschema den einzelnen Muss- und Kann-Kriterien weiterhin Bewertungspunkte zuordnet, die Bewertungspunkte aufaddiert werden, soweit die Muss- und Kann-Kriterien erfüllt sind, die Summe der aufaddierten Bewertungspunkte mit einem Schwellwert verglichen wird und die Qualität des Gesichtsbildes als nicht ausreichend bewertet wird, wenn die Summe kleiner als der Schwellwert ist."

XIII. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II unterscheidet sich von dem gemäß Hilfsantrag I indem die vorletzte "wobei"-Klausel die Qualifikation enthält, "wobei die Muss- und Kann-Kriterien jeweils den Dateityp der Bilddatei (104) umfassen".

XIV. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag III richtet sich, im Unterschied zum Anspruch 1 des Hauptantrags auf ein "Verfahren zur Herstellung eines Dokuments (186)", das eine "Bewertung der Qualität eines Gesichtsbildes mit einem Verfahren" wie zuvor beansprucht umfasst und den am Ende ergänzten Schritt der "Speicherung des Gesichtsbilds in einem nicht-flüchtigen Speicher (188) des Dokuments (186), wenn das Gesichtsbild eine ausreichende Qualität aufweist".

XV. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag IV unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag III durch das folgende, am Ende ergänzte Merkmal:

"... wobei das Verfahren ferner eine Nutzung des Dokuments (186) umfasst, wobei die Nutzung ein Zugreifen auf den nicht-flüchtigen elektronischen Speicher (188) über eine Schnittstelle (192) des Dokuments (186) mittels eines kryptographischen Protokolls (194) und Verwenden des Gesichtsbildes für die Zwecke einer Gesichtsbiometrie umfasst."

XVI. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag V enthält gegenüber Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag IV die zusätzlichen Merkmale

"... wobei das Analyseprogramms [sic] (110) ein oder mehrere weitere Programmkomponente [sic] (114, 116,118, 120, 122, 124, 126) zur Bestimmung ein oder mehrere weiterer Bildeigenschaften der Bilddatei (104) beinhaltet, ..."

und

"... wobei das Bewertungsschema für jedes der Muss- und Kann-Kriterien eine der Bildeigenschaft und den Bildeigenschaften jeweils zugeordnete Schwellwerte definiert, und wobei die Bildanalyseergebnisse Messwerte der Bildeigenschaften beinhalten, die mit den jeweiligen Schwellwerten der Bildeigenschaften verglichen werden, wobei die definierten Bildeigenschaften zusätzlich zu dem Dateityp ein oder mehrere der folgenden weiteren Bildeigenschaften umfassen: Dateigröße, Farbraum, Farbtiefe, Bildweite, Bildhöhe, Bildseitenverhältnis, Anzahl der auf dem Bild gezeigten Gesichter, Anzahl der Augen, Augendistanz, relative horizontale Kopfposition, relative vertikale Kopfposition, Verhältnis von Kopfbreite zu Bildbreite, Verhältnis von Kopfhöhe zu Bildhöhe, Kopfpose, Helligkeit, Kontrast, Dynamik, Schärfe, Rauschen, Artefakte, ..." .

Entscheidungsgründe

Zulässigkeit des Einspruchs

1. Artikel 99 EPÜ 1973 legt fest, dass der Einspruch "zu begründen" sei. Regel 55(c) EPÜ 1973 verlangt weiter eine "Erklärung darüber, in welchem Umfang gegen das europäische Patent Einspruch eingelegt und auf welche Einspruchsgründe der Einspruch gestützt wird, sowie die Angabe der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel".

1.1 Es besteht kein Zweifel daran, dass die Einsprechende den Umfang des Einspruchs (vollständiger Widerruf) und die Einspruchsgründe genannt (Artikel 100(a) EPÜ i.V.m. Artikel 52, 54 und 56 EPÜ 1973), den Einspruch begrün­det, sowie die zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel angegeben hat.

1.2 In Frage steht somit nur die Güte der vorgetra­genen Argumente und ggf. die Vollständigkeit der vorgelegten Tatsachen und Beweismittel.

1.3 Insbesondere bemängelt die Beschwerdeführerin, dass die Beschwerdegegnerin hinsichtlich des Merkmals "M2" ("Zu­griff auf eine Bewertungsdatei (132, 134), die ein Bewertungsschema beinhaltet durch ein Bewertungs­pro­gramm (130)") in ihrem Einspruch nicht angegeben habe, auf welches "vermeintliche allgemeine Fachwissen" sie im Kontext der Entgegenhaltungen E1 "Bezug genommen [habe] und warum dieses im vorliegenden Fall relevant sein sollte" (Beschwerdebegründung, Seite 7, Absatz 3). Ein ähnlicher Einwand wird gegen die Verwendung des Terminus "fachübliche Maßnahme" im Zusammenhang mit D1 und E2 erhoben (Beschwerdebegründung, Seite 7, letzter Absatz, sowie der die Seiten 8 und 9 verbindende Ab­satz). Darüber hinaus bestehe Zweifel daran, ob mit dem genannten allgemeinen Fachwissen ein Neuheitseinwand gestützt werden könne, oder ob die Beschwerdegegnerin nicht vielmehr einen Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit vorgetragen habe.

1.4 Im Ergebnis setze die Beschwerdebegründung die Be­schwer­deführerin nicht in die Lage, genau zu erkennen, "in welcher Weise und mit welchen Beweismitteln das Patent genau angegriffen werde" (Beschwerdebegründung, Seite 9, Absatz 4).

1.5 Die Einspruchsabteilung kam zu dem Ergebnis, dass wenigstens der Einwand mangelnder Neuheit gegenüber E1 ausreichend substantiiert worden und schon deshalb der Einspruch als Ganzes als zulässig anzusehen ist (vgl. Entscheidungsbegründung, Punkt 10.1.6).

1.6 Die Kammer stimmt dem zu. Aus der Einbettung der kritisierten Formulierung in ein Neuheitsargument (siehe insbesondere das Fazit in der Einspruchsschrift, III.ii.1 b)) ist zu entnehmen, dass die Beschwerde­führe­rin mit ihrer Formulierung, das strittige Merkmal ergebe sich "unmittelbar aus [dem] allgemeinen Fachwissen des Fachmanns" von einer impliziten Offenbarung ausgegangen ist.

1.7 Die Beschwerdeführerin argumentiert in ihrem Schreiben vom 21. Juni 2021 - durchaus schlüssig - dass man bezweifeln kann, ob etwas, das der Fachmann ausgehend von einem Stand der Technik als eine "Selbstverständ­lichkeit" ansieht (Einspruchsschrift, III.ii.1 b)), schon deshalb als in diesem Stand der Technik implizit offenbart gelten kann. Ob eine implizite Offenbarung im konkreten Fall vorliegt, ist hingegen keine Frage der Zulässigkeit des Einspruchs, sondern Gegenstand seiner inhaltlichen Prüfung (Artikel 101(1) EPÜ 1973).

1.8 Die Beschwerdeführerin ist auch der Meinung, dass die Beschwerdegegnerin das angenommene allgemeine Fachwissen hätte druckschriftlich belegen müssen.

1.9 Dem ist zu widersprechen. Ob behauptetes allgemeines Fachwissen zu belegen ist, hängt von den Umständen und der Bewertung durch den Spruchkörper ab (vgl. T1090/12 und T1370/15), und ein Fehlen eines solchen Beleges kann somit jedenfalls nicht grundsätzlich ein Verstoß gegen ein Zulässigkeitserfordernis sein.

1.10 Die Beschwerdeführerin meint, ein Verzicht auf einen Beleg allgemeinen Fachwissens als Zulässigkeitserfor­der­nis würde die Zulässigkeitsprüfung des Einspruchs ad absurdum führen. Ein Einspruch müsse damit auch dann (immer) als zulässig angesehen werden, wenn er sich auf die unbelegte Behauptung beschränke, die erteilte Erfindung sei für den Fachmann naheliegend.

1.11 Die Kammer kann offen lassen, ob ein (nur) so begründe­ter Einspruch in extremen Einzelfällen sogar tatsäch­lich zulässig sein könnte, meint aber nicht, dass aus ihren Überlegungen folgt, dass das immer der Fall sein würde.

1.12 Im vorliegenden Fall beschränkt sich die unbelegte Be­hauptung auf ein einzelnes Merkmal in einem durch ein genanntes Dokument klar definierten Kontext und stellt somit eine für den Fachmann ohne Weiteres verständ­li­che, überprüf- und ggf. bestreitbare Diskussions­grund­lage für die sachliche Prüfung des Einspruchs dar. So­mit hat die Kammer im vorliegenden Fall keinen Zwei­fel daran, dass die Einspruchsschrift einen verständ­lichen und ausreichend begründeten Vortrag enthält, und dass der Einspruch somit zulässig ist, Regel 55 und 56(1) EPÜ 1973 (vgl. auch T65/00, Gründe 2.1.3, und T623/18, Gründe 3 bis 7), ungeachtet der Frage - wie auch die Einspruchs­abtei­lung selbst betont - ob der Vortrag in der Sache über­zeugen kann (Artikel 101(1) EPÜ 1973).

Die Erfindung gemäß dem erteiltem Patent

2. Das Patent befasst sich mit einem programmgestützten Verfahren, mit dem die Qualität eines Bildes zur Her­stellung eines Wert- oder Sicherheitsdokuments bewertet wird (Absatz 1), beispielsweise der Bio­metrie­taug­lich­keit eines Passbildes (vgl. Absätze 20, 21 und 34­). Das dabei verwendete Bewertungsschema verwendet mehrere Muss- und Kann-Kriterien, denen jeweils Bewertungspunk­te zugeordnet sind. Um die Eignung eines Bildes festzustellen, müssen alle Muss-Kriterien erfüllt sein und sich die Bewertungspunkte aller erfüllten Kriterien mindestens zu einem festgelegten Schwellwert addieren.

Ausreichende Offenbarung, Artikel 100(b) EPÜ 1973

Hauptantrag

3. Die Einspruchsabteilung zitiert als die der Erfindung zugrunde liegende Aufgabe aus Absatz 7 der ursprüng­lichen Anmeldung das Ziel, "ein verbessertes Verfahren zur Bewertung der Qualität eines Bildes zu schaffen", aber merkt an, diese Formulierung ließe "zu wünschen übrig, da unklar" sei, "was im Stand der Technik kon­kret verbesserungswürdig" sei. Der Beitrag des Patents liege in der Verwendung der Kann-Kriterien und der Be­wertungspunkte, für deren Implementierung der fach­kun­dige Leser Angaben benötige, "welche Merkmale als Kann-Kriterien auszuführen" und "wie viele Bewertungs­punkte zu vergeben sind" (Entscheidungsgründe 12.2.7 bis 10 und ff., insbesondere 12.7.5). Da die Beschrei­bung solche Angaben aber nicht enthalte, insbesondere "nicht ein einziges Ausführungsbeispiel, das sich als Lösung der gestellten Aufgabe qualifizier[e] und für welches die notwendigen Details angegeben wären, ver­letze das erteilte Patent das Erfordernis nach Regel 42(1)(e) EPÜ [Regel 27(1)(e) EPÜ 1973] und - letztlich deshalb - auch dasjenige von Artikel 83 EPÜ (so dass Artikel 100(b) EPÜ der Aufrechterhaltung des erteilten Patents entgegen stehe).

4. Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass sich ein Weg zur Ausführung der beanspruchten Erfindung für den Fachmann schon auf Grundlage des (erteilten) An­spruchs 1 ergebe (Beschwerdebegründung, Seite 11, Absatz 3). Insbesondere könne der Fachmann ohne wei­teres Muss- und Kann-Kriterien festlegen, die für ein gegebenes Verfahren notwendige oder vorteilhafte Eigen­schaften nachwiesen (Seite 12, Absatz 2). Aber auch die Beschreibung gebe dem Fachmann eine Vielzahl von Bei­spielen für solche Kriterien an die Hand (Seite 14, Absatz 4 ff.).

4.1 Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin insofern zu, als es für den Fachmann kein Hindernis gibt, die beanspruchte Erfindung so wie beansprucht auszuführen.

4.2 Die Einspruchsabteilung und die Beschwerdegegnerin sehen das jedoch nicht als hinreichend an, sondern meinen, die Lehre der Erfindung müsse so ausführlich offenbart sein, dass der Fachmann eine Wirkung zuverlässig erzielen könne, die in der Beschreibung als angestrebt offenbart sein, selbst wenn der Anspruch diese Wirkung nicht ausdrücklich fordere.

4.3 Die Kammer ist nicht dieser Ansicht.

4.3.1 In der Entscheidung G1/03 (Entscheidungsgründe 2.5.2) wird diskutiert, unter welchem EPÜ-Erfordernis eine Anmeldung zu bemängeln sei, wenn die Beschreibung nicht hinreichend viele Beispiele für einen breiten Anspruch enthalte. Dabei sei entscheidend, ob eine einschlägige Wirkung im Anspruch gefordert werde oder nicht. In jenem Fall folge unzureichende Offenbarung, in diesem ein Mangel an erfinderischer Tätigkeit.

4.3.2 Die Kammer folgt dieser Rechtsprechung. Insbesondere sind nicht - explizit oder implizit - beanspruchte Wirkungen keine Merkmale des Anspruchs­gegenstands. Hierin widerspricht die Kammer der Ein­spruchsabteilung, die formuliert, dass eine nur offen­barte - aber nicht beanspruchte - Aufgabe "zumindest eine zu erfüllende Nebenbedingung" sei, "wenn nicht sogar die Aufgabe selbst" (Entschei­dungs­gründe 12.2.9).

4.3.3 Der am EPA weit überwiegend verwendete Aufgabe-Lösungs-Ansatz zur Bewertung der erfinderischen Tätigkeit be­stimmt es als die objektive technische Aufgabe, die­je­ni­­ge Wirkung zu erzielen, die durch Vergleich der bean­spruchten Erfindung mit dem "nächstliegenden Stand der Technik" bestimmt wird. Dabei geht eine nicht bean­spruch­te Wirkung nicht in diesen Vergleich ein. Zudem ist die objektive technische Aufgabe regel­mäßig von der (nur) offenbarten, "subjektiven" Aufgabe verschie­den.

4.4 Artikel 83 EPÜ 1973 verlangt, dass die Erfindung in der europäischen Patentanmeldung so deutlich und voll­stän­dig zu offenbaren sei, dass ein Fachmann sie ausführen könne.

4.5 Regel 27(1) EPÜ 1973 fordert, dass die Erfindung, wie sie in den Patentansprüchen gekennzeichnet ist, so darzustellen sei, dass danach die technische Aufgabe, auch wenn sie nicht ausdrücklich als solche genannt ist, und deren Lösung verstanden werden können. Regel 27(1)(e) EPÜ 1973 legt fest, dass wenigstens ein Weg zur Ausführung der beanspruchten Erfindung im Einzelnen anzugeben ist. (Hervorhebungen durch die Kammer.)

4.6 Die Kammer ist daher der Meinung, dass sie das Offenbarungserfordernis aus Artikel 83 EPÜ 1973 zuallererst auf den beanspruchten Gegenstand richtet, dass es also der beanspruchte Gegenstand ist, dessen Ausführbarkeit in Frage steht.

4.7 Zur Beantwortung dieser Frage muss zunächst die richtige Auslegung des Anspruchswortlauts festgestellt werden.

4.8 Im vorliegenden Fall richtet sich Anspruch 1 des er­teil­ten Patents auf ein Verfahren zur Bewertung der Qualität eines Bildes. Das Verfahren verlangt die Ver­wendung von Kann- und Muss-Kriterien, von Bewertungs­punkten, sowie von einem Bewertungsschema, an dessen Ende ein Schwellwertvergleich darüber entscheidet, ob ein gegebenes Bild den Qualitätstest besteht oder nicht. Da weder beansprucht ist, um welche Art von Bild noch um welche Art von Qualität es sich handelt, kann eine mögliche Wirkung, das Verfahren würde eine solche Qualitätsbewertung irgendwie "verbessern", dem Anspruchsgegenstand nicht zugeschrieben werden.

4.9 Zwar stimmt die Kammer insofern der Einspruchsabteilung zu, aber sie ist nicht der Ansicht, dass daraus ein Offenbarungsmangel folge. Vielmehr muss der Qualitäts­begriff weit ausgelegt werden; so weit insbesondere, dass er z.B. ästhetische und subjektive Kriterien umfasst und daher beinahe beliebig wird (siehe auch weiter unten). Gleiches gilt für die Muss- und Kann-Kriterien und die Bewertungs­punkte, die nur insoweit von dem unbestimmten Quali­täts­begriff abhängen, als sie ihn "abbilden" sollen.

4.10 Die Kammer kommt somit zu dem Ergebnis, dass Artikel 100(b) EPÜ 1973 der Aufrechterhaltung des Patents in seiner erteilten Form nicht entgegen steht.

Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung

5. Die Kammer widerspricht somit dem Widerrufsgrund der Ein­spruchsabteilung, unzureichende Offenbarung. Damit ist die Beschwerde im Sinne von Artikel 111(1) EPÜ, Satz 1, begründet. Nach Satz 2 verfügt die Kammer über ein Ermessen darüber, die Sache zurückzuverweisen oder im Rahmen der Zustän­dig­keit der ersten Instanz tätig zu werden. Aus der vor­läufigen Meinung der Kammer geht hervor, dass sich bei der Prüfung der Beschwerde ein begründeter Einwand unter Artikel 100(a) EPÜ 1973 i.V.m. Artikel 56 EPÜ 1973 gegen die Aufrechterhaltung des Patents ergeben hat. Ohne wenigstens diesen zu diskutieren, erscheint der Kammer eine Zurückverweisung schon wegen der Ver­fahrensökonomie nicht zielführend. Dem entsprechen­den Antrag 4. der Beschwerdeführerin (vgl. oben Punkt IX) wird somit nicht stattgegeben.

6. Die Beschwerdeführerin kritisierte dieses Vorgehen, insbesondere weil der Einspruch auf diese Weise ohne die Berücksichtigung druckschriftlichen Standes der Technik entschieden werde, was sie als eine Beschränkung ihres rechtlichen Gehörs bezeichnete.

6.1 Die Kammer weist in dieser Hinsicht zunächst darauf hin, dass die Beschwerdeführerin ausführlich Gelegen­heit hatte, sich vor der Kammer - schriftlich und münd­lich - zu äußern und dass aus ihrer Ermessensent­schei­dung allein, die Sache selbst zu entscheiden, Artikel 111(1) EPÜ, keine Verletzung des rechtlichen Gehörs folgt.

6.2 Zum anderen ist die Kammer der Ansicht, dass eine Zurückverweisung an die erste Instanz nur dann geboten ist, wenn klar ist, welche Fragen die Kammer für die weitere Entscheidung durch die erste Instanz offen lässt. Im vorliegenden Fall war die Kammer der Ansicht, dass angesichts der - gebotenen - Diskussion wenigstens des Hauptantrags vor der Kammer keine Merkmale zu berücksichtigen waren, die die Kammer nicht selbst - und eben auch ohne Berücksichtigung von Druckschriften - zu entscheiden in der Lage war.

Zur Anspruchsauslegung

7. Wenn die Kammer den Offenbarungseinwand der Beschwerde­gegnerin und der Einspruchsabteilung auch nicht teilt, so stimmt sie beiden doch im Kern weitgehend zu.

8. Die Beschreibung offenbart nur wenige Details über das beanspruchte Bewertungsschema. Insbesondere:

8.1 Es wird nur ein einziges konkretes Beispiel für ein Kann-Kriterium offenbart, nämlich ob der Dateityp, in dem die Bilddatei vorliegt, JPEG oder JPEG2000 ist (vgl. die Patentschrift, Absatz 77).

8.2 Die Frage, wie ggf. weitere Kann-Kriterien zu wählen, welche Bewertungspunkte ihnen zuzuschreiben, und wie dementsprechend der Schwellwert zu wählen wäre, bleibt im Patent unbeantwortet.

8.3 Anspruch 1 des Patents (und aller Hilfsanträge) lässt nach Einschätzung der Kammer offen, ob es sich um ein zweistufiges Verfahren handelt, in dem zunächst die Erfüllung der Muss-Kriterien überprüft wird und erst dann - wenn die Muss-Kriterien erfüllt sind - die Erfüllung der Kann-Kriterien festgestellt wird, oder ob das zwingende Erfordernis der Muss-Kriterien durch die richtige (aber nicht offenbarte) Wahl des Schwellwerts sichergestellt wird. Sollte es ein zweistufiges Ver­fah­ren sein, stellt sich darüber hinaus die Frage, warum die Muss-Kriterien, deren Erfüllung schon im ersten Schritt sichergestellt wird, im zweiten Schritt durch Bewertungspunkte überhaupt noch berücksichtigt werden.

8.4 Anspruch 1 des Patents (und aller Anträge) legt nahe, dass die Bewertungspunkte durch das Bewertungsschema festgelegt sind. Die Beschreibung hingegen offenbart die Möglichkeit, dass die Bewertungspunkte für die Kann-Kriterien geändert werden, abhängig davon, ob die Muss-Kriterien erfüllt sind (Absatz 30).

8.5 Die Begriffe Muss- und Kann-Kriterien selbst sind unscharf. Aus dem einzigen Beispiel in der Beschrei­bung, das ein konkretes Kann-Kriterium diskutiert, geht hervor, dass Dateien vom Typ JPEG oder JPEG2000 als bevorzugt gelten. Wenn der im Anspruch - und der Beschreibung - undefinierte Qualitätsmaßstab nun auf "bevorzugt" angehoben würde, würde das Kann-Kriterium Dateityp unvermittelt zu einem Muss-Kriterium. Ob das Bewertungsschema diese Entscheidung korrekt abbildet - durch die Anzahl der Bewertungsschritte, die Bewer­tungs­punkte und den Schwellwert - ist demjenigen über­lassen, der das Bewertungsschema bereitstellt.

8.6 Die Beschwerdeführerin führt aus, dass das beanspruchte Verfahren einen Rahmen bereitstelle, der flexibel verwendet werden könne, um eine umständehalber definierte Bewertungsaufgabe umzusetzen. Dabei könne es um die Bewertung der Passbildqualität in unterschied­lichen Jurisdiktionen gehen - die bspw. Schleier ausschließen oder (Teil-)Verschleierung zulassen könnte - oder um die Berücksichtigung von Kriterien, die bewerten, wie einfach sich die Verarbeitung des vorliegenden Bildes (ungeachtet seines Inhalts) gestaltet. In diesem Zusammenhang könnte bspw. die Berücksichtigung des Dateityps wünschenswert sein.

8.7 Angesichts der vorstehenden Beobachtungen - und im Einklang mit dem Vortrag der Beschwerdeführerin - kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass das Bewertungsschema selbst als gegeben angenommen werden muss, nämlich von einer (undefinierten) Partei, die ein (undefiniertes) Qualitätserfordernis unter Verwendung (undefinierter) Muss- und Kann-Kriterien und ihrer relativen Bewertung, sowie eines Schwellwerts abbildet.

8.7.1 Das entspricht der Feststellung im Patent, demgemäß das Bewertungsschema einen gegebenen - und ggf. zu ändernden - Kriterienkatalog 1:1 abbildet (Absatz 41).

8.7.2 Und es ist dabei nicht entscheidend, ob der Kriterienkatalog und das abgeleitete Bewertungsschema ganz oder nur überwiegend als nicht-technisch angesehen werden (nur überwiegend bspw. dann, wenn sich der Kriterienkatalog solcher Mittel - etwa von Foto-Mustertafeln - bedient, die im weitesten Sinne als technisch gelten könnten, vgl. T258/03, Gründe 4.6).

Technischer Charakter der Erfindung

9. Der Gegenstand von Anspruch 1 der Hilfsanträge erwähnt konkret die Verwendung eines Computers und computer­ge­stützter Hilfsmittel und gilt daher nach ständiger Recht­sprechung der Beschwerdekammern (insbesondere T424/03) als eine Erfindung im Sinne von Artikel 52(2) und (3) EPÜ 1973. Was Anspruch 1 des Hauptantrags be­trifft, ist die Kammer der Ansicht der Ein­spruchs­ab­tei­lung, dass der verständige Fachmann das beanspruchte Verfahren als ein computergestütztes verstehen würde, insbesondere wegen des Bezugs auf eine Bewertungsdatei und der Aus­wertung "durch" (und nicht nur "entsprechend einem") Be­wer­tungsprogramm. Da hingegen selbst unter dieser An­nahme der Anspruchsgegenstand keine erfinde­rische Tä­tig­keit aufweist (s.u.), kann die Kammer diese Frage offen lassen.

Erfinderische Tätigkeit

Hauptantrag

10. Die Patentschrift selbst (in den Absätzen 2 bis 4) geht von einem bekannten Verfahren aus, demgemäß ein Sach­bearbeiter auf der Grundlage einer sogenannten Foto-Mustertafel, wie sie von der Bundesdruckerei und der ICAO herausgegeben würden (vgl. Absatz 3), eine Be­wer­tung der Bildqualität eines Passbilds vornimmt.

10.1 Dieser Stand der Technik wurde durch die Beschwerde­füh­rerin nicht bestritten.

10.2 Bei den genannten Mustertafeln handelt es sich - nach für die Kammer offensichtlichem Einverständnis der Beteiligten - um Bildbeispiele, die dem Sachbearbeiter illus­trieren sollen, welche Art von Bildern als ak­zep­tabel und welche als unakzeptabel gelten sollen. Diese Foto-Mustertafeln stellen somit für den Sachbearbeiter ein Bewertungsschema aus lauter "Muss-Kriterien" dar.

10.3 Die Bewertung eines gegebene Bildes durch den Sach­bear­beiter erfolgt notwendigerweise subjektiv (vgl. Ab­satz 4) und fehlerbehaftet. Hingegen: Auch wenn nicht garantiert ist, dass der Sachbearbeiter sich an die vorgegebenen Regeln hält, so ist das doch das erklärte und angenommene Ziel des händischen Verfahrens.

10.4 Wenn der Sachbearbeiter die notwendige Bildqualität fest­gestellt hat, wird die Herstellung eines Ausweis­doku­ments ausgelöst. Es ist weiter in der Patentschrift offenbart (Absatz 4), dass das Ausweisdokument für die Anwendung biometrischer Verfahren vorgesehen ist.

10.5 Weitere Details des durch den Sachbearbeiter durch­geführten Verfahrens, des Ausweisdokuments oder der avisierten biometrischen Verfahren gehen aus der Patentschrift nicht hervor.

11. Die Beschwerdeführerin trägt vor, dass die techni­sche Wirkung der Erfindung nicht darin besteht, die Qua­lität der Bildanalyse zu verbessern - abgesehen von der Tatsache, dass ein Computerprogramm weniger fehler­anfällig sei als ein menschlicher Sachbearbeiter - son­dern darin, ein flexibles Schema bereitzustellen, mit dem solche Qualitätsprüfungen formuliert und implemen­tiert werden könnten.

11.1 Beispielsweise würde es die Trennung von Bewertungs­datei und Bewertungsprogramm erleichtern, ohne eine Änderung des Programms das Bewertungsschema zu wechseln (etwa für den Einsatz in einer anderen Jurisdiktion, s.o.).

11.2 Die Kammer ist der Ansicht, dass diese Flexibilität auch schon dem händischen Verfahren eigen ist. Der Sachbearbeiter kann angewiesen werden, unter Verwendung einer geänderten Foto-Mustertafel, dem gleichen "Pro­gramm" zu folgen, um die Bildqualität zu bewerten (das "Programm" ist im Wesentlichen: Prüfe für jedes durch Foto-Mustertafeln illustrierte Kriterium, ob es von einem gege­benen Foto erfüllt ist und bestätige aus­reichende Qualität, wenn alle Kriterien erfüllt sind).

11.3 Die Kammer hält es für ein naheliegendes Ziel, die händische Prüfung der Bildqualität zu automatisieren.

11.4 Dabei können das Bewertungsschema sowie das Bewertungs­programm wie eben skizziert als gegeben angenommen werden. Das Bewertungsschema als Datei - und getrennt vom Bewertungsprogramm - vorzuhalten, ist zum einen schon durch das beschriebene, händische Vorgehen für die Automati­sierung nahegelegt, zum anderen ein für den Computer­fachmann grundsätzlich naheliegendes Vorgehen: Programmparameter, die zur regelmäßigen Änderung vor­gesehen sind, werden ty­pi­scherweise getrennt vom un­ver­änderlichen Programm ge­speichert, eben um eine Änderung zu lokalisieren und zu erleichtern. Nur am Rande sei erwähnt, dass, wenn, wie die Beschreibung darstellt (Absatz 65), der Schwellwert im Bewertungs­programm gespeichert werden kann, das Bewertungsschema eben nicht völlig unabhängig vom Programm geändert werden kann. Wenn das Bewertungs­schema Muss-Kriterien ergänzt, muss ggf. der Schwell­wert so angepasst werden, dass er mindestens der Summe der Bewertungspunkte aller Muss-Kriterien entspricht.

11.5 Der Gegenstand von Anspruch 1 des erteilten Patents unterscheidet sich somit allenfalls dadurch von einer unmittelbaren Automatisierung des händischen Verfahrens, dass er - wie beansprucht - Muss- und Kann-Kriterien verwendet, denen Bewertungspunkte zugeordnet werden, und dass die Summe dieser Punkte bei erfüllten Kriterien mit einem Schwellwert verglichen wird.

11.6 Wie oben ausgeführt, ist es der Beschwerdeführerin nicht gelungen, die Kammer davon zu überzeugen, dass dieses abstrakte Bewertungsschema einen (technischen) Vorteil dafür hätte, wie schnell, einfach oder flexi­bel eine Quali­tätsprüfung dargestellt oder durchgeführt werden kann.

11.7 Dementsprechend, und ebenfalls wie oben festgestellt, ist die Kammer der Ansicht, dass das Bewertungsschema inkl. der Bewertungspunkte und des Schwellwerts als gegeben angenommen werden müssen, so dass diese der gegebenen Aufgabe entsprechen.

11.8 Unter dieser Annahme allerdings kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass sich der Gegenstand des Patents nicht erfinderisch von der Automatisierung des bekannten, händischen Verfahrens unterscheidet, und dass somit das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit unter Artikel 100(a) EPÜ 1973 i.V.m. Artikel 56 EPÜ 1973 der

Aufrechterhaltung des erteilten Patents entgegen steht.

Hilfsanträge

12. Hilfsantrag I verlangt nun die Qualitätsprüfung eines Gesichtsbildes auf seine Biometrietauglichkeit hin. Wei­ter legt sie allerlei konkrete Details einer Com­pu­terimplementierung fest, darunter die Verwendung eines "Analyseprogramms", dessen Ergebnisse vom "Bewertungs­programm" verwendet werden.

12.1 Die Anwendung des beanspruchten Verfahren zur Prüfung von Gesichtsbildern auf ihre Biometrietauglichkeit ist schon aus dem händischen Verfahren bekannt, das das Patent beschreibt.

13. Die Computermerkmale sind für die Kammer elementare Implementierungsdetails.

13.1 Insbesondere kann die Kammer der Beschwerdeführerin nicht darin folgen, dass die Trennung eines "Analyse­programms" und eines "Bewertungsprogramms" durch be­son­dere "Modularität" einen erfinderischen Beitrag leisten kann. Dass unterschiedliche Teile einer komplexen Auf­gabe in unterschiedliche Teil"programme" aufgeteilt wer­den, hält die Kammer für eine für den Fachmann, der sich der gestellten Automatisierungsaufgabe annahm, naheliegende Entscheidung.

13.2 Eine besondere Relevanz weiterer Implementierungs­merk­male für die erfinderische Tätigkeit hat die Beschwer­de­­füh­re­rin nicht vorgetragen.

13.3 Dem Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags I mangelt es somit an erfinderischer Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ 1973.

14. Hilfsantrag II ergänzt vor allem die Bestimmung des Dateityps durch das Analyseprogramm. Da der so be­stimmte Dateityp allerdings im weiteren Verfahren nicht verwendet wird, kann er - mangels spezifischer Wirkung - zu einem erfinderischen Schritt nicht beitragen, Artikel 56 EPÜ 1973. Wenn der Dateityp hingegen - umständehalber - als vorteilhaft für die Erstellung eines Ausweisdokuments erscheint, dann sieht es die Kammer als naheliegend an, das entsprechende Kriterium zu prüfen (händisch oder automatisiert gleichermaßen)

15. Hilfsantrag III bettet das Bewertungsverfahren in ein Verfahren zur Herstellung eines "Dokuments" ein, das einen elektronischen Speicher aufweist, in den das Bild bei genügender Qualität gespeichert wird.

15.1 Diese Einbettung ist - dem Grundsatz nach - aus dem in der Patentschrift beschriebenen Verfahren bekannt (Absatz 4).

15.2 Das in der Patentschrift beschriebene Verfahren erwähnt Ausweisdokumente und ihre Verwendung in biometrischen Verfahren. Es bleibt in der Patentschrift offen, ob das Ausweisdokument einen elektronischen Speicher hat und ob das genannte biometrische Verfahren auf einen solchen Speicher zugreift.

15.3 Allerdings geht die Kammer davon aus, dass elektro­ni­sche Ausweisdokumente mit elektronischen Speichern zur Verwendung in biometrischen Verfahren zum einschlägigen Prioritätszeitpunkt bekannt waren. Dem ist die Beschwerdeführerin nicht entgegen getreten.

15.4 Eine Anpassung des beschriebenen Verfahrens auf Aus­weisdokumente mit elektronischen Speichern wie be­an­sprucht hätte somit für den Fachmann (wenigstens) nahegelegen.

15.5 Daher können die in Anspruch 1 des Hilfsantrags III ergänzten Merkmale zum erfinderischen Schritt nicht beitragen, Artikel 56 EPÜ 1973.

16. Hilfsantrag IV kombiniert die Ergänzungen der Hilfsan­träge II und III. Darüber hinaus verlangt er die "Nutzung" des erzeugten Dokuments für die Gesichts­geometrie und den Zugriff auf das Bild im Ausweis "mittels eines kryptographischen Protokolls".

16.1 Die gegen die genannten Hilfsanträge vorgetragenen Ein­wände gelten unverändert, da eine Synergie zwischen den Ergänzungen der Hilfsanträge II und III weder erkennt­lich vorliegt noch vorgetragen wur­de. Die Verwendung eines kryptographischen Proto­kolls hält die Kammer für eine naheliegende Maßnahme, um schützens­werte Daten zu schützen. Gegenteiliges hat die Be­schwer­deführerin nicht vorgetragen.

16.2 Daher können die in Anspruch 1 des Hilfsantrags IV ergänzten Merkmale zum erfinderischen Schritt nicht beitragen, Artikel 56 EPÜ 1973.

17. Hilfsantrag V ergänzt zum Gegenstand des Anspruchs 1 eine Aufzählung von als Muss- oder Kann-Kriterien relevanten Bildeigenschaften, die als Alternativen ("ein oder mehrere") beansprucht sind.

17.1 Wenigstens einige dieser Bildeigenschaften hält die Kammer für naheliegend als solche, die der Sachbear­bei­ter bei der Qualitätsprüfung eines Passbilds bewerten würde, darunter Helligkeit, Kontrast, Schärfe und Kopfpose. Diese jedenfalls tragen somit nicht zur erfinderischen Tätigkeit bei. Ob das für die übrigen Bildeigenschaften ebenfalls gilt, kann dahin stehen, da sie anspruchsgemäß nur alternativ ausgeprägt sind.

17.2 Daher fehlt es auch dem geänderten Anspruch 1 des Hilfsantrags V an einer erfinderischen Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ 1973.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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