T 1045/18 () of 21.1.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T104518.20200121
Datum der Entscheidung: 21 Januar 2020
Aktenzeichen: T 1045/18
Anmeldenummer: 10766222.3
IPC-Klasse: A47L 11/20
A47L 11/40
A47L 11/30
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: HANDGEFÜHRTES BODENBEARBEITUNGSGERÄT
Name des Anmelders: i-mop GmbH
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention R 116(2)
European Patent Convention R 137(3)
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 97(2)
European Patent Convention Art 113
Schlagwörter: Änderungen der Anmeldung
Änderungen - Fehlerhafte Ausübung des Ermessens der Prüfungsabteilung
Rechtliches Gehör - Gelegenheit zur Stellungnahme (ja)
Zurückverweisung an die Prüfungsabteilung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1757/20

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 29. November 2017, die Patentanmeldung nach Artikel 97(2) EPÜ zurückzuweisen, weil der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu sei (Artikel 54 EPÜ).

In der Entscheidung der Einspruchsabteilung sind folgende Dokumente erwähnt:

D1: US 2006/112513 A1

D2: US 2 635 278

D3: WO 2009/057934 A2

D4: EP 1 917 898 A1

D5: US 5 918 346

D6: US 4 937 911

D7: US 3 107 387.

II. Die Beschwerde der Anmelderin ging am 8. Februar 2018 unter gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr ein. Die Beschwerdebegründung folgte am 9. April 2018.

III. Nach telefonsicher Rücksprache mit dem Berichterstatter am 18. Dezember 2019 stellt die Beschwerdeführerin ihre mit Beschwerdebegründung gestellten Anträge in ihrem Schreiben vom 27. Dezember 2019 folgendermaßen klar:

1. Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses der Prüfungsabteilung

2. Zulassung des Anspruchssatzes vom 10. August 2017

3. Zurückverweisung der Sache an die Prüfungsabteilung zur weiteren Prüfung (auf Grundlage dieses Anspruchssatzes)

4. Erlass einer entsprechenden Entscheidung im schriftlichen Verfahren.

IV. Der der Entscheidung der Prüfungsabteilung zugrundeliegende, auf 5. April 2016 datierte Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

Handgeführtes Bodenbearbeitungsgerät, aufweisend ein Bodenteil (1) mit mindestens einem Werkzeug (31) für die Bodenbearbeitung und einem Motor (26) zum Antreiben des mindestens einen Werkzeugs (31) und aufweisend ein Führungsteil (2) mit einem Griffteil (3), wobei das Führungsteil (2) über ein in Bearbeitungsrichtung (6) verstellbares erstes Gelenk (4) mit einer Gelenkachse (G1) quer zur Bearbeitungsrichtung (6) mit dem Bodenteil (1) verbunden ist, wobei das Bodenteil (1) eine Flüssigkeitszuführung (11) und eine Flüssigkeitsaufnahme (13) aufweist, und wobei eine vom Bodenteil baulich getrennte Saugeinheit vorgesehen ist, die zumindest eine Saugturbine (17) für die Aufnahme von Flüssigkeit enthält, dadurch gekennzeichnet, dass ein Behälter (16) für die aufgenommene Flüssigkeit am Führungsteil (2) angeordnet und über einen Schlauch mit der baulich getrennten Saugeinheit verbunden ist, dass der Behälter (16) für die aufgenommene Flüssigkeit länglich entlang des Führungsteils (2) ausgeformt ist, dass ein Flüssigkeitstank (10) für die Flüssigkeitszuführung (11) vorgesehen ist, dass der Flüssigkeitstank (10) an dem Führungsteil (2) angebracht ist, und dass der an dem Führungsteil (2) angebrachte Flüssigkeitstank (10) entlang des Führungsteils (2) länglich ausgeformt ist.

Der mit Schreiben vom 10. August 2017 im Prüfungsverfahren eingereichte Anspruch 1 hat denselben Wortlaut mit folgenden zusätzlichen Merkmalen:

"... [dadurch gekennzeichnet,] dass die Flüssigkeitsaufnahme (13) eine Saugleiste (49) mit zwei in Bearbeitungsrichtung (6) zueinander beabstandeten Dichtlippen (28, 29) aufweist, wobei die in Bearbeitungsrichtung (6) vordere Dichtlippe (28) Öffnungen aufweist, durch welche beim Bewegen des Bodenteils (1) in Bearbeitungsrichtung (6) die aufzunehmende Flüssigkeit in einen Bereich (x) zwischen den beiden Dichtlippen (28, 29) gelangen kann,...".

V. Die Beschwerdeführerin trägt im wesentlichen folgendes vor:

Die Nichtzulassung des Anspruchssatzes vom 10. August 2017 während der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung am 9. November 2017 sei nicht vorhersehbar und überraschend gewesen, da sich die Prüfungsabteilung zuvor in einer Kurzmitteilung vom 24. Oktober 2017 bereits sachlich und vorbehaltlos mit ihm auseinander gesetzt habe. Die diesbezügliche Ermessensentscheidung der Prüfungsabteilung sei unter Verletzung ihres rechtlichen Gehörs ergangen.

Die der Nicht-Zulassung zugrundeliegende Beurteilung des Anspruchs 1 vom 10. August 2017 als nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhend sei in der Sache falsch und von der Prüfungsabteilung unvollständig begründet.

Vollkommen überraschend sei auch, dass die Zurückweisung auf Grundlage des vorhergehenden, "nicht mehr relevanten" Anspruchssatzes vom 5. April 2016 erfolgt sei.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerde ist zulässig, da sie den Anforderungen der Artikel 106 - 108 i.V.m. Regel 99 EPÜ genügt.

2. Die Patentanmeldung und das Prüfungsverfahren

2.1 Gegenstand der Patentanmeldung ist ein handgeführtes Bodenbearbeitungsgerät, insbesondere Bodenreinigungsgerät, das ein Bodenteil, ein mit dem Bodenteil gelenkig verbundenes Führungsteil und ein an diesem angebrachtes Griffteil aufweist.

2.2 Ursprünglich betraf der unabhängige Anspruch 1 Aspekte einer Flüssigkeitszuführung und -aufnahme des Bodenteils, der zweite unabhängige Anspruch 28 Aspekte der gelenkigen Verbindung von Bodenteil, Führungsteil und Griffteil. Recherchiert worden sind nur der ursprüngliche Anspruch 1 und einige von diesem abhängige Ansprüche, nachdem die internationale Recherchenbehörde Uneinheitlichkeit festgestellt hatte, und die Anmelderin weder Widerspruch gegen diese Feststellung erhoben, noch zusätzliche Recherchegebühren entrichtet hatte.

2.3 Da die Beschwerdeführerin im anschließenden europäischen Prüfungsverfahren zunächst auf einem Antrag beharrt hatte, der die Merkmale eines nicht recherchierten Anspruchs beinhaltete, lud die Prüfungsabteilung zu einer ersten mündlichen Verhandlung. Die Beschwerdeführerin reagierte auf den Ladungsbescheid mit einem geänderten Anspruchssatz, gegen den die Prüfungsabteilung im Anschluss lediglich formale Einwände erhob (Bescheid vom 30. September 2015) und deshalb die erste mündliche Verhandlung absagte.

2.4 Nachdem die Beschwerdeführerin den formalen Einwänden mit Einreichung eines geänderten Anspruchssatzes vom 5. April 2016 sowie einer daran angepassten Beschreibung Rechnung getragen hatte, berief sich die Prüfungsabteilung erstmals auf die im Recherchenbericht zitierte D3 und stellte im Bescheid vom 11. Juli 2016 mangelnde Neuheit fest.

Eigentlich unterscheidet sich das Bodenbearbeitungsgerät der D3 nämlich grundlegend dadurch von denen der zuvor im Prüfungsverfahren berücksichtigten D1 und D2 und den Ausführungsbeispielen der Patentanmeldung, dass Flüssigkeit hier nicht direkt auf den Boden geleitet und von dort aufgenommen, sondern auf eine und von einer rotierenden Tuchrolle 110 (siehe Absätze [94], [95], [102], [127], [128], Fig. 3-6). Dieser Unterschied hinsichtlich Flüssigkeitsabgabe - und aufnahme geht aber nicht aus dem unabhängigen Anspruch 1 vom 5. April 2016 hervor.

2.5 Da die Beschwerdeführerin wiederum auf dem Anspruchssatz vom 5. April 2016 beharrte, lud die Prüfungsabteilung mit einer Ladung vom 26 Mai 2017 zum zweiten Mal zu einer mündlichen Verhandlung, wobei sie den 9. Oktober 2017 als den Zeitpunkt nach Regel 116(2) EPÜ bestimmte, zu dem Schriftsätze und Unterlagen eingereicht werden können.

Am 14. August 2017 reichte die Beschwerdeführerin den geänderten Anspruchssatz vom 10. August 2017 ein, der die oben unter Punkt IV erwähnten zusätzlichen Merkmale zur Abgrenzung gegenüber D3 enthält. Sie nahm auch ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurück.

Die Prüfungsabteilung informierte die Beschwerdeführerin, dass der Termin zur mündlichen Verhandlung bestehen bliebe, trotz eines - als nicht begründet angesehenen - Antrags auf Verlegung. In einer Kurzmitteilung vom 24. Oktober 2017 teilte sie ihre Meinung mit, wonach die zusätzlichen Merkmale keine erfinderische Tätigkeiten begründen könnten, da sie "in Bodenbearbeitungsgeräten der Art allgemein bekannt" seien. Beispielhaft zitierte sie die Dokumente D4 - D7.

2.6 Nachdem die Beschwerdeführerin nicht zur mündlichen Verhandlung am 9. November 2017 erschien, verhandelte die Prüfungsabteilung ohne sie und ließ den Anspruchssatz vom 10. August 2017 in Ausübung ihres Ermessens nach Regel 137(3) EPÜ nicht zum Verfahren zu.

Daraufhin prüfte die Prüfungsabteilung den vorherigen Anspruchssatz vom 5. April 2016 und bestätigte die Feststellung aus ihrem Bescheid vom 11. Juli 2016, wonach der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu gegenüber der Offenbarung der D3 sein.

Schließlich wies sie die Patentanmeldung aus diesem Grund gemäß Artikel 97(2) EPÜ zurück.

3. Rechtliches Gehör

Nach Regel 137(3) EPÜ lag es im Ermessen der Prüfungsabteilung, den Anspruchssatz vom 10. August 2017 zum Verfahren zuzulassen.

Der Erlass einer solchen Ermessensentscheidung war nicht durch das Nichterscheinen der ordnungsgemäß geladenen Beschwerdeführerin zur mündlichen Verhandlung gehindert. Die Beschwerdeführerin war durch die Kurzmitteilung vom 24 Oktober 2017 über die Bedenken der Prüfungsabteilung hinsichtlich erfinderischer Tätigkeit informiert, die letztendlich zur Nichtzulassung führten. Sie hatte die Möglichkeit, im Rahmen der mündlichen Verhandlung hierzu Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführerin war bekannt, dass ihrem Antrag auf Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht stattgegeben worden war. Aus ihrem Antrag wäre möglicherweise ableitbar gewesen, dass die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten sein wird, allerdings wurde die Prüfungsabteilung nicht förmlich darüber informiert, dass dies der Fall sein wird.

Das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin ist somit gewahrt worden, Artikel 113(1) EPÜ.

4. Zulassung das Anspruchssatzes vom 10. August 2017 zum Verfahren

Bei der Ausübung des Ermessens nach Regel 137(3) EPÜ muss eine Prüfungsabteilung alle relevanten Faktoren berücksichtigen; insbesondere soll sie einen Ausgleich finden zwischen dem legitimen Interesse des Anmelders am Erhalt eines europäischen Patents und dem Interesse des EPA an einer effizienten Durchführung des Prüfungsverfahrens.

4.1 Zu berücksichtigende Faktoren sind hierbei u.a. der Verfahrensstand und ob der Anmelder bereits ausreichend Gelegenheit zur Änderung der Anmeldung hatte.

4.1.1 Eine zweite Ladung zu einer mündlichen Verhandlung wie im vorliegenden Fall ist für gewöhnlich ein deutliches Indiz für das Endstadium eines bereits ungewöhnlich langen und fortgeschrittenen Prüfungsverfahrens. Zudem stellt die Prüfungsabteilung in ihrer Entscheidung darauf ab, dass die Beschwerdeführerin mit dem Anspruchssatz vom 10. August 2017 bereits die fünfte geänderte Version vorgelegt hat, mithin vorher bereits ausreichend Gelegenheit hatte, Änderungen vorzunehmen.

4.1.2 Der Kammer scheint allerdings auch von Bedeutung, dass die Prüfungsabteilung in einem relativ späten Verfahrensstadium erstmals einen Neuheitseinwand auf Grundlage eines von drei im Recherchenbericht zitierten Dokumenten erhoben hat. Der Anspruchssatz vom 10. August 2017 stellte die zweite Reaktion der Beschwerdeführerin auf diesen "neuen" Neuheitseinwand dar und beinhaltete die erste durch diesen Neuheitseinwand veranlasste Änderung des Anspruchs 1. Selbst wenn die Beschwerdeführerin den geänderten Anspruchssatz bereits zusammen mit ihrer ersten Stellungnahme zum Neuheitseinwand vom 19. Januar 2017 als Hilfsantrag eingereicht hätte, hätte dies aller Voraussicht nach nicht zu einem schnelleren Ende des Prüfungsverfahrens geführt: Da die Prüfungsabteilung letztendlich auch den geänderten Anspruchssatz wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit als nicht gewährbar erachtete, hätte sie auch in diesem hypothetischen Fall das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin vor einer Zurückweisung der Anmeldung wahren müssen, z.B. wie geschehen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung.

Die Nichtzulassung des Anspruchssatzes vom 10. August 2017 trug also im vorliegenden Fall nicht dazu bei, das Prüfungsverfahren effizienter zu Ende zu führen.

4.1.3 Der angefochtenen Entscheidung ist nicht zu entnehmen, dass die Prüfungsabteilung diese wesentlichen Aspekte des Prüfungsverfahrens bei der Ausübung ihres Ermessens in Betracht gezogen hat. Deshalb scheint ihre Ermessensentscheidung nach Regel 137(3) EPÜ, den Anspruchssatz vom 10. August 2017 nicht zum Verfahren zuzulassen, zumindest nicht vollständig begründet zu sein.

4.2 Ein anderer wesentlicher zu berücksichtigender Faktor bei der Ausübung des Ermessens ist, inwieweit die Änderungen dazu geeignet sind, einen erhobenen Einwand auszuräumen und dabei nicht offensichtlich, d.h. eindeutig und unmittelbar erkennbar, zu neuen Einwänden führen.

4.2.1 Der Anspruchssatz vom 10. August 2017 behob anerkanntermaßen den von der Prüfungsabteilung mit Bescheid vom 11. Juli 2016 erhobenen Neuheitseinwand. Darüber hinaus sind die zusätzlichen Merkmale seines Anspruchs 1 ursprünglich offenbart, Artikel 123(2) EPÜ, wie unter Punkt 23.2 der angefochtenen Entscheidung festgestellt.

Jedoch führen die in Gestalt der Aufnahme dieser zusätzlichen Merkmale in Anspruch 1 vorgenommenen Änderungen nach Ansicht der Prüfungsabteilung zu einem neuen Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit unter Artikel 56 EPÜ.

4.2.2 Aus der in Punkt 23.3 der angefochtenen Entscheidung zitierten Passage der Richtlinien (H-II, 2.3) geht nicht hervor, dass Änderungen in einem späten Stadium des Prüfungsverfahrens generell bereits dann nicht zuzulassen sind, wenn durch sie ein neuer Mangel entsteht.

Im selben Abschnitt der Richtlinien wird im Gegenteil explizit darauf hingewiesen, dass die Zulassung von Änderungen nicht notwendigerweise bedeutet, dass der geänderte Antrag unmittelbar gewährbar ist, also keine weiteren Einwände unter dem EPÜ mehr bestehen. Eine solche offensichtliche oder prima facie Gewährbarkeit ist allenfalls ein Kriterium für die Zulassung verspätet eingereichter Änderungen (RiLi H-II, 2.7.1). Im vorliegenden Fall ist der geänderte Anspruchssatz aber innerhalb nach Regel 116(2) EPÜ gesetzten Frist eingereicht worden, und ist mithin nicht als verspätet anzusehen.

4.2.3 In der angefochtenen Entscheidung ist das offensichtliche Vorliegen des festgestellten Mangels erfinderischer Tätigkeit nicht ausdrücklich thematisiert.

Aus der eher kursorisch gehaltenen Begründung unter Punkt 23.2 ist eine mangelnde erfinderische Tätigkeit auch nicht unmittelbar offensichtlich nachvollziehbar: "Bei Bodenbearbeitungsgeräten dieser Art" seien die zusätzlichen Merkmale des Anspruchs 1 vom 10. August 2017 "eine übliche Maßnahme zur effektiven Sammlung von Schmutzflüssigkeit", wie "dies die Dokument D4 bis D7 belegen".

Für die Kammer ist z.B. nicht offensichtlich, wie das Vorsehen üblicher, flexibler Dichtlippen zur effektiven Sammlung von Schmutzflüssigkeit vom Boden (siehe D4 - D7) in dem Bodenbearbeitungsgerät nach D3 zum Gegenstand des Anspruchs 1 führt, bei dem die Dichtlippen Teil der Flüssigkeitsaufnahme sind. Wie aus Punkt 24 der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, erfolgen Flüssigkeitsaufnahme und -abgabe nach D3 zwar mit anspruchsgemäßen Mitteln (längliche Behälter etc.) - jedoch von der der flexiblen Tuchrolle 110, nicht vom Boden (siehe oben Punkt 2.4).

In diesem Zusammenhang ist auch nicht unmittelbar klar, welche Bodenbearbeitungsgeräte mit "Bodenbearbeitungsgeräte dieser Art" gemeint sein sollen. Eine Art von Bodenbearbeitungsgeräten (D1, D2, D4 - D7) könnte z.B. durch Flüssigkeitsaufnahme direkt vom und ggf. durch flexible Dichtlippen direkt am Boden gekennzeichnet sein, eine andere Art (D3) hingegen durch Flüssigkeitsaufnahme direkt von und durch starre Abstreifleisten (freie Enden von 150, Fig. 6) direkt an einer flexiblen Tuchrolle (110).

4.2.4 Zusammenfassend kann die Kammer weder aus der angefochtenen Entscheidung, noch aus einer Kombination der angezogenen Dokumente D3 - D7 unter Berücksichtigung von Fachwissen eine offensichtliche mangelnde erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 vom 10. August 2017 ersehen.

4.3 Die Kammer kommt deshalb zu dem Schluss, dass bei korrekter Ausübung des Ermessens nach Regel 137(3) EPÜ unter Berücksichtigung sämtlicher wesentlicher Faktoren, insbesondere der Veranlassung zum nochmaligen Einreichen eines geänderten Anspruchssatzes und der fehlenden Offensichtlichkeit des hierdurch möglicherweise neu eingeführten Mangels, der Anspruchssatz vom 10. August 2017 zum Verfahren zuzulassen gewesen wäre. Ein gleichlautender Anspruchsatz wurde zusammen mit der Beschwerdebegründung und somit nach Artikel 12(2) VOBK 2007 (i.V.m. Artikel 12(4), 2. Halbsatz, VOBK 2007 und Artikel 25(2) VOBK 2020) rechtzeitig im Beschwerdeverfahren vorgelegt. Aus den oben genannten Gründen macht die Kammer keinen Gebrauch von ihrer Befugnis nach Artikel 12(4) VOBK 2007, erstinstanzlich nicht zugelassene Anträge ebenfalls nicht zuzulassen. Somit ist dieser Anspruchsatz Gegenstand des Verfahrens.

5. Aufhebung der Entscheidung der Prüfungsabteilung und Zurückverweisung

5.1 Die Zulassung des Anspruchssatzes vom 10. August 2017 zum Verfahren führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Prüfungsabteilung zum Zwecke seiner vollständigen Prüfung, insbesondere hinsichtlich des Erfordernisses der erfinderischen Tätigkeit. Aus der angefochtenen Entscheidung geht nicht hervor, dass eine solche vollständige Prüfung bereits erfolgt ist, siehe auch oben Punkt 4.2.3.

5.2 Die angefochtene Zurückweisungsentscheidung nach Artikel 97(2) EPÜ beruht zwar auf einer nicht von der Beschwerdeführerin gebilligten Fassung des Anspruchs 1 vom 5. April 2016 und verstößt damit gegen Artikel 113(2) EPÜ. Dieser Rechtsfehler allein hätte aber nicht zu ihrer Aufhebung geführt, die im vorliegenden Fall durch die Zulassung des Anspruchssatzes vom 10. August 2017 veranlasst ist.

Denn obwohl die Zurückweisung der Anmeldung nach Nichtzulassung des einzigen Antrags der Beschwerdeführerin im Prüfungsverfahren korrekterweise unter Artikel 113(2) EPÜ hätte erfolgen sollen, wäre sie im Ergebnis nicht anders gewesen, weshalb der obige Rechtsfehler an sich nicht ursächlich für die Beschwerde sein kann. Daher wäre die angefochtene Entscheidung auch nicht aufzuheben gewesen, wenn die Kammer die Ermessensausübung der Prüfungsabteilung gebilligt hätte.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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