T 1004/18 () of 15.9.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T100418.20200915
Datum der Entscheidung: 15 September 2020
Aktenzeichen: T 1004/18
Anmeldenummer: 08011494.5
IPC-Klasse: B60K11/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Frontendmodul für Fahrzeuge
Name des Anmelders: HBPO GmbH
MAHLE Behr GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Magna Exteriors GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56 (2007)
RPBA2020 Art 013(1) (2020)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein)
Verspätet eingereichte Hilfsanträge 1 bis 3 - Zugelassen (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 2227/15
T 0032/16
T 0634/16
T 1386/18
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent 2014501 zurückgewiesen worden ist.

II. In der angefochtenen Entscheidung wird unter anderen auf das folgende Dokument Bezug genommen:

D2: DE 198 31 256 A1.

III. Die Einspruchsabteilung befand in ihrer Entscheidung unter anderem, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe (Artikel 56 EPÜ).

IV. Die Parteien wurden mit Schreiben vom 21. Oktober 2019 zur mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer geladen.

Mit ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 (Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, Amtsblatt EPA 2019, A63) vom 30. März 2020 wies die Kammer die Parteien auf die Punkte hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des erteilten Anspruchs 1 hin, die für die zu treffende Entscheidung voraussichtlich von besonderer Bedeutung sein werden.

Die Patentinhaberinnen reichten mit Schriftsatz vom 3. September 2020 neue Hilfsanträge 1, 2 und 3 ein.

V. Am 15. September 2020 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den vollständigen Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerinnen (Patentinhaberinnen) beantragten die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufrechterhaltung in geänderter Fassung auf Basis eines der mit Schreiben vom 3. September 2020 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 3.

VI. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag, d. h. wie erteilt, lautet wie folgt (Merkmalsgliederung wie von der Beschwerdeführerin vorgeschlagen):

1a) "Frontendmodul für Fahrzeuge mit einem Montageträger

(3), der mehrere in unterschiedliche Richtungen verlaufende Abschnitte aufweist zur Aufnahme von Bauteilen des Fahrzeugs,

1b) wobei ein als Kühlmodul (5) ausgebildetes Bauteil in

einem mittleren Bereich des Montageträgers (3) über Befestigungsmittel mit dem Montageträger (3) verbunden ist,

1c) das sich an dem Montageträger eine Luftleiteinheit (17)

anschließt,

1d) die eine Mehrzahl von flexibel ausgebildeten

Luftleitelementen (18, 18', 30, 38)

1e) bestehend aus einem ersten geschäumten Kernmaterial und

einem zweiten geschäumten Oberflächenmaterial aufweist."

Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich vom erteilten Anspruch 1 durch die folgenden zusätzlichen Merkmale:

"dass die Luftleiteinheit (17) durch mehrere, das Kühlmodul (5) rahmenartig umgebende Luftleitelemente (18, 18', 30, 38) gebildet ist, die jeweils formschlüssig mit dem Montageträger (3) verbunden sind, dass die Luftleiteinheit (17) mindestens ein seitliches Luftleitelement (18, 18', 30) aufweist, das sich zumindest im Bereich eines vertikalen Randes (19) des Kühlmoduls (5) zwischen einer Erstreckungsebene des Montageträgers (3) und/oder des Kühlmoduls (5) einerseits und einer in Fahrtrichtung (F) demselben vorgelagerten Fahrzeugaußenhaut andererseits erstreckt und dass die Luftleiteinheit (17) ein Luftleitelement (38) umfasst, das sich zwischen einem Querabschnitt (6) des Montageträgers (3) und einer Oberseite (39) eines Wärmeübertragers (14) des Kühlmoduls (5) erstreckt."

Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 unterscheidet sich vom erteilten Anspruch 1 durch die folgenden zusätzlichen Merkmale:

"wobei das erste geschäumte Kernmaterial und das zweite geschäumte Oberflächenmaterial als ein EPP-Kunststoffmaterial ausgebildet ist."

Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 unterscheidet sich vom erteilten Anspruch 1 indem er sämtliche zusätzliche Merkmale des Anspruchs 1 aus den Hilfsanträgen 1 und 2 enthält.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit

1.1 Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von dem aus D2 offenbarten Frontendmodul unter Berücksichtigung des Fachwissens (Artikel 56 EPÜ).

1.2 Das Frontendmodul aus D2 unterscheidet sich von dem Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 durch Merkmal 1e, nämlich dadurch, dass die Luftleitelemente aus einem ersten geschäumten Kernmaterial und einem zweiten geschäumten Oberflächenmaterial bestehen.

Die Beschwerdegegnerinnen tragen zwar vor, dass D2 auch nicht Merkmal 1d offenbare, da darin ein einstückiger Rahmen (2) offenbart sei und nicht eine Mehrzahl von Luftleitelementen. Die Kammer folgt diesbezüglich aber der Auffassung der Beschwerdeführerin. Der Wortlaut des Anspruchs 1 schließt nicht aus, dass die Luftleitelemente der Luftleiteinheit stoffschlüssig so miteinander verbunden sind, dass sie ein gemeinsames, einstückiges Bauteil bilden (siehe D2). Die zwei Seitenschenkel 17 und 18, sowie die zwei, diese miteinander verbindenden Querschenkel 19 und 20 stellen eine Mehrzahl von flexibel ausgebildeten Luftleitelementen dar.

1.3 Ausgehend von oben genanntem Unterschied formulieren sowohl die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung, als auch die Beschwerdegegnerinnen die objektive technische Aufgabe als eine im Vergleich zum Stand der Technik verbesserte Dichtung mit dabei reduziertem Gewicht, sowie geringeren Herstellungskosten.

Die Beschwerdegegnerinnen argumentieren, dass diese Formulierung der Aufgabe darauf beruhe, dass der genannte Effekt mit dem Merkmal 1e dadurch ermöglicht werde, unterschiedliche Schaumdichten vorzusehen, wobei die Schaumdichte des Oberflächenmaterials kleiner als die des Kernmaterials ausgeführt werden könne. Auf diese Weise könne das Luftleitelement ein kostengünstiges, relativ hartes Kernmaterial und ein relativ weiches Oberflächenmaterials aufweisen. Dabei werde auch ein direktes Aufstecken oder Aufclipsen des Luftleitelementes an angrenzende Bauteile ermöglicht, wobei das Kernmaterial die Stabilität in der Einbaulage des Luftleitelementes und das Oberflächenmaterial aufgrund der partiellen Verformbarkeit den Dichteschluss des Luftleitelementes gewährleiste. Zudem ergäbe sich aus Absatz 34 der Streitpatentschrift die Möglichkeit einer höheren Oberflächentemperatur bei direktem Kontakt mit angrenzenden Bauteilen. Hierdurch könnten besser die mechanischen und/oder thermischen Anforderungen an die Luftführung erfüllt werden.

1.4 Diese Argumentation kann nicht überzeugen, da das Merkmal 1e völlig offen lässt, welche konkrete Eigenschaften (Dicke, Steifigkeit, Dichte, Elastizität, Widerstand, Hitzebeständigkeit, Farbe...) die geschäumten Kern- und Oberflächenmaterialen aufweisen sollen. Merkmal 1e ist nicht auf Materialen mit unterschiedlicher Dichte gerichtet und noch weniger auf ein Kernmaterial mit höherer Dichte als die des Oberflächenmaterials. Aus Merkmal 1e geht auch keine Eigenschaft der Materialen hinsichtlich ihrer Beständigkeit gegen hohe Oberflächentemperaturen hervor. Merkmal 1e stellt einen Unterschied gegenüber der Offenbarung von D2 dar, aber - da der Unterschied zwischen beiden Materialen nicht konkreter im Anspruch spezifiziert wird - kann der Fachmann keine näher spezifizierte technische Wirkung dieses Unterschieds ableiten, da alle möglichen erdenklichen Kombinationen von unterschiedlichen geschäumten Materialen für Kern und Oberflächenschicht unter den Wortlaut des Anspruchs 1 fallen.

Folglich kann die zu lösende Aufgabe allgemein formuliert werden als eine Alternative für die Materialwahl für die Luftleitelemente zu finden.

Wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, stellt es eine offensichtliche und allgemein bekannte Alternative für den Fachmann dar, die geschäumte Luftleiteinheit 2 von D2 aus zwei unterschiedlichen geschäumten Materialien für den Kern und für die Oberflächenschicht herzustellen.

1.5 Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.

2. Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 3 zum Verfahren

2.1 Die Hilfsanträge wurden nach Ablauf der Frist für die Erwiderung auf die Beschwerdebegründung eingereicht und stellen somit eine Änderung des Vorbringens der Beschwerdegegnerinnen im Sinne von Artikel 13(1) VOBK 2020 (Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, Amtsblatt EPA 2019, A63) dar.

2.2 Das vorliegende Beschwerdeverfahren unterliegt der revidierten Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020, Amtsblatt EPA 2019, A63), die am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist (Artikel 24 und 25 (1) VOBK 2020). Die allgemeine Anwendbarkeit der VOBK 2020 umfasst Artikel 13(1) VOBK 2020, unabhängig davon, ob die Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem 1. Januar 2020 erfolgte (vgl. T 2227/15, T 32/16, T 634/16 und T 1386/18).

2.3 Gemäß Artikel 13(1) VOBK 2020 bedürfen Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung rechtfertigender Gründe seitens des Beteiligten und ihre Zulassung steht im Ermessen der Kammer.

Der Artikel bestimmt weiterhin, dass der Beteiligte die Gründe dafür angeben muss, weshalb er die Änderung erst in dieser Phase des Beschwerdeverfahrens einreicht.

Bei der Ausübung ihres Ermessens berücksichtigt die Kammer insbesondere den Stand des Verfahrens, die Eignung der Änderung zur Lösung der von einem anderen Beteiligten im Beschwerdeverfahren in zulässiger Weise aufgeworfenen Fragen oder der von der Kammer selbst aufgeworfenen Fragen, ferner ob die Änderung der Verfahrensökonomie abträglich ist, und bei Änderung einer Patentanmeldung oder eines Patents, ob der Beteiligte aufgezeigt hat, dass die Änderung prima facie die von einem anderen Beteiligten im Beschwerdeverfahren oder von der Kammer aufgeworfenen Fragen ausräumt und keinen Anlass zu neuen Einwänden gibt.

2.4 Mit ihrer Eingabe vom 3. September 2020 haben die Beschwerdegegnerinnen keine Begründung angegeben, weshalb sie die neuen Hilfsanträge 1 bis 3 erst in diesem Stand des Verfahrens eingereicht haben, nämlich kurz vor der mündlichen Verhandlung, geschweige denn die Eignung dieser Änderungen zur Überwindung der in der Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin enthaltenen Einwände der fehlenden erfinderischen Tätigkeit. Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer trugen die Beschwerdegegnerinnen vor, dass die Hilfsanträge eine Reaktion auf die in der Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 geäußerten, vorläufigen Meinung darstellten. Die zusätzlichen Merkmale in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 dienten der Konkretisierung des Merkmals 1c) und diejenige des Hilfsantrags 2 der Konkretisierung des Merkmals 1e).

2.5 Die Kammer hat unter Berücksichtigung der in Artikel 13(1) VOBK 2020 angegebenen Kriterien ihr Ermessen ausgeübt und die Hilfsanträge 1 bis 3 nicht in das Verfahren zugelassen.

Einerseits hätten diese Änderungen bereits in einem früheren Stadium des Beschwerdeverfahrens erfolgen müssen. Die Kammer gab in ihrer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK keine konkrete vorläufige Ansicht hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des erteilten Anspruchs 1 an, sondern wies die Parteien lediglich auf die Punkte des Vortrags der Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung hin, welche aus ihrer Sicht für die zu treffende Entscheidung von besonderer Bedeutung sein werden. Die Beschwerdegegnerinnen hätten bereits mit ihrer Erwiderung Anlass gehabt, die vorgenommenen Änderungen durchzuführen, die auf dem in der Beschwerdebegründung umfänglich diskutierten Sachverhalt beruhen. Die Beschwerdegegnerinnen mussten bereits durch die Beschwerdebegründung damit rechnen, dass die Kammer entweder der Linie der Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung oder derjenige der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung folgen würden, und somit hätten sie die Formulierung von Hilfsanträgen als Rückzugposition bereits mit der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung einreichen müssen, um ihr vollständiges Beschwerdevorbringen vorzulegen.

Zudem erfüllen die Hilfsanträge 1 bis 3 das Erfordernis der prima facie-Gewährbarkeit nicht. Insbesondere - wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen - entspricht die durch die zusätzlichen Merkmale des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 beanspruchte Geometrie der Luftleiteinheit derjenigen Geometrie der Luftleiteinheit (2) in der Figur 2 von D2, so dass diese zusätzlichen Merkmale nicht die Frage der mangelnden erfinderischen Tätigkeit ausräumen können. Dies gilt auch für die zusätzlichen Merkmale in Anspruch 1 des Hilfsantrags 2, da die flexiblen Luftleitelemente (17, 18, 19 und 20) der Luftleiteinheit (2) aus D2 bereits als geschäumtes Formteil aus expandiertem Polypropylen (EPP) ausgebildet sind (siehe Spalte 3, Zeilen 64 - 65 der D2).

Da der Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 eine Kombination der zusätzlichen Merkmale des Anspruchs 1 der Hilfsanträge 1 und 2 ist, trifft das oben Gesagte auch auf den Hilfsantrag 3 zu.

3. Da folglich keine Fassung des Streitpatents vorliegt, welche den Erfordernissen des EPÜ genügt, ist das Patent entsprechend dem Antrag der Beschwerdeführerin zu widerrufen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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