T 0882/18 (Glasbauelement/SIKA) of 3.7.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T088218.20200703
Datum der Entscheidung: 03 Juli 2020
Aktenzeichen: T 0882/18
Anmeldenummer: 13710340.4
IPC-Klasse: C03C17/30
C03C27/04
E04F13/14
C09D183/04
C08G77/16
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: GLASBAUELEMENT UND VERFAHREN ZU DESSEN HERSTELLUNG
Name des Anmelders: Sika Technology AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56 (2007)
Schlagwörter: -
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung EP 13 710 340.4 wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 bis 5 zurückzuweisen.

Die folgenden Dokumente wurden in der Entscheidung zitiert:

D1: EP 0 347 049 A2

D2: US 4,814,230 A

D3: US 7,309,734 B2

D4: US 2009/0202842 A1

II. In der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer hielt die Beschwerdeführerin (Anmelderin) die der Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsanträge 4 und 5 des Einspruchsverfahrens als Hauptantrag, bzw. einzigen Hilfsantrag, aufrecht.

III. Der unabhängige Produktanspruch 1 des Hauptantrags lautet:

"1. Glasbauelement, mit einer kunststoffbeschichteten Glastafel und mehreren hieran befestigten Montageelementen, wobei die Glastafel vollflächig, insbesondere mit einem Elastomer auf Siliconbasis, beschichtet ist und die Beschichtung zugleich eine Klebeverbindung mit einem auf der Glastafel aufliegenden Abschnitt der Montageelemente herstellt, wobei das Ausgangsmaterial für die Beschichtung eine kondensationsvernetzende, zweikomponentige Siliconzusammensetzung bestehend aus einer Komponente A umfassend

- mindestens ein Hydroxylgruppen terminiertes Polydiorganosiloxan P;

und einer Komponente B umfassend

- mindestens einen Vernetzer für Polydiorganosiloxane; sowie

- mindestens einen Katalysator für die Vernetzung von Polydiorganosiloxanen,

ist, und wobei der Vernetzer ein Silan der Formel (II) (R**(6))s-Si-(OR**(7))4-s (II)

ist, wobei R**(6) unabhängig voneinander für einen linearen oder verzweigten, einwertigen Kohlenwasserstoffrest mit 1 bis 12 C-Atomen, welcher gegebenenfalls ein oder mehrere Heteroatome, und gegebenenfalls eine oder mehrere C-C-Mehrfachbindungen und/oder gegebenenfalls cycloaliphatische und/oder aromatische Anteile aufweist, R**(7) für ein Wasserstoffatom, oder für einen Alkylrest mit 1 bis 12 C-Atomen, oder für einen Oximrest mit 1 bis 12 C-Atomen, oder für einen Acylrest mit 1 bis 12 C-Atomen steht und der Index s für einen Wert von 0, 1 oder 2 steht."

IV. Der unabhängige Verfahrenanspruch 8 des Hauptantrags lautet:

"8. Verfahren zur Herstellung eines Glasbauelements nach einem der vorangehenden Ansprüche, wobei ein Ausgangsmaterial der Beschichtung im flüssigen oder pastösen Zustand auf die Glastafel derart aufgegossen oder -gespritzt wird, dass sich eine ebene Oberfläche durch Verlaufen ausbildet, oder aufgerakelt wird oder aufgewalzt wird."

Die Ansprüche 2 bis 7, bzw. 9 und 10 beschreiben bevorzugte Ausführungsformen des Gegenstands der Ansprüche 1 und 8.

V. Die für den unabhängigen Anspruch 1 vorgetragenen und für die Entscheidung relevanten Argumente können wie folgt zusammengefasst werden:

Die Beschwerdeführerin sieht die D1 als geeigneten nächstliegenden Stand der Technik an, weil es Glastafeln mit adhäsiv darauf aufgebrachten Befestigungselementen als Bauwerkselemente beschreibe und somit eine vergleichbare Anwendung zeige.

Die D2, D3 und D4 zeigten dagegen Glasplatten mit einer dünnen Beschichtung. Keines der letztgenannten Dokumente zeige ein Befestigungselement.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von der D1 u.a. durch folgende Merkmale:

1) Die D1 offenbart kein vollflächiges Auftragen der Silikonschicht

2) Die D1 offenbart nicht mehrere mittels der Silikonschicht befestigte Montageelemente

VI. Diese Merkmale seien durch den zitierten Stand der Technik nicht nahe gelegt. Weil die Silikonschicht auch die Funktion bereitstelle, ein Montageelement zu halten, sei eine gewisse Dicke erforderlich. Diese führe zu einem verbesserten Bruchverhalten und bewirke eine höhere Festigkeit des gesamten Glasbauelements. Die Dicke der Silikonschicht übersteige fertigungsbedingt implizit die Dicke der in der D2 bis D4 offenbarten Schichten. Die gegenüber der D1 höhere Anzahl von Montageelementen verbessere die Krafteinleitung in das Glasbauelement.

VII. Die Beschwerdeführerin beantragt die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage des Hauptantrags, eingereicht als Hilfsantrag 4 mit der Beschwerdebegründung, hilfsweise auf der Grundlage des (einzigen) Hilfsantrags, eingereicht als Hilfsantrag 5 mit der Beschwerdebegründung, zu erteilen.

Entscheidungsgründe

1. Grundlage der Änderungen, Art. 123(2) EPÜ

Anspruch 1 des vorliegenden Hauptantrags findet eine Grundlage in der Kombination der Ansprüche 1, 7 und 8, sowie der allgemeinen Lehre der Seite 14/19, letzter Absatz (mehrere Montageelemente) und Seite 6/19, Zeile 30 bis Seite 7/19, Zeile 16 (Vernetzer) der ursprünglich eingereichten Anmeldung.

Anspruch 8 des vorliegenden Hauptantrags findet eine Grundlage im ursprünglichen Anspruch 10.

Die Ansprüche 2-7 und 9-10 des vorliegenden Hauptantrags finden eine Grundlage in den Ansprüchen 2-6, 9 und 11-12 der ursprünglich eingereichten Anmeldung.

2. Klarheit und Stützung, Art. 84 EPÜ

Die Kammer sieht den Wortlaut der Ansprüche als klar an, sodass diese die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ erfüllen.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 verlangt eine vollflächige Beschichtung der Glastafel. Die Einschränkung auf der Seite 2/19, Zeile 21 der Beschreibung relativiert jedoch diesen an sich klaren Begriff und stellt daher eine Inkonsistenz zwischen den Ansprüchen und der Beschreibung dar. Die Anmelderin erklärte, dass die Anmeldung ausschließlich auf die gesamte Glastafel aufgebrachte Beschichtungen abziele.

Dieser Widerspruch ist im Rahmen der Anpassung der Beschreibung an die Ansprüche zu beseitigen.

3. Neuheit, Art. 54(1) und (2) EPÜ

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von der D1 zumindest in der vollflächigen Silikonbeschichtung und von der D2 - D4 zumindest durch das Montageelement.

4. Erfinderische Tätigkeit, Art. 56 EPÜ

4.1 Die Erfindung betrifft die vorteilhafte Ausgestaltung von Glasbauelementen, die Glastafeln und daran befestigte Montageelemente umfassen.

4.2 Bei der Wahl des nächstliegenden Standes der Technik ist nach gängiger Rechtsprechung vor allem auf den gleichen Zweck bzw. dieselbe Wirkung wie die Erfindung abzustellen.

Die D1 betrifft eine Verbesserung für Glasplatten für äußere Gebäudewände, die auf Metallelemente geklebt sind, die ihrerseits an einer Rahmenstruktur des Gebäudes befestigt sind (Seite 2, Zeilen 12-14). Die in der D1 beschriebene Verbesserung ist eine Grundierung für den Kleber zur Befestigung der Metallelemente an die Glasplatte.

Die D2 betrifft eine Glastafel mit einer Silikonschicht (Anspruch 1), welche wässrig in einer Dicke von 0,1-0,5 mm aufgebracht (Spalte 3, Zeilen 33-36) und anschließend ausgehärtet wird. Das Ziel der Beschichtung ist eine opake Glastafel mit verbesserter Zugfestigkeit und Wärmedämmung herzustellen (Spalte 1, Zeilen 30-32). Zudem wird das Bruchverhalten verbessert (Spalte 4, Zeilen 32-35). Die D2 enthält keinen Hinweis darauf, wie das Glaselement am Gebäude befestigt wird.

Die D3 betrifft eine Glastafel mit einer dünnen Silikonschicht (Anspruch 1), welche als Zweikomponentensystem (Spalte 2, Zeile 56) in einer Dicke von 4 - 8 mils (0,1-0,2 mm) aufgebracht (Spalte 4, Zeile 5) und anschließend ausgehärtet wird. Das Ziel der Beschichtung ist eine opake Glastafel mit verbesserter Zugfestigkeit in hoher Geschwindigkeit herzustellen (Spalte 1, Zeilen 50-53). Die D3 enthält keinen Hinweis darauf, wie das Glaselement am Gebäude befestigt wird.

Die D4 betrifft eine Glastafel mit einer dünnen Silikonschicht (Anspruch 10), welche als Zweikomponentensystem (Absatz [0013]) in einer Dicke von 3-10 mils (0,08-0,25 mm) aufgebracht (Absatz [0017]) und anschließend ausgehärtet wird. Die D4 offenbart, dass solche Glasplatten typischerweise an die Gebäudestruktur durch Klebverbindungen auf der beschichteten Glasseite angebracht werden. Daher wäre die Integrität und Dauerhaftigkeit der Verbindung zwischen Glas und Beschichtung von kritischer Bedeutung (Absatz [0002]). Das Ziel der Beschichtung ist eine opake Glastafel mit verbesserter Zugfestigkeit in hoher Geschwindigkeit herzustellen, welche eine dauerhafte Verbindung mit den in der Baukonstruktion üblichen Klebemassen zeigt (Absatz [0005]).

Angesichts dieses Standes der Technik ist die D1 der erfolgversprechendste Ausgangspunkt für einen Einwand einer mangelnden erfinderischen Tätigkeit, weil es zumindest auf die Absicht, eine Glastafel mit einem aufgeklebtem Montageelement bereitzustellen, gerichtet ist.

4.3 Die Patentanmeldung beschreibt als Zielsetzung u.a. die Erzielung einer innigen stoffschlüssigen Verbindung zwischen Glastafel und Montageelementen (Seite 14/19, Zeilen 30-32) und eines verbesserten Bruchverhaltens zum erleichterten Einhalten von Sicherheitsbestimmungen (Seite 2/19, Zeilen 33-35).

4.4 Als Lösung dieser Aufgabe schlägt die Beschwerdeführerin ein Glasbauelement gemäß Anspruch 1 vor, welches insbesondere durch

- einen vollflächig auf die Glastafel aufgebrachten Silikonkleber,

- das Vorhandensein mehrerer Montageelemente und

- die Klebeverbindung der Montageelemente auf der Glasplatte durch den Silikonkleber

gekennzeichnet ist.

4.5 Die Kammer hat keinen Zweifel, dass die gestellte Aufgabe durch die Merkmale des Anspruchs 1 tatsächlich gelöst wird.

4.6 Somit gilt es zu klären, ob, ausgehend vom nächstliegenden Stand der Technik, ein erfinderischer Schritt notwendig war, um zum beanspruchten Gegenstand zu gelangen.

4.6.1 Die D1 legt nahe, dass die Schichtdicke des Klebers zum Befestigen des (einen) Montageelements mehrere Millimeter beträgt (Beispiel 1: 6,5 mm). Die Verwendung mehrerer Montageelemente wird nicht beschrieben.

4.6.2 Die Anmelderin macht geltend, dass zum Befestigen eines Montageelements eine Schichtdicke des Klebers nötig ist, die die Schichtdicke der Beschichtungen in der D2 bis D4 um ein Vielfaches übersteigt. Diese Behauptung ist konsistent mit der Offenbarung der D2 bis D4. Keines dieser Dokumente zeigt, dass die Beschichtung auch als Kleber benutzt werden könnte, geschweige denn als Kleber für ein Montageelement. Sie zeigen dünne, nur wenige Zehntelmillimeter dicke, farbige Beschichtungen zum Herstellen einer opaken Glastafel bei gleichzeitiger Verbesserung der Zugfestigkeit und ggf. des Bruchverhaltens.

4.6.3 Für die Kammer ist es daher plausibel, dass für eine Verbindung zwischen Glastafel und Montageelement eine erheblich höhere Kleberschichtdicke nötig ist, als für eine Beschichtung um nur opake Glastafeln mit einer höheren Zugfestigkeit und verbesserten Brucheigenschaften zu erzeugen. Eine vergleichsweise hohe Schichtdicke ist daher im Wortlaut des Anspruchs 1 zum Zwecke der Befestigung der Montageelemente impliziert.

4.6.4 Die D4 offenbart ausdrücklich, dass Glastafeln typischerweise an die Gebäudestruktur durch Klebeverbindungen auf der beschichteten Glasseite angebracht werden, wobei der Kleber auf die Beschichtung aufgebracht wird (Absätze [0002] und [0005]). Unter diesem Gesichtspunkt müssen auch die D2 und die D3 analysiert werden. Sie offenbaren zwar keine Befestigungsmethode, jedoch offenbaren sie Glastafeln der gleichen Bauart wie die D4. Ein Fachmann würde genauso wie für die D4 eine zusätzliche Schicht eines Klebers zum Befestigen des Montageelements auf der Beschichtung vorsehen.

4.6.5 Auf der Basis der Entgegenhaltungen D2 bis D4 kann die Kammer nicht erkennen, dass die darin offenbarten Beschichtungssysteme als Kleber überhaupt geeignet sind. Selbst wenn dies der Fall wäre, würde der Fachmann von der Verwendung der beschriebenen Materialien als Klebeverbindung Abstand nehmen, da sich der Materialverbrauch und insbesondere der Pigmentverbrauch, ohne Hinweis auf erkennbare Vorteile vervielfachen würde.

4.6.6 Aus der D2 bis D4 erhält der Fachmann daher keinen Hinweis, den Kleber in der D1 vollflächig auf die Glastafel auszubringen. Er würde den hohen Materialverbrauch, der sich dadurch ergibt, nicht hinnehmen. Stattdessen würde er eine von der Klebung verschiedene Beschichtung, wie in den Dokumenten D2 bis D4 vorgeschlagen, aufbringen.

4.6.7 Die Dokumente D2 bis D4 stellen weniger geeignete Ausgangspunkte zum Erreichen des Erfindungsgegenstandes dar. Ein Fachmann, der von diesen Schriften ausgehend nach Lösungen zur Anbringung der Glaselemente an Hausfassaden suchen würde, würde zwar Montageelemente vorsehen, hätte jedoch angesichts der zur Verklebung nicht ausreichenden Dicke der jeweiligen Beschichtung weder die Option, auf einen geeigneten Kleber im Bereich der Montageflächen zu verzichten, noch würde er in diesen Schriften oder der D1 einen Anhaltspunkt finden, einen solchen Kleber vollflächig auf das gesamte Glaselement aufzubringen. Eine Kombination der Schriften D2 bis D4 mit der D1 würde ihn daher auch nicht zur patentgemäßen Lösung führen.

4.6.8 Somit ist, auf der Grundlage der vorliegenden Entgegenhaltungen, eine erfinderische Tätigkeit für den Gegenstand des Anspruchs 1 anzuerkennen.

4.6.9 Der unabhängige Verfahrensanspruch 8 ist auf ein Verfahren zur Herstellung des beanspruchten Glasbauelements gerichtet und erfüllt somit ebenso die Voraussetzungen des Artikels 56 EPÜ.

4.6.10 Analoge Überlegungen gelten für die abhängigen Ansprüche.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die 1. Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent auf der Grundlage des Hauptantrags, eingereicht als 4. Hilfsantrag mit der Beschwerdebegründung, und einer anzupassenden Beschreibung zu erteilen.

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