European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2021:T080218.20210114 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 14 Januar 2021 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0802/18 | ||||||||
Anmeldenummer: | 11181519.7 | ||||||||
IPC-Klasse: | C22F1/05 B62D29/00 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Herstellverfahren für AlMgSi-Aluminiumband | ||||||||
Name des Anmelders: | Hydro Aluminium Rolled Products GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | 1.Aleris Aluminum Duffel BVBA 2.Novelis Inc. 3.Arconic Corporation |
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Kammer: | 3.3.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein) Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (nein) Erfinderische Tätigkeit - naheliegende Alternative Spät eingereichte Hilfsanträge Spät eingereichter Antrag - eingereicht mit der Beschwerdebegründung Spät eingereichter Antrag - zugelassen (nein) Spät eingereichter Antrag - Antrag hätte bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht werden können (ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) betrifft die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent EP 2 570 509 B zu widerrufen.
II. Unter anderem die folgenden Dokumente waren Gegenstand des Einspruchsverfahrens:
D2a|JP 2007-254825A |
D2b|englische Übersetzung von D2a|
D4a|EP 2 270 249 A1 |
D11|US 4 808 247 A |
III. In der angefochtenen Entscheidung war die Einspruchsabteilung unter anderem zum Schluss gekommen, dass der Gegenstand des damaligen Hauptantrages, der dem jetzigen Hauptantrag entspricht, nicht neu und der Gegenstand des damaligen ersten Hilfsantrages, der dem jetzigen ersten Hilfsantrag entspricht, nicht erfinderisch sind.
IV. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin zusätzlich die Hilfsanträge 2 bis 4 ein.
V. In einer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 hatte die Kammer ihre vorläufige Meinung ausgedrückt, wonach:
- der Hauptantrag wahrscheinlich die Erfordernisse von Artikel 54 EPÜ, nicht aber die von Artikel 56 EPÜ erfülle,
- der erste Hilfsantrag wahrscheinlich die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ nicht erfülle,
- die Hilfsanträge 2 bis 4 unter Artikel 12(4) VOBK 2007 wahrscheinlich nicht berücksichtigt würden und
- die Beschwerde daher möglicherweise zurückgewiesen werde.
VI. Vor der mündlichen Verhandlung reagierte die Beschwerdeführerin in einem Schreiben mit weiteren Argumenten auf diese Mitteilung.
VII. Der Wortlaut des unabhängigen Anspruchs des Hilfsantrags 1 lautet wie folgt (Hervorhebung der zusätzlichen Merkmale im Vergleich zum Hauptantrag durch die Kammer):
"1. Verfahren zur Herstellung eines Bands aus einer AlMgSi-Legierung, bei welchem ein Walzbarren aus einer AlMgSi-Legierung gegossen wird, der Walzbarren einer Homogenisierung unterzogen wird, der auf Warmwalztemperatur gebrachte Walzbarren warmgewalzt, anschließend optional auf Enddicke kaltgewalzt und das fertig gewalzte Band lösungsgeglüht und abgeschreckt wird, dadurch gekennzeichnet, dass die Temperatur des Warmbandes nach dem vorletzten Walzstich mehr als 250°C beträgt, das Warmband unmittelbar nach dem Auslauf aus dem letzten Warmwalzstich eine Temperatur von mehr als 130°C bis 250°C, vorzugsweise bis 230°C aufweist und das Warmband mit dieser Temperatur aufgewickelt wird."
VIII. Der unabhängige Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 enthält nach "dadurch gekennzeichnet, dass" im Vergleich zum Hilfsantrag 1 zusätzlich folgendes Merkmal:
"... die Temperatur des Warmbandes vor dem Start des Abkühlprozesses, welcher innerhalb der letzten beiden Walzstiche stattfindet, mindestens 400°C beträgt, wobei ..."
IX. Der unabhängige Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 enthält nach "dadurch gekennzeichnet, dass" im Vergleich zum Hilfsantrag 1 zusätzlich folgende Merkmale und Streichungen (Hervorhebung durch die Kammer):
"... die Temperatur des Warmbandes vor dem Start des Abkühlprozesses, welcher innerhalb der letzten beiden Walzstiche stattfindet, mindestens 400°C beträgt, wobei die Temperatur des Warmbandes nach dem vorletzten Walzstich [deleted: mehr als 250°C] zwischen 290°C bis 310°C beträgt ..."
X. Der unabhängige Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 enthält nach "dadurch gekennzeichnet, dass" zusätzlich folgende Merkmale und Streichungen im Vergleich zum Hilfsantrag 1 (Hervorhebung durch die Kammer):
"... die Temperatur des Warmbandes vor dem Start des Abkühlprozesses, welcher innerhalb der letzten beiden Walzstiche stattfindet, 470°C bis 490°C beträgt, wobei die Temperatur des Warmbandes nach dem vorletzten Walzstich [deleted: mehr als 250°C] zwischen 290°C bis 310°C beträgt ..."
XI. Die für die vorliegende Entscheidung wesentlichen Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:
D11 offenbare nicht die beanspruchte Temperatur während des Aufwickelns des Bands. Die in D11 angegebene Warmwalzendtemperatur entspräche zudem wegen der möglichen Kühlung des Bandes durch einen hinter den Walzen angeordneten Platinenkühler nicht notwendigerweise der in Anspruch 1 genannten Temperatur unmittelbar nach dem Auslauf aus dem letzten Warmwalzstich.
Nicht D11 sei nächstliegender Stand der Technik, sondern D4a. Der Gegenstand von Anspruch 1 sei jedoch weder durch D4a noch durch D11 nahegelegt, da es im vorliegenden Stand der Technik keinen Hinweis gebe, die Temperatur bereits während des letzten Walzstichs auf die beanspruchte Temperatur abzusenken.
Der Hauptantrag erfülle daher die Erfordernisse des EPÜ.
Die Hilfsanträge 1 bis 4 seien zuzulassen und erfüllten ebenfalls die Erfordernisse des EPÜ.
XII. Die für die vorliegende Entscheidung wesentlichen Argumente der Beschwerdegegnerinnen können wie folgt zusammengefasst werden:
Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrages sei gegenüber D11 nicht neu. Die beanspruchte Temperatur beim Aufwickeln des Warmbandes sei implizit offenbart.
Zumindest sei der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrages gegenüber D11 nicht erfinderisch.
Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrages 1 sei gegenüber D11 ebenfalls nicht neu und nicht erfinderisch.
Die Hilfsanträge 2 bis 4 seien nach Artikel 12(4) VOBK 2007 nicht zu berücksichtigen.
XIII. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung im Einspruchsverfahren eingereichten Hauptantrages aufrechtzuerhalten.
Hilfsweise beantragte sie, das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage eines von vier mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträgen aufrechtzuerhalten.
Die Beschwerdegegnerinnen 1, 2 und 3 beantragten die Zurückweisung der Beschwerde.
Entscheidungsgründe
Hauptantrag und Hilfsantrag 1
1. Neuheit
1.1 Der Gegenstand der Ansprüche 1 beider Anträge ist neu gegenüber D11.
Beispiel 2 von D11, welches von den Beschwerdegegnerinnen herangezogen wurde, offenbart nicht notwendigerweise ein Aufwickeln mit der Temperatur unmittelbar nach dem Auslauf aus dem letzten Warmwalzstich, auch wenn ein Aufwickeln nach Spalte 8, Zeilen 37 bis 40, gewöhnlich das Ergebnis des Warmwalzens ist.
Selbst wenn man annimmt, dass ein Aufwickeln im Beispiel 2 implizit offenbart sei, und man davon ausgeht, dass das Temperaturerfordernis nach dem Auslauf aus dem letzten Walzstich erfüllt ist (siehe Argumentation zur erfinderischen Tätigkeit), kann der beanspruchte Gegenstand dennoch nicht als neuheitsschädlich vorweggenommen angesehen werden:
Die Parteien stimmen insofern überein, dass minimale Temperaturänderungen zwischen dem Warmwalzen und einem Aufwickeln beispielsweise wegen Konvektions- und/oder Wärmestrahlungseffekten während des Transportes zwischen den Warmwalzen und der Aufwickelhaspel unvermeidbar sind.
Neben dieser unvermeidlichen Temperaturänderung kann jedoch eine Abkühlung von der Temperatur unmittelbar nach dem Auslauf aus dem letzten Warmwalzstich bis zum Aufwickeln auf 130°C oder darunter nicht ausgeschlossen werden. So könnte eine außergewöhnlich lange Distanz zwischen den Warmwalzen und der Aufwickelhaspel und/oder außergewöhnlich starke Abkühlungsvorgänge des Bandes in diesem Bereich durch Konvektion und/oder Wärmestrahlung zu einer außergewöhnlich starken Abkühlung bis unterhalb des beanspruchten Bereichs führen.
1.2 Daher offenbart Beispiel 2 von D11, selbst in Zusammenschau mit dem allgemeinen Teil, nicht notwendigerweise direkt und unmittelbar ein Aufwickeln bei der Temperatur unmittelbar nach dem Auslauf aus dem letzten Warmwalzstich.
2. Erfinderische Tätigkeit
Aus den folgenden Gründen ist der Gegenstand von Anspruch 1 von Hilfsantrag 1, und damit auch der des hinsichtlich des Schutzbereichs breiteren Hauptantrages, nicht erfinderisch (Artikel 56 EPÜ):
2.1 Die Erfindung
Der Gegenstand von Anspruch 1 des ersten Hilfsantrages betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines Bands aus einer AlMgSi-Legierung.
2.2 Nächstliegender Stand der Technik
Da D11, insbesondere Beispiel 2, wie hierunter gezeigt das gleiche technische Gebiet und die gleiche Aufgabe wie das Streitpatent betrifft, sowie eine Vielzahl von übereinstimmenden Merkmalen aufweist, ist D11 ein geeigneter Startpunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.
2.2.1 So ist unbestritten, dass das Beispiel 2 von D11 in Zusammenschau mit Spalte 4, Zeile 23, bis Spalte 5, Zeile 1, sowie Spalte 8, Zeilen 37 bis 44, ein Verfahren zur Herstellung eines Bandes aus einer AlMgSi-Legierung offenbart, bei welchem ein Walzbarren aus einer AlMgSi-Legierung gegossen wird, der Walzbarren einer Homogenisierung unterzogen wird, der auf Warmwalztemperatur gebrachte Walzbarren warmgewalzt, anschließend optional auf Enddicke kaltgewalzt und das fertig gewalzte Band lösungsgeglüht und abgeschreckt wird.
2.2.2 Laut Beispiel 2 beträgt die Temperatur zu Beginn des Warmwalzens ("starting temperature") 530°C und am Ende des Warmwalzens ("finishing temperature) zwischen 200°C und 250°C.
Die Beschwerdeführerin ist allerdings der Auffassung, dass diese Temperatur am Ende des Warmwalzens wegen eines möglicherweise in der Warmwalzvorrichtung hinter den Warmwalzen vorhandenen Platinenkühlers (siehe beispielsweise Figur 1b (5') des Streitpatents) nicht notwendigerweise der Temperatur "unmittelbar nach dem Auslauf aus dem letzten Warmwalzstich" entspreche, wie es Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags erfordert; vielmehr sei die Temperatur unmittelbar am Walzspalt gemeint.
Die Kammer teilt diese Auffassung nicht. Nach D11 Spalte 8, Zeilen 37 bis 44, ist das aufgewickelte Band gewöhnlich das Ergebnis des Warmwalzens. Weder in Beispiel 2, noch im allgemeinen Teil von D11 werden weitere Verfahrensschritte zwischen dem Warmwalzen und dem Aufwickeln genannt, ganz zu schweigen von einem Kühlschritt.
Außerdem steht die Anspruchsauslegung der Beschwerdeführerin, wonach ein direkt hinter den Warmwalzen angeordneter Platinenkühler wegen des Wortes "unmittelbar" in Anspruch 1 ausgeschlossen sei, im Widerspruch zur Beschreibung des Streitpatents: Im erfindungsgemäßen Ausführungsbeispiel in Abschnitt [0033] wird die beanspruchte Endtemperatur zwischen 200°C und 230°C ausdrücklich erst "am Ausgang des Platinenkühlers 5' " erreicht.
Auch der darauffolgende Abschnitt [0034], in dem eine Kühlung durch den Platinenkühler 5 genannt wird, schließt eine Kühlung durch den Platinenkühler 5' nicht aus.
Dass die Temperatur am Ausgang des Walzspalts zu bestimmen sei, ist ebenfalls nicht überzeugend, denn von einem Walzspalt ist weder in Anspruch 1 noch in der Beschreibung des Streitpatents die Rede.
Auch das Argument der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang, dass der Platinenkühler 5' nicht unbedingt aktiv kühlen müsse, überzeugt nicht. Bereits das Wort Platinenkühler impliziert im Kontext des Ausführungsbeispiels für den Fachmann, dass auch tatsächlich gekühlt wird.
Somit kann das Wort "unmittelbar" in Anspruch 1 zumindest insofern breiter ausgelegt werden, dass es sich bei der "[Temperatur] unmittelbar nach dem Auslauf aus dem letzten Warmwalzstich" auch um die Temperatur am Ausgang eines den Warmwalzen nachgeordneten Platinenkühlers handeln kann.
Aus diesen Gründen entspricht die "finishing temperature" aus Beispiel 2 von D11 sehr wohl der beanspruchten "[Temperatur des Warmbands] unmittelbar nach dem Auslauf aus dem letzten Warmwalzstich" in Anspruch 1.
2.2.3 Laut Spalte 2, Zeilen 37 bis 43 ist es das Ziel in D11, Aluminiumlegierungen mit einem guten Umformverhalten und guten mechanischen Eigenschaften zu erhalten ("improved forming characteristics", "yield strength of 15 kg/mm**(2) or more").
Dazu ist es laut Spalte 8, Zeilen 23 bis 60, wichtig, die Bildung von groben Mg2Si-Ausscheidungen zu vermeiden (siehe insbesondere die Zeilen 23 bis 28).
2.3 Aufgabe laut Streitpatent
Laut Abschnitt [0004] des Streitpatents ist die zu lösende Aufgabe das Bereitstellen eines prozesssicheren Herstellungsverfahrens eines Bands aus einer AlMgSi-Legierung mit sehr gutem Umformverhalten im kalt ausgehärteten Zustand T4.
Laut Abschnitt [0003] des Streitpatents ist es dafür erforderlich, die Bildung von groben Mg2Si-Ausscheidungen zu vermeiden.
2.4 Erfolg
Es wird zwar nicht bestritten, dass die Aufgabe tatsächlich gelöst wird, aber da D11 ebenfalls die Formbarkeit verbessert und grobe Mg2Si-Ausscheidungen durch die Wahl bestimmter Parameter während des Warmwalzens vermeidet, unter anderem einer Maximaltemperatur am Ende des Warmwalzens im beanspruchten Bereich (siehe Punkt 2.2.2), wird die im Streitpatent gestellte Aufgabe in D11 bereits gelöst.
Im Streitpatent werden auch nur Vorteile gegenüber dem Stand der Technik in Form von D4a genannt (Abschnitte [0004] bis [0006]).
Nach Auffassung der Beschwerdeführerin wird durch den Temperaturbereich von mehr als 250°C nach dem vorletzten Walzstich die Aufgabe gelöst, dass ein Einfrieren der Mg2Si-Ausscheidungen potenziell möglich gemacht wird. Dies werde in Abschnitt [0010] des Streitpatents ausgeführt.
Die Kammer merkt dazu an, dass nach Abschnitt [0010] des Streitpatents ein "Einfrieren" der Mg2Si-Ausscheidungen lediglich im relativ engen Unterbereich zwischen 290°C und 310°C auftritt. Dafür, dass das es substantiell im gesamten beanspruchten Bereich von mehr als 250°C auftritt, also insbesondere auch zwischen 250°C und 290°C einerseits und oberhalb von 310°C andererseits, gibt es dagegen keine Anhaltspunkte.
Die Parteien stimmen des weiteren überein, dass der Temperaturbereich, in dem ein Risiko zur Ausbildung von groben Mg2Si-Ausscheidungen besteht, in Einklang mit Abschnitt [0003] des Streitpatents zwischen 230°C und 550°C liegt. Dadurch, dass die beanspruchte Mindesttemperatur von 250°C nach dem vorletzten Walzstich aber mitten innerhalb dieses Bereiches liegt, ist mit ihr bezüglich der groben Mg2Si-Ausscheidungen kein besonderer Effekt verbunden.
Angesichts der "globalen" Abkühlung im Beispiel 2 von D11 von 530°C auf 200°C bis 250°C während des Warmwalzens handelt es sich bei einer Abkühlung (auch) während des letzten Warmwalzstich ebenfalls nicht um einen überraschenden Effekt, insbesondere, da ja der Durchlauf durch einen eventuell vorhandenen Platinenkühler hinter den Warmwalzen vom Anspruchswortlaut nicht ausgeschlossen ist (siehe auch Punkt 2.2.2).
2.5 Neuformulierung der Aufgabe
Aus den zuvor genannten Gründen gibt es keinen Beleg für einen überraschenden Effekt, und die zu lösende Aufgabe ist lediglich das Bereitstellen eines alternativen Verfahrens zur Herstellung eines Bandes aus einer AlMgSi-Legierung ohne grobe Mg2Si-Ausscheidungen.
2.6 Vorgeschlagene Lösung
Es wird vorgeschlagen, diese Aufgabe mittels des Herstellungsverfahrens von Anspruch 1 des Hilfsantrages 1 zu lösen, welches dadurch gekennzeichnet ist, dass:
(a) die Temperatur des Warmbandes nach dem vorletzten Walzstich mehr als 250°C beträgt und
(b) das Warmband nach dem Warmwalzen mit der Temperatur unmittelbar nach dem letzten Warmwalzstich aufgewickelt wird.
2.7 Erfolg
Es wird nicht bestritten, dass die Aufgabe des Bereitstellen eines alternativen Herstellungsverfahrens erfolgreich gelöst wird. Auch die Kammer sieht keinen gegenteiligen Hinweis.
2.8 Naheliegen
2.8.1 Was die Temperatur nach dem vorletzten Walzstich angeht (Unterschied (a)), wird der beanspruchte Temperaturbereich von mehr als 250°C in Beispiel 2 von D11 keineswegs ausgeschlossen. Vielmehr wird der Unterbereich zwischen 250°C und 530°C in Anbetracht der Warmwalzanfangstemperatur von 530°C und der -end-temperatur zwischen 200°C und 250°C zwangsläufig während des Warmwalzens durchlaufen.
Dass die Temperatur nach dem vorletzten Warmwalzstich mehr als 250°C beträgt, und nicht darunter, und damit eine Abkühlung auch während des letzten Walzstichs geschieht, wobei die Verwendung eines Platinenkühlers aus den unter Punkt 2.2.2 genannten Gründen auch hier nicht ausgeschlossen ist, stellt somit lediglich eine naheliegende Alternative dar. Nach gängiger Rechtsprechung ist für die weniger ambitionierte Aufgabe einer Alternative ein Hinweis auf das nicht offenbarte Merkmal nicht zwingend erforderlich (siehe beispielsweise T 2044/09, Entscheidungsgründe 4.6).
2.8.2 Was das Aufwickeln betrifft (Unterschied (b)), offenbart D11 in Spalte 8, Zeilen 37 bis 40, dass das Produkt des Warmwalzens für gewöhnlich aufgewickelt wird ("coil, which is usually the product of hot rolling"). Es kann kein Grund gesehen werden, warum der Fachmann dies nicht auch für die Bänder aus Beispiel 2 tun würde.
Zudem ist mit der beanspruchten Aufwickeltemperatur kein unerwarteter Effekt verbunden.
Dass der Fachmann ausgehend von Beispiel 2 von D11 eher eine niedrigere Aufwickeltemperatur wählen würde, um schneller zur Temperatur des Kaltwalzens zu gelangen, ist spekulativ. Einerseits wird dies in D11 nicht thematisiert und andererseits bleibt das Band bei höheren Temperaturen besser verformbar, was das Aufwickeln vereinfacht.
Unter diesen Umständen handelt es sich bei einer Aufwickeltemperatur, die der Temperatur unmittelbar nach dem Auslauf aus dem letzten Warmwalzstich gleicht, und einer Aufwickeltemperatur, die wegen Abkühlungseffekten niedriger ist, lediglich um naheliegende Alternativen.
2.8.3 Nach Auffassung der Beschwerdeführerin würde der Fachmann hingegen gar nicht erst versuchen, die Warmwalzbedingungen von D11 zu ändern, da bereits der Warmwalzvorgang von D11 nicht zu groben Mg2Si-Partikeln führt. In dieser Hinsicht verweist die Beschwerdeführerin auf Spalte 8, Zeilen 44 bis 60.
Dieses Argument überzeugt nicht, denn in D11 wird die Bildung von groben Mg2Si-Ausscheidungen während des Warmwalzens verringert, indem:
- die Temperatur zu Beginn des Warmwalzens eine bestimmte Mindesttemperatur nicht unterschreitet (Spalte 8, Zeilen 28 bis 37, sowie Spalte 4, Zeilen 47/48) und
- die Temperatur am Ende des Warmwalzens eine bestimmte Höchsttemperatur nicht überschreitet (Spalte 8, Zeilen 37 bis 44) und
Außerdem soll der dazwischen liegende Temperaturbereich, in dem das Risiko von sich ausbildenden groben Mg2Si-Ausscheidungen erhöht ist, relativ zügig durchschritten werden, wie dies auch bereits in den Warmwalzverfahren vor D11 der Fall war (Spalte 8, Zeilen 44 bis 53, "ordinary hot-rolling process").
Ein gewisses Restrisiko bleibt jedoch trotzdem: Während die Bildung von groben Mg2Si-Ausscheidungen unwahrscheinlich ist ("a coarse pricipation of Mg2Si particles ... is unlikely to occur"; Spalte 8, Zeilen 52 und 53), kann sie nicht ausgeschlossen werden.
Der Fachmann würde also trotzdem versuchen, dieses Risiko noch weiter zu vermindern.
2.9 Aus diesen Gründen ist der Gegenstand von Anspruch 1 des ersten Hilfsantrages gegenüber D11 nicht erfinderisch (Artikel 56 EPÜ).
2.10 Da in Anspruch 1 des Hauptantrages im Vergleich zu dem des ersten Hilfsantrages breiter ist, da das Merkmal bezüglich der Temperatur nach dem vorletzten Warmwalzstich fehlt, ist zwangsläufig auch der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrages nicht erfinderisch (Artikel 56 EPÜ).
2.11 Da der Gegenstand von Anspruch 1 des Haupt- und ersten Hilfsantrages gegenüber D11 naheliegend ist, erübrigt sich eine Rechtfertigung, warum nicht D4a als nächstliegender Stand der Technik zu betrachten ist (siehe beispielsweise T 1742/12, Entscheidungsgründe 6.6, oder T 967/97, Orientierungssatz II).
Hilfsanträge 2 bis 4
Aus den folgenden Gründen werden die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 2 bis 4 nicht berücksichtigt (Artikel 25(2) VOBK 2020 und 12(4) VOBK 2007):
3. Hilfsantrag 2
3.1 In ihrer Beschwerdebegründung gab die Beschwerdeführerin zunächst keine Gründe dafür an, warum Hilfsantrag 2 nicht bereits während der mündlichen Verhandlung im Einspruchsverfahren eingereicht wurde.
Als Antwort auf die Mitteilung der Kammer nach Artikel 15(1) VOBK 2020 führte die Beschwerdeführerin mit ihrem Schreiben vom 14. Dezember 2020 dann drei Argumentationslinien an:
3.1.1 Nach einer ersten Argumentationslinie entspreche Hilfsantrag 2 weitestgehend dem bereits mit Schreiben vom 20. Juli 2015 im Einspruchsverfahren eingereichten Hilfsantrag 3 und sei somit kein neues Vorbringen.
Die Kammer merkt dazu jedoch an, dass alle Hilfsanträge vom 20. Juli 2015 bereits im Vorfeld der mündlichen Verhandlung durch die mit Schreiben vom 17. August 2017 eingereichten Hilfsanträge ersetzt worden waren, so dass die Einspruchsabteilung nicht über den damaligen Hilfsantrag 3 befinden konnte.
Nach Art. 12(4) VOBK 2007, der nach Artikel 25(2) VOBK 2020 im vorliegenden Fall Anwendung findet, liegt es im Ermessen der Kammer, Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können.
Nach gängiger Rechtsprechung ist die Berücksichtigung von Anträgen, die im erstinstanzlichen Verfahren eingereicht und anschließend wieder zurückgenommen wurden, besonders kritisch zu sehen. Ein solches Vorgehen zeigt eindeutig, dass der betreffende Antrag im erstinstanzlichen Verfahren hätte gestellt werden können. Der Zweck der Beschwerde besteht darin, zu überprüfen, was die erste Instanz entschieden hat und, als logische Folgerung, nicht zu überprüfen, was nicht entschieden worden ist (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, neunte Auflage, V.A.4.11.3.f).
3.1.2 In einer zweiten Argumentationslinie führt die Beschwerdeführerin an, dass das Weglassen des Merkmals der Abkühlung innerhalb von fünf Minuten eine Reaktion auf die angefochtene Entscheidung der Einspruchsabteilung sei, in der dieses Merkmal erstmals als inhärent in D11 offenbart angesehen worden sei.
Die Kammer merkt jedoch an, dass der Vorsitzende bereits während der mündlichen Verhandlung im Einspruchsverfahren geäußert hatte, dass das Merkmal der Abkühlung innerhalb von fünf Minuten in D11 inhärent offenbart sei. Dies geschah zu Beginn der Diskussion des damaligen dritten Hilfsantrages, in dem dieses Merkmal erstmals während der mündlichen Verhandlung zur Debatte stand (siehe Protokoll, Beginn von Punkt 5).
Obwohl die Einspruchsabteilung in ihrer Ladung zur mündlichen Verhandlung die erfinderische Tätigkeit vorläufig noch bejaht hatte, musste die Beschwerdeführerin damit rechnen, dass die Einspruchsabteilung ihre Meinung später ändert. Sie hatte zudem während und nach der Diskussion der Hilfsanträge 3 und 4 in der mündlichen Verhandlung ausreichend Gelegenheit, auf dieses Argument mit neuen Ansprüchen zu reagieren, dies aber unterlassen.
3.1.3 Nach einer dritten Argumentationslinie der Beschwerdeführerin sei Anspruch 1 des Hilfsantrages 2 nach dem Streichen des Merkmals der Abkühlung innerhalb von fünf Minuten kein wirklich neues Vorbringen, da alle anderen im Anspruch verbleibenden Merkmale ausführlich während der mündlichen Verhandlung im Einspruchsverfahren diskutiert worden sind.
Nach Artikel 12(2) VOBK 2020 ist es das vorrangige Ziel des Beschwerdeverfahrens, die angefochtene Entscheidung zu überprüfen.
Die Kammer merkt an, dass das im Anspruch verbliebene Merkmal, wonach die Abkühlung innerhalb der letzten beiden Walzstiche zu geschehen hat, in der mündlichen Verhandlung im Einspruchsverfahren zwar für die damaligen Hilfsanträge 3 und 4 diskutiert wurde, jedoch immer nur in Kombination mit dem nunmehr weggelassenen Merkmal, wonach die Abkühlung zusätzlich innerhalb von maximal fünf Minuten zu geschehen hat.
Damit hat die Patentinhaberin den Rahmen des Verfahrens erstinstanzlich abgesteckt.
Somit hätte die Beschwerdeführerin mit der Beschwerdebegründung Hilfsanträge einreichen können, die zusätzlich zur Abkühlung innerhalb der letzten beiden Schritte und innerhalb von fünf Minuten noch weitere Merkmale enthalten, um sich vom Stand der Technik abzugrenzen.
Die Beschwerdeführerin hat sich aber im Gegenteil dazu entschieden, das Merkmal der Abkühlung innerhalb von 5 Minuten zu streichen. Dies führt zu einer gewissen Verbreiterung des beanspruchten Gegenstandes im Vergleich zum erstinstanzlich abgesteckten Rahmen des Verfahrens, und dies ohne eine überzeugende Rechtfertigung, und hätte folglich in Anlehnung an den Grundsatz des Artikels 12(4) VOBK 2007 im Verfahren vor der ersten Instanz eingeleitet werden sollen.
3.1.4 Die Kammer merkt des weiteren an, dass die Beschwerdebegründung und -erwiderung nach Artikel 12(3) VOBK 2020 das vollständige Beschwerdevorbringen der Beteiligten enthalten soll.
In der angefochtenen Entscheidung wurde der Gegenstand von Anspruch 1 des damaligen und jetzigen Hauptantrages gegenüber D11 für nicht neu und der der Hilfsanträge gegenüber D11 für nicht erfinderisch befunden.
Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Beschwerdebegründung (Seiten 9 und 10) die ihrer Meinung nach unterscheidenden Merkmale im Vergleich zu D11 genannt, jedoch weder den Effekt dargelegt, der mit dem Warmwalzen bei mindestens 400°C vor dem Start des Abkühlprozesses und dem Abkühlen innerhalb der letzten beiden Warmwalzstiche verknüpft sei, noch was die damit verbundene technische Aufgabe sei.
Im Gegensatz zu D2a/D2b wurde in der Beschwerdebegründung gegenüber D11 auch keine wegführende Lehre geltend gemacht.
Die Berücksichtigung dieses Antrages hätte somit zur Folge gehabt, dass sich die Beschwerdegegnerinnen und die Kammer erst zu einem späten Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren mit wesentlichen Argumenten zur erfinderischen Tätigkeit gegenüber D11 hätten auseinandersetzen können, was den Rahmen des Beschwerdeverfahrens sprengen würde und nicht im Einklang mit einer fairen Verfahrensführung gewesen wäre.
3.2 Aus diesen Gründen wird Hilfsantrag 2 nach Artikel 25(2) VOBK 2020 und Artikel 12(4) VOBK 2007 nicht berücksichtigt. Da diese Punkte während der mündlichen Verhandlung ausführlich diskutiert wurden, ist das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin respektiert worden.
4. Hilfsanträge 3 und 4
Im Vergleich zu Hilfsantrag 2 ist in den Hilfsanträgen 3 und 4 die Temperatur des Warmbandes nach dem vorletzten Walzstich von mehr als 250°C durch den Temperaturbereich zwischen 290°C bis 310°C ersetzt worden.
4.1 Auch hier hat die Beschwerdeführerin erst in Antwort auf die Mitteilung der Kammer nach Artikel 15(1) VOBK 2020 Gründe für die Berücksichtigung diese Hilfsanträge genannt.
Zudem handelt es sich bei dem neuen Merkmal um ein Merkmal aus der Beschreibung des erteilten Patents (Abschnitt [0010]).
4.2 Auch hier hat die Beschwerdeführerin angeführt, dass die Eingabe eine Reaktion auf die angefochtene Entscheidung sei. Dort sei erstmalig angeführt worden, dass der Temperaturbereich von mehr als 250°C nach dem vorletzten Walzstich naheliegend war.
Dies trifft nicht zu. Die Beschwerdegegnerin 2 hatte bereits im Einspruchsverfahren in ihrem Schreiben vom 30. August 2016 (letzter Absatz auf Seite 20 und erster Absatz auf Seite 21), also mehr als ein Jahr vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, darauf hingewiesen, dass mit der Temperatur des Warmbandes nach dem vorletzten Walzstich von mehr als 250°C kein besonderer Effekt verbunden sei.
Somit hätte die Beschwerdeführerin diesem Argument bereits vor der mündlichen Verhandlung im Einspruchsverfahren durch die Eingabe neuer Ansprüche begegnen können, da sie damit hätte rechnen müssen, dass die Einspruchsabteilung ihre vorläufige Meinung bzgl. erfinderischer Tätigkeit ändert.
4.3 Zur erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes der Hilfsanträge 3 und 4 hatte die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung lediglich auf Hilfsantrag 2 verwiesen.
Somit treffen die hinsichtlich Hilfsantrag 2 gemachten Ausführungen unter Punkt 3.1.4 entsprechend auch für die Hilfsanträge 3 und 4 zu.
4.4 Da auch in den Hilfsanträgen 3 und 4 das Merkmal der Abkühlung innerhalb von fünf Minuten weggelassen worden ist, während das Merkmal der Abkühlung innerhalb der letzten beiden Walzstiche beibehalten wurde, gelten die hinsichtlich Hilfsantrag 2 gemachten Ausführungen unter Punkt 3.1.3 analog.
4.5 Aus diesen Gründen werden die Hilfsanträge 3 und 4 im Einklang mit Artikel 25(2) VOBK 2020 und Artikel 12(4) VOBK 2007 ebenfalls nicht berücksichtigt.
Mangels gewährbarer Anträge hat die Beschwerde keinen Erfolg.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.