European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2020:T070218.20200901 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 01 September 2020 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0702/18 | ||||||||
Anmeldenummer: | 11727630.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | C11D3/43 C09D9/00 C09D9/04 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | VOC-reduzierte, mildalkalische wässrige Reinigungslösung mit nichtionischen Tensiden sowie dessen Konzentrat | ||||||||
Name des Anmelders: | Chemische Werke Kluthe GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | PPG Industries, Inc | ||||||||
Kammer: | 3.3.06 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Zulässigkeit der Hilfsanträge 1A und 2A : (ja) Gegenstand geht über den Inhalt der früheren Anmeldung hinaus - Hauptantrag sowie Hilfsanträge 1 und 1A : (ja) Mangelnde Klarheit - Hilfsantrag 2 : (ja) Gegenstand geht über den Inhalt der früheren Anmeldung hinaus - Hilfsantrag 2A : (nein) Ausreichende Offenbarung - Hilfsantrag 2A : (ja) Neuheit - Hilfsantrag 2A : (ja) Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 2A : (ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung betreffend die Zurückweisung des Einspruchs gegen das europäische Patent Nr. 2 432 862.
II. In ihrer Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin Einwände unter Artikel 100(a), (b) und (c) EPÜ vorgebracht bzw. folgende Dokumente eingereicht:
D21: TSS Technical Report "Cloud Point Testing of Diethylene Glycol Butyl Methyl Ether", 23 Februar 2018
D22: Auszug aus dem Internet "Kalilauge 45%", Carl Roth**(®)
D23: Auszug aus dem Internet "Dipropylenglycolmonomethylether", Merck
D24: Auszug aus dem Internet "Triethanolamin", chemie.de
D25: Auszug "Dowanol**(®) EPH (Dow Chemical)", Reininghaus Chemie
D26: Safety Data Sheet "Tomadol**(®)91-2.5 Surfactant", Air Products
D27: Cargo Handling Sheet "Neodol 25-3", Shell Chemicals.
Insbesondere hat sie die Neuheit bzw. die erfinderische Tätigkeit des erteilten Anspruchs 1 aufgrund der Offenbarung der Entgegenhaltung D2 (US 5,958,298 A) bzw. D1 (US 2006/0089281 A1) beanstandet.
III. Mit ihrer Beschwerdeerwiderung vom 17. September 2018 verteidigte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) das Patent in der erteilten Fassung und hilfsweise im Umfang der vor der Einspruchsabteilung vorgelegten Hilfsanträge 1 bis 5. Außerdem beantragte sie, das Dokument D21 zum Verfahren nicht zuzulassen bzw. reichte neue Hilfsanträge 1A und 2A und folgende Dokumente ein:
D28: Stoffeigenschaften Diethylenglykolmonohexylether (Hexyldiglykol), www.ilo.org, Abrufdatum 13.09.2018
D29: Versuchsprotokoll "Bestimmung des Entmischungsverhaltens für Hexyldiglykol in deionisiertem Wasser und in Anlehnung an EN 1890".
IV. Die Beschwerdeführerin beantragte die Hilfsanträge 1A und 2A zum Verfahren nicht zuzulassen.
V. In Erwiderung auf die Kammermitteilung zog die Beschwerdegegnerin ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurück und kündigte an, dass sie an der anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen wird.
VI. In der am 1. September 2020 in Abwesenheit der Beschwerdegegnerin abgehaltenen mündlichen Verhandlung verwies die Beschwerdeführerin auf ihr schriftliches Vorbringen und schränkte ihr Vortrag auf die fehlende Neuheit des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2A ein.
VII. Die endgültigen Anträge der Parteien waren wie folgt:
Die Beschwerdeführerin beantragte, die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents. Außerdem beantragte sie, das mit der Beschwerdebegründung eingereichte Dokument D21 in das Verfahren zuzulassen und die von der Beschwerdegegnerin eingereichten Hilfsanträge 1A und 2A nicht zum Verfahren zuzulassen.
Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise, das Patent aufgrund eines der mit Schreiben vom 14. Februar 2017 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 5 oder eines der mit Schreiben vom 17. September 2018 eingereichten Hilfsanträge 1A und 2A aufrechtzuerhalten. Außerdem beantragte sie, das Dokument D21 nicht in das Verfahren zuzulassen.
VIII. Anspruch 1 des erteilten Streitpatents (Hauptantrag) hat den folgenden Wortlaut:
"1. Konzentratzusammensetzung, nämlich wasserfreie oder wasserarme Zusammensetzung, zur Bereitstellung, durch die Zugabe von ggf. vollentsalztem Wasser,
einer wässrigen Reinigungslösung, insbesondere zur Entfernung von nicht ausgehärteten Lackanhaftungen, welche Methyldiethanolamin, zumindest einen Glykolether mit 8-10 C-Atomen, und zumindest ein nichtionisches Tensid aufweist,
wobei die Zusammensetzung folgende Komponenten aufweist:
Methyldiethanolamin: 15-30 Ma.-%,
Glykolether mit 8-10 C-Atomen: 40-70 Ma.-%,
nichtionische Tenside: 1-30 Ma.-%."
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von dem gemäß Hauptantrag durch den folgenden Wortlaut (Änderungen gegenüber Anspruch 1 wie erteilt hervorgehoben durch die Kammer):
"...wobei die Zusammensetzung folgende Komponenten aufweist:
Amine, nämlich Methyldiethanolamin: 15-30 Ma.-%,
Glykolether mit 8-10 C-Atomen: 40-70 Ma.-%,
nichtionische Tenside: 1-30 Ma.-%."
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1A unterscheidet sich von dem gemäß Hauptantrag durch folgenden Wortlaut:
"...wobei die Zusammensetzung folgende Komponenten aufweist:
Amine, nämlich Methyldiethanolamin: 15-30 Ma.-%,
Glykolether, nämlich Glykolether mit 8-10 C-Atomen: 40-70 Ma.-%,
nichtionische Tenside: 1-30 Ma.-%".
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 unterscheidet sich von dem gemäß Hauptantrag durch folgenden Wortlaut:
"...wobei die Zusammensetzung aus folgenden Komponenten besteht:
Methyldiethanolamin: 15-30 Ma.-%,
Glykolether mit 8-10 C-Atomen: 40-70 Ma.-%,
nichtionische Tenside: 1-30 Ma.-%."
Der Anspruchssatz gemäß Hilfsantrag 2A enthält unabhängige Ansprüche 1 und 3, die wie folgt lauten:
"1. Konzentratzusammensetzung, nämlich wasserfreie oder wasserarme Zusammensetzung, zur Bereitstellung, durch die Zugabe von ggf. vollentsalztem Wasser,
einer wässrigen Reinigungslösung, insbesondere zur Entfernung von nicht ausgehärteten Lackanhaftungen, welche Methyldiethanolamin, zumindest einen Glykolether mit 8-10 C-Atomen, und zumindest ein nichtionisches Tensid aufweist,
wobei die Zusammensetzung aus folgenden Komponenten besteht:
Methyldiethanolamin: 15-30 Ma.-%,
Glykolether mit 8-10 C-Atomen: 40-70 Ma.-%,
nichtionische Tenside: 1-30 Ma.-%,
ggf. Wasser."
"3. Wässrige Reinigungslösung, bereitgestellt durch die Zugabe von Wasser zu einer Konzentratzusammensetzung nach Anspruch 1 oder 2."
Die abhängigen Ansprüche 2 bzw. 4 bis 11 beziehen sich auf besondere Ausgestaltungen der beanspruchten Konzentratzusammensetzung bzw. Reinigungslösung.
Entscheidungsgründe
Zulässigkeit der Hilfsanträge 1A und 2A
1. Diese Anträge wurden als Reaktion auf die in der Beschwerdebegründung unter Artikel 100(c) EPÜ aufrechterhaltenen Einwände eingereicht. Diese Einwände waren bereits ohne Erfolg vor der Einspruchsabteilung vorgebracht worden (siehe Punkt 5 der angefochtenen Entscheidung). Daher hatte die Beschwerdegegnerin auch keinen Grund, diese Anträge bereits vor der ersten Instanz einzureichen.
Die Kammer hat daher entschieden, die Hilfsanträge 1A und 2A zum Verfahren zuzulassen (Artikel 12(4) VOBK 2007).
Hauptantrag (Patent wie erteilt) und Hilfsanträge 1, 1A und 2
2. Die Beschwerdegegnerin hat zur Mitteilung der Kammer vom 10. März 2020 schriftlich nicht Stellung genommen. Die Kammer hat daher keinen Anlass, von ihrer in dieser Mitteilung geäußerten vorläufigen Meinung, die im Folgenden dargestellt wird, in Bezug auf den Hauptantrag und die Hilfsanträge 1, 1A und 2 abzuweichen.
3. Artikel 100(c)/123(2) EPÜ - Hauptantrag
3.1 Gemäß Anspruch 1 wie erteilt muss die beanspruchte Zusammensetzung 15-30 Ma.-% Methyldiethanolamin (MDEA), 40-70 Ma.-% Glykolether mit 8-10 C-Atomen (GLY8-10) und 1-30 Ma.-% nichtionische Tenside (NIO) aufweisen. Der Wortlaut des Anspruchs schließt nicht aus, das noch weitere Komponenten, zum Beispiel weitere Amine oder Glykolether, im Konzentrat enthalten sein können.
3.1.1 Gemäß Anspruch 11 der ursprünglichen Offenbarung (Bezug wird in Folgendem auf die veröffentlichte Anmeldung WO 2011/141010 genommen) muss die zur Bereitstellung der wässrigen Reinigungslösung eingesetzte Konzentratzusammensetzung gemäß Anspruch 1 zumindest ein Amin mit 4-6 C-Atomen, zum Beispiel MDEA (Anspruch 2), zumindest einen GLY8-10 und zumindest ein NIO enthalten.
Der vom Anspruch 11 abhängige Anspruch 12 erfordert weiter, dass das Konzentrat 15-30 Ma.-% Amine, insbesondere MDEA und/oder Triethanolamin (TEA), 40-70% Ma.-% Glykolether, insbesondere GLY8-10 und 1-30% Ma.-% NIO aufweist. Eine identische Offenbarung ist auf Seite 7 der Beschreibung zu finden. Zudem betrifft das einzige erfindungsgemäße Beispiel 1 ein Konzentrat, das nur MDEA, GLY8-10 und NIO in den dem Anspruch 12 entsprechenden Mengen enthält.
3.1.2 Es ist daher aus den ursprünglichen Unterlagen eindeutig zu entnehmen, dass MDEA und GLY8-10 als einzige Amin und Glykolether in den in der Beschreibung und im Anspruch 12 angegebenen Mengen vorhanden sein können. Jedoch enthalten weder die Beschreibung noch die Ansprüche eine Stütze für eine Konzentratzusammensetzung, die ein Gehalt an MDEA und GLY8-10 wie im ursprünglichen Anspruch 12 besitzt und zusätzlich weitere Amine und Glykolether enthält.
3.1.3 Daher entspricht Anspruch 1 wie erteilt nicht den Erfordernissen des Artikels 100(c) bzw. Artikel 123(2) EPÜ.
3.2 Artikel 123(2) EPÜ - Hilfsanträge 1 und 1A
3.2.1 Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von dem gemäß Hauptantrag nur durch folgenden Wortlaut:
"... wobei die Zusammensetzung folgende Komponenten aufweist:
Amine, nämlich Methyldiethanolamin: 15-30 Ma.-%,
Glykolether mit 8-10 C-Atomen: 40-70 Ma.-%,
nichtionische Tenside: 1-30 Ma.-%."
Somit sind die angegebenen Mengen wie im erteilten Anspruch 1 auf MDEA und GLY8-10 bezogen. Der Wortlaut des Anspruchs schließt jedoch nicht aus, das noch weitere Komponenten, zum Beispiel weitere Amine oder Glykolether, im Konzentrat enthalten sein können.
Demzufolge entspricht Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 nicht den Erfordernissen des Artikels 123(2) EPÜ (siehe Punkt 3.1.2 oben).
3.2.2 Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1A unterscheidet sich von dem gemäß Hauptantrag durch folgenden Wortlaut:
"... wobei die Zusammensetzung folgende Komponenten aufweist:
Amine, nämlich Methyldiethanolamin: 15-30 Ma.-%,
Glykolether, nämlich Glykolether mit 8-10 C-Atomen: 40-70 Ma.-%,
nichtionische Tenside: 1-30 Ma.-%".
Daher sind auch in diesem Anspruch die angegebenen Komponentenmengen wie im erteilten Anspruch 1 auf MDEA und GLY8-10 bezogen. Auch hier schließt der Wortlaut des Anspruchs nicht aus, das noch weitere Komponenten, zum Beispiel weitere Amine oder Glykolether, im Konzentrat enthalten sein können.
Dieser Anspruch entspricht daher ebenfalls aus den oben genannten Gründen (Punkt 3.1.2) nicht den Erfordernissen des Artikels 123(2) EPÜ.
4. Klarheit (Artikel 84 EPÜ) - Hilfsantrag 2
4.1 Der geänderte Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 betrifft einerseits eine wasserfreie/wasserarme Formulierung, erfordert aber andererseits, dass die Formulierung aus den drei Komponenten MDEA, GLY8-10 und NIO, die Wasser nicht einschließen, besteht.
4.2 Angesichts des Wortlauts des Anspruchs 1 ist es daher unklar, ob der beanspruchte Gegenstand sich nur auf wasserfreie Konzentrate bezieht oder ob er auch Wasser enthaltende Formulierungen einschließt.
4.3 Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 erfüllt daher nicht die Erfordernisse der Klarheit (Artikel 84 EPÜ).
5. Der Hauptantrag sowie die Hilfsanträge 1, 1A und 2 sind daher auch zurückzuweisen.
Hilfsantrag 2A
6. Änderungen - Artikel 123(2) EPÜ
6.1 Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2A unterscheidet sich von dem gemäß Hauptantrag in dem die beanspruchte Konzentratzusammensetzung aus folgenden Komponenten besteht:
Methyldiethanolamin: 15-30 Ma.-%,
Glykolether mit 8-10 C-Atomen: 40-70 Ma.-%,
nichtionische Tenside: 1-30 Ma.-%,
ggf. Wasser.
6.2 Die Beschwerdeführerin hat keinen spezifischen Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ gegen diesen Antrag vorgebracht, und in der mündlichen Verhandlung hat sie ausschließlich auf ihr schriftliches Vorbringen hingewiesen.
6.3 Die Beschwerdeführerin (Beschwerdebegründung; Punkt 4, Seite 2) hat anerkannt, dass die ursprüngliche Anspruch 12 und Beschreibung (Seite 7) die obigen Konzentrationen in Zusammenhang mit der Gesamtmenge an Aminen, Glykolethern bzw. nichtionischen Tensiden offenbaren.
6.4 Wie bereits in Punkt 3.1.1 oben erläutert, offenbaren diese Stellen der ursprünglichen Anmeldung auch MDEA als bevorzugtes Amin bzw. GLY8-10 als bevorzugten Glykolether. Solch eine Zusammensetzung ist auch im Beispiel 1 offenbart. Daher ist eine Zusammensetzung, die aus den drei im Anspruch 1 aufgelisteten Komponenten in den angegebenen Konzentrationen besteht, eindeutig in der ursprünglichen Anmeldung offenbart.
6.5 Die Konzentratzusammensetzung laut Anspruch 1 kann nicht nur wasserfrei, sondern auch wasserarm sein. Da eine wasserarme Zusammensetzung zwingend Wasser enthalten muss, kann Wasser auch in einer Zusammensetzung, die aus den drei im Anspruch 1 aufgelisteten Komponenten besteht, vorhanden sein, was durch den Wortlaut "ggf. Wasser" klargemacht wird.
Da der ursprüngliche Anspruch 11, worauf sich der bereits diskutierte Anspruch 12 bezieht, auch wasserarme Konzentratzusammensetzungen offenbart, ist auch eine Zusammensetzung, die aus den drei im Anspruch 1 aufgelisteten Komponenten in den angegebenen Konzentrationen und ggf. Wasser besteht, eindeutig in der ursprünglichen Anmeldung offenbart.
6.6 Daher entspricht Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2A den Erfordernissen des Artikels 123(2) EPÜ.
7. Artikel 100(b) EPÜ - Ausführbarkeit
7.1 Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, dass die im Anspruch 2 angegebenen Mengen der aufgelisteten drei Niotensidklassen (0-20 Ma.-%; 0-5 Ma.-%; 0-5 Ma.-%) theoretisch alle 0 Ma.-% ausmachen können, sodass sie nicht mit der Gesamtmenge des Anspruchs 1 zu vereinbaren seien, da ein Mindestgehalt an gesamtem NIO von 1 Ma.-% erfordert wird. Daher sei der Gegenstand des Anspruchs 2 nicht im gesamten beanspruchten Bereich ausführbar.
7.1.1 Die Kammer bemerkt jedoch, dass der Anspruch 2 abhängig von Anspruch 1 ist. Somit muss die Gesamtmenge an NIO für den Gegenstand des Anspruchs 2 auch mindestens 1 Ma.-% ausmachen. Daher kann der Fachmann die Erfindung des Anspruchs 2 zweifellos ausführen.
7.1.2 Zudem stimmt die Kammer der Beschwerdegegnerin zu, dass der vorgebrachte Einwand eher die Klarheit als die Ausführbarkeit der Erfindung betrifft.
7.2 Die Beschwerdeführerin bestreitet auch die Ausführbarkeit des Anspruchs 5, da dieser unter den bevorzugten VOC-freien Glykolethern auch Hexyldiglykol auflistet, der eigentlich kein VOC-freier Glykolether sei.
7.2.1 Wie von der Beschwerdegegnerin angemerkt, wurde ein ähnlicher Einwand erfolglos im Einspruchsverfahren in Bezug auf den ebenfalls in Anspruch 5 aufgelisteten Hexylglykol vorgebracht (siehe Punkt 6 der angefochtenen Entscheidung). Die Auflistung von Hexyldiglykol wurde jedoch nicht bestritten.
7.2.2 Abgesehen von der Unzulässigkeit dieses neuen Einwands unter Artikel 12(4) VOBK 2007, ist die Kammer der Meinung, dass auch dieser Einwand eher die Klarheit betrifft als die Ausführbarkeit der Erfindung, da eine Formulierung wie beansprucht, d.h. mit oder ohne Hexyldiglykol, von einem Fachmann zweifelsfrei hergestellt werden kann.
7.2.3 Die Frage ob Hexyldiglykol eine VOC Substanz ist, d.h. eine organische Verbindung die bei 293,15 Kelvin einen Dampfdruck von 0,1 mbar oder mehr aufweist (Abschnitt [0009] des Streitpatents), oder nicht, hat daher für die Durchführung der Erfindung keine Relevanz.
Demzufolge ist das von der Beschwerdegegnerin diesbezüglich eingereichte Dokument D28 nicht relevant und braucht nicht berücksichtigt zu werden.
7.3 Somit entspricht die beanspruchte Erfindung den Erfordernissen des Artikels 83 EPÜ.
8. Neuheit
8.1 Die Beschwerdeführerin hat einen Neuheitseinwand aufgrund der Formulierung des Beispiels 5 der D2, die 85% Gew.-% DGBME und 15% Gew.-% MDEA enthält, vorgebracht. Bei diesem Einwand hat sie DGBME gleichzeitig als GLY8-10 und NIO betrachtet und die aus dem erteilten Anspruch 1 berechnete Gesamtmenge an GLY8-10 und NIO berücksichtigt.
8.2 Der Anspruch 1 bezieht sich jedoch auf eine Formulierung, die 15-30 Ma.-% MDEA, 40-70 Ma.-% GLY8-10 und 1-30 Ma.-% NIO enthält. Daher enthält die beanspruchte Zusammensetzung unterschiedliche und sich nicht überschneidende Konzentrationen an GLY8-10 und NIO. Insbesondere ist die oberste Grenze für nichtionische Tenside (NIO) im Anspruch 1 eindeutig auf 30% Ma.-% festgelegt, sodass die Berücksichtung von GLY8-10 als nichtionisches Tensid im Sinne des Anspruchs auszuschließen ist, da die oberste Grenze von 30% Ma.-% sonst zwingend überschritten wäre.
Außerdem, wenn im Anspruch 1 NIO auch GLY8-10 darstellen würde, würde die Gesamtmenge an GLY8-10 in der binären Zusammensetzung laut Anspruch 1 41-100 Ma.-% ausmachen, d.h. eine Menge, die im obersten Grenzbereich zwingend die Anwesenheit der erforderlichen Menge an MDEA (und ggf. Wasser) ausschließt. Das ist jedoch nicht der Fall bei Berücksichtigung einer ternären Zusammensetzung in der die Konzentration der einzelnen Komponenten immer so gewählt werden kann, dass ihre Summe 100 Ma.% nicht überschreitet.
Die Kammer kann daher der Beschwerdeführerin nicht zustimmen, dass der Anspruch 1 binäre Formulierungen bestehend aus MDEA und GLY8-10 einschließt.
8.3 Daher, auch wenn der Fachmann GLY8-10 als ein nichtionisches Tensid im breiterem Sinn ansehen würde, wie von der Beschwerdeführerin zum Beispiel durch Hinweis auf D9 (Technical Data Sheet "Hexyl CELLOSOLVE**(TM) Solvent" Dow) vorgetragen wurde, ist es eindeutig, bei vernünftiger Auslegung des Anspruchs, dass GLY8-10 und NIO unterschiedliche Komponenten darstellen müssen.
8.4 Es kann daher hingestellt bleiben, ob GLY8-10 tatsächlich als nichtionisches Tensid anzusehen ist oder nicht, bzw. ob er einen für nichtionische Tenside üblichen Trübungspunkt aufweist.
Die in Bezug auf die Debatte über einen angeblichen Trübungspunkt von GLY8-10 eingereichten D21 und D29 sind somit überflüssig und die Kammer braucht über die Zulassung des Dokuments D21 nicht zu entscheiden.
8.5 Demzufolge ist der Gegenstand des Anspruchs 1 (sowie der des Anspruchs 3) neu gegenüber dem Inhalt der D2.
9. Erfinderische Tätigkeit
9.1 Die vorliegende Erfindung betrifft eine Konzentratzusammensetzung zur Bereitstellung einer wässrigen Reinigungslösung, insbesondere zur Entfernung von nicht ausgehärteten Lackanhaftungen (Abschnitt [0001] des Streitpatents).
Insbesondere betrifft sie wässrige Reinigungslösungen, die bei einem Lackierprozess in einer Karosserielackierstrecke im Automobilbau beim Farbwechseln in ein automatisches Spülprogramm zum Entfernen von frischen, noch nicht ausgehärteten Lackanhaftungen an sämtlichen Applikationseinrichtungen eingesetzt werden können. Während dieses wenige Sekunden andauernden Reinigungsprozesses muss die Reinigungsaufgabe mit einem befriedigenden Ergebnis bewerkstelligt werden, sodass Kontaminationen der Karosserien mit angetrockneten und sich ablösenden Lackresten oder sogar Farbverschleppungen vermieden werden (Abschnitte [0003]-[0006]).
Obwohl für diese Reinigungsaufgabe wässrige Reinigungslösungen, die aus flüchtigen organischen Lösungsmitteln und Aminen, wie Butylglykol und Monoethanolamin (MEA), bestehen oder zumindest einen hohen Anteil dieser Komponenten enthalten, bereits bekannt sind, setzt sich die vorliegende Erfindung (Abschnitt [0011]) als Ziel, eine wässrige Reinigungslösung - und in diesem Zusammenhang auch eine Konzentratzusammensetzung zur Bereitstellung einer solchen Lösung - vorzuschlagen, mit der eine Entfernung von Lackanhaftungen mit hoher Reinigungskraft bei geringerem Rohstoffeinsatz, verbesserter Umweltverträglichkeit und verminderten arbeitsphysiologischen Beeinträchtigungen realisiert werden.
9.1.1 Es ist unbestritten, dass Dokument D1, insbesondere sein Beispiel 1 (Abschnitte [0234]-[0248]), den nächstliegenden Stand der Technik darstellt.
9.1.2 Das Streitpatent zeigt in den Versuchen 1 und 2, dass eine aus einem Konzentrat wie beansprucht hergestellte Reinigungslösung, im Vergleich zu einer Standardformulierung enthaltend Monoethanolamin (MEA) und große Mengen an Butylgkykol, eine genau so gute Lackverträglichkeit bzw. stärkere Reinigungskraft aufweist. Insbesondere werden in Versuch 2 die hergestellten Reinigungslösungen auf die mit einem frischen Lack versehene Stelle einer Glasscheibe getropft bis der Lack sich auflöst. Der Lack ist in diesem Versuch in nur 6 Sekunden (1 Sekunde pro Tropf) aufgelöst. Daher ist die technische Aufgabe des Streitpatents durch die beanspruchte Formulierung überzeugend gelöst worden.
9.1.3 Im Beispiel 1 der D1 wird eine ungehärtete Farbbeschichtung aus einem Eisensubstrat entfernt, indem das Substrat in ein aus der Mischung von Wasser, ACTOSTRIP 500 HS und ACTOSTRIP 505 HSA hergestelltes Bad für 30 bis 60 Minuten eingetaucht wird. Die Beschwerdeführerin hat mit Hilfe von den in den Dokumenten D22-D27 offenbarten Dichtenwerten versucht, die Gewichtszusammensetzung der obigen Mischung zu berechnen. Jedoch, wie von der Beschwerdegegnerin angemerkt, hat sie irrtümlicherweise eine Mischung berücksichtigt, die 5 bis 20 Vol-% der Mischung an ACTOSTRIP 500 HS enthält statt 5 bis 20 Vol-% an ACTOSTRIP 505 HSA (die Formulierung, die Glykolether, Amin und NIO enthält) wie in der Tabelle 4 angegeben. Daher sind die realen Konzentrationen an Glykolethern, nichtionischen Tensiden und Amin in der Endzusammensetzung viel niedriger bzw. die Konzentration an Wasser viel größer als die die von der Beschwerdeführerin berechnet wurden. Daher könnte solch eine Zusammensetzung eher eine Reinigungslösung wie im vorliegendem Anspruch 3 als ein wasserfreies oder wasserarmes Konzentrat wie im Anspruch 1 darstellen.
9.1.4 Unabhängig von der Richtigkeit der Berechnungen der Beschwerdeführerin bezüglich der Konzentrationen an Amin, Glykolethern und nichtionischen Tensiden, steht jedoch außer Frage, dass die im Beispiel 1 der D1 verwendete Menge an Triethanolamin (TEA) kleiner als die unterste Grenze für den MDEA im Anspruch 1 und auch kleiner als die Menge an verwendetem MEA im Vergleichsbeispiel des Streitpatents ist. Zudem ist sie auch viel kleiner als die im Beispiel 1 der D1 verwendeten Mengen an NIO bzw. an GLY8-10, sodass die Menge an Amin dem aus dem angegriffenen Anspruch 1 sich ergebenden zwingenden Gewichtsverhältnis zwischen MDEA und NIO bzw. zwischen MDEA und GLY8-10 nicht entsprechen kann. Dies ist übrigens bereits aus dem Abschnitt [0248] der D1 ersichtlich.
Somit ist die aus dem Beispiel 1 der D1 bekannte Zusammensetzung als Vergleich nicht besser geeignet als die im Streitpatent getestete Vergleichsformulierung.
Folglich ist die Kammer überzeugt, dass das beanspruchte Konzentrat und die daraus hergestellte Reinigungslösung die im Streitpatent angegebene technische Aufgabe erfolgreich löst.
9.1.5 D1 lehrt (Abschnitte [0003]-[0007] und [0205]) die Entfernung von ungehärteten (oder gehärteten) Farbbeschichtungen aus Substraten, z.B. metallischen, durch Eintauchen in ein Reinigungsbad für längere Zeit, um das Substrat wieder färben zu können. Ziel des Streitpatents ist im Gegenteil dazu insbesondere Applikationseinrichtungen wie Hochrotationszerstäuber, Handpistolen, Spritzzerstäuber und Versorgungsleitungen von Lackanhaftungen in wenigen Sekunden zu befreien, sodass Kontaminationen der zu lackierenden Karosserien mit angetrockneten und sich ablösenden Lackresten oder sogar Farbverschleppungen vermieden werden.
Daher verfolgt D1 ein ganz anderes Ziel als das Streitpatent.
Infolgedessen, auch wenn der Fachmann die Formulierung des Beispiels 1 der D1, zum Beispiel durch die Verwendung von MDEA statt TEA und durch die Erhöhung der Menge an Amin, hätte theoretisch verändern können, wäre es aufgrund der Lehre aus D1 nicht zu erwarten gewesen, dass die zur Entfernung von einem ungehärteten Farbanstrich aus einem Substrat durch Eintauchen für 30 bis 60 Minuten bestimmte Reinigungslösung (Abschnitt [0225] der D1) in eine für das Ziel des Streitpatents, auf Lackanhaftungen durch Tröpfeln sekundenschnell wirkend, geeignete Reinigungslösung umgewandelt werden konnte.
9.1.6 Aufgrund der deutlichen Unterschiede in Formulierung und Zielsetzung hätte daher der Fachmann, ausgehend aus dem Beispiel 1 der D1, keine Anregung gefunden, die Formulierung des nächstliegenden Standes der Technik so abzuändern, um zum Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 zu gelangen.
9.1.7 Daher beruht der Gegenstand der Ansprüche 1 bis 11 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
10. Die Kammer kommt daher zum Schluss, dass der Hilfsantrag 2A allen Erfordernissen des EPÜ entspricht.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent auf der Grundlage des mit Schreiben vom 17. September 2018 eingereichten Hilfsantrags 2A (Ansprüche 1 bis 11) mit einer gegebenenfalls noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.