T 0666/18 () of 17.5.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T066618.20210517
Datum der Entscheidung: 17 Mai 2021
Aktenzeichen: T 0666/18
Anmeldenummer: 10747859.6
IPC-Klasse: C07D 239/47
C07D 251/18
C07D 251/66
C07D 401/04
C07D 401/14
C07D 403/04
A61K 31/53
A61K 31/506
A61K 31/5377
A61P 7/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: PYRIMIDINE ALS HEPCIDIN-ANTAGONISTEN
Name des Anmelders: VIFOR (INTERNATIONAL) AG
Name des Einsprechenden: Syngenta Crop Protection AG
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 83
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung
Spät eingereichte Beweismittel
Erfinderische Tätigkeit
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0007/93
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die vorliegende Entscheidung betrifft die Beschwerde der Einsprechenden (Beschwerdeführerin) gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung (angefochtene Entscheidung), wonach der vor der Einspruchsabteilung anhängige Hauptantrag den Erfordernissen des EPÜ genügt.

II. Im Einspruchsverfahren hatte die Beschwerdeführerin den Widerruf des Streitpatents im gesamten Umfang basierend auf den Einspruchsgründen gemäß Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit), Artikel 100 b) EPÜ und Artikel 100 c) EPÜ beantragt.

III. In der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung reichte die Beschwerdeführerin die folgenden beiden Dokumente ein:

D24 US 2008/0260736 A1

D25 WO 2004/024159 A1

Die Einspruchsabteilung ließ D24, nicht aber D25, in das Verfahren zu. Die Einspruchsabteilung entschied, dass der vor ihr anhängige Hauptantrag

- die Erfordernisse der Artikel 123 (2), 84, 83 und 54 EPÜ erfülle

- ausgehend von D24 als dem nächstliegenden Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

IV. In ihrer Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdeführerin

- die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents im gesamten Umfang

- die Zulassung von D25 zum Verfahren.

Ferner wurde eine mündliche Verhandlung beantragt.

In ihrer Beschwerdeerwiderung beantragte die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) die Zurückweisung der Beschwerde.

V. In Vorbereitung der auf Antrag der Beschwerdeführerin anberaumten mündlichen Verhandlung erließ die Kammer eine Mittelung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020.

VI. Mit Schriftsatz vom 11. Mai 2021 nahm die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurück und kündigte an, dass sie an dieser nicht teilnehmen werde. Die Kammer sagte daraufhin die mündliche Verhandlung ab.

VII. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen.

Die in der angefochtenen Entscheidung gegebene Begründung hinsichtlich der Erfordernisse der Artikel 83 und 56 EPÜ sowie hinsichtlich der Nichtzulassung von D25 ins Verfahren sei falsch.

Das Streitpatent enthalte für den Fachmann keine ausreichenden Informationen darüber, wann eine Verbindung als Hepcidin-Antagonist aufzufassen sei. Auch gehe aus dem Streitpatent nicht hervor, auf welchen Wirkmechanismus genau die antagonistische Wirkung zurückzuführen sei. Die Erfindung gemäß der Ansprüche des Hauptantrags sei daher nicht ausreichend offenbart.

Das Dokument D25 sei prima facie relevant und daher zuzulassen.

Der beanspruchte Gegenstand des Hauptantrags beruhe im Hinblick auf einer Kombination von D24 als nächstliegendem Stand der Technik mit D25 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

VIII. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen.

Der Begründung in der angefochtenen Entscheidung sei zuzustimmen und die Beschwerde daher zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Der Hauptantrag der Beschwerdegegnerin ist auf die Zurückweisung der Beschwerde gerichtet und impliziert somit eine Aufrechterhaltung des Streitpatents in der von der Einspruchsabteilung für gewährbar befundenen Fassung, d. h. in Form des vor der Einspruchsabteilung anhängigen Hauptantrags.

Die unabhängigen Ansprüche dieses Hauptantrags haben den folgenden Wortlaut.

Anspruch 1

"Hepcidin Antagonisten der allgemeinen Formel (I')

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

worin

X Die [sic] Bedeutung von C-R**(1) aufweist, worin

R**(1) ausgewählt wird aus der Gruppe, die besteht aus:

- Wasserstoff,

- Halogen,

- gegebenenfalls substituiertem Alkyl,

- gegebenenfalls substituiertem Alkoxy

R**(2) und R**(3) gleich oder verschieden sind, und jeweils ausgewählt werden aus der Gruppe, die besteht aus:

- Wasserstoff,

- Hydroxyl,

- Halogen,

- Carboxyl,

- Sulfonsäurerest (-SO**(3)H),

- gegebenenfalls substituiertem Aminocarbonyl,

- gegebenenfalls substituiertem Aminosulfonyl,

- gegebenenfalls substituiertem Amino,

- gegebenenfalls substituiertem Alkyl,

- gegebenenfalls substituiertem Acyl,

- gegebenenfalls substituiertem Alkoxycarbonyl,

- gegebenenfalls substituiertem Acyloxy,

- gegebenenfalls substituiertem Alkoxy,

- gegebenenfalls substituiertem Alkenyl,

- gegebenenfalls substituiertem Alkinyl,

- gegebenenfalls substituiertem Aryl,

- gegebenenfalls substituiertem Heterocyclyl;

R**(4) und R**(5) gleich oder verschieden sind, und jeweils ausgewählt werden aus der Gruppe, die besteht aus:

- Wasserstoff,

- gegebenenfalls substituiertem Amino,

- gegebenenfalls substituiertem Alkyl-, Aryl- oder Heterocyclylsulfonyl,

- gegebenenfalls substituiertem Alkyl,

- gegebenenfalls substituiertem Alkenyl,

- gegebenenfalls substituiertem Alkinyl,

- gegebenenfalls substituiertem Acyl,

- gegebenenfalls substituiertem Aryl,

- gegebenenfalls substituiertem Heterocyclyl oder

- worin R**(4) und R**(5) zusammen mit dem Stickstoffatom, an das sie gebunden sind, einen gesättigten oder ungesättigten, gegebenenfalls substituierten 3- bis 8-gliedrigen Ring ausbilden, der gegebenenfalls weitere Heteroatome enthalten kann;

oder pharmazeutisch verträgliche Salze hiervon,

zur Verwendung in der Behandlung von Eisenmangelerkrankungen und/oder Eisenmangelanämien."

Anspruch 6

"Zusammensetzung, enthaltend einen oder mehreren der Hepcidin Antagonisten, wie in einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 5 definiert, sowie einen oder mehrere pharmazeutische Träger und/oder Hilfsstoffe und/oder Lösungsmittel, zur Verwendung in der Behandlung von Eisenmangelerkrankungen und/oder Eisenmangelanämien."

Anspruch 7

"Kombinationspräparat, enthaltend einen oder mehreren der Hepcidin Antagonisten, wie in einem oder mehreren der Ansprüche l bis 5 definiert, sowie mindestens eine weitere Verbindung zur Behandlung von Eisenmetabolismus-Störungen sowie der damit einhergehenden Symptome, bevorzugt eine Eisen-haltige Verbindung, zur Verwendung in der Behandlung von Eisenmetabolismus-Störungen."

Bei diesen Ansprüchen handelt es sich mithin um zweite medizinische Verwendungen der Hepcidin-Antagonisten der Formel (I')(Anspruch 1) sowie einer Zusammensetzung bzw. eines Kombinationspräparats, die diese enthalten (Ansprüche 6 bzw. 7). Die eigentlichen medizinischen Indikationen sind dabei Eisenmangelerkrankungen und/oder Eisenmangelanämien (Ansprüche 1 und 6) bzw. Eisenmetabolismus-Störungen (Anspruch 7).

Die Wirkungsweise von Hepcidin im Organismus beruht auf seiner Bindung an Ferroportin, d. h. das Protein, welches für den Transport von Eisen aus den Enterozyten ins Blut hinein verantwortlich ist (Streitpatent, Absätze [0008] und [0013]). Der aus der Bindung resultierende Komplex wird in das Zellinnere transportiert (internalisiert) und dort abgebaut. Dadurch wird die Abgabe von Eisen ins Blut vermindert. Ist zu viel an Hepcidin zugegen, kann dies aufgrund des daraus resultierenden Eisenmangels im Blut zu einer Anämie führen.

2. Ausreichende Offenbarung

2.1 Die Beschwerdeführerin trug vor, dass die Erfindung der Ansprüche des Hauptantrags nicht ausreichend offenbart sei, weil das Streitpatent für den Fachmann keine ausreichenden Informationen darüber enthalte, wann eine Verbindung als Hepcidin-Antagonist aufzufassen sei, d. h. bis zu welcher IC50-Obergrenze noch von Antagonismus gesprochen werden könne.

Des Weiteren seien in Absatz [0020] des Streitpatents verschiedene mögliche Wirkmechanismen für Hepcidin-Antagonisten aufgeführt. Aus dem Streitpatent gehe jedoch nicht hervor, auf welchen Wirkmechanismus genau die antagonistische Wirkung beruhe, d. h. beispielsweise ob die Verbindungen der Formel (I') nun an Hepcidin oder Ferroportin binden.

2.2 Die Kammer hält diese Argumente nicht für überzeugend, und zwar im Wesentlichen aus den bereits in der angefochtenen Entscheidung genannten Gründen.

Das Streitpatent (Absätze [0020] und [0021]) definiert Hepcidin-Antagonisten als Verbindungen,

- die an Hepcidin oder an Ferroportin binden, und damit die Bindung von Hepcidin an Ferroportin inhibieren, und damit wiederum die Inaktivierung des Ferroportins durch das Hepcidin verhindern,

- die obwohl Hepcidin an Ferroportin gebunden ist die Internalisierung des Hepcidin-Ferroportin Komplexes verhindern, und auf diese Weise die Inaktivierung des Ferroportins durch das Hepcidin verhindern.

Kurzum handelt es sich dabei also um Verbindungen, die den durch die Internalisierung eingeleiteten Abbau von Ferroportin verhindern. Mithilfe des im Streitpatent (Absätze [0174] bis [0178]) beschriebenen Assays können nun solche Verbindungen identifiziert werden, die die Hepcidin-induzierte Internalisierung von Ferroportin blockieren können. Damit erlaubt dieser Assay also festzustellen, ob es sich bei der betreffenden Verbindung um einen Hepcidin-Antagonisten im Sinne des Streitpatents handelt oder nicht. Für die Frage der ausreichenden Offenbarung ist es somit ohne Belang, von welchem Ausmaß die antagonistische Wirkung ist (d. h. von welcher Größenordnung der IC50-Wert ist) oder auf welchen Mechanismus sie auf molekularer Ebene beruht.

Darüber hinaus hat die Beschwerdeführerin nicht belegt, dass nicht alle Verbindungen gemäß Formel (I') Hepcidin-Antagonisten sind. Die diesbezügliche Beweislast hätte bei ihr gelegen (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, neunte Auflage, 2019, II.C.9). Daher gibt es für die Kammer keinen Grund, daran zu zweifeln, dass alle Verbindungen gemäß Formel (I') Hepcidin-Antagonisten sind.

Zusammengefasst erfüllt daher die Erfindung der Ansprüche des Hauptantrags die Erfordernisse von Artikel 83 EPÜ.

3. Zulassung von D25

3.1 In der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung reichte die Beschwerdeführerin D24 und D25 ein. Da es sich um verspätet eingereichte Dokumente handelte, lag ihre Zulassung im Ermessen der Einspruchsabteilung (Artikel 114 (2) EPÜ). Die Einspruchsabteilung beurteilte beide Dokumente hinsichtlich ihrer Relevanz und entschied D24, nicht aber D25, in das Verfahren zuzulassen.

In ihrer Beschwerdebegründung nahm die Beschwerdeführerin erneut inhaltlich Bezug auf D25 und führte aus, weshalb die Entscheidung der Einspruchsabteilung, dieses Dokument nicht zuzulassen, falsch gewesen sei. Sie beantragte entsprechend, dieses Dokument in das Verfahren zuzulassen.

3.2 In Bezug auf erstinstanzliche Ermessensentscheidungen gelten die in G 7/93 (ABl. EPA 1994, 775; Nr. 2.6 der Entscheidungsgründe) aufgestellten Grundsätze. Eine Beschwerdekammer sollte sich nur dann über die Art und Weise, in der die erste Instanz ihr Ermessen ausgeübt hat, hinwegsetzen, wenn sie zu dem Schluss gelangt, dass die erste Instanz ihr Ermessen nicht nach Maßgabe der richtigen Kriterien oder in unangemessener Weise ausgeübt und damit den ihr eingeräumten Ermessensspielraum überschritten hat.

3.3 Bei der Entscheidung über die Zulassung des verspätet eingereichten Dokuments D25 stellt das von der Einspruchsabteilung herangezogene Relevanzkriterium das richtige Kriterium dar.

Im Hinblick auf die Frage, ob dieses Kriterium in unangemessener Weise ausgeübt wurde, trug die Beschwerdeführerin vor, dass die Einspruchsabteilung den Wert von D25 klar falsch eingeschätzt habe. So offenbare D24,

i) dass Hepcidin-Antagonisten zur Behandlung von Eisenmangelerkrankungen einsetzbar seien und

ii) dass diese Wirkung durch Antagonisten von Mitgliedern der TGF-ß-Superfamilie herbeigeführt werden könne.

Da D25 als Antagonisten von Mitgliedern der TGF-ß-Superfamilie Verbindungen offenbare, die unter die Formel (I') in Anspruch 1 fallen, ergebe sich der Gegenstand von Anspruch 1 in naheliegender Weise aus einer Kombination von D24 und D25. D25 sei daher prima facie relevant und zuzulassen.

In ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 hatte die Kammer ausgeführt, dass und weshalb diese Begründung nicht im Einklang steht mit der Offenbarung der D24. Im Gegensatz zum Vorbringen der Beschwerdeführerin offenbart D24 nämlich gerade nicht, dass Antagonisten von Mitgliedern der TGF-ß-Superfamilie als Hepcidin-Antagonisten fungieren. Vielmehr offenbart D24 (Absätze [0012] und [0057]) die Verwendung von Mitgliedern der TGF-ß-Superfamilie und deren Agonisten zur Verminderung der Hepcidin-Aktivität und damit, dass Mitglieder der TGF-ß-Superfamilie und deren Agonisten als Hepcidin-Antagonisten fungieren können. Entsprechend eignen sich gemäß der Lehre der D24 nur Mitglieder der TGF-ß-Superfamilie und deren Agonisten zur Behandlung von Eisenmangelerkrankungen (Absätze [0014] und [0017]). Ausgehend von D24 hätte der Fachmann daher überhaupt keine Veranlassung dazu gehabt, sich den in D25 offenbarten Antagonisten von Mitgliedern der TGF-ß-Superfamilie zuzuwenden. Wie schon von der Einspruchsabteilung festgestellt, hält auch die Kammer das Dokument D25 nicht für prima facie relevant. Die Kammer sieht daher keinen Grund, die Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und dieses Dokument in das Verfahren zuzulassen (Artikel 25 (2) VOBK 2020 in Verbindung mit Artikel 12 (4) VOBK 2007).

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1 Der einzige Einwand der Beschwerdeführerin hinsichtlich einer mangelnden erfinderischen Tätigkeit ging von D24 als nächstliegendem Stand der Technik aus. Zwar unterscheide sich der beanspruchte Gegenstand des Hauptantrags von D24 hinsichtlich der Struktur der Hepcidin-Antagonisten, doch würden entsprechende Verbindungen in D25 offenbart. Eine Kombination von D24 und D25 führe daher in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand des Hauptantrags.

4.2 Da obiger Einwand auf einer Kombination von Dokumenten basiert, von denen eines (D25) nicht zum Verfahren zugelassen worden ist (vgl. Punkt 3), kann er nicht durchgreifen.

4.3 Die Einspruchsabteilung hatte in der angefochtenen Entscheidung eine erfinderische Tätigkeit ausgehend von D24 anerkannt. In Ermangelung weiterer Einwände durch die Beschwerdeführerin kommt daher auch die Kammer zu dem Schluss, dass der beanspruchte Gegenstand des Hauptantrags auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Der Hauptantrag ist somit gewährbar.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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