T 0657/18 () of 9.11.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T065718.20211109
Datum der Entscheidung: 09 November 2021
Aktenzeichen: T 0657/18
Anmeldenummer: 10747834.9
IPC-Klasse: C07C 227/42
C07C 229/16
C07C 229/76
C11D 3/33
C11D 7/32
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG EINES KRISTALLINEN FESTSTOFFES AUS GLYCIN-N, N-DIESSIGSÄURE-DERIVATEN
Name des Anmelders: BASF SE
Name des Einsprechenden: Nouryon Chemicals International B.V.
Kammer: 3.3.10
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54(3)
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention R 43(3)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(1)
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag (nein)
Neuheit - Hilfsantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - nicht naheliegende Alternative
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Änderung des Beschwerdevorbringens - rechtfertigende Gründe des Beteiligten (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Einsprechende) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das Patent EP 2 470 496 unter Artikel 101(2) EPÜ zurückzuweisen.

II. Im Rahmen des Einspruchsverfahrens war das Patent unter Artikeln 100(a) und 100(b) EPÜ wegen mangelnder Neuheit, mangelnder erfinderischer Tätigkeit und mangelnder Ausführbarkeit angegriffen worden.

Das Patent beansprucht ein Verfahren zur Herstellung kristalliner Methylglycin-N,N,-diessigsäure-Derivate (MGDA). Die Einspruchsabteilung kam in der angefochtenen Entscheidung zu dem Schluss, das beanspruchte Verfahren sei ausreichend offenbart (Artikel 83 EPÜ). Neuheit gegenüber D2 sei gegeben (Artikel 54 EPÜ). Das beanspruchte Verfahren beruhe ausgehend von D3 als nächstem Stand der Technik auch auf erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ). Der von der Patentinhaberin vorgelegte Hilfsantrag wurde daher nicht mehr behandelt.

III. Im Verfahren wurden unter anderem folgende Dokumente zitiert:

D2: |WO 2009/103822 |

D3: |US 5,981,798 |

D4: |H. Uhlemann, L. Mörl, Wirbelschicht-Sprühgranulation, Springer Verlag, 2000, ISBN 3-540-66985-X, Seiten 3-5, 11-22, 119-121|

D8: |Zhang et al., Chem. Ind. Eng., July 2005, Vol. 22 No.4, Seiten 289-295 |

D9: |WO2010/133618 |

D10: |WO2012/168739 |

D11: | |

"Experimental Report I", "Experimental Report II": Versuchsberichte eingereicht am 17. Oktober 2017 im Einspruchsverfahren|

IV. In ihrer Beschwerdeschrift und im weiteren Verfahren brachte die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgendes vor:

Das im Patent beanspruchte Verfahren sei nicht neu gegenüber D2 (Artikel 54 EPÜ). Insbesondere offenbare D2 das charakteristische Merkmal des beanspruchten Verfahrens, nämlich die Vorlage kristallinen Materials. Auch das charakteristische Merkmal des im Hilfsantrag der Patentinhaberin definierten Verfahrens, nämlich die Verwendung einer wässrigen Lösung als Ausgangsprodukt, sei dort beschrieben. Des weiteren mangele es dem beanspruchten Verfahren ausgehend von D3 an erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ). Im übrigen sei das Verfahren nicht in ausführbarer Weise beschrieben (Artikel 83 EPÜ). Zur Untermauerung ihrer Argumente verwies die Beschwerdeführerin dabei auf das im Beschwerdeverfahren eingereichte Dokument D11, auf die im Einspruchsverfahren eingereichten Dokumente D9 und D10 sowie auf die Versuchsberichte, die ihrer Ansicht nach von der Einspruchsabteilung zu Unrecht nicht ins Verfahren zugelassen worden waren.

V. In ihrer Beschwerdeschrift und im weiteren Verfahren brachte die Beschwerdegegnerin im wesentlichen folgendes vor:

Die Entscheidung der Einspruchsabteilung sei korrekt. Das charakteristische Merkmal des im erteilten Patent definierten Verfahrens sei in D2 nicht offenbart, ebenso wenig das des Hilfsantrags. Ausgehend von D3 sei das beanspruchte Verfahren nicht nahegelegt. Das Verfahren sei in ausführbarer Weise beschrieben; die im Einspruchsverfahren spät eingereichten Dokumente und Versuchsberichte seien zu Recht nicht berücksichtigt worden. Das im Beschwerdeverfahren eingereichte Dokument D11 sei nicht mehr ins Verfahren zuzulassen.

VI. Am 12. August 2020 erließ die Kammer eine Mitteilung unter Regel 100(2) EPÜ, in der die Parteien über die vorläufige Einschätzung der Sach- und Rechtslage informiert wurden.

Die Kammer war der vorläufigen Meinung, Neuheit des unabhängigen Anspruchs des erteilten Patents gegenüber D2 sei nicht gegeben. Das in den Ansprüchen des Hilfsantrags beanspruchte Verfahren sei dagegen neu. In Bezug auf erfinderische Tätigkeit und Ausführbarkeit schloss sich die Kammer der Ansicht der Einspruchsabteilung vorläufig an und sah beides als gegeben an. Die Frage der Zulassung der im Einspruchsverfahren eingereichten Dokumente und Versuchsberichte scheine nicht entscheidungswesentlich.

VII. Mit Schreiben vom 21. Dezember 2020 bzw. 16. Dezember 2020 antworteten die Parteien auf den Bescheid der Kammer. Die Beschwerdeführerin reichte zur Untermauerung ihrer Argumentation in Bezug auf Artikel 83 EPÜ das Dokument D11 ein. Die Beschwerdegegnerin brachte Argumente für die Neuheit der Ansprüche des erteilten Patents vor.

VIII. Am 20. Januar 2021 lud die Kammer die Parteien für den 9. November 2021 zur mündlichen Verhandlung.

IX. Am 9. November 2021 fand die mündliche Verhandlung statt. Die Schlussanträge der Parteien waren die folgenden:

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Europäischen Patents Nr. 2 470 496 in vollem Umfang. Außerdem beantragte sie die Zulassung ins Verfahren der Dokumente D9, D10, D11 und der Versuchsberichte.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, d.h. die Zurückweisung des Einspruchs, als Hauptantrag, hilfsweise Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderten Umfang auf der Grundlage des Hilfsantrags 1 eingereicht mit Schreiben vom 14 März 2017 und erneut gestellt mit der Beschwerdeerwiderung vom 14 September 2018.

Außerdem beantragte sie, die Dokumente D9, D10, D11 und die Versuchsberichte nicht ins Verfahren zuzulassen.

X. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.

XI. Der unabhängige Anspruch des Streitpatents lautet wie folgt:

"Verfahren zur Herstellung eines kristallinen Feststoffes, welcher - bezogen auf den Feststoffgehalt - 70 bis 99,9 Gew.-% Methylglycin-N,N-diessigsäure-Derivate der allgemeinen Formel I umfasst

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

in der jedes M unabhängig voneinander Wasserstoff, Alkalimetall, Ammonium oder substituiertes Ammonium in den entsprechenden stöchiometrischen Mengen bedeutet, wobei der Feststoff bei der offenen Lagerung unter 25°C und einer relativen Luftfeuchte von 76% über einen Zeitraum von mindestens einem Tag seine Konsistenz als Granulat bewahrt,

dadurch gekennzeichnet, dass mindestens eine kristalline Verbindung der Formel I vorgelegt wird und eine Sprühgranulation mit mindestens einer Verbindung der Formel I durchgeführt wird."

Der unabhängige Anspruch des Hilfsantrags unterscheidet sich davon im kennzeichnenden Teil, wie folgt:

"dadurch gekennzeichnet, dass mindestens eine kristalline Verbindung der Formel I vorgelegt wird und eine Sprühgranulation mit [deleted: mindestens] einer wässrigen Lösung von einer Verbindung der Formel I durchgeführt wird."

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig

2. Zulassung von Dokumenten und Versuchsberichten ins Verfahren

2.1 D11

D11 wurde im Verlauf des Beschwerdeverfahrens als Antwort auf die unter Regel 100(2) EPÜ erlassene Mitteilung innerhalb der darin gesetzten Frist eingereicht. Die Zulassung dieses Dokuments ins Beschwerdeverfahren liegt daher gemäß Artikel 13(1) VOBK 2020 im Ermessen der Kammer.

D11 ist nachpubliziert und wurde zur Bekräftigung des Einwands unter Artikel 83 EPÜ eingereicht. D11 soll zeigen, dass ein von der Patentinhaberin vertriebenes Produkt, das in den Augen der Beschwerdeführerin nach dem im Streitpatent beanspruchten Verfahren hergestellt wurde, nicht die in Anspruch 1 den Streitpatents definierten Stabilitätsparameter erfüllt.

Die Beschwerdeführerin bringt vor, D11 sei im Rahmen einer ergänzenden Recherche zu experimentellen Daten in Bezug auf partikuläre Zusammensetzungen von MDGA gefunden worden. Diese Recherche sei nach Kenntnisnahme der vorläufigen Meinung der Kammer nötig geworden, da die Kammer dem in der Beschwerdebegründung vorgebrachten Einwand unter Artikel 83 EPÜ nicht gefolgt war.

Die Kammer kann darin keine Rechtfertigung für das Einreichen von D11 erst in diesem Verfahrensstadium erkennen. Bereits die Einspruchsabteilung hatte in ihrer Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 21. April 2017 die vorläufigen Meinung vertreten, die Einwände der damaligen Einsprechenden seien nicht stichhaltig. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte die Beschwerdeführerin tätig werden müssen, hätte sie zusätzliche Nachforschungen anstellen wollen. Die Einspruchsabteilung bestätigte ihre vorläufige Meinung dann in der angefochtenen Entscheidung. Dass die Kammer sich ihrerseits in ihrer vorläufigen Meinung der Einschätzung der Einspruchsabteilung anschloss, bringt keine neuen Sachverhalte ein, die gemäß Artikel 13(1) VOBK 2020 möglicherweise einen neuen Sachvortrag der Beschwerdeführerin unter Zuhilfenahme neuer Beweismittel rechtfertigen würden.

Im übrigen wird in D11 an keiner Stelle erwähnt, dass das dort genannte Produkt Trilon® SG gemäß dem im Streitpatent beanspruchten Verfahren hergestellt wurde. Die Beschwerdeführerin kann sich daher auch nicht darauf berufen, dass dieses Dokument prima facie relevant für die vorliegende Entscheidung wäre.

D11 wird daher nicht ins Beschwerdeverfahren zugelassen.

2.2 D9, D10 und die Versuchsberichte aus dem Einspruchsverfahren

Diese Dokumente wurden im Verlauf des Einspruchsverfahrens von der Beschwerdeführerin eingereicht, von der Einspruchsabteilung aber nicht mehr ins Verfahren zugelassen. Diese Dokumente sind, wie unten ausgeführt, ohnehin für die vorliegende Entscheidung irrelevant, siehe Punkte 6.2 und 6.4 unten. Ob diese Dokumente zu Unrecht nicht in das Einspruchsverfahren zugelassen wurden, wie von der Beschwerdeführerin behauptet, kann daher dahingestellt bleiben.

Hauptantrag - Patent wie erteilt

3. Neuheit

3.1 D2 wurde einen Tag nach dem Prioritätsdatum des Streitpatents veröffentlicht und ist Stand der Technik unter Artikel 54(3) EPÜ. Dies war unstrittig.

3.2 D2 offenbart die Herstellung von Granulaten aus Methylglycin-N,N-diessigsäure-Derivaten (MGDA) mittels Sprühgranulation. Die Produkte sind rieselfähig und nur wenig hygroskopisch (siehe Seite 10, Zeilen 4-9). Details des beanspruchten Verfahrens sind ab Seite 8, Zeilen 18ff. beschrieben. In Beispiel 1 ist ein solches Verfahren detailliert offenbart; im Rahmen dieses Verfahrens wird zu Beginn ("at the start") MGDA-Pulver als Impfpartikel ("seed particles") zugegeben. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin ist D2 daher neuheitsschädlich für Anspruch 1 des erteilten Patents.

3.3 Nach Ansicht der Einspruchsabteilung und der Beschwerdegegnerin liegt das neuheitsbegründende Merkmal gegenüber D2 darin, dass in D2 keine "kristalline Verbindung der Formel I vorgelegt wird", wie in Anspruch 1 des Streitpatents verlangt.

Die Beschwerdegegnerin argumentiert dabei, D2 offenbare keine Vorlage einer Verbindung I, geschweige denn eine Vorlage kristallinen Materials.

3.3.1 Die Beschwerdegegnerin ist der Ansicht, der Anspruch verlange eine Vorlage kristallinen Materials im Granulator selbst und daher (implizit) ein zweistufiges Verfahren, d. h. die Vorlage einer Verbindung I als Kristallisationskeim im Granulator vor der eigentlichen Sprühgranulation. Sie bezieht sich dabei neben dem allgemeinen Sprachgebrauch auf Absatz [0009] des Patents, in dem zwei Alternativen angegeben sind, nämlich die Erzeugung der Keime in situ bzw. deren Vorlage. Eine Vorlage von Material im Granulator vor dem Beginn der Sprühgranulation sei in D2 nicht offenbart. Eine etwaige Zugabe von Impfpartikeln in D2 beziehe sich auf die Zugabe zu der in der Granulation eingesetzten Suspension.

Die Kammer ist dagegen mit der Beschwerdeführerin der Ansicht, dass ein zweistufiges Verfahren vom Anspruch nicht verlangt wird. Der Anspruch verlangt weder, dass das kristalline Material in Pulverform vorgelegt wird, noch, dass die Vorlage als separater Verfahrensschritt im Granulator vor der eigentlichen Sprühgranulation erfolgen muss.

Auf Seite 8, Zeile 18 bis Seite 9, Zeile 9 der D2 wird in allgemeiner Weise offenbart, dass kristallhaltige Suspensionen als Ausgangsstoffe des Verfahrens verwendet werden. Nach Ansicht der Kammer ist dieses Vorgehen selbst ohne die weitere Zugabe von Impfpartikeln anspruchsgemäß, da der Anspruch nicht definiert, auf welche Weise das kristalline Material vorgelegt werden soll. Überdies ist in D2 explizit beschrieben (Seite 9, Zeilen 4-6), dass das Produkt durch Lösungsmittelverdampfung beim Aufsprühen kleiner Mengen der Ausgangssuspension auf die Impfpartikel entsteht, während sich diese als Fluid im warmen Gasstrom befinden. Die Impfpartikel werden daher im Gasstrom im Granulator vorgelegt, wie vom Anspruch verlangt.

Des weiteren ist in Beispiel 1 explizit angegeben, dass am Anfang des Verfahrens Impfpartikel zugegeben werden. Dies entspricht dem vom Anspruch verlangten Vorlegen, da der Anspruch die Art und Weise des Vorlegens nicht näher definiert.

Im übrigen hat, wie von der Beschwerdeführerin angeführt, die Beschwerdegegnerin selbst bei der Würdigung des Standes der Technik im Rahmen des Prüfungsverfahrens in Absatz [0004] des Patents bezugnehmend auf D2 angegeben, dass dort MGDA-Pulver als Keim vorgelegt wird.

3.3.2 Die Beschwerdegegnerin bringt weiterhin vor, in D2 sei nicht explizit offenbart, dass das vorgelegte Material kristallin sei, wie vom Anspruch verlangt.

Dieses Argument hält die Kammer für nicht überzeugend.

Zunächst beschreibt D2 ja, wie oben ausgeführt, die Verwendung kristallhaltiger Suspensionen als Ausgangsmaterial der Granulation. Da, wie ebenfalls oben ausgeführt, dies ein anspruchsgemäßes Vorgehen darstellt, besteht über die Kristallinität der Partikel kein Zweifel; diese ist ja in D2 explizit so beschrieben.

Zudem beschreibt Beispiel 1 wörtlich: "At the start a small quantity of MGDA powder was added as seed particles". Dieses Pulver muss ebenfalls als zumindest teilweise kristallin angesehen werden. Es ist zwar richtig, dass dessen Kristallinität nicht explizit offenbart wird. Die Beschwerdegegnerin hat vorgebracht, es könne sich auch um amorphes Material handeln. Sie verwies dazu auf mehrere Stellen der D2, in denen der Begriff "powder" im Zusammenhang mit hygroskopischen Pulvern genannt wird, etwa Seite 1, Zeile 29 oder Seite 3, Zeile 27.

Trotzdem hält die Kammer die Annahme, bei dem in Beispiel 1 verwendeten Pulver handele es sich um vollständig amorphes Material für lebensfremd. Amorphes MGDA ist hygroskopisch und kann deshalb nicht als Pulver gelagert werden (siehe D2 Seite 1 letzter Absatz, siehe auch vorliegendes Patent Absätze [0002] und [0003]). Eine Herstellung eines solchen amorphen Pulvers unmittelbar vor der Sprühgranulation zum Zwecke der Animpfung ist in D2 nicht erwähnt. Die von der Beschwerdegegnerin zitierten Verweise auf den Begriff "powder" in D2 beziehen sich auf durch Sprühtrocknung erhaltene amorphe Produkte aus dem Stand der Technik, nicht auf Pulver, die als Impfpartikel im Rahmen der D2 Verwendung finden.

Im übrigen beschreibt D2 den Zweck der Impfpartikel ja explizit als Kristallisationskeime (Seite 8 Zeilen 30ff.). Der Begriff "seed particles" zum Kristallwachstum impliziert, wie von der Beschwerdeführerin richtigerweise vorgebracht, schon unter normalen Umständen eine gewisse Kristallinität der Partikel. Dies gilt umso mehr im vorliegenden Fall, in dem die Instabilität des amorphen Pulvers hinlänglich bekannt ist.

3.4 Anspruch 1 des erteilten Patents ist daher gegenüber D2 nicht neu.

Hilfsantrag

4. Neuheit

4.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags verlangt zusätzlich, dass die Sprühgranulation mit einer wässrigen Lösung einer Verbindung der Formel (I) durchgeführt wird.

4.2 Nach Überzeugung der Kammer ist dieses Merkmal in D2 nicht offenbart. D2 verwendet keine Lösungen, sondern es werden Suspensionen ("slurry") sprühgranuliert, siehe etwa Anspruch 1.

4.3 Die Beschwerdeführerin hat vorgebracht, eine Suspension enthielte auch immer eine Lösung, zusätzlich zu nicht mehr löslichem Feststoff.

Dies mag zwar für sich genommen richtig sein, allerdings sind "Lösung" und "Suspension" Begriffe, die für den Fachmann zwei unterschiedliche Dinge bezeichnen. Der Anspruch verlangt, dass das Verfahren mit einer Lösung durchgeführt wird. Dies ist in D2 nicht der Fall.

4.4 Die Beschwerdeführerin hat insbesondere auf Beispiel 1 verwiesen, das im einleitenden Satz explizit angibt, es würden wässrige Lösungen ("aqueous solutions") zur Granulation verwendet.

Die Kammer ist aber mit der Beschwerdegegnerin der Überzeugung, dass dieser Satz im Zusammenhang mit dem restlichen Text des Beispiels und auch mit der allgemeinen Lehre der D2 gelesen werden muss.

Aus der allgemeinen Lehre der D2 geht hervor, dass das dort beschriebene Verfahren die Sprühgranulation von Suspensionen betrifft, siehe Anspruch 1. Dies ist auch in der Beschreibung so ausgeführt, siehe Seite 8, Zeilen 18ff. In Beispiel 1 wird nach dem von der Beschwerdeführerin angeführten Satz beschrieben, dass eine Suspension ("slurry") erhitzt und sprühgranuliert wird. Die Beschwerdeführerin hat vorgebracht, beim Erhitzen der Suspension würde das Material in Lösung gehen, so dass in Wahrheit eine Lösung sprühgranuliert würde. Für eine solche Lesart des Verfahrens findet sich aber in D2 keinerlei Stütze. Es liegen auch keine Löslichkeitsdaten vor, aus denen ein solches Verhalten zu erschließen wäre.

Eine Sprühgranulation von wässrigen Lösungen ist daher in D2 nicht offenbart.

4.5 Das in den Ansprüchen des Hilfsantrags definierte Verfahren ist daher neu gegenüber D2.

5. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

5.1 D2 ist kein Stand der Technik unter Artikel 56 EPÜ. Dies war unstrittig.

5.2 Die Einspruchsabteilung sowie die Parteien gehen von D3 als nächstem Stand der Technik aus. Die Kammer schließt sich dem an.

D3 offenbart die Herstellung kristallinen, nicht-hygroskopischen MGDAs. Dazu wird ein Kristallisationsverfahren verwendet. D3 offenbart auch, dass, im Gegensatz zur Kristallisation, die Verwendung eines klassischen Sprühtrocknungsverfahrens sowie eines Sprühtrocknungsverfahrens mit anschließender Kompaktierung und Zusatz von Benzoesäure kein stabiles Produkt ergibt (Vergleichsbeispiele An und B in D3).

5.3 Die zu lösende Aufgabe kann darin gesehen werden, ein alternatives Herstellungsverfahren für kristallines, nicht-hygroskopisches MGDA zu finden.

Die beanspruchte Lösung der Aufgabe ist die Verwendung des in Anspruch 1 des Hilfsantrags definierten Sprühgranulationsverfahrens.

5.4 Die Beschwerdeführerin hat eingewandt, das Patent zeige nicht, dass ein solches Produkt tatsächlich erhalten werde, da im Beispiel des Patents der im Anspruch definierte Stabilitätsparameter nicht bestimmt wurde.

Die Kammer schließt sich diesem Einwand nicht an. Im Beispiel ist angegeben, das Produkt werde "in der gewünschten Qualität" erhalten. Da diese Qualität in Absatz [0017] in Übereinstimmung mit dem Patentanspruch definiert ist, muss bis zum Beweis des Gegenteils angenommen werden, dass dies der Fall ist.

Die Beschwerdeführerin hat ebenso eingewandt, das Beispiel beziehe sich nur auf eine spezifische Verbindung, während der Anspruch sich auf Derivate mit verschiedenen Kationen M erstrecke. Es sei nicht erwiesen, dass das Verfahren auch mit anderen Salzen zu Produkten mit gewünschten Eigenschaften führe.

Dieser Einwand ist ebenso wenig überzeugend. Es liegen weder überzeugende technische Argumente noch Daten vor, die zeigen würden, das Verfahren wäre mit anderen Salzen nicht durchführbar.

Daher geht die Kammer davon aus, dass das technische Problem gelöst wurde.

5.5 Daher ist die zu entscheidende Frage, ob ein Fachmann davon ausgehen konnte, auch Sprühgranulation würde, wie die in D3 beschriebene Kristallisation, eine geeignete Technik sein, um nicht-hygroskopisches, stabiles, kristallines MGDA zu erhalten.

Sprühgranulation an sich ist unbestritten ein bekanntes Verfahren, das beispielsweise in D4 oder D8 beschrieben wird. Die Beschwerdeführerin hat argumentiert, die Anwendung dieses bekannten Verfahrens auf die Verbindungen (I) erfordere keine erfinderische Tätigkeit.

5.5.1 In der angefochtenen Entscheidung wird ausgeführt, D3 rate von Sprühverfahren ab, da diese zu amorphen Produkten führen würden (Spalte 1, Zeilen 10ff.). Die Kammer hält dieses Argument für nicht überzeugend. Die Passage in D3 bezieht sich auf Sprühtrocknung, nicht auf Sprühgranulation, und bezieht sich auch nicht spezifisch auf das Produkt MGDA, sondern ist eine allgemeine Zusammenfassung des Standes der Technik.

Die angeführten Passagen der D3 für sich gesehen würden daher den Fachmann nicht von der Verwendung einer Sprühgranulation abhalten.

5.5.2 Trotzdem ist die Kammer der Überzeugung, dass ein Fachmann bei der Suche nach einer Lösung für das technische Problem, kristallines, nicht hygroskopisches MGDA herzustellen, nicht davon ausgehen konnte, dass das beanspruchte Verfahren zur Sprühgranulation eine Alternative zu dem Kristallisationsverfahren der D3 darstellen würde. Wie in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, ist MGDA eine Substanz mit problematischem Kristallisationsverhalten, siehe D3, Spalte 1, Zeilen 25ff. Es gibt in den zitierten Dokumenten keinen Hinweis darauf, dass mit der Technik der Sprühgranulation unter Vorlage kristallinen Materials MDGA in der gewünschten Form erhältlich sein würde. Die von der Beschwerdeführerin angeführten Dokumente D4 und D8 stellen allgemeine Beschreibungen der Sprühgranulation dar; die Beschwerdeführerin hat keine Passagen herausgestrichen, die dem Fachmann einen Hinweis geben könnten, dass diese Methode im Falle hygroskopischer oder anderweitig schwierig zu kristallisierender Substanzen erfolgversprechend ist.

5.6 Das in Anspruch 1 des Hilfsantrags definierte Verfahren beruht daher ausgehend von D3 auf erfinderischer Tätigkeit.

6. Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)

6.1 Die Beschwerdeführerin hat eine Reihe von Gründen vorgebracht, aus denen ihrer Ansicht nach das beanspruchte Verfahren nicht ausreichend offenbart ist.

6.2 Es wurde vorgebracht, der Anspruch enthalte schlecht definierte Merkmale. Insbesondere wurde dabei auf den Reinheitsgrad bezogen auf den Feststoffgehalt von 70-99,9%, den Stabilitätsparameter (ein Tag Konsistenzerhalt bei 76% Luftfeuchtigkeit) und das Merkmal "vorgelegt" verwiesen. Im Zusammenhang mit dem Reinheitsgrad wurde dabei auf D9, D10 und den Versuchsbericht "Experimental Report I" verwiesen, die alle im Einspruchsverfahren eingereicht, aber nach Ansicht der Beschwerdeführerin zu Unrecht nicht mehr ins Verfahren zugelassen wurden. Ebenso wurde beanstandet, dass im Anspruch einmal von kristallinem "Feststoff", ein anderes Mal von kristalliner "Verbindung" gesprochen werde.

Die Kammer kann sich dem nicht anschließen. Artikel 83 EPÜ verlangt, dass der Fachmann die beanspruchte Erfindung ausführen kann, hier also das beanspruchte Verfahren, und dabei zu den im Anspruch definierten Produkten gelangt. Dies ist offenbar möglich, wie im Beispiel gezeigt.

Die Frage, wie genau der Feststoffgehalt definiert ist, auf den sich die Reinheit des Produkts bezieht, betrifft die Frage, ob ein bestimmtes Verfahren unter die Ansprüche fällt oder nicht. Dies ist eine Frage der Klarheit unter Artikel 84 EPÜ, und steht gemäß G 03/14 nicht zur Diskussion. Gleiches gilt für die Frage, wie das Merkmal "vorlegen" zu interpretieren ist, und ob ein bestimmtes Material die im Anspruch definierten Stabilitätseigenschaften erfüllt oder nicht. Ebenso weiß ein Fachmann, was mit den Begriffen "Feststoff" und "Verbindung" gemeint ist. Diese nach Ansicht der Beschwerdeführerin "schlecht definierten Merkmale" führen in jedem Fall nicht dazu, dass ein Fachmann den beanspruchten Prozess nicht ausführen kann.

Eine Entscheidung darüber, ob die Nichtzulassung von D9, D10 und des "Experimental Report I" durch die Einspruchsabteilung zu Recht erfolgte oder nicht, erübrigt sich daher.

6.3 Es wurde von der Beschwerdeführerin angeführt, das Beispiel des Patents betreffe nur ein bestimmtes Salz der MGDA, nämlich das Trinatriumsalz. Für kein anderes Salz sei die Ausführbarkeit gezeigt worden.

Dies ist zwar richtig, jedoch hat die Beschwerdeführerin auch keine Daten oder substantiierte technische Argumente vorgebracht, weshalb das Verfahren mit anderen Salzen der Formel (I) nicht funktionieren soll. Dieser Einwand überzeugt daher nicht.

6.4 Die Beschwerdeführerin hat bemängelt, dass verschiedene Prozessparameter im Patent nicht ausreichend beschrieben würden, weshalb das beanspruchte Verfahren für den Fachmann nicht ausführbar sei. Zur Illustration soll der Versuchsbericht "Experimental Report II" dienen, den die Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren eingereicht, der aber dort nicht zugelassen wurde.

Die Kammer stellt dazu folgendes fest: Im Patent werden die relevanten Parameter allgemein definiert (siehe Absatz [0011]). Das Beispiel offenbart in Absatz [0027] konkrete Werte für diese Parameter, an denen der Fachmann sich orientieren kann. Ein Fachmann kann daher das beanspruchte Verfahren ausführen, ohne dabei ein Forschungsprogramm starten zu müssen, wie von der Beschwerdeführerin eingewandt. Einzelne Fehlschläge sind hierfür unschädlich, solange der Fachmann sich an der Lehre des Patents und seinem allgemeinen Fachwissen orientieren kann, um zum Erfolg zu kommen.

Unabhängig von der Frage, ob der "Experimental Report II" von der Einspruchsabteilung zugelassen hätte werden sollen oder zurecht nicht zugelassen wurde, stellt die Kammer fest, dass in diesem Bericht verschiedene Parameter, die in Absatz [0011] des Patents aufgeführt werden (etwa Temperatur und Druck der Sprühluft, Temperatur der Sprühlösung) überhaupt nicht angegeben sind. Es ist daher nicht klar, ob sich das dort durchgeführte Verfahren an den Angaben des Streitpatents orientiert oder nicht. Dieser Bericht ist somit ohnehin nicht geeignet zu zeigen, dass das beanspruchte Verfahren nicht ausführbar sei.

Eine Entscheidung darüber, ob die Nichtzulassung des "Experimental Report II" durch die Einspruchsabteilung zu Recht erfolgte oder nicht, erübrigt sich daher.

6.5 Die von der Beschwerdeführerin ebenfalls aufgeworfene Frage, ob wesentliche Merkmale im Anspruch angegeben sind, ist eindeutig eine Frage der Klarheit, denn diese Bedingung ist in Regel 43(3) EPÜ genannt, die eine Implementierung von Artikel 84 EPÜ darstellt. Artikel 83 EPÜ verlangt, dass das beanspruchte Verfahren für den Fachmann in ausführbarer Weise beschrieben sein muss, und nicht, dass alle nötigen Angaben im Anspruch spezifiziert werden. Diese Frage ist daher gemäß G 03/14 nicht Gegenstand des Verfahrens.

6.6 Die vorgebrachten Einwände unter Artikel 83 EPÜ stehen daher einer Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegen.

7. Zurückverweisung zur Anpassung der Beschreibung

7.1 Die geänderten Ansprüche in Form des Hilfsantrags erfüllen die relevanten Erfordernisse des EPÜ. Das Patent ist daher auf Basis der Ansprüche des Hilfsantrags unter Artikel 101(3)(a) EPÜ aufrechtzuerhalten.

7.2 Zum Hilfsantrag liegt keine Beschreibung vor. Zur Anpassung der Beschreibung macht die Kammer im Einvernehmen mit den Parteien von ihrer Befugnis unter Artikel 111 EPÜ Gebrauch und verweist das Verfahren in diesem Punkt zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurück.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgenden Ansprüchen und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten:

Ansprüche: Nr. 1-3 eingereicht mit Schreiben vom 14 März 2017 unter dem Titel ,,Geänderte Patentansprüche".

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