T 0508/18 () of 19.3.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T050818.20210319
Datum der Entscheidung: 19 März 2021
Aktenzeichen: T 0508/18
Anmeldenummer: 12164532.9
IPC-Klasse: A47F 1/12
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Warenvorschubeinsatz für ein Warenvorschubsystem
Name des Anmelders: Bruegmann GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Seidae Industrial Co., Ltd.
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56 (2007)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - rückschauende Betrachtungsweise
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechende legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, den Einspruch gegen das Streitpatent zurückzuweisen.

II. Die Einspruchsabteilung hatte entschieden, dass der Gegenstand der Ansprüche in der erteilten Fassung neu ist und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

III. Es fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.

a) Im Verlauf der Verhandlung reichte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) eine Zeichnung zur Stütze ihrer Argumentation ein. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) reichte einen neuen Anspruchssatz als Hilfsantrag 1, sowie angepasste Spalten 1 und 2 der Beschreibung ein.

b) Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents in vollem Umfang.

c) Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage des in der Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 1, der zum Hauptantrag gemacht wurde. Der bisherige Hauptantrag wurde zurückgenommen.

IV. Diese Entscheidung nennt das folgende, von den Parteien im Einspruchsverfahren bereits vorgelegte Dokument:

D6: US 2,696,283 A

V. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags (als "Hilfsantrag 1" eingereicht) lautet wie folgt:

"Warenvorschubeinsatz (1) für ein Warenvorschubsystem zur selbsttätigen Beförderung von entlang dem Warenvorschubeinsatz (1) in einer Beförderungsrichtung B angeordneten Waren zu einer Sichtkante (2) eines mit dem Warenvorschubsystem (1) ausgestatteten Regals mit einem Satz von auf einem Rollenträger (3) quer zur Beförderungsrichtung B gelagerten Beförderungsrollen (4) und zwei unabhängig voneinander an gegenüberliegenden Seiten des Rollenträgers (3) anbringbaren Profilschienen (5, 6) zur Halterung der Beförderungsrollen (4) auf dem Rollenträger (3),

dadurch gekennzeichnet, dass

die Profilschienen (5, 6) mit jeweils mindestens drei in Beförderungsrichtung entlang des Rollenträgers (3) und/oder den Profilschienen (5, 6) verteilten Rastmitteln (32, 33, 34, 35) an den gegenüberliegenden Seiten des Rollenträgers (3) aufclipsbar sind, wobei die Profilschienen (5, 6) als U-Profil und den Rollenträger (3) im U-Profil aufnehmend ausgebildet sind, wobei die Rastmittel (32, 33, 34, 35) jeweils an Innenwänden (5i, 6i) der Profilschienen (5, 6) angeordnet sind, wobei die Rastmittel (32, 33, 34, 35) jeweils aus einer oberen Rastnase (32) und einer gegenüberliegenden unteren Rastnase (33) sowie jeweils korrespondierenden Einrastelementen (34, 35) bestehen, wobei die oberen Rastnasen (32) an einem oberen Schenkel (5o) der Profilschienen (5, 6) angeordnet sind, wobei zu den oberen Rastnasen (32) korrespondierende obere Einrastelemente (34) zumindest teilweise an oberen Enden (11e) von Stegen (11s) von Beförderungsrollenaufnahmen (11) zur Lagerung von Beförderungsrollen (4) vorgesehen sind."

VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

a) Anspruch 1 des Hauptantrags sei nicht ausreichend klar (Artikel 84 EPÜ).

b) Unabhängig davon seien die unklaren Merkmale bei der Beurteilung der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit nicht zu berücksichtigen.

c) Der sich so ohne die Berücksichtigung der unklaren Merkmale ergebende Gegenstand sei nicht erfinderisch gegenüber D6, ergänzt durch das Fachwissen des Fachmanns (Artikel 56 EPÜ).

VII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

a) Klarheit sei im vorliegenden Fall der Entscheidung G3/14 folgend kein Einspruchsgrund, da der unabhängige Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 auf einer Kombination von erteilten Ansprüchen beruhe.

b) Zudem verstehe der Fachmann, was im Anspruch definiert werden soll.

c) Dieser Gegenstand sei zudem ausgehend von D6 nicht nahegelegt.

Entscheidungsgründe

Zulassung des (als "Hilfsantrag 1" eingereichten) Hauptantrags

1. Die Einreichung des später zum Hauptantrag gemachten Hilfsantrags 1 während der mündlichen Verhandlung stellt eine Änderung des Vorbringens der Beschwerdegegnerin im Sinne des Artikels 13(1) VOBK 2020 dar.

1.1 Diese Einreichung erfolgte als Reaktion auf die erweiterte Argumentation der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Offenbarung der D6 (gestützt durch die erst in der mündlichen Verhandlung eingereichte Zeichnung). Anspruch 1 besteht aus einer Kombination der erteilten Ansprüche 1 und 3 - 6, und räumt die von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage der mangelnden Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 wie erteilt gegenüber D6 aus. Eine frühere Reaktion auf die erweiterte Argumentation der Beschwerdeführerin war nicht möglich.

1.2 Im Übrigen wurden von der Beschwerdeführerin keine Einwände gegen die Zulassung des Hilfsantrags 1 erhoben.

1.3 Unter diesen, im Sinne von Artikel 13(2) VOBK außergewöhnlichen Umständen entschied die Kammer, ihr Ermessen unter Artikel 13(1) VOBK 2020 dahingehend auszuüben, den als "Hilfsantrag 1" bezeichneten Antrag ins Verfahren zuzulassen.

Klarheit

2. Nachdem Anspruch 1 des Hauptantrags auf einer Kombination der erteilten Ansprüche 1 und 3 - 6 beruht, kann der Entscheidung G3/14 der Großen Beschwerdekammer folgend fehlende Klarheit unter Artikel 84 EPÜ nicht als Einspruchsgrund dem Hauptantrag entgegengehalten werden. Dies wurde von beiden Parteien auch in der mündlichen Verhandlung so anerkannt und der Einwand daher nicht weiter vertieft.

Erfinderische Tätigkeit

3. Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.

3.1 In Übereinstimmung mit den Parteien wird der in Figur 7 von Dokument D6 gezeigte Rollenförderer als nächstkommender Stand der Technik angesehen.

3.1.1 Der aus D6 bekannte Rollenförderer weist einen Satz von auf einem Rollenträger (4e) gelagerten Beförderungsrollen (1e) auf, die in Beförderungsrollenaufnahmen (3e) zur Lagerung der Beförderungsrollen am Rollenträger (4e) gelagert sind. Zwischen den Beförderungsrollenaufnahmen (3e) entstehen auf diese Weise nach oben ragende Stege.

3.1.2 Zur Halterung der Beförderungsrollen auf dem Rollenträger sind zwei unabhängig voneinander, an gegenüberliegenden Seiten des Rollenträgers anbringbare, als U-Profil ausgestaltete Profilschienen (6e) vorgesehen, die mit Rastmitteln an Erhebungen ("protrusions" 14) an den gegenüberliegenden Seiten des aufragenden Schenkels des Rollenträgers aufclipsbar sind. Die U-förmigen Profilschienen (6e) sind dabei am inneren Schenkel mit Ausnehmungen versehen, um die Achse (2e) der jeweiligen Beförderungsrolle (1e) aufzunehmen, so dass die Profilschienen mit ihren beiden Schenkeln über den aufragenden Schenkel (4e) des Rollenträgers geschoben werden können, so dass der Rollenträger im U-Profil der Profilschiene (6e) aufgenommen wird.

3.1.3 Zwischen den Ausnehmungen im inneren Schenkel der Profilschienen entstehen dabei federnde Zungen, die über die Erhebungen ("protrusions" 14) geschoben werden können und daher Rastmittel im Sinne des Streitpatents darstellen. Wie auf der von der Beschwerdeführerin in der Verhandlung vorgelegten, der Erläuterung dienenden Zeichnung zu sehen ist, weist die Profilschiene zwischen den vier Ausnehmungen für die Achsen der Beförderungsrollen wenigstens drei in Beförderungsrichtung entlang der Profilschiene verteilte Rastmittel in Form der federnden Zungen auf.

3.2 Ob die Erhebungen ("protrusions" 14) mehrere punktförmige Erhebungen sind, oder aber eine sich in Längsrichtung des Rollenträgers über dessen gesamte Länge erstreckende Rippe, lässt sich weder der Beschreibung, noch den Figuren zweifelsfrei entnehmen. Diese Auffassung wurde auch von den Parteien geteilt, so dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags bereits aus diesem Grund unstrittig neu ist gegenüber D6.

3.3 Strittig zwischen den Parteien ist jedoch auch, ob der Rollenförderer der D6 als ein Warenvorschubeinsatz für ein Warenvorschubsystem zur selbsttätigen Beförderung von entlang dem Warenvorschubeinsatz in der Beförderungsrichtung angeordneten Waren zu einer Sichtkante eines mit dem Warenvorschubsystem ausgestatteten Regals angesehen werden kann.

Nachdem der aus D6 bekannte Rollenförderer in einem Regal gegenüber der Horizontalen leicht geneigt derart montiert werden kann, dass sich auf dem Rollenförderer aufliegende Ware selbsttätig unter Schwerkrafteinfluss entlang einer Beförderungsrichtung auf dem Rollenförderer bewegt, weist auch der Rollenförderer der D6 die im Anspruch 1 des Hauptantrags verlangte Eignung als Warenvorschubeinsatz auf. Aus D6 ist dabei keine Eigenschaft des Rollenförderers erkennbar, die diese mögliche Verwendung verhindern könnte, auch wenn diese Verwendung in D6 nicht explizit genannt wird.

3.4 Zudem ist strittig zwischen den Parteien, wie die Rastmittel dem Wortlaut des unabhängigen Anspruchs folgend ausgebildet sein müssen und damit, ob die aus D6 bekannten Rastmittel hierunter fallen.

3.4.1 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass die Merkmale "Profilschienen sind mit jeweils mindestens drei in Beförderungsrichtung entlang des Rollenträgers und den Profilschienen verteilten Rastmitteln ... aufclipsbar" und "die Rastmittel sind jeweils an Innenwänden der Profilschienen angeordnet" sich widersprechen würden.

Es sei aus Sicht der Beschwerdeführerin nicht gleichzeitig möglich, die Rastmittel nur an der Profilschiene anzuordnen und dennoch sowohl auf der Profilschiene als auch auf dem Rollenträger jeweils mindestens drei Rastmittel vorzusehen. Der Fachmann würde daher den Anspruch so interpretieren, dass die Rastmittel nur auf den Profilschienen vorgesehen sein müssten.

3.4.2 Dieser Interpretation kann jedoch nicht gefolgt werden, da sie die beiden genannten Merkmale aus dem Kontext mit den weiteren in Anspruch 1 genannten Merkmalen reißt.

a) Der Anspruch verlangt auch, dass die Rastmittel "jeweils aus einer oberen Rastnase und einer gegenüberliegenden unteren Rastnase sowie jeweils korrespondierenden Einrastelementen bestehen, wobei die oberen Rastnasen an einem oberen Schenkel der Profilschienen angeordnet sind, wobei zu den oberen Rastnasen korrespondierende obere Einrastelemente zumindest teilweise an oberen Enden von Stegen von Beförderungsrollenaufnahmen zur Lagerung von Beförderungsrollen vorgesehen sind". Die oberen Einrastelemente müssen somit zwingend auf dem Rollenträger angeordnet sein und stellen diejenigen Teile der Rastmittel dar, die gemäß den vermeintlich widersprüchlichen Merkmalen entlang des Rollenträgers vorgesehen sein müssen.

b) Somit verlangt der Anspruch 1 des Hauptantrags wenigstens drei in Beförderungsrichtung verteilte Rastmittel entlang des Rollenträgers und wenigstens drei weitere, in Beförderungsrichtung verteilte Rastmittel an den Profilschienen.

3.5 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich daher von dem Rollenförderer der D6 dahingehend, dass

i) auch der Rollenträger mit mindestens drei in Beförderungsrichtung verteilten Rastmitteln versehen ist,

ii) wobei die (an der Profilschiene vorgesehenen) Rastmittel jeweils an Innenwänden der Profilschienen angeordnet sind und aus einer oberen Rastnase an einem oberen Schenkel der Profilschiene und einer gegenüberliegenden unteren Rastnase bestehen, und

iii) wobei die (am Rollenträger vorgesehenen) Rastmittel aus mit zur oberen Rastnase korrespondierenden oberen Einrastelementen am oberen Ende der Stege des Rollenträgers bestehen.

3.6 Ausgehend von D6 hat der Fachmann jedoch keine Veranlassung dazu, die aus D6 bekannte Konstruktion so abzuändern, dass sie die vorstehend genannten Merkmale i) - iii) aufweisen würde.

3.6.1 Hierzu müsste der Fachmann als erstes als Rastmittel auf dem Rollenträger punktuelle Erhebungen wählen. Diese punktuellen Erhebungen müsste er dann anstatt im etwa oberen Drittelpunkt des Rollenträgers am oberen Ende der Stege des Rollenträgers platzieren.

3.6.2 Sodann müsste er die Orientierung der Profilschiene ändern, indem er diese um 90° dreht, da die Profilschiene dem Wortlaut des Anspruchs 1 folgend einen "oberen Schenkel" aufweisen muss. Die Profilschiene in Figur 7 der D6 weist lediglich zwei vertikal verlaufende Schenkel auf.

a) Die Beschwerdeführerin argumentiert hierzu zwar, dass es nicht auszuschließen sei, dass der Rollenträger auch um 90° gedreht als seitliche Führung eines Warenvorschubsystems verwendet werden könne.

b) Dieses Argument kann jedoch nicht überzeugen, da dann der Rollenträger kein Warenvorschubeinsatz mehr wäre, auf dem Waren in einem Regal hin zu einer Sichtkante des Regals transportiert werden können, sondern nur eine seitliche Führung für einen Warenvorschubeinsatz sein könnte.

3.6.3 Die vorstehend genannten Modifikationen sind aufeinander aufbauende Schritte eines Entwicklungsprozesses, den der Fachmann nur in Kenntnis der Erfindung gehen würde.

3.6.4 Zudem aber hat der Fachmann auch keine Anregung, die spezielle erfindungsgemäße Ausgestaltung der Rastmittel und ihre Anordnung gemäß den Merkmalen ii) und iii) zu wählen. In D6 sind die Rastmittel an der Profilschiene federnde Zungen, die weder an Innenwänden der Profilschiene angeordnet sind, noch vom Fachmann ohne Grund durch eine obere und untere Rastnase ersetzt würden, wenn dieser die Erfindung nicht kennt.

3.7 Daher wird der Gegenstand des Anspruchs 1 ausgehend von D6 nicht durch das Fachwissen des einschlägigen Fachmanns nahegelegt. Die Argumentation der Beschwerdeführerin stellt eine unzulässige ex post facto-Betrachtung in Kenntnis der Erfindung dar.

4. Weitere Argumentationslinien zum Hauptantrag wurden von der Beschwerdeführerin nicht vorgetragen.

Anpassung der Beschreibung

5. Die Beschreibung wurde von der Beschwerdegegnerin an den Wortlaut des unabhängigen Anspruchs angepasst.

Weder die Beschwerdeführerin, noch die Kammer hatten Einwände gegen die angepasste Beschreibung.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent auf der Grundlage der folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:

Ansprüche 1 - 4 gemäß Hauptantrag (eingereicht während der mündlichen Verhandlung als ,,Hilfsantrag 1");

Beschreibungsspalten 1 - 2 wie während der mündlichen Verhandlung eingereicht und Spalten 3 - 7 wie im erteilten Patent;

Figuren 1 - 2 wie im erteilten Patent.

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