T 0469/18 () of 11.1.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T046918.20210111
Datum der Entscheidung: 11 Januar 2021
Aktenzeichen: T 0469/18
Anmeldenummer: 13172603.6
IPC-Klasse: B60K17/02
F16H41/24
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Lagerungssystem für ein Antriebssystem
Name des Anmelders: Schaeffler Technologies AG & Co. KG
Name des Einsprechenden: ZF Friedrichshafen AG
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(b) (2007)
European Patent Convention Art 123(2) (2007)
European Patent Convention Art 84 (2007)
European Patent Convention Art 54 (2007)
European Patent Convention Art 56 (2007)
Schlagwörter: Einspruchsgründe - mangelhafte Offenbarung (nein)
Einspruchsgründe - mangelnde Klarheit kein Einspruchsgrund
Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (nein)
Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hauptantrag (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent 2684725 widerrufen worden ist.

II. Mit ihrer Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Streitpatent wie erteilt aufrecht zu erhalten, hilfsweise die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Weiter hilfsweise wurde beantragt, das Patent im Umfang eines der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1, 2 oder 3 aufrechtzuerhalten.

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte mit ihrer Beschwerdeerwiderung, die Beschwerde zurückzuweisen und damit den vollständigen Widerruf des Streitpatents im Umfang aller seitens der Beschwerdeführerin vorgelegten Anträge zu bestätigen.

Hilfsweise beantragte sie eine mündliche Verhandlung.

III. In ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 (Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, Amtsblatt EPA 2019, A63) legte die Kammer ihre vorläufige Ansicht zur Sache dar, wonach insbesondere keiner der von der Einsprechenden gegen den Hilfsantrag 3 vorlegten Einwände gemäß den Artikeln 100 b), 123(2) und 84 EPÜ die Kammer überzeugen konnte. Weiterhin teilte die Kammer mit, dass kein Anlass bestehe, die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 von Hilfsantrag 3 zu bezweifeln, da die Einsprechende weder seine Neuheit noch seine erfinderische Tätigkeit in Frage gestellt habe.

IV. Die Beschwerdegegnerin machte mit ihrer Eingabe vom 10. September 2020 den sich im Verfahren befindlichen Hilfsantrag 3 zum Hauptantrag und den bisherigen Hauptantrag, sowie die bisherigen Hilfsanträge 1 und 2 zu Hilfsanträgen 1 bis 3.

V. Mit Eingabe vom 16. November 2020 nahm die Beschwerdegegnerin ihren Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurück.

VI. Der für den 27. November 2020 anberaumte Termin zur mündlichen Verhandlung wurde daraufhin aufgehoben.

VII. Anspruch 1 gemäß neuem Hauptantrag lautet wie folgt (Unterschiede gegenüber dem erteilten Anspruch 1 gekennzeichnet durch die Kammer):

"Lagerungssystem (1) für ein Antriebssystem (2), umfassend zumindest:

- eine Abtriebswelle (3) einer Antriebseinheit (4), wobei die Antriebseinheit (4) eine Verbrennungskraftmaschine ist;

- ein Anschlusssystem (5) mit zumindest einem Anschlusselement (6) für ein Antriebsgehäuse (7);

- zumindest eine Getriebewelle (8) eines Getriebes (9);

- ein Getriebegehäuse (10);

- ein Drehmomentwandler (11); und

- zumindest zwei Lagerelemente (12,13) für rotatorische Relativbewegungen,

wobei der Drehmomentwandler (11) mit der zumindest einen Getriebewelle (8) verbunden ist und die zumindest zwei Lagerelemente (12, 13) den Drehmomentwandler (11) gegenüber dem Getriebegehäuse (10) lagern,

wobei eins der Lagerelemente (12) auf einer Anschlusswelle (16) angeordnet ist, wobei die Anschlusswelle (16) über eine Flexplatte (17) mit dem Drehmomentwandler (11) rotationsfest verbunden ist, wobei die Anschlusswelle (16) den Anschluss zur Abtriebswelle (3) umfasst."

Entscheidungsgründe

1. Auslegung des Anspruchs 1

1.1 Die Beschwerdeführerin trägt vor, dass das Merkmal von Anspruch 1 wonach:

a) "die zumindest zwei Lagerelemente (12, 13) den Drehmomentwandler (11) gegenüber dem Getriebegehäuse (10) lagern,"

so auszulegen sei, dass die Lagerelemente den Drehmomentwandler direkt bzw. unmittelbar gegen das Getriebegehäuse abstützten.

1.2 Die Kammer stimmt dem nicht zu und teilt die Ansicht der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung (siehe Seite 7, erster Absatz der Entscheidung). Der Anspruch 1 des Streitpatents definiert nicht, dass der Drehmomentwandler direkt am Getriebegehäuse bzw. im Getriebegehäuse gelagert ist, sondern lediglich gegenüber dem Getriebegehäuse gelagert ist. Diese Lagerung kann somit mittelbar über andere Bauteile erfolgen, genauso wie gemäß den Figuren 2, 3, 5 und 6 des Streitpatents das Lager 12 den Drehmomentwandler über die Anschlusswelle 16 und gegebenenfalls die Flexplatte 17 gegenüber dem Getriebegehäuse 10 lagert.

2. Ausreichende Offenbarung - Artikel 100 b) EPÜ

2.1 Die Beschwerdegegnerin argumentiert, dass die von der Beschwerdeführerin oben genannte Auslegung des Merkmals a) impliziere, dass die gemäß dem Streitpatent vorzusehende beidseitige Lagerung des Drehmomentwandlers jeweils am Getriebegehäuse selbst körperlich vorgesehenen und in keinem Falle an nachträglich an diesem anzugbringenden Komponenten erfolge. Wenn der Gegenstand des Anspruchs 1 dann so zu verstehen sei, dass eine die Stützung des Lagers 12 vorsehende Komponente nicht vorhanden sei, sei festzustellen, dass ein derartiger Gegenstand im Streitpatent nicht so offenbart sei, dass der Fachmann dazu in der Lage wäre, diesen nachzuarbeiten, so dass auch hinsichtlich dieses Aspekts das Streitpatent gestützt auf den bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebrachten Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ zu widerrufen bzw. der erstinstanzliche Widerruf des Streitpatents zu bestätigen sei.

2.2 Wie oben unter Punkt 1.2 ausgeführt folgt die Kammer die Interpretation der Beschwerdeführerin nicht:

Eine beidseitige Lagerung des Drehmomentwandlers jeweils am Getriebegehäuse selbst ist ausgeschlossen. Somit ist der Ausführbarkeitseinwand der Beschwerdegegnerin Gegenstandlos.

3. Unzulässige Erweiterung

3.1 Betreffend die ursprüngliche Offenbarung wird auf die Veröffentlichung der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung wie veröffentlicht (EP 2 684 725 A1) Bezug genommen.

3.2 Anspruch 1 des Hauptantrags entspricht dem Anspruch 1 des der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrags 1 mit dem folgenden zusätzlichen Merkmal (unterstrichen):

b) "eine Abtriebswelle (3) einer Antriebseinheit (4), wobei die Antriebseinheit (4) eine Verbrennungskraftmaschine ist;".

3.2.1 Die Beschwerdegegnerin wiederholt in Bezug auf den Hauptantrag die vor der Einspruchsabteilung zum damaligen Hilfsantrag 1 vorgebrachten Argumente hinsichtlich einer behaupteten unzulässigen Erweiterung des Gegenstands von Anspruch 1 (siehe Punkt IV.1.a der Beschwerdeerwiderung und Punkte II. und III. der Eingabe vom 15. November 2018).

3.2.2 Gemäß Artikel 15(8) VOBK 2020 kann die Kammer die Entscheidungsgründe in gekürzter Form abfassen, wenn die Kammer sich hinsichtlich einer oder mehrerer Fragen den Feststellungen des Organs, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, sowie der Begründung in der angefochtenen Entscheidung dafür anschließt.

3.2.3 Die Einspruchsabteilung hat sich ausführlich mit der Argumentationslinie der Beschwerdegegnerin in ihrer Entscheidung auseinandergesetzt. Da die Kammer die Begründung der Einspruchsabteilung zu diesem Punkt teilt, schließt sich die Kammer insoweit der zutreffenden Begründung und den Feststellungen der Einspruchsabteilung an (siehe Punkt 4.2 der angefochtenen Entscheidung).

3.3 Zudem trägt die Beschwerdegegnerin vor, dass im Kontext des in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen als vermeintliche Erfindung diskutierten Gegenstands die Ausgestaltung der Antriebseinheit als Verbrennungskraftmaschine (Merkmal b) nicht offenbart sei. Im Absatz [0002] der ursprünglich vorgelegten Anmeldungsunterlagen sei offensichtlich nicht der Gegenstand beschrieben, welcher im Streitpatent als "Erfindung" unter Schutz gestellt werden solle, sondern der Stand der Technik. Erst im Absatz [0004] sei dargelegt, worin nach Ansicht des Streitpatents die Erfindung liegen solle. In der dann folgenden Diskussion des behaupteten Erfindungsgegenstandes werde nicht ein einziges Mal erwähnt, dass die Antriebseinheit bei dem als Erfindung beschriebenen Lagerungssystem eine Verbrennungskraftmaschine sein solle. Insofern beziehe der Anspruch 1 des Hauptantrags Merkmale mit ein, die zwar in der Beschreibung der ursprünglich vorgelegten Anmeldungsunterlagen als mögliche Ausgestaltung des Stands der Technik beschrieben seien, nicht aber als konkrete Ausgestaltungen des Erfindungsgegenstandes.

3.3.1 Die Kammer ist davon nicht überzeugt und teilt die Auffassung der Beschwerdeführerin. Die Absätze [0001] und [0002] der ursprünglich eingereichten Anmeldung (beginnend mit den Worten: "Die Erfindung betrifft...") beschreiben die Erfindung und nicht den Stand der Technik, der erst zu Beginn von Absatz [0003] erstmals erwähnt wird. Gemäß Absatz [0002] ist die Antriebseinheit beispielsweise eine Verbrennungskraftmaschine oder ein Elektromotor.

3.4 Folglich geht der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht über den Inhalt der Anmeldung wie ursprünglich eingereicht hinaus (Artikel 123(2) EPÜ).

4. Artikel 84 EPÜ

4.1 Die Beschwerdegegnerin argumentiert, dass die Unklarheit, die durch die Verwendung des Ausdrucks "eine Anschlusswelle" im Anspruch 5 des Hauptantrags auftrete, durch die in diesem Anspruchssatz vorgenommenen Änderungen entstehe und nicht bereits in dem zur Erteilung gekommenen Anspruchssatz vorhanden gewesen sei. Insofern sei auch unter Berücksichtigung der in der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 3/14 aufgestellten Grundsätze dieser Anspruch auf Vorliegen der Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ zu untersuchen und diesbezüglich aufgrund mangelnder Deutlichkeit zu beanstanden.

4.1.1 Die Kammer stimmt dem nicht zu und folgt der Ansicht der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung. Der erteilte Anspruch 6 ist von einem der vorangehenden Ansprüche abhängig. Somit hängt er nicht nur von einem der erteilten Ansprüche 1 bis 4, sondern auch von dem erteilten Anspruch 5 ab. Die durch die Verwendung des Ausdrucks "eine Anschlusswelle" im Anspruch 5 angeblich entstandene Unklarheit war schon in der erteilten Fassung vorhanden und zwar im erteilten Anspruch 6 durch dessen Abhängigkeit von dem erteilten Anspruch 5. Die Merkmale des erteilten Anspruchs 5 wurden in den Anspruch 1 des Hauptantrags aufgenommen. Folglich kann diese Änderung in Zusammenschau mit den Merkmalen des Anspruchs 5 des Hauptantrags keinen Verstoß gegen Artikel 84 EPÜ herbeiführen, der in der erteilten Fassung nicht schon vorhanden gewesen wäre. Gemäß der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 3/14 ist diese angebliche Unklarheit daher nicht prüfbar.

4.2 Darüber hinaus trägt die Beschwerdegegnerin vor, dass entgegen der Anforderung des Artikels 84 EPÜ die Ansprüche des Hauptantrags nicht von der Beschreibung gestützt seien. Insbesondere enthalte der Anspruchssatz des Hauptantrags keinen auf ein Kraftfahrzeug gerichteten Anspruch. Ausweislich des Absatzes [0021] der Streitpatentschrift solle gemäß einem weiteren Aspekt der Erfindung ein Kraftfahrzeug vorgeschlagen werden. Auch hier setze sich die der Aufrechterhaltung gemäß Hauptantrag zu Grunde zu legende Beschreibung in Widerspruch zu den Ansprüchen.

4.2.1 Jedoch gründet sich der Einwand der Beschwerdegegnerin nicht darauf, dass die Ansprüche von der Beschreibung nicht gestützt wären, sondern vielmehr auf die entgegen Regel 42 EPÜ mangelnde Anpassung der Beschreibung an die Ansprüche.

Die Ansprüche des Hauptantrags sind eindeutig von den Absätzen [0005] bis [0019] der Beschreibung des Patents gestützt.

5. Neuheit und erfinderische Tätigkeit

Sowohl die Neuheit als auch die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 gemäß dem Hauptantrag wird von der Beschwerdegegnerin nicht in Frage gestellt. Auch die Kammer sieht keinen Anlass, die Neuheit und erfinderische Tätigkeit dieses Gegenstands zu bezweifeln.

6. Daraus folgend erfüllt der Anspruchsatz gemäß Hauptantrag die Erfordernisse des EPÜ.

Da, wie oben unter punkt 4.2.1 ausgeführt, die Beschreibung eine Anpassung benötigt und da diese von der Einspruchsabteilung zweckmäßiger behandelt werden kann, hält die Kammer es für angemessen, diese Angelegenheit hierzu an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent auf der Grundlage folgender Unterlagen aufrecht zu erhalten:

- Ansprüche 1 bis 5 des Hauptantrags, d.h. des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrags 3;

- Figuren 1 bis 8 wie erteilt; und

- eine anzupassende Beschreibung.

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