European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2021:T041718.20211207 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 07 Dezember 2021 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0417/18 | ||||||||
Anmeldenummer: | 05849817.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | G06Q 10/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | DYNAMISCHES SYSTEM UND VERFAHREN ZUR AUTOMATISIERTEN ÜBERPRÜFUNG UND ÜBERMITTLUNG VON SCHADENSMELDUNGEN UND SCHADENSANSPRÜCHEN | ||||||||
Name des Anmelders: | Swiss Reinsurance Company Ltd. | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.5.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Patentierbare Erfindung - technischer Charakter der Erfindung (ja) Erfinderische Tätigkeit (kann nicht abschließend bewertet werden) Erfinderische Tätigkeit - Mischung technischer und nichttechnischer Merkmale Erfinderische Tätigkeit - nächstliegender Stand der Technik (ist zu recherchieren) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung die Patentanmeldung Nr. 05849817.1 zurückzuweisen, da der Gegenstand des Anspruches 1
des Hauptantrages vom 28. Februar 2017 gemäß Artikel 52(1-3) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist.
Die Prüfungsabteilung befand des Weiteren, dass, selbst wenn dem beanspruchten Gegenstand auf Grundlage der Beschreibung der Anmeldung eine "Realisierung mittels technisch konkretisierter vernetzter Rechner" zugestanden würde, er nicht erfinderisch gemäß Artikel 56 EPÜ sein würde.
II. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Patentanmeldung an
die Prüfungsabteilung im schriftlichen Verfahren zur weiteren Entscheidung und Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit basierend auf den Patentansprüchen gemäß Anhang A vom 28. Februar 2017 (Hauptantrag) oder gemäß Anhang B vom 30. August 2017 (erster Hilfsantrag) zurückzuverweisen. Weiter hilfsweise beantragte sie ein europäisches Patent basierend auf den geänderten Patentansprüchen gemäß Anhang A (zweiter Hilfsantrag) oder gemäß Anhang B (dritter Hilfsantrag) zu erteilen.
Sollte keinem der Anträge stattgegeben werden und keine Möglichkeit zu einer weitern schriftlichen Stellungnahme eingeräumt werden, so beantragt die Beschwerde-führerin mündliche Verhandlung.
Zusätzlich beantragte die Beschwerdeführerin die
Beantwortung von vier Fragen.
III. Anspruch 1 des Hauptantrages (gemäß Anhang A) lautet wie folgt :
"1. Dynamisches, selbstorganisierend anpassendes Kontroll- und Überwachungssystem (40) zur automatisierten Erfassung, Überprüfung und Übermittlung von Schadensmeldungen und Schadensansprüchen von automatisierten Erfassungseinheiten (10/11/12) mehrstufiger Schadensdeckungssystemen, wobei mittels des Kontroll- und Überwachungssystems (40) Schadensrekords erfassbar und an eine Verarbeitungsvorrichtung (25) übermittelbar sind, dadurch gekennzeichnet,
dass das System (40) die automatisierten Erfassungseinheiten (10/11/12) als dezentralisierte, zelluläre Erfassungseinheiten (10/11/12) mit zugeordneten Gebieten (50/51/52) zum zellulären, dem jeweiligen Gebiet (50/51/52) zugeordneten Erfassen von Schadensrekords basierend auf ersten Kontrollparametern umfasst, wobei ein Schadensrekord mindestens einen Ereignisparameter für das jeweilige Gebiet (50/51/52) umfasst,
dass eine Zentraleinheit (20) des zellulären Systems (40) über ein Netzwerk (30) mit den dezentralen, zellulären Erfassungseinheiten (10/11/12) bidirektional verbunden ist, wobei über das Netzwerk (30) Schadensrekords mit den Ereignisparameter von den Erfassungseinheiten (10/11/12) auf die Zentraleinheit (20) des zellulären Systems (40) übertragbar sind, und wobei mittels eines Identifikationsmoduls der dezentralen Erfassungseinheiten (10/11/12) die Erfassungseinheiten (10/11/12) eindeutig identifizierbar und authentifizierbar sind,
dass die Zentraleinheit (20) ein Filtermodul (22) zum Selektieren von ersten und zweiten Schadensrekords basierend auf mindestens einem dem jeweiligen Gebiet (50/51/52) zugeordneten Schwellwert umfasst, wobei die zweiten Kontrollparametern mindestens einen oberen Anspruchsschwellwert sowie Daten zur automatisierten Überprüfung eines Risikoschwellwertes für das jeweilige Gebiet (50/51/52) umfassen und wobei alle Schadensrekords oberhalb des Anspruchsschwellwertes automatisch den ersten Schadensrekords zuordenbar sind, und basierend auf dem Schwellwertes des zugeordneten Gebietes (50/51/52) überprüfbar sind, wobei das Schadensrekord zurückgewiesen wird, falls der Schwellwert überschritten ist,
dass die Zentraleinheit (20) ein Analysemodul (21) zum Detektieren und Eliminieren von mittels der Erfassungseinheiten (10/11/12) fälschlich erfassten ersten Schadensrekords basierend auf zweiten Kontrollparametern umfasst,
dass die Zentraleinheit (20) ein Regelmodul (21) zum dynamischen Anpassen und Abspeichern der den jeweiligen Gebieten (50/51/52) zugeordneten Schwellwerte basierend auf den gefilterten ersten Schadensrekords umfasst, wobei die einem Gebiet zugeordneten Schwellwerte selbstorganisierend mittels des dynamischen System (40) basierend auf den gefilterten ersten Schadensrekords an ein bestimmtes Gebiet anpassbar sind, und
dass mittels der Zentraleinheit (20) die gefilterten ersten Schadensrekords ohne fälschlich erfasste erste Schadensrekords an die Verarbeitungsvorrichtung (25) übermittelbar sind, wobei sie zur mehrstufigen Schadensdeckung freigegeben werden."
IV. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen argumentiert, dass ihr keine faire Chance eingeräumt wurde, vor der endgültigen Entscheidung zu den erhobenen Einwänden Stellung zu nehmen. Dies gelte insbesondere für die in der Ladung neu erhobenen Einwände unter Artikel 52(2)(3) EPÜ. Diese seien unter Verweis auf nationale Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erhoben wurden. Die auf dem COMVIK-Ansatz beruhende gängige Praxis des EPA sei hingegen ignoriert worden. Die Beschwerdeführerin argumentierte weiterhin, dass die von der Prüfungsabteilung vorgebrachte Argumentation nicht so ausgestaltet war, dass sie darauf angemessen hätte reagieren können. Indem sie es abgelehnt habe, das Verfahren schriftlich fortzusetzen, habe die Prüfungsabeilung gegen Artikel 113(1) EPÜ und Artikel 94(3) EPÜ verstoßen.
Mit Bezug auf den Zurückweisungsgrund gemäß Artikel 56 EPÜ argumentierte die Beschwerdeführerin, der Unterschied des Gegenstands von Anspruche 1 zum normalen Standardcomputersystem bestehe darin, dass für die Synchronisierung des automatisierten Systems und der dynamischen Adaptivität des Betriebs, bzw. der dynamischen Anpassung der Betriebsparameter, ein zelluläres System mit zellulären angeordneten Erfassungseinheiten vorgesehen sei. Der neuartige, zelluläre Aufbau des Systems mit zugeordnetem identifizierbaren, lokalen Erfassen von Datensätzen in Verbindung mit entsprechend zugeordneten zellulären ersten und zweiten Kontrollparametern und der zellulären, adaptiven Erfassung der Schadensereignisse sei so nicht im Stand der Technik bekannt und auch nicht naheliegend gewesen. Diese dynamische, selbst-optimierende Struktur des Systems sei neu und erfinderisch.
Entscheidungsgründe
1. Die Erfindung
1.1 Die Erfindung betrifft ein dynamisches System zur automatisierten Überprüfung und Übermittlung von Schadensmeldungen und Schadensansprüchen, siehe Seite 1, erster Absatz.
1.2 Im Stand der Technik, siehe Seite 3, erster Absatz, der Anmeldung sind automatische oder halbautomatische Verfahren zur Überprüfung der Genauigkeit der Schadensansprüche bekannt. Allerdings fehle es diesen Verfahren an einer vollständigen automatisierten Kontrolle und Überprüfung der Schadensfälle. Zudem könnten Rückversicherer meist nur eine stichprobenartige Überprüfung vornehmen, siehe Seite 2, zweiter Absatz, da sie keinen Zugang auf die Datenbanken der Erstversicherer haben.
1.3 Die Erfindung löst dies durch ein sich "dynamisch anpassendes" System, das es auch in mehrstufigen Systemen zur Schadensdeckung erlaubt, Schadensfälle zu erfassen, zuzuordnen, zu überprüfen und zu übermitteln und allenfalls entsprechend anzupassen, siehe Seite 4, zweiter Absatz. Das Ziel der Erfindung liegt somit in der Überprüfung der Genauigkeit von Schadensansprüchen ("Schadensrekords"), siehe Seite 1, Absatz 1. Dabei wird eine Erstprüfung (Filtermodul) und eine Zweitprüfung (Analysemodul) durchgeführt, deren Aufgabe es ist, verdächte Schadensrekords herauszufiltern bevor diese zur Schadensregulierung freigegeben werden. Hierbei ist das System anpassungsfähig. Kontrollparameter können verändert werden. Berechtigte Schadens-rekords werden nur nach diesen Prüfungen zur Zahlung der Versicherungsleistung an eine Verarbeitungsvorrichtung weitergeleitet.
1.4 Das "dynamische" System umfasst zelluläre, dezentralisierte Erfassungseinheiten, die Gebieten zugeordnet sind und zur Erfassung von Schadensrekords dienen. Dabei umfasst ein Schadensrekord mindestens einen Ereignisparameter für das jeweilige Gebiet, sowie eine Zentraleinheit, die bidirektional über ein Netzwerk mit den Erfassungseinheiten verbunden ist. Die Zentraleinheit umfasst ein Filtermodul zum Selektieren von Schadensrekords basierend auf mindestens einem dem jeweiligen Gebiet zugeordneten Schwellwert, sowie ein Analysemodul zum Detektieren und Eliminieren von fälschlich erfassten Schadensrekords. Die Schwellwerte dienen u.a. dazu, die Höhe der Schadenssummen pro Gebiet zu begrenzen, siehe Seite 11, Zeilen 1 bis 10. Die Zentraleinheit umfasst des weiteren ein Regelmodul zum dynamischen Anpassen der den jeweiligen Gebieten zugeordneten Schwellwerte basierend auf den gefilterten ersten Schadensrekors. Die gefilterten Schadensrekords, also ohne die "fälschlich erfassten", werden an eine Verarbeitungseinrichtung übermittelt, wobei sie zur mehrstufigen Schadensdeckung freigegeben werden. Ein optionales Berechnungsmodul der Zentraleinheit passt die Versicherungsprämien iterativ basierend auf den korrigierten Schadensrekords an.
2. Beantwortung abstrakter Rechtsfragen im Verfahren vor der Beschwerdekammer:
Das EPÜ eröffnet keine Möglichkeit, abstrakte Rechtsfragen in Entscheidungen der Beschwerdekammern zu beantworten. Dies obliegt allein der Großen Beschwerdekammer in den dafür vorgesehenen Vorlageverfahren, siehe Artikel 22(1)a) und b) EPÜ. Demgegenüber behandelten die Beschwerdekammern Rechtsfragen nur wenn und soweit diese im konkreten Fall entscheidungserheblich sind.
3. Rechtliches Gehör - Artikel 113(1) EPÜ
3.1 Im Prüfungsverfahren nach den Artikeln 96 und 97 EPÜ soll Artikel 113 (1) EPÜ sicherstellen, dass der Anmelder vor Erlass einer Zurückweisung einer Anmeldung wegen Nichterfüllung einer Anforderung des EPÜ vom EPA klar über die wesentlichen rechtlichen und tatsächlichen Gründe informiert wird, auf denen die Feststellung der Nichteinhaltung beruht. Der Anmelder soll vor der Entscheidung sowohl erfahren, dass die Anmeldung zurückgewiesen werden kann, als auch warum sie zurückgewiesen werden kann. Auf diese Weise soll er Gelegenheit erhalten, sich zu diesen Gründen angemessen zu äußern und/oder Änderungen vorzuschlagen, um eine Ablehnung des Antrags zu vermeiden.
3.2 Die Ladung zur mündlichen Verhandlung nennt zwar nicht explizit den Artikel 52(2) und (3) EPÜ als Rechtsgrundlage und diskutiert nur allgemein unter Bezug auf zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, warum der beanspruchte Gegenstand der vorliegenden Anmeldung dem Patentschutz nicht zugänglich sei. Dieser Einwand wurde aber nicht erst im Ladungsbescheid erhoben, sondern bereits in einem Vorbescheid der Prüfungsabteilung. Die Beschwerdeführerin kann daher nicht als überrascht gelten.
3.3 Es ist für die Kammer nicht erkennbar, ob die Niederschrift den tatsächlichen Hergang der mündlichen Verhandlung wiedergibt oder nicht. Auch wurde kein Antrag auf Korrektur der möglicherweise "fehlerhaften" Niederschrift gestellt. Sofern eine Partei meint, die Verhandlungsniederschrift sei unvollständig oder fehlerhaft, da diese wesentliche Ausführungen nicht oder fälschlicherweise enthalte und den Erfordernissen der Regel 124 EPÜ nicht genügt, obliegt es ihr, zur Wahrung ihrer Rechte bei dem zuständigen Organ eine entsprechende Protokollberichtigung zu beantragen. Ohne einen solchen Antrag ist die Behauptung, es liege ein wesentlicher Verfahrensmangel vor, nicht stichhaltig (siehe Rechtbesprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, supra, V.A.9.5.7.f), erster Absatz, mit weiteren Nachweisen).
4. Artikel 52(2) und (3) EPÜ
4.1 Die Prüfungsabteilung betrachtete den Gegenstand des Anspruches 1 des Hauptantrages als nach Artikel 52(1-3) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen, da der Zweck des definierten Systems eine rein wirtschaftliche Aufgabe einer Versicherung sei. Offenbar ist Artikel 52(2) und (3) EPÜ gemeint, wie von der Beschwerde-führerin auch erkannt wurde. Die Prüfungsabteilung begründete dies damit, dass die Ansprüche keine konkreten technischen Mittel zur Durchführung der angestrebten Verfahrensschritte nennen würden. Die im Anspruch erwähnte Verarbeitungsvorrichtung sei nicht Teil des abstrakt nur über seinen nicht-technischen Zweck definierten Systems. Der Vorgang der "Automatisierung" des Verfahrens sei ebenfalls kein technischer, da der begehrte Schutzbereich im Lichte der Beschreibung auch eine zumindest teilweise manuelle Verarbeitung umfasse.
4.2 Die Beschwerdeführerin ist hauptsächlich mit der plakativen und summarischen Analyse des Anspruches 1 hinsichtlich seiner technischen Merkmale nicht einverstanden. Im Wesentlichen argumentierte sie, dass sich der technische Charakter einer Erfindung basierend auf den Anspruchsmerkmalen als Ganzes bestimme, und die Technizität der einzelner Merkmale über ihren Beitrag zu diesem technischen Charakter bestimmt sei, und nicht über eine allfähige technische Wirkung einzelner betrachteter Merkmale. Der technische Charakter sei eine inhärente Eigenschaft einer Erfindung, die nicht vom tatsächlichen Beitrag der Erfindung zum Stand der Technik abhängt.
4.3 Anspruch 1 definiert nach Überzeugung der Kammer mehrere technische Merkmale: zumindest ein Kontroll- und Überwachungssystem zur automatischen Erfassung, Überprüfung und Übermittlung von Daten, bestehend aus automatisierten dezentralen Erfassungseinheiten, die über ein Netzwerk mit einer Zentraleinheit bidirektional verbunden sind. Schon alleine aufgrund der Anspruchskategorie weist der beanspruchte Gegenstand im vorliegenden Fall technischen Charakter auf. Auch die Übermittlung der Daten von der Zentraleinheit an eine Verarbeitungsvorrichtung wird von der Kammer als technisches Merkmal gewertet.
4.4 In der Beurteilung der Zugehörigkeit des beanspruchten Gegenstandes zu einem Gebiet der Technik zitierte die Prüfungsabteilung in ihrer Entscheidung T 0154/04, Entscheidungsgründe 19 bis 21, ohne jedoch darzulegen, wie diese auf den vorliegenden Fall anzuwenden seien. Offenbar war die Prüfungsabteilung der Meinung, dass die in Anspruch 1 definierten Merkmale nicht implizieren, dass ein technisches System oder Mittel eingesetzt wird, da keine technische Aufgabe auf einem technischen Gebiet gelöst werde.
Die Prüfungsabteilung übersieht hierbei allerdings, dass der Anspruch 1 des der T 0154/04 zugrundeliegenden Patents auf ein Verfahren zur Absatzschätzung gerichtet war, währenddessen sich der Anspruch 1 im vorliegenden Fall auf ein Kontroll- und Überwachungsssystem bezieht. Anwendbar wären Entscheidungsgründe 23 und 24 der
T 154/04, wo die Technizität des damaligen Anspruches 7, der sich auf ein "System" bezog, nicht in Frage gestellt wurde. Auch die Richtlinien für die Prüfung des EPA, Kapitel G-II 3.5 legten damals bereits fest, dass, wenn der beanspruchte Gegenstand aber "eine Vorrichtung ... zur Durchführung zumindest eines Teils des Plans [betrifft], so müssen dieser Plan und die Vorrichtung ... als Ganzes geprüft werden".
Eine rein abstrakte Interpretation des Begriffes
"-system" des Anspruches 1 als nicht-technischer Begriff kann schon alleine wegen dessen Ausgestaltung aus automatisierten dezentralen Erfassungseinheiten, die über ein Netzwerk mit einer Zentraleinheit bidirektional verbunden sind, nicht zutreffend sein.
4.5 Bei der Ausgestaltung der Zentraleinheit mit unterschiedlichen Modulen, u.a. einem Filtermodul, einem Analysemodul und einem Regelmodul, ist aber noch zu untersuchen, ob diese Merkmale lediglich auf einer abstrakten Meta-Ebene als Module spezifiziert sind und Funktionen repräsentieren, wie sie der nicht-technische Fachmann in seinem Konzept zugrunde legen würde. Ist dies der Fall, so werden damit keine technischen Merkmale vorgegeben. Erst durch die Angabe von tatsächlichen Implementierungsschritten im Anspruch werden diese Module zu technischen Merkmalen qualifiziert (vgl. T 2455/13, Entscheidungsgründe 3.10 bis 3.12).
4.6 Die Zugehörigkeit des beanspruchten Gegenstandes zum Stand der Technik basiert auf den technischen Merkmalen eines Anspruches. Auf deren Basis kann der technische Charakter des Anspruches abgeleitet werden. Der
Beitrag eines Merkmales zum technischen Charakter (Regel 42(1) EPÜ) beruht auf der durch dieses Merkmal erzielten technischen Wirkung und darauf, ob dieses Merkmal Teil der Lösung einer technischen Aufgabe ist. Der technische Charakter einer Erfindung ist eine inhärente Eigenschaft, die nicht vom tatsächlichen Beitrag der Erfindung zum Stand der Technik abhängt, siehe T 1082/13, Leitsatz 1. Liegt wenigstens ein technisches Merkmal vor, was hier der Fall ist, so besitzt der Anspruch als Ganzes technischen Charakter.
4.7 Der Begriff "automatisiert" als Merkmal im Anspruch 1 hat einen klaren technischen Bedeutungsgehalt. Seine breitere Auslegung, wie sie von der Prüfungsabteilung vorgenommen wurde, würde unter Bezugnahme auf die Beschreibung bedeuten, dass der Begriff "automatisiert" den Begriff "halb-automatisiert" umfasst. Dies trifft allerdings nicht zu. Selbst eine "Halb-Automatisierung" beinhaltet eine teilweise Automatisierung und kann eine technische Aufgabe, u.a. in der Implementierung, begründen.
4.8 Es ist der Kammer daher nicht ersichtlich, warum dem Anspruch 1 der technische Charakter abgesprochen werden konnte und der beanspruchte Gegenstand unter Artikel 52(2)(c) und (3) EPÜ fallen sollte.
5. Artikel 56 EPÜ
5.1 Die Prüfungsabteilung führte aus, dass der Gegenstand des Anspruches 1 des Hauptantrages, wenn er auf Grundlage der Beschreibung als eine "Realisierung mittels technisch konkretisierter vernetzter Rechner" interpretiert wird, nicht erfinderisch sei. Die Prüfungsabteilung nannte in diesem Zusammenhang zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (X ZR 33/03 und
X ZB 20/03) und leitete daraus ab, dass der Gegenstand von Anspruch 1 durch die diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Anmeldungen nahegelegt werde, siehe Punkt 2.2 und 2.3 der angegriffenen Entscheidung.
5.2 Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern kommt bei einer Erfindung, die, wie im vorliegenden Fall, aus einer Mischung technischer und nicht-technischer Merkmale besteht und als Ganzes technischen Charakter aufweist der COMVIK-Ansatz zu Anwendung (siehe COMVIK, T 0641/00). Des Rückgriffs auf nationale Rechtsprechung bedurfte es daher nicht.
5.3 Nach der COMVIK-Rechtsprechung sind bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit alle Merkmale zu berücksichtigen, die zu diesem technischen Charakter beitragen, wohingegen Merkmale, die keinen solchen Beitrag leisten, das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit nicht stützen können. Es ist somit zunächst der nächstliegende Stand der Technik anhand der unter Punkt 4.3 genannten Merkmale zu bestimmen.
5.4 Die Kammer teilt nicht die Auffassung der Prüfungsabteilung, dass ein notorisch bekannter vernetzter Standard-PC den nächstliegenden Stand der Technik darstellt. Einem solchen Standard-PC fehlen u.a. die netzwerk-verteilte Ausgestaltung des beanspruchten Systems zwischen dezentralen Erfassungseinheiten, die über ein Netzwerk mit einer Zentraleinheit bidirektional verbunden sind, siehe Punkt 4.3 dieser Entscheidung. Die dort genannten Merkmale sind, anders als in der angefochtenen Entscheidung, bei der Bestimmung des nächstliegenden Standes der Technik für die Prüfung auf erfinderische Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 zu berücksichtigen (Artikel 56 EPÜ).
5.5 Es sei dahingestellt, ob und inwieweit die Erfindung, wie von der Beschwerdeführerin argumentiert, ein selbst-organisierendes, dynamisches System darstellt und sich als solches einem technischen Anwendungsgebiet zuordnen lässt. Entscheidend ist, welche technischen Ausführungsbeispiele in der Anmeldung detailliert ausgeführt sind.
Nach der Beschreibung können die Erfassungseinheiten und Komponenten des Systems vollständig automatisiert oder halb automatisiert sein, sowie hardware- und/oder softwaremäßig ausgestaltet sein, siehe den seitenübergreifenden Satz auf Seiten 5 und 6, sowie Seite 8, vierter Absatz. Dabei ist in der Anmeldung nicht weiter ausgeführt, was unter "zellulär" zu verstehen ist. Die Erfassungseinheiten sind Erstversicherern zugeordnet und dienen der Erfassung von Schadensmeldungen und Schadensansprüchen für zugeordnete Gebiete, siehe Seite 8, vierter Absatz. Die "zelluläre" Ausgestaltung steht dabei in Bezug auf das jeweilige zugeordnete Gebiet. Wenn auch die Art der "zellulären" Zuordnung auf rein nicht-technischen Überlegungen beruht, so sind doch die Erfassungseinheiten als technische Merkmale zu werten.
Nach Seite 5, Zeilen 19 bis 23, der Anmeldung bezieht sich die selbstorganisierende Eigenschaft des Systems darauf, dass die einem Gebiet zugeordneten Schwellwerte "selbstorganisierend" an ein bestimmtes Gebiet angepasst werden. Die Anpassung wird auf der Basis von herausgefilterten Schadensrekords von einem Regelmodul vorgenommen, siehe Seite 9, Zeilen 19 bis 29. Dabei werden auch Prämien gebietsspezifisch dynamisch berechnet und/oder angepasst. Während die Idee einer gebietsspezifischen Anpassung von Schwellwerten rein nicht-technischer Natur ist, wertet die Kammer deren Ausgestaltung in einem Regelmodul als technisch.
Nach Seite 11, Zeilen 2 bis 10, sowie dem seitenüber-greifenden Satz auf Seiten 14 und 15 ergeben sich die Gebieten zugeordneten Schwellwerte nämlich aus der Gestaltung der Versicherung des Erst- und Rückversicherers, u.a. zur Bestimmung der Versicherungsprämie für das zugeordnete Gebiet. Seite 11, erster Absatz führt aus, dass der einem Gebiet zugeordnete Schwellwert dazu dient, zu überprüfen, ob die geforderte Schadenssumme eines Schadensrekords die für diese Gebiet erlaubte Summe übersteigt und somit herausgefiltert wird. Aus Seite 11, zweiter Absatz und Seite 15, zweiter Absatz ergibt sich, welche zusätzliche Daten - motiviert von der Ausgestaltung der Versicherungspolice und die der Rückversicherung - erfasst werden. Derartige Über-legungen bewertet die Kammer als rein nicht-technischer Natur.
Die Identifizierbarkeit der Erfassungseinheiten, siehe Seite 9, Zeilen 2 bis 4, ist in der Anmeldung nicht weiter detailliert, könnte allenfalls in der Zuordnung einer Erfassungseinheit zu einem Erstversicherer lie-gen, was auf nicht-technischen Überlegungen beruht.
Des weiteren ist in der Beschreibung ausgeführt, dass die Erfassung auf einem ersten Kontrollparameter basiert. Aber auch dieser ist in der Anmeldung nicht weiter detailliert. Es könnte sich hierbei um die Schadenshöhe oder das Schadensereignis handeln, was die Kammer als nicht-technische Überlegungen in der Überprüfung der Genauigkeit von Schadensansprüchen im Versicherungswesen wertet.
5.6 Unabhängig von der Bewertung der technischen Wirkung obiger Merkmale reicht der im Verfahren befindliche Stand der Technik zur Bewertung der erfinderischen Tätigkeit nicht aus. Es liegt nur eine Erklärung zur Nichterstellung eines internationalen Recherchenberichtes vor, die sich die Prüfungsabteilung im regionalen Verfahren zu eigen machte. Es wurde dabei auf Einwände gemäß Art. 52(1) EPÜ verwiesen, da sich der beanspruchte und offenbarte Gegenstand auf einen gemäß Art. 52 (2) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgenommen Gegenstand beschränkt und damit einen solchen im Sinne des Art. 52(3) EPÜ darstellt. Eine Recherche wurde nicht durchgeführt. Warum die Prüfungsabteilung die Beschwerdeführerin am 8. Februar 2016 gemäß Artikel 124 und Regel 141 EPÜ aufforderte, ihr bekannten Stand der Technik vorzulegen, um dann keines der angeführten Dokumente im weiteren Verfahren zu berücksichtigen,
ist der Kammer nicht erklärlich.
5.7 Die Kammer sieht sich vor diesem Hintergrund nicht in der Lage, die Frage der erfinderischen Tätigkeit abschließend zu beurteilen.
5.8 Artikel 111(1) EPÜ sieht vor, dass die Kammer nach der Prüfung der Begründetheit der Beschwerde über diese entscheidet. Dazu wird sie entweder im Rahmen der Zuständigkeit des Organs tätig, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, oder sie verweist die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an dieses Organ zurück.
Da der Zweck des Beschwerdeverfahrens vorrangig darin besteht, die Entscheidung der ersten Instanz zu überprüfen (Artikel 12(2) VOBK 2020) und die beanspruchte Erfindung auf der Basis der als technisch angesehenen Merkmale (siehe dazu unter anderem Punkte 5.4 und 5.5) weder recherchiert noch im einzelnen auf erfinderische Tätigkeit geprüft wurde, liegen hier besondere Gründe vor, die es rechtfertigen die Angelegenheit zur Durchführung einer Recherche und zur weiteren Prüfung an die erste Instanz zurückzuverweisen.
Somit gibt die Kammer dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin statt und es kann im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Prüfung, insbesondere zur Durchführung einer Recherche, auf der Basis des Hauptantrages gemäß Anhang A vom 28. Februar 2017 an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.