T 0367/18 () of 23.4.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T036718.20200423
Datum der Entscheidung: 23 April 2020
Aktenzeichen: T 0367/18
Anmeldenummer: 12181171.5
IPC-Klasse: E04G5/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Gerüstverankerung
Name des Anmelders: Adolf Würth GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56 (2007)
European Patent Convention Art 123(2) (2007)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4) (2007)
RPBA2020 Art 025 (2020)
Schlagwörter: Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein)
Spät eingereichte Hilfsanträge - zugelassen (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 12181171.5 (im Folgenden: "Anmeldung") betrifft eine Anordnung zum Befestigen eines Baugerüstes an einem Gebäude.

II. Die Prüfungsabteilung hat die Anmeldung zurückgewiesen, weil der Gegenstand der geänderten, mit Schriftsatz vom 20. Juli 2016 eingereichten Ansprüche 1 und 2 des damals geltenden Antrags auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruht.

III. Die Anmelderin (im Folgenden: Beschwerdeführerin) hat gegen diese Zurückweisungsentscheidung Beschwerde eingelegt.

IV. Die Beschwerdeführerin beantragte mit ihrer Beschwerdebegründung, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage der geänderten Ansprüche gemäß dem mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrag, hilfsweise gemäß einem der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1 und 2, zu erteilen. Außerdem beantragte die Beschwerdeführerin hilfsweise die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

V. Die Beschwerdeführerin wurde zu einer mündlichen Verhandlung am 7. Mai 2020 geladen.

VI. In der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) vom 10. Februar 2020 teilte die Kammer ihre vorläufige Einschätzung der Beschwerde mit. Insbesondere hat die Kammer ihre vorläufige Meinung kundgetan, dass Anspruch 1 gemäß Hauptantrag gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstößt und dass sein Gegenstand auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruht. Außerdem hat die Kammer ihre Absicht erklärt, weder Hilfsantrag 1 noch Hilfsantrag 2 in das Verfahren zuzulassen.

VII. In Erwiderung auf diese Mitteilung hat die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 2. März 2020 mitgeteilt, dass sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen wird und einem Übergang ins schriftliche Verfahren zustimmt. Die Beschwerdeführerin hat auf die Mitteilung der Kammer inhaltlich nicht reagiert.

VIII. Daraufhin hat die Kammer die vorgesehene mündliche Verhandlung abgesetzt.

IX. Anspruchssätze

a) Hauptantrag

Anspruch 1 lautet folgendermaßen (die Änderungen am ursprünglichen Anspruch 1 sind wie folgt kenntlich gemacht: Gestrichene Passagen erscheinen im Text als durchgestrichen und neue Passagen erscheinen im Fettdruck; die Nummerierung der Merkmale wurde durch die Kammer hinzugefügt):

a) Anordnung zum Befestigen eines Baugerüstes an einem

Gebäude, enthaltend

b) [deleted: 1.1] einen [deleted: Standarddübel] Dübel (1) zur Anordnung in

einer Wand des Gebäudes,

c) [deleted: 1.2] eine [deleted: Standardschraube] Schraube (2) zum

Einschrauben in den Dübel (1), die

d) [deleted: 1.3] einen zu dem [deleted: Standarddübel] Dübel (1) passenden

Gewindeschaft (3) und

e) [deleted: 1.4] eine Öse (6) als Kopfelement zum Einhängen von

Sicherungseinrichtungen des Baugerüsts aufweist,

f) wobei der Dübel (1) ein 14er Standarddübel und die

Schraube (2) eine 10er Schraube ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

g) der Gewindeschaft (3) der Schraube (2) ein

nachspreizendes Gewinde (4) aufweist.

b) Hilfsantrag 1

Anspruch 1 lautet folgendermaßen (die Änderungen am ursprünglichen Anspruch 1 sind kenntlich gemacht):

a) Vorrichtung mit einem Baugerüst an einem Gebäude

und einer Anordnung zum Befestigen [deleted: eines] des

Baugerüstes an [deleted: einem] dem Gebäude, enthaltend

b) [deleted: 1.1] einen [deleted: Standarddübel] Dübel (1)[deleted: ,] und

c) [deleted: 1.2] eine [deleted: Standardschraube] Schraube (2), [deleted: die] wobei

die Schraube

d) [deleted: 1.3] aus einer Spitze, einem [deleted: einen] zu dem

[deleted: Standarddübel] Dübel (1) passenden Gewindeschaft

(3), einem Gewinde auf dem Gewindeschaft und

e) [deleted: 1.4] [deleted: eine] einer Öse (6) als [deleted: Kopfelement] Kopf

[deleted: aufweist] besteht,

f) wobei eine Sicherungseinrichtung des Baugerüsts in

die Öse (6) der Schraube (2) eingehängt ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

g) der Gewindeschaft (3) der Schraube (2) ein

nachspreizendes Gewinde (4) aufweist.

c) Hilfsantrag 2

Anspruch 1 lautet folgendermaßen (die Änderungen am ursprünglichen Anspruch 1 sind kenntlich gemacht):

a) Vorrichtung mit einem Baugerüst an einem Gebäude

und einer Anordnung zum Befestigen [deleted: eines] des

Baugerüstes an [deleted: einem] dem Gebäude, enthaltend

b) [deleted: 1.1] einen [deleted: Standarddübel] Dübel (1)[deleted: ,] und

c) [deleted: 1.2] eine [deleted: Standardschraube] Schraube (2), [deleted: die] wobei

die Schraube

d) [deleted: 1.3] aus einer Spitze, einem [deleted: einen zu dem]

[deleted: Standarddübel (1) passenden] Gewindeschaft (3),

einem Gewinde auf dem Gewindeschaft und

e) [deleted: 1.4] [deleted: eine] einer Öse (6) als [deleted: Kopfelement] Kopf

[deleted: aufweist] besteht,

f) wobei eine Sicherungseinrichtung des Baugerüsts in

die Öse (6) der Schraube (2) eingehängt ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

g) der Gewindeschaft (3) der Schraube (2) ein

nachspreizendes Gewinde (4) aufweist und

h) der Dübel (1) ein 14er Standarddübel und die

Ösenschraube (2) eine 10er Schraube ist.

X. Zum Stand der Technik sind in der angefochtenen Entscheidung unter anderem folgende Entgegenhaltungen genannt:

D5: DE 101 34 734 A1;

D11: DE 10 2008 018438 A1;

D14: "Handbuch der Würth Dübeltechnik - Band 2:

Produkte-Steckbrief", Adolf Würth GmbH & CO. KG,

2. Auflage, 2007;

D15: "Handbuch der Würth Dübeltechnik - Band 1:

Grundlagen - Anwendungen - Praxis",

Adolf Würth GmbH & CO. KG, 2. Auflage, 2007;

D16: Suprenant, B.A. und Basham, K.D., "Evaluating

cracks in concrete walls", The Aberdeen Group,

1993.

XI. Das schriftsätzliche Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:

a) Hauptantrag

Als nächstliegender Stand der Technik werde D14 angesehen. Dort sei auf den Seiten 82 und 83 eine Gerüstverankerung beschrieben, die einen Dübel und eine Schraube aufweise, wobei die Schraube einen zu dem Dübel passenden Gewindeschaft und eine Öse als Kopfelement aufweise. Auf Seiten 82 und 83 von D14 werde empfohlen, für die Verankerung in Vollbaustoffen, Beton, Vollziegel, Fels außer Leichtbeton eine 12er Ösenschraube (GS 12) mit einem 14er Dübel (Gerüstdübel GR Ø 14) zu verwenden, der ersichtlich kein 14er Standarddübel sei, sondern ein speziell für die Gerüstverankerung ausgebildeter Dübel. Ebenfalls sei dort beschrieben, dass für den speziellen Anwendungsfall der Verankerung in Lochstein, Leicht- und Porenbeton die Verwendung eines 14er Standarddübels (Kunststoff-Rahmendübel Ø 14 HBR mit langer Spreizzone) mit einer 10er Ösenschraube (GS 10) empfohlen werde. Im Unterschied dazu sei gemäß Anspruch 1 vorgesehen, dass der Gewindeschaft der Schraube ein nachspreizendes Gewinde aufweist.

In der angefochtenen Entscheidung habe die Prüfungsabteilung festgestellt, dass ausgehend von D14 die mit der vorliegenden Erfindung zu lösende Aufgabe darin gesehen werden könne, die Anordnung gemäß D14 auch bei Rissbildung bzw. Zugzonen oder für Bohrlocherweiterungen tauglich zu gestalten. Diese Aufgabenstellung enthalte bereits einen Teil der Lösung und beruhe daher auf einer unzulässigen ex post-Betrachtung. Es könne zwar davon ausgegangen werden, dass dem hier einschlägigen Fachmann bewusst sei, dass in Gebäudewänden aus Beton Risse auftreten können. Für Beton schlage D14 jedoch die Verwendung einer 12er Ösenschraube in Verbindung mit einem speziellen 14er Dübel vor.

Ausgehend von D14 könne die objektive Aufgabe vielmehr darin gesehen werden, eine für unterschiedliche Mauerwerke bzw. Werkstoffe einer Gebäudewand einsetzbare Anordnung zum Befestigen eines Baugerüsts zu schaffen.

D14 enthalte keinerlei Hinweise oder Anregungen, den Gewindeschaft der Schraube mit einem nachspreizenden Gewinde zu versehen.

Sollte der Fachmann auf die Dokumente D5 und D11 stoßen, so würde er dort zwar die Verwendung eines nachspreizenden Gewindes für eine Schraube finden (D5, Absätze 5 und 6; D11, Absatz 6). Allerdings hätte er keine Veranlassung, die Lehren dieser Dokumente mit der Lehre von D14 zu kombinieren.

D5 befasse sich mit der Aufgabe, einen Spreizdübel so auszubilden, dass er eine hohe Verankerungs- oder Ausziehkraft bei einer Bohrlocherweiterung aufweist (Absatz 4), die durch Rissbildung im Mauerwerk auftrete (Absatz 3). Der Fachmann würde von einer solchen Bohrlocherweiterung nur bei Gebäudewänden aus Vollbaustoffen, insbesondere Beton ausgehen. Gerade für diese Vollbaustoffe gebe D14 aber bereits die Verwendung des speziellen 14er Dübels (GR Ø 14) mit der 12er Ösenschraube vor.

Selbst wenn der Fachmann aber die Lehre von Dl4 mit derjenigen von D5 kombinieren würde, um eine Anordnung zum Befestigen eines Standgerüsts in Beton zu schaffen, würde er allenfalls gemäß D14 den speziellen 14er Dübel mit der 12er Ösenschraube verwenden, deren Gewinde er dann gemäß D5 mit einem nachspreizenden Gewinde versähe. Auf dieser Weise gelangte er weiterhin nicht zur beanspruchten Kombination einer 10er Schraube mit einem 14er Standarddübel.

Im Übrigen könne die Lehre von D5 für den Fachmann nicht infrage kommen, denn dort sei eine Ausdrehsicherung vorgesehen (Absätze 33 und 35), um ein Lösen der Schraube im Nachspreizfall zu verhindern. Eine solche Rückdrehsicherung dürfe aber bei der Ösenschraube einer Gerüstverankerung nicht vorhanden sein, da die Ösenschraube nach dem Abbau des Gerüsts wieder herausgedreht werden müsse, um das Dübelloch dann mit einer passenden Abdeckkappe zu verschließen.

In Bezug auf D11 gelte eine analoge Argumentation. Dieses Dokument schlage eine Schraube vor, die zusammen mit einem Dübel in einer Zugzone verwendet werden könne (Absatz 5), wo Risse auftreten können (Absatz 15). Der Fachmann wisse, dass in Vollbaustoffen wie Beton grundsätzlich von einer Rissbildung auszugehen sei. D14 schlage aber für Vollbaustoffe bereits eine Lösung vor, die sich von dem Gegenstand von Anspruch 1 unterscheide, nämlich die Verwendung eines speziellen 14er Dübels mit einer 12er Ösenschraube. Der Fachmann habe somit keinerlei Veranlassung, ausgehend von D14, die Lehre von D11 aufzugreifen. Außerdem würde der Fachmann von einer Übernahme dieser Lehre absehen, da D11 - ähnlich wie D5 - eine Rückdrehsicherung vorsehe (Absätze 16 und 29).

b) Hilfsanträge 1 und 2

Durch die Formulierung in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 bzw. 2, dass die Schraube aus einer Spitze, einem zu dem Dübel passenden Gewindeschaft, einem Gewinde auf dem Gewindeschaft und einer Öse als Kopf bestehe, komme zum Ausdruck, dass die Schraube trotz nachspreizendem Gewinde gerade keine Rückdrehsicherung aufweise, wie sie in D5 und D11 bei nachspreizenden Gewinden vorgeschlagen werde. Eine Kombination der Dokumente D14 mit D5 oder D11, selbst wenn der Fachmann eine solche Kombination vornehmen würde, könnte also nicht zum Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 bzw. 2 führen, da der Fachmann an der Schraube mit dem nachspreizenden Gewinde gemäß der Lehren von D5 bzw. D11 zwingend eine Rückdrehsicherung vorsehen würde.

Entscheidungsgründe

1. Die revidierte Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) ist am 1. Januar 2020 in Kraft getreten. Vorbehaltlich der Übergangsbestimmungen (Artikel 25 VOBK 2020) ist die revidierte Fassung auch auf am Tag des Inkrafttretens bereits anhängige Beschwerden anwendbar. Im vorliegenden Fall wurde die Beschwerdebegründung vor dem 1. Januar 2020 eingereicht. Daher ist Artikel 12 (4)-(6) VOBK 2020 nicht anzuwenden. Stattdessen ist Artikel 12 (4) VOBK 2007 auf die Beschwerdebegründung anzuwenden (Artikel 25 (2) VOBK 2020).

2. Die in Anspruch 1 gemäß Hauptantrag vorgenommenen Änderungen verstoßen gegen Artikel 123 (2) EPÜ:

2.1 Anspruch 1 enthält nicht mehr die in Anspruch 1 in der ursprünglich eingereichten Fassung enthaltene Beschränkung, dass die Schraube eine "Standardschraube" ist.

2.2 Dieses Merkmal ist in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen als erfindungswesentlich dargestellt worden (Ansprüche 1, 2 und 4 und Seite 2, Absätze 2, 4 und 5). Das Weglassen dieses Merkmals verstößt also gegen Artikel 123 (2) EPÜ.

2.3 Selbst wenn der Begriff "Standardschraube" im relevanten Fachgebiet keine allgemein anerkannte Bedeutung hat und daher als solcher einen Einwand mangelnder Deutlichkeit nach sich ziehen könnte, kann dieser Begriff nicht ohne weiteres aus dem Anspruchswortlaut gestrichen werden (s. Richtlinien für die Prüfung im EPA, 2019, Teil F-IV, 4.6.1).

3. Dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin kann allein schon aus diesem Grund nicht stattgeben werden.

4. Darüber hinaus teilt die Kammer die Auffassung der Prüfungsabteilung, dass der Gegenstand von Anspruch 1 ausgehend von D14 als nächstliegendem Stand der Technik auf keiner erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht:

4.1 Anspruch 1 gemäß Hauptantrag unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Antrag darin, dass die zusätzlichen Merkmale aufgenommen worden sind, dass der Dübel "zur Anordnung in einer Wand des Gebäudes", die Schraube "zum Einschrauben in den Dübel" und die Öse "zum Einhängen von Sicherungseinrichtungen des Baugerüsts" vorgesehen ist.

4.2 Die Beschwerdeführerin stimmt mit der Prüfungsabteilung überein, dass die auf Seite 82 von D14 offenbarte Gerüstverankerung für Leichtbeton mit einem Kunststoff-Rahmendübel Ø 14 HBR mit langer Spreizzone und einer Ösenschraube GS 10 die im Oberbegriff von Anspruch 1 aufgeführten Merkmale ihrem Wortlaut nach verwirklicht, und dass dem Dokument D14 das im kennzeichnenden Teil des Anspruchs aufgeführte Merkmal g) nicht entnommen werden kann, wonach "der Gewindeschaft der Schraube ein nachspreizendes Gewinde aufweist".

4.3 Der in Merkmal g) verwendete Begriff "nachspreizendes Gewinde" ist im Gesamtzusammenhang von Anspruch 1 technisch sinnvoll so zu interpretieren, dass die Geometrie des Gewindes ein Nachspreizen des zugehörigen Dübels ermöglicht. Merkmal g) impliziert daher, dass der im Oberbegriff von Anspruch 1 definierte Dübel nachspreizbar ist.

4.4 Es ist zwischen der Beschwerdeführerin und der Prüfungsabteilung streitig, welche objektive technische Aufgabe sich der Fachmann ohne Kenntnis der Erfindung ausgehend von D14 stellen würde.

4.5 In der Regel ist bei der Formulierung der zu lösenden technischen Aufgabe zunächst von der in der Anmeldung formulierten Aufgabe auszugehen. Auf die auf Seite 2, Absatz 2 der Anmeldungsunterlagen erwähnte Aufgabe, die Befestigung von Baugerüsten an Gebäuden zu vereinfachen, kann nicht zurückgegriffen werden, weil sie in D14 bereits gelöst ist. So wird dort empfohlen, einen Standarddübel (Kunststoff-Rahmendübel Ø 14 HBR mit langer Spreizzone) in Kombination mit einer Standardschraube (Ösenschraube GS 10) zur Befestigung von Baugerüsten an Leichtbeton zu verwenden.

4.6 Für die Prüfungsabteilung soll die objektiv zu lösende Aufgabe darin liegen, die in D14 offenbarte Gerüstverankerung auch bei Rissbildung bzw. Zugzonen oder für Bohrlocherweiterungen tauglich zu gestalten (siehe angefochtene Entscheidung, Gründe Nr. 5.3). Die Beschwerdeführerin macht geltend, diese Neuformulierung der Aufgabe enthalte einen Teil der beanspruchten Lösung und führe daher zu einer rückschauenden Betrachtungsweise der erfinderischen Tätigkeit.

4.7 Dem kann die Kammer aus folgenden Gründen nicht folgen:

4.7.1 Die Neuformulierung stützt sich auf eine technische Wirkung von Merkmal g) gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik, die für den maßgeblichen Fachmann im Gebiet des Bauwesens aufgrund seiner allgemeinen Fachkenntnisse unmittelbar ersichtlich ist (Gründe Nr. 5.4.2 bzw. 5.4.3).

4.7.2 Der Fachmann weiß nämlich, dass ausgehend von seiner Rohdichte Beton in die Untergruppen Leichtbeton, Normalbeton und Schwerbeton unterteilt wird, wobei Leichtbeton als Beton mit einer Trockenrohdichte zwischen 0,8 und 2,0 kg/dm³ definiert wird. Dem Fachmann ist auch weiter bekannt, dass im Hochbau Leichtbeton als gefügedichter Leichtbeton, haufwerksporiger Leichtbeton, Schaumbeton und Porenbeton Anwendung findet, wobei die ersten drei Leichtbetone sowohl als Fertigteil- als auch als Ortbeton eingesetzt werden. Gefügedichter Leichtbeton wird üblicherweise für die Herstellung von Stahl- und Spannleichtbeton, Massivwänden und Massivdecken eingesetzt. Haufwerksporiger Leichtbeton wird zur Herstellung von Mauersteinen in Form von Vollsteinen bzw. Vollblöcken (DIN 18152) und Hohlblöcken (DIN 18151) verwendet. Schließlich ist dem Fachmann bekannt, dass bei Beton als Verankerungsgrund grundsätzlich - ganz gleich ob Normalbeton oder Leichtbeton - davon auszugehen ist, dass Risse entstehen können, beispielweise durch Belastung, durch zu schnelles Austrocknen, durch Wärmedehnung infolge von Abkühlung und Erwärmung (Sonneneinstrahlung), durch Bauwerkssetzungen usw. (siehe z. B. D15, Seite 24, Absatz 1; D16).

4.7.3 Im Hinblick auf diese allgemeinen Fachkenntnisse erkennt der Fachmann, dass die auf Seite 82 von D14 offenbarte Kombination aus Kunststoffdübel Ø 14 HBR und Ösenschraube GS 10 für die Verankerung in Voll- und Hohlbaustoffen aus Leichtbeton vorgesehen ist und dass das Unterscheidungsmerkmal g) bewirkt, dass der Kunststoffdübel im Bohrloch nachspreizen und mithin verankert bleiben kann, wenn sich das Bohrloch in Folge einer Rissbildung aufweitet. Dies ermöglicht den Einsatz der Gerüstverankerung in gerissenem Leichtbeton bzw. in einer Zugzone des Leichtbetons.

4.7.4 Unter Berücksichtigung dieser Wirkung des Unterscheidungsmerkmals kann die Aufgabe, die sich objektiv gegenüber D14 ergibt, darin gesehen werden, die dort offenbarte Gerüstverankerung für Leichtbeton so weiterzuentwickeln, dass sie riss- bzw. zugzonentauglich ist. Dies entspricht im Wesentlichen der von der Prüfungsabteilung vorgeschlagenen Neuformulierung der zu lösenden Aufgabe.

4.7.5 Diese Neuformulierung der zu lösenden Aufgabe enthält keine Elemente der beanspruchten Lösung, d. h. wie oder wodurch die nachgesuchte Wirkung erzielt wird.

4.8 Die Beschwerdeführerin macht geltend, die objektiv zu lösende Aufgabe liege allenfalls darin, eine für unterschiedliche Werkstoffe einer Gebäudewand einsetzbare Anordnung zum Befestigen eines Baugerüsts zu schaffen. Die Kammer kann sich diesem Vorbringen nicht anschließen, da es die vorgenannte technische Wirkung von Merkmal g) gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik außer Acht lässt. Im Übrigen ist die auf Seite 82 von D14 offenbarte Kombination aus Kunststoffdübel Ø 14 HBR und Ösenschraube GS 10 bereits für die Verankerung sowohl in Vollbaustoffen (Leichtbeton bzw. Porenbeton) als auch in Hohlbaustoffen (Lochsteine bzw. Hohlblöcke aus Leichtbeton) geeignet.

4.9 Es ist dann zu prüfen, ob zur Lösung der unter Punkt 4.7.4 formulierten Aufgabe der Fachmann aufgrund der Lehre von D5 bzw. D11 in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand gelangen würde, wie die Prüfungsabteilung argumentiert.

4.10 Die Kammer teilt die Meinung der Prüfungsabteilung, dass es für den Fachmann naheliegend wäre, die Lehre von D5 (Absätze 3, 5 und 8) bzw. D11 (Absätze 5, 6 und 15) mit derjenigen von D14 zu kombinieren, insbesondere da dort ein Kunststoffdübel vorgeschlagen wird, der dank seinem Nachspreizverhalten für gerissenen Beton geeignet ist. Der Fachmann würde die Vorteile der Lehre von D5 bzw. D11 zur Lösung der gestellten Aufgabe erkennen, und er hätte keine praktischen Schwierigkeiten, diese Lehre auf die in D14 offenbarte Gerüstverankerung für Leichtbeton anzuwenden und mithin den dort offenbarten Kunststoffdübel und die zugehörige Ösenschraube zur Erzielung eines Nachspreizverhaltens zu ändern. Auf diese Weise würde der Fachmann ohne Ausübung einer erfinderischen Tätigkeit zum beanspruchten Gegenstand gelangen.

4.11 Die bloße Tatsache, dass in D5 bzw. D11 vorzugsweise eine Ausdrehsicherung vorgesehen ist (Flanken 26 bzw. Rändel 32 in D5; Fräsrippen 15 in D11), um ein Ausdrehen der Spreizschraube aus der nachgespreizten Dübelhülse entgegenzuwirken (Absätze 9 und 33 von D5 bzw. Absatz 16 von D11), würde den Fachmann nicht daran hindern, die genannte Lehre von D5 bzw. D11 heranzuziehen und aufgrund der unmittelbar zu erreichenden Vorteile mit D14 zu kombinieren. Erstens ist die Ausdrehsicherung in D5 bzw. D11 nicht als unerlässlich beschrieben, sondern als fakultatives Merkmal. Zweitens soll die in D5 offenbarte Ausdrehsicherung ein gewolltes Ausdrehen der Spreizschraube aus der Dübelhülse zulassen (Absätze 3 und 11). Falls der Fachmann bei der vorstehend beschriebenen Änderung der Gerüstverankerung gemäß D14 im Hinblick auf die Lehre von D5 bzw. D11 eine Ausdrehsicherung vorsehen möchte, würde er diese so ausgestalten, dass ein Ausdrehen der Ösenschraube aus der Dübelhülse beim Abbau des Gerüsts möglich ist.

5. Hilfsanträge - Zulassung in das Beschwerdeverfahren

5.1 Im Unterschied zu Anspruch 1 gemäß Hauptantrag verlangt Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unter anderem, dass "die Schraube aus einer Spitze, einem zu dem Dübel passenden Gewindeschaft, einem Gewinde auf dem Gewindeschaft und einer Öse als Kopf besteht, wobei eine Sicherungseinrichtung des Baugerüsts in die Öse der Schraube eingehängt ist". Gleichzeitig verlangt Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 nicht mehr, dass der Dübel "zur Anordnung in einer Wand des Gebäudes" und die Schraube "zum Einschrauben in den Dübel" vorgesehen ist, und dass "der Dübel ein 14er Standarddübel und die Schraube eine 10er Schraube ist". Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 im Wesentlichen darin, dass die zweite Beschränkung wiederaufgenommen wurde.

5.2 Die Beschwerdeführerin hat keine triftigen Gründe genannt, warum diese neuen Hilfsanträge nicht im Prüfungsverfahren eingereicht wurden und ob und inwiefern die in diesen Anträgen enthaltenen Anspruchsänderungen als sachdienliche Reaktion auf die angefochtene Entscheidung angesehen werden können.

5.3 Die Kammer ist der Auffassung, dass diese Änderungen schon im Prüfungsverfahren hätten eingereicht werden können. So bestand nach der negativen Feststellung der Prüfungsabteilung betreffend den damals geltenden Antrag in den Bescheiden vom 26. August 2016 und 16. Februar 2017 bereits Veranlassung, Anspruchsänderungen einzureichen. Artikel 12 (4) VOBK 2007 stellt es also in das Ermessen der Kammer, die neuen Hilfsanträge nicht in das Verfahren zuzulassen.

5.4 Die Beschränkung des beanspruchten Gegenstands, wonach der Dübel ein 14er Standarddübel und die Schraube eine 10er Schraube ist, wurde bereits in Erwiderung auf die Stellungnahme zum Recherchebericht eingeführt (Schriftsatz vom 17. April 2014) und anschließend in sämtlichen Anträgen beibehalten (Schriftsätze vom 23. Dezember 2014, 6. Mai 2015, 23. Februar 2016, 20. Juli 2016 und 27. Dezember 2016). Durch Weglassen dieser Beschränkung in Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 entsteht ein neuer Gegenstand, der in der ersten Instanz nicht abschließend erörtert wurde.

5.5 Ferner ist nicht ersichtlich, inwiefern durch die Anspruchsänderungen gemäß Hilfsantrag 1 bzw. 2 der von der Prüfungsabteilung vorgebrachte Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgeräumt werden kann. Die im Vergleich zum Hauptantrag hinzugefügten Merkmale sind zumindest implizit in D14 offenbart. Soweit die Beschwerdeführerin argumentiert, in D5 bzw. D11 sei die Ausdrehsicherung unerlässlich, und diese führe weg von der beanspruchten Lösung, überzeugt das nicht (siehe Punkt 4.11 vorstehend).

5.6 Im Übrigen stellt die Kammer fest, dass das in Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 bzw. 2 hinzugefügte Merkmal, wonach die Schraube aus einer Spitze, einem Gewindeschaft mit Gewinde und einer Öse besteht, den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen, weder der von der Beschwerdeführerin zitierten Textstelle auf Seite 3 noch den schematischen Darstellungen in Figuren 1 und 2 entnommen werden kann (Artikel 123 (2) EPÜ). Ferner verstößt das Weglassen des Begriffs "Standardschraube" gegen Artikel 123 (2) EPÜ (siehe Punkt 2 vorstehend).

5.7 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, Hilfsanträge 1 und 2 nicht in das Verfahren zuzulassen.

6. Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren ergehen, da die Beschwerdeführerin mit ihrem Schriftsatz vom 2. März 2020 erklärt hat, dass sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen wird und einem Übergang ins schriftliche Verfahren zustimmt, und mithin ihren Hilfsantrag auf mündliche Verhandlung implizit zurückgenommen hat.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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