European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2022:T036018.20220614 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 14 Juni 2022 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0360/18 | ||||||||
Anmeldenummer: | 03016766.2 | ||||||||
IPC-Klasse: | A61K 38/17 A61P 7/00 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Lagerungsstabile, flüssige Fibrinogen-Formulierung | ||||||||
Name des Anmelders: | CSL Behring GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Baxter Innovations GmbH Ethicon, Inc. |
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Kammer: | 3.3.04 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Ausreichende Offenbarung - (ja) | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent Nr. 1 393 741 mit dem Titel "Lagerungsstabile, flüssige Fibrinogen-Formulierung" zu widerrufen. Die Einsprechenden 1 und 2 sind Beschwerdegegnerinnen I und II.
II. In der angefochtenen Entscheidung gelangte die Einspruchsabteilung unter anderem zu der Auffassung, dass aus dem Streitpatent keine Lehre hervorgehe, anhand derer sich lagerungsstabile, flüssige oder viskos-flüssige Fibrinogen-Formulierungen, die die in Anspruch 1 des Hauptantrags geforderte Lagerstabilität "für mindestens 1 Monat bei Lagerungstemperaturen zwischen 0 und 30°C" über die gesamte Breite des Anspruchs aufwiesen, herstellen ließen. Der Gegenstand des Hauptantrags erfülle daher nicht die Erfordernisse von Artikel 83 EPÜ. Da das Merkmal der Lagerstabilität auch in den Anspruchssätzen der Hilfsanträge 1 bis 8 aufgeführt war, gelangte die Einspruchsabteilung zur Auffassung, dass auch diese die Erfordernisse von Artikel 83 EPÜ nicht erfüllten.
III. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin Anspruchssätze eines Hauptantrags und von zwölf Hilfsanträgen ein, wobei der Anspruchssatz des Hauptantrags mit dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hauptantrag identisch ist.
IV. Ansprüche 1 und 20 bis 23 des Hauptantrags lauten:
"1. Lagerungsstabile, flüssige oder viskos-flüssige Fibrinogen-Formulierung, dadurch gekennzeichnet, dass neben Fibrinogen zweiwertige Metallionen in einer Konzentration von bis zu 100 mM und ein Komplexbildner in einer Konzentration von bis zu 25 mM enthalten sind und die Fibrinogen-Formulierung für mindestens 1 Monat bei Lagerungstemperaturen zwischen 0 und 30°C stabil ist."
"20. Fibrinogen-Formulierung nach einem der Ansprüche 1 bis 18 zur Verwendung als Präparat zur Behandlung von Fibrinogen Mangelzuständen.
21. Fibrinogen-Formulierung nach einem der Ansprüche 1 bis 18 zur Verwendung als Komponente eines Fibrinklebers.
22. Fibrinogen-Formulierung nach einem der Ansprüche 1 bis 18 zur Verwendung als Komponente zur Herstellung einer Fibrin-Matrix.
23. Verwendung einer Fibrinogen-Formulierung nach einem der Ansprüche 1 bis 18 als Diagnostikum."
V. Nachfolgend wird auf folgende Dokumente Bezug genommen.
D8: JP 2001-342146
D8a: Engl. Übersetzung von D8
D10: WO 98/33533 A1
VI. Das für die Entscheidung relevante Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Hauptantrag - Anspruch 1
Offenbarung der Erfindung (Artikel 83 EPÜ)
Die Einspruchsabteilung kam zu dem Schluss, dass das Streitpatent keine Lehre enthielte, mit der lagerungsstabile, flüssige oder viskos-flüssige Fibrinogen-Formulierungen mit dem Merkmal Lagerstabilität "von mindestens 1 Monat bei Lagerungstemperaturen zwischen 0°C und 30°C" über den gesamten Umfang des Anspruchs erreicht werden könnten. Somit erfüllte der Gegenstand des Hauptantrags nicht die Erfordernisse von Artikel 83 EPÜ.
Diese Auffassung sei jedoch unzutreffend. Zur Beurteilung, ob die beanspruchte Erfindung die Erfordernisse von Artikel 83 EPÜ erfülle, müsse der Gesamtinhalt der Anmeldungsunterlagen herangezogen werden. Ein erfolgreicher Einwand der unzureichenden Offenbarung gegen das Streitpatent setze durch nachprüfbare Tatsachen erhärtete Zweifel voraus, wofür die Beschwerdegegnerinnen die Beweislast trügen. Die Beschwerdegegnerinnen hätten allerdings keine nachprüfbaren Tatsachen vorgebracht, die solche Zweifel begründen könnten. Auf diese Grundsätze sei bereits in der Einspruchserwiderung, Seite 14, hingewiesen und geltend gemacht worden, dass die Beschwerdegegnerinnen keine relevanten Nachweise eingereicht hätten. Auch die Dokumente D8a und D10 könnten diese Zweifel nicht begründen. Sie zeigten nicht, dass eine Fibrinogen-Formulierung, die zweiwertige Metallionen und einen Komplexbildner enthält, aber kein Arginin, nicht die in Anspruch 1 geforderte Stabilität aufweist.
In der angefochtenen Entscheidung bemängelte die Einspruchsabteilung, dass die Ergebnisse der Tabellen 1 und 2 widersprüchlich zur Lehre von Anspruch 1 des Hauptantrags seien (siehe den die Seiten 9 und 10 der Entscheidung übergreifenden Absatz). Diese Aussage der Einspruchsabteilung sei jedoch nicht korrekt. Richtig sei, dass alle drei Formulierungen, die in Tabelle 1 getestet wurden, nach einem Monat Lagerung bei 30°C, einen Restgehalt an gerinnbarem Protein von über 90 % aufwiesen. Der Test bestätige, dass die Formulierung 3 mit einem Restgehalt von 99,7 % nach einem Monat besonders stabil sei. Falsch sei aber, dass dieses Beispiel einen Beleg für die mangelnde Ausführbarkeit darstelle. Dass die Vergleichsformulierungen 1 und 2 nach einem Monat ebenfalls einen vergleichsweise hohen Gehalt an gerinnbarem Protein aufwiesen, stehe nicht im Widerspruch zur Ausführbarkeit der in Anspruch 1 beanspruchten Erfindung.
Die beanspruchten Formulierungen seien in dem in Anspruch 1 angegebenen Lagertemperaturbereich von zwischen 0 und 30°C für mindestens einen Monat stabil. In den Beispielen wurden Temperaturen von 2 bis 8°C und 30°C verwendet, d.h. es wurde gezeigt, dass die erfindungsgemäßen Formulierungen, sowohl bei Temperaturen, die im unteren Bereich des beanspruchten Temperaturbereichs liegen, als auch bei der höchst möglichen Lagerungstemperatur, die notwendige Stabilität aufweisen. Demnach hätte der Fachmann keine Zweifel, dass die im Anspruch angegebene Stabilität bei allen Temperaturen erreicht werde. Die Beschwerdegegnerinnen hätten nicht belegt, dass die beanspruchte Stabilität nicht erreicht werde.
Die Daten in Tabellen 3 und 4 seien ebenfalls nicht widersprüchlich. Sie offenbarten mehrere Beispiele von Formulierungen, die unter den Wortlaut von Anspruch 1 fielen und stabil waren. Das Merkmal stabil sei im Patent definiert worden und dem Fachmann stände eine leicht nachzuarbeitende Methode zu Verfügung um das Merkmal zu überprüfen.
Die in Anspruch 1 beanspruchte Erfindung könne mit beliebigen zweiwertigen Metallionen und Komplexbildnern ausgeführt werden. Des Weiteren wisse der Fachmann aufgrund der Offenbarung im Patent bzw. der Anmeldung und seines allgemeinen Fachwissens, dass Proteasen z.B. Plasminogen, die Lagerungsstabilität von Fibrinogen beeinträchtigen können. Daher wisse er, dass Fibrinogen in der beanspruchten Fibrinogen-Formulierung gereinigt oder von proteolytisch wirkenden Bestandteilen isoliert sein sollte. Diese Maßnahmen bereiteten dem Fachmann keinen unzumutbaren Aufwand.
Das Patent enthielte ausreichende Informationen um die Konzentrationen der zweiwertigen Metallionen und des Komplexbildners zu bestimmen. Ebenso offenbarte das Patent welche Reinheit die Fibrinogen-Formulierung aufweisen müsse, um die geforderte Stabilität zu erreichen.
Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)
Die Beschwerdegegnerinnen hätten die Meinung vertreten, dass der Hauptantrag den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ nicht genüge. Insbesondere seien sie der Auffassung gewesen, dass die Anmeldung den beanspruchten Gegenstand nur in Zusammenhang mit dem Merkmal, dass der Komplexbildner in höherer Konzentration als die zweiwertigen Metallionen vorliegt, offenbare.
Diese Auslegung der Offenbarung der Anmeldung sei falsch. Auf Seite 10, Zeilen 6 bis 20, beschreibe die Patentanmeldung den Komplexbildner näher. Unter anderem offenbare die Anmeldung mögliche geeignete Konzentrationen des Komplexbildners. Dabei sei es eine Möglichkeit, den Komplexbildner in einer höheren Konzentration als die zweiwertigen Metallionen zu verwenden. Weitere Möglichkeiten seien aber ebenfalls offenbart, nämlich den Komplexbildner in einer Konzentration von bis zu 150 mM, bis zu 50 mM oder bis zu 25 mM zu verwenden.
Die Kombination der beiden Merkmale ("Komplexbildner in einer Konzentration von bis zu 25 mM" und "der Komplexbildner liegt in einer höheren Konzentration als die zweiwertigen Metallionen vor") seien eine mögliche, aber rein optionale Ausführungsform der Erfindung, wie aus dem Ausdruck "vorzugsweise" auf Seite 10, Zeilen 16 und 17 hervorgehe. Es gebe aber keinen Anhaltspunkt dafür, dass beide Merkmale zwingend miteinander verknüpft sein müssten.
Ansprüche 20 bis 23
Regel 80 EPÜ (Änderung des europäischen Patents)
Die Beschwerdeführerin II sei der Ansicht gewesen, dass der Hauptantrag Regel 80 EPÜ verletze, da die Änderungen der Ansprüche 20 und 22 angeblich nicht durch einen Einspruchsgrund nach Artikel 100 EPÜ veranlasst worden seien. Jedoch seien im Verfahren vor der Einspruchsabteilung die erteilten Ansprüche 21 und 23 (die den vorliegenden Ansprüchen 20 und 22 entsprächen) von der Beschwerdeführerin I unter Artikel 53 c) EPÜ beanstandet worden. Die vorgenommenen Änderungen seien daher durch einen Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ veranlasst und seien somit unter Regel 80 EPÜ zulässig.
Ausnahmen von der Patentierbarkeit (Artikel 53 c) EPÜ)
Die Beschwerdeführerin II behauptete, dass die Ansprüche 20 und 22 des Hauptantrags gegen Artikel 53 c) EPÜ verstießen, da sie nicht auf einen Stoff oder ein Stoffgemisch zur Verwendung in einem therapeutischen Verfahren gerichtet seien.
Der Gegenstand der Ansprüche 20 und 22 sei jedoch eine Fibrinogen-Formulierung, also ein Produkt und nicht ein Verfahren oder die Verwendung einer Fibrinogen-Formulierung zur Behandlung von Fibrinogen-Mangelzuständen. Somit sei der Einwand unter Artikel 53 c) EPÜ nicht gerechtfertigt.
Offenbarung der Erfindung (Artikel 83 EPÜ)
Anspruch 23 beziehe sich auf die Verwendung der Fibrinogen-Formulierung als Diagnostikum. Es sei gängige Praxis, dass Fibrinogen-Lösungen als Standard für die Fibrinogen-Bestimmung selbst verwendet würden. Eine weitere Anwendung sei die Verwendung von Fibrinogen bei der Thrombin-Bestimmung. Hier sei die Gerinnungszeit von Fibrinogen nach Zugabe von Thrombin gemessen worden (siehe Dokument D28, Seite 945, rechte Spalte, Abschnitt "Wertebestimmung", Zeilen 5 bis 7).
Somit sei auch der Gegenstand des Anspruchs 23 vollständig offenbart.
VII. Das für die Entscheidung relevante Vorbringen der Beschwerdegegnerinnen lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Hauptantrag - Anspruch 1
Offenbarung der Erfindung (Artikel 83 EPÜ)
Der Stand der Technik verdeutliche das empfindliche Gleichgewicht zwischen der spezifischen Beschaffenheit von Fibrinogen-Formulierungen und dem daraus resultierenden Stabilitätsprofil. Beispielsweise erfüllten die Formulierungen in Beispiel 3 von Dokument D10 (siehe Seite 11) alle strukturellen Anforderungen von Anspruch 1. Ob sie auch die funktionellen (Stabilitäts-) Anforderungen erfüllten, hänge davon ab, ob sie Tranexamsäure und Arginin enthielten oder nicht. Die Schlussfolgerung von Dokument D10 laute, dass Tranexamsäure und Arginin für den Erfolg wichtig seien. Im Patent bzw. der Anmeldung werde Tranexamsäure jedoch nicht erwähnt, und es gebe auch keine anderen Hinweise darauf, wie ein Misserfolg in einen Erfolg umgewandelt werden könne. Der Fachmann werde im Unklaren darüber gelassen, wie die Stabilität im Rahmen der Strukturmerkmale von Anspruch 1 erreicht werden könne.
Dokument D8a lehre auch, dass Arginin benötigt werde, um ein Gelieren zu verhindern (siehe z.B. Absatz [0030] von D8a). Die beispielhaften Formulierungen des Patents enthielten ebenfalls Arginin. Es sei jedoch für den Fachmann eine unzumutbare Belastung herauszufinden, wie viel Arginin erforderlich sei, um die Formulierungen bei einer bestimmten Temperatur und Konzentration zweiwertiger Metallionen zu stabilisieren.
Ferner sei im Streitpatent bzw. Anmeldung nicht offenbart, wie Zusammensetzungen hergestellt werden könnten, die über den gesamten beanspruchten Bereich lagerstabil seien. Insbesondere seien im Streitpatent keine Beispiele von Fibrinogen-Formulierungen offenbart, worin das zweiwertige Metallion nicht Calciumchlorid ist und worin der Komplexbildner nicht Citrat ist. Des Weiteren enthielten die beispielhaft genannten Formulierungen 0,5, 1,5 oder 2,5 mM Calciumchlorid und stets Citrat. Die Ansprüche deckten jedoch alle zweiwertigen Metallionen bis zu einer Konzentration von 100 mM und alle Komplexbildner bis zu einer Konzentration von 25 mM ab. Im Patent würde auch nicht erörtert, ob ein Mindestreinheitsgrad von Fibrinogen erforderlich sei. Der Fachmann hätte also Experimente durchführen müssen, um Erfolg von Misserfolg zu unterscheiden.
In der Beschwerdebegründung (siehe Seite 12, Absatz 4) habe die Beschwerdeführerin eingeräumt, dass nicht alle Fibrinogen-Formulierungen, die bis zu 100 mM zweiwertige Metallionen und bis zu 25 mM Komplexbildner enthielten, stabil seien und auch, dass das Patent keine allgemeine Lehre darüber enthielte, wie der Fachmann zu solchen stabilen Zusammensetzungen kommen könnte.
Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)
Die Feststellung der Einspruchsabteilung, dass die Ansprüche des Hauptantrags Artikel 123 (2) EPÜ erfüllten, sei unzutreffend, da es in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung keine Grundlage für die spezifische Kombination von zweiwertigen Metallionen in einer Konzentration von bis zu 100 mM und einem Komplexbildner in einer Konzentration von bis zu 25 mM gebe.
Die Grundlage für die Angabe der Konzentration des Komplexbildners befinde sich auf Seite 10, Zeilen 18 und 19 der Anmeldung, wo es heißt "Der Komplexbildner kann in Konzentrationen bis zu 150 mM vorliegen, vorzugsweise jedoch bis zu 50 mM und insbesondere vorzugsweise bis zu 25 mM". Diese Angabe sei jedoch in Verbindung mit dem unmittelbar vorausgehenden Satz zu lesen, d.h. auf Seite 10, Zeilen 16 und 18 der Anmeldung, "Der Komplexbildner liegt in der erfindungsgemäßen Formulierung vorzugsweise in höherer Konzentration als die zweiwertigen Metallionen vor". Da der Anspruch dieses Merkmal nicht wiedergebe, verstoße er gegen Artikel 123 (2) EPÜ.
Ansprüche 20 bis 23
Regel 80 EPÜ (Änderung des europäischen Patents)
Die in den Ansprüchen 20 bis 22 vorgenommenen Änderungen seien nicht durch einen Einspruchsgrund veranlasst. Zum Beispiel führe die Änderung in Anspruch 20 von "Verwendung einer Fibrinogen-Formulierung [...] als Präparat zur Behandlung von Fibrinogen Mangelzuständen" zu "Fibrinogen-Formulierung [...] zur Verwendung als Präparat zur Behandlung von Fibrinogen Mangelzuständen" zu einem Gegenstand, der nach Artikel 53 c) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sei. Somit verstießen die Änderungen gegen Regel 80 EPÜ, nach der die Patentansprüche nur geändert werden dürften, soweit die Änderungen durch einen Einspruchsgrund nach Artikel 100 EPÜ veranlasst seien.
Anspruch 21 (der dem erteilten Anspruch 22 entspreche) verstoße in seiner erteilten Form nicht gegen Artikel 53 c) EPÜ, da eine Verwendung als "Komponente eines Fibrinklebers" kein Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung sei. Daher sei die Änderung dieses Anspruchs von einer "Verwendung" in ein "Produkt" nicht durch einen Einspruchsgrund veranlasst.
Auch Anspruch 22 in seiner erteilten Form verletze Artikel 53 c) EPÜ nicht. Demgegenüber umfasse der geänderte Anspruch einen Gegenstand, der nach Artikel 53 c) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sei.
Ausnahmen von der Patentierbarkeit (Artikel 53 c) EPÜ)
Ansprüche 20 bis 23 erfüllten die Erfordernisse von Artikel 53 c) EPÜ nicht, weil sie sich nicht auf einen Stoff oder eine Zusammensetzung zur Verwendung in einem Behandlungsverfahren bezögen. Vielmehr bezögen sie sich auf eine Formulierung zur Verwendung als Produkt bzw. als Komponente. Darüber hinaus sei es fraglich, ob die Verwendung als Komponente zur Herstellung einer Fibrin-Matrix auf die Behandlung einer bestimmten Krankheit ausgerichtet sei.
Offenbarung der Erfindung (Artikel 83 EPÜ)
In Absatz [0024] des Patents heiße es, dass je nach dem spezifischen medizinischen Verwendungszweck, unterschiedliche Fibrinogen-Formulierungen gemäß den Ansprüchen 20 bis 23 erforderlich seien. Es sei daher für den Fachmann eine unzumutbare Belastung herauszufinden, welche spezifische Formulierung für jede einzelne der in den Ansprüchen 20 bis 23 genannten Verwendungen geeignet sei.
Was Anspruch 23 betreffe, enthalte das Patent keine Angaben darüber, wie die beanspruchten Fibrinogen-Formulierungen als Diagnostikum verwendet werden könnten, so dass dieser Anspruch auch aus einem weiteren Grund gegen Artikel 83 EPÜ verstoße.
VIII. Die Parteien wurden antragsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Einschätzung mit.
IX. Am Ende der mündlichen Verhandlung, die am 14. Juni 2022 stattfand, verkündete die Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.
X. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung auf der Basis des Anspruchssatzes des Hauptantrags, hilfsweise auf der Basis eines der Anspruchssätze der Hilfsanträge 1 bis 12 aufrecht zu erhalten. Für den Fall, dass ein vorgelegter Anspruchssatz die Erfordernisse von Regel 80, Artikel 123 (2), Artikel 123 (3), Artikel 83 und Artikel 84 EPÜ erfülle, wurde die Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung für die Prüfung der Erfordernisse von Artikel 54 und 56 EPÜ beantragt. Zudem beantragte sie, die Dokumente D28 und D29 zum Verfahren zuzulassen sowie die von der Beschwerdegegnerin I eingereichten Dokumente D24, D25, D26 und D27 nicht zum Verfahren zuzulassen.
XI. Die Beschwerdegegnerin I beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
XII. Die Beschwerdegegnerin II beantragte die Zurückweisung der Beschwerde. Sie beantragte außerdem die Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung, falls es nötig werden sollte, die Erfordernisse der Artikel 54 und 56 EPÜ zu prüfen. Zudem sollten Hilfsanträge 1 bis 12 nicht zum Verfahren zugelassen werden.
Entscheidungsgründe
Hauptantrag - Anspruch 1
Offenbarung der Erfindung (Artikel 83 EPÜ)
1. Gemäß Artikel 83 EPÜ ist die Erfindung so deutlich und vollständig zu offenbaren, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
2. Die Beschwerdegegnerinnen argumentierten, dass im Streitpatent bzw. der Anmeldung nicht offenbart sei, wie Zusammensetzungen hergestellt werden können, die über den gesamten beanspruchten Bereich lagerstabil sind. Insbesondere trugen sie vor, dass keine Beispiele von Fibrinogen-Formulierungen offenbart seien, worin das zweiwertige Metallion nicht Calciumchlorid ist und worin der Komplexbildner kein Citrat ist. Des Weiteren enthielten die beispielhaft genannten Formulierungen 0,5, 1,5 oder 2,5 mM Calciumchlorid und stets Citrat. Die Ansprüche deckten jedoch alle zweiwertigen Metallionen bis zu einer Konzentration von 100 mM und alle Komplexbildner bis zu einer Konzentration von 25 mM ab.
3. Die Beschwerdegegnerinnen trugen weiter vor, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung eingeräumt habe, dass nicht alle Fibrinogen-Zusammensetzungen, die bis zu 100 mM zweiwertige Metallionen und bis zu 25 mM Komplexbildner enthielten, stabil seien und dass das Streitpatent keine allgemeine Lehre darüber enthalte, wie man zu solchen stabilen Zusammensetzungen komme.
4. In Bezug auf den Einwand, dass sich die Beispiele im Patent bzw. der Anmeldung nur auf Formulierungen, die 0,5, 1,5 oder 2,5 mM Calciumchlorid und 4, 12 oder 20 mM Citrat enthalten, beschränkten, stellt die Kammer fest, dass diese Tatsache kein Beweis dafür ist, dass die Erfindung nicht im gesamten beanspruchten Bereich ausgeführt werden kann. Wie in Entscheidung T 617/07 (siehe Punkt 46 der Begründung) dargelegt, ist eine ausreichende Offenbarung grundsätzlich nicht immer zu verneinen, wenn nur ein einziges Beispiel für die Ausführung der Erfindung gegeben wird. Vielmehr setzt ein Einwand unzureichender Offenbarung (i) ernsthafte, durch nachprüfbare Tatsachen erhärtete Zweifel voraus und (ii) hängt von der jeweiligen Beweislage ab.
5. Im vorliegenden Fall liegen der Kammer keine nachprüfbaren Tatsachen vor, die die Aussagen der Beschwerdegegnerinnen stützen, dass die beanspruchte Erfindung nicht ausgeführt werden kann. Ferner haben die Beschwerdegegnerinnen keine Nachweise dafür erbracht, dass die Behauptung der Beschwerdeführerin, dass alle beanspruchten Ausführungsformen stabil seien, unzutreffend ist.
6. Ferner stellt die Kammer fest, dass die Beschwerdeführerin nicht eingeräumt hat, dass nicht alle Fibrinogen-Formulierungen, die bis zu 100 mM zweiwertige Metallionen und bis zu 25 mM Komplexbildner enthalten, stabil seien (siehe Beschwerdebegründung, Punkt 6.7). Im Gegenteil vertritt sie die Meinung, dass alle Fibrinogen-Formulierungen, die vom Anspruch strukturell erfasst sind, auch die im Anspruch festgelegte Stabilität aufwiesen. Die Aussage, "dass nicht alle Fibrinogen-Zusammensetzungen, die bis zu 100 mM zweiwertige Metallionen und bis zu 25 mM Komplexbildner enthalten, stabil sind" (Punkt 6.7 der Beschwerdebegründung) bezog sich auf Fälle, in denen die Zusammensetzung zum Beispiel zusätzliche Bestandteile (Bestandteile mit proteolytischer Aktivität, wie zum Beispiel Plasminogen) enthält oder extreme pH-Werte aufweist.
7. Die Kammer ist der Ansicht, dass solche Fälle nicht als Nachweis dafür dienen können, dass der Fachmann die Erfindung im Allgemeinen nicht ausführen kann, da es nicht strittig ist, dass der Fachmann proteolytisch wirkende Bestandteile und extreme pH-Werte zu meiden wusste.
8. In der angefochtenen Entscheidung begründete die Einspruchsabteilung ihre negative Entscheidung zur Ausführbarkeit damit, dass im Patent ausschließlich Stabilitätsuntersuchungen mit Fibrinogen-Formulierungen enthaltend Na-Citrat, CaCl2 und L-Arg x HCl/pH 7.2 durchgeführt wurden. Die Einspruchsabteilung stützte ihre Entscheidung auch auf die Offenbarung in Tabellen 1 und 2, und in Tabellen 3 und 4, die nach ihrer Einschätzung zu den Ansprüchen, aber auch in sich widersprüchliche Ergebnisse enthielten.
9. Die Kammer kann der Einschätzung der Einspruchsabteilung nicht folgen. Erstens, wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, belegen die Beispiele im Patent nicht, dass irgendwelche erfindungsgemäßen Formulierungen nicht die beanspruchte Stabilität aufweisen. Vielmehr wird in Tabelle 1 und 2 gezeigt, dass auch nicht verbindungsgemäße Formulierungen stabil sein können.
Auch die in Tabellen 3 und 4 offenbarten Ergebnisse stehen nicht zu den Ansprüchen oder zueinander in Widerspruch. Tabelle 3 kann entnommen werden, dass sowohl erfindungsgemäße (Formulierung 5), als auch Vergleichformulierungen (Formulierung 4) für einen Monat bei 30°C stabil sind. Tabelle 4 zeigt, dass die drei erfindungsgemäßen Formulierungen (5 bis 7) nach einem Monat Lagerung bei 30°C deutlich stabiler sind als die Kontrollformulierung (>70,5 % verbleibendes Fibrinogen gegenüber ca. 50% verbleibendem Fibrinogen). Die Ergebnisse in Tabelle 4 stehen nicht im Widerspruch zu denen in den Tabellen 1 bis 3, da sie zeigen, dass die erfindungsgemäßen Formulierungen gemäß der Definition im Patent (siehe Absatz [0015]) stabil sind, wobei diese Definition die folgende Aussage enthält: "Der Wirkungsverlust ist dabei bevorzugt nach der Methode zur Feststellung von gerinnbarem Protein, wie beschrieben in der Fibrinkleber-Monographie des Europäischen Arzneibuches (3. Ausgabe (1997), Seiten 944-946), zu bestimmen". Somit sind die Daten in den Tabellen 3 und 4 nicht widersprüchlich, da etwaige Unterschiede in der gemessenen Stabilität auf die Verwendung unterschiedlicher Testmethoden zurückzuführen sein können.
10. Der Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung, dass die im Patent angegebenen Ergebnisse als widersprüchlich zu erachten seien, und deswegen der Fachmann anhand eines Forschungsprogramms sich selbst erarbeiten müsse, welche Fibrinogen-Formulierungen, selektiert aus einer Unzahl von möglichen Kombinationen aus zweiwertigen Metallionen und Komplexbildnern, die gewünschte Stabilität aufwiesen, kann nicht gefolgt werden, da nach der Einschätzung der Kammer kein Widerspruch aus den im Patent vorhandenen Daten zu erkennen ist. Des Weiteren offenbart das Patent auch Hinweise auf bevorzugte Ausführungsformen, die bei etwaigen Fehlschlägen in Betracht zu ziehen sind, siehe z.B. Absätze [0022] und [0023].
11. Letztendlich wurden von den Beschwerdegegnerinnen keine durch nachprüfbare Tatsachen belegte ernsthaften Zweifel geltend gemacht, die aufzeigen würden, dass die Erfindung nicht im gesamten beanspruchten Bereich ausgeführt werden kann.
12. Die Beschwerdegegnerin II beanstandete ferner, dass der Fachmann bei der Bestimmung i) des Mindestreinheitsgrades von Fibrinogen, der zur Erzielung einer stabilen Fibrinogen-Formulierung erforderlich ist, und ii) der spezifischen Formulierungen, die bei allen Temperaturen zwischen 0 und 30°C stabil sind, mit einer unangemessenen Belastung konfrontiert werde.
Die Kammer kann diesen Einwänden nicht folgen, da auch für diese keine durch nachprüfbare Tatsachen belegten ernsthaften Zweifel geltend gemacht wurden.
13. Nach Ansicht der Beschwerdegegnerinnen zeigen Dokumente D10 and D8a, dass Tranexamsäure bzw. Arginin nötig seien, um Fibrinogen-Formulierungen zu stabilisieren.
14. Auch dieser Ansicht kann die Kammer nicht folgen. Aus Dokument D10 geht hervor, dass Tranexamsäure als Proteaseinhibitor zugesetzt wird (siehe Seite 2, letzter Absatz). Wie bereits erwähnt, wusste der Fachmann, wie er mit potenziell vorhandenen schädlichen Proteasen umzugehen hatte bzw. wie er diese meiden konnte. Die Daten in Beispiel 3 des Dokuments D10 stützen die Argumentation der Beschwerdegegnerinnen ebenfalls nicht, da sie sich auf Versuche zur Bestimmung der Stabilität bei 70°C beziehen, während im Anspruch die Stabilität für mindestens einen Monat bei 30°C gefordert ist.
15. Auch das Vorbringen der Beschwerdegegnerinnen, dass Dokument D8a beweise, dass Arginin nötig sei, um Fibrinogen-Formulierungen zu stabilisieren, und dass der Fachmann nicht wisse, in welcher Menge dieses benötigt werde, ist nicht überzeugend.
16. Aus Dokument D8a geht hervor, dass Arginin als Gelierungshemmer eingesetzt wird (siehe Absatz [0013]), was darauf schließen lässt, dass es zur Stabilisation nicht unbedingt notwendig ist.
17. In Anbetracht der obigen Erwägungen kommt die Kammer zu dem Schluss, dass weder die Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung, noch die Beschwerdegegnerinnen in ihrem Vorbringen, überzeugend dargelegt haben, dass die beanspruchte Erfindung die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ nicht erfüllt.
Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)
18. Die Beschwerdegegnerinnen waren der Meinung, dass der Hauptantrag den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ nicht genüge, da es in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung keine Grundlage für die spezifische Kombination von zweiwertigen Metallionen in einer Konzentration von bis zu 100 mM und einem Komplexbildner in einer Konzentration von bis zu 25 mM gebe (siehe Abschnitt VII.).
19. Die Kammer ist von diesem Vorbringen nicht überzeugt. In der Anmeldung wird in dem Abschnitt, in dem zweiwertige Metallionen erläutert werden (siehe Seite 9, letzter Absatz), offenbart, dass diese eine Konzentration von bis zu 100 mM haben können. In dem Abschnitt, der Details über den Komplexbildner enthält (siehe Seite 10, erster Absatz), wird für diesen eine bevorzugte Konzentration von bis zu 25 mM angegeben.
20. Die Beschwerdegegnerin II bemerkte zwar zu Recht, dass die vorangehende Zeile des ersten Absatzes auf Seite 10 beschreibt, dass der Komplexbildner in der erfindungsgemäßen Formulierung vorzugsweise in höherer Konzentration als die zweiwertigen Metallionen vorliegt. Allerdings geht nach Lesart der Kammer aus der Verwendung von "vorzugsweise" hervor, dass dieses Merkmal nicht als wesentlich offenbart ist. Selbst bei Fehlen dieses Merkmales ist der Gegenstand des Anspruchs direkt und eindeutig offenbart. Der Anspruch erfüllt die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ.
Ansprüche 20 bis 22
Regel 80 EPÜ
21. Die Beschwerdegegnerin II wandte ein, dass die in den Ansprüchen 20 bis 22 vorgenommenen Änderungen den Einwand der Ausnahme von der Patentierbarkeit nach Artikel 53 c) EPÜ nicht beseitigten. Im Fall von Anspruch 21 seien die Änderungen unnötig, da sie darauf abzielten, einen Einwand nach Artikel 53 c) EPÜ zu vermeiden, der auf den fraglichen Gegenstand gar nicht zuträfe. Ähnliche Einwände gälten für Anspruch 22.
22. Die Kammer ist jedoch der Auffassung, dass Regel 80 EPÜ nur verlangt, dass die Änderungen durch einen Einspruchsgrund veranlasst sind, wobei dieser nicht berechtigt sein muss, und die Änderungen den Einspruchsgrund auch nicht erfolgreich überwinden müssen. Im vorliegenden Fall ist erkennbar, dass die Änderungen als Reaktion auf die von der Beschwerdegegnerin I in ihrer Einspruchsbegründung (Absatz 4) erhobenen Einwände gegen Ansprüche 21 bis 24 vorgenommen wurden. Sie sind daher nach Regel 80 EPÜ nicht zu beanstanden.
Artikel 53 c) EPÜ
23. Die Beschwerdegegnerinnen beanstandeten den Gegenstand der Ansprüche 20 bis 22 als nicht mit Artikel 53 c) EPÜ konform.
24. Artikel 53 c) EPÜ schließt Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers sowie Diagnostizierverfahren, die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden, von der Patentierbarkeit aus, sieht aber auch vor, dass dies nicht für Erzeugnisse, insbesondere Stoffe oder Stoffgemische, zur Anwendung in einem dieser Verfahren gilt.
25. Anspruch 20 ist ein zweckgebundener Stoffanspruch gemäß Artikel 54 (5) EPÜ. Das Stoffgemisch ist eine Fibrinogen-Formulierung nach einem der Ansprüche 1 bis 18 und die spezifische therapeutische Anwendung ist die Behandlung von Fibrinogen-Mangelzuständen. Der Gegenstand der Ansprüche 21 und 22 ist eine Fibrinogen-Formulierung, also ein Stoffgemisch. Da es sich bei dem Gegenstand der Ansprüche 20 bis 22 nicht um Verfahren, sondern um Stoffgemische (wenn auch im Falle des Anspruchs 20 ein zweckgebundenes) handelt, kann er nicht unter die Ausnahmen nach Artikel 53 c) EPÜ fallen.
Ansprüche 20 bis 23
Offenbarung der Erfindung (Artikel 83 EPÜ);
Anspruch 23
Ausnahmen von der Patentierbarkeit (Artikel 53 c) EPÜ)
26. Die Beschwerdegegnerin II beanstandete die Ansprüche 20 bis 23 als nicht konform mit den Erfordernissen des Artikel 83 EPÜ. Darüber hinaus beanstandete die Beschwerdegegnerin I, dass auch der Gegenstand des Anspruchs 23 nicht mit Artikel 53 c) EPÜ konform sei. In der angefochtenen Entscheidung hat die Einspruchsabteilung sich jedoch nicht mit diesen Themen befasst. Die Kammer beschloss daher, dass diese Fragen ebenfalls von der Einspruchsabteilung behandelt werden sollte, da der Fall bereits aufgrund anderweitiger Erwägungen zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen wurde (siehe Punkt 32. unten).
Zurückverweisung (Artikel 111 (1) EPÜ)
27. Die Beschwerdeführerin beantragte, dass die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen werde, sollte die Kammer zur Auffassung gelangen, dass ein vorgelegter Anspruchssatz die Erfordernisse von Regel 80, Artikel 123 (2), Artikel 123 (3), Artikel 83 und Artikel 84 EPÜ erfülle.
28. Eine Beschwerdekammer wird gemäß Artikel 111 (1) EPÜ entweder im Rahmen der Zuständigkeit des Organs tätig, das die Entscheidung erlassen hat, oder sie verweist die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an dieses Organ zurück. Ob die Kammer in der Sache selbst entscheidet oder die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückverweist (Artikel 111(1) Satz 2 EPÜ), hat sie nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden.
29. Die angefochtene Entscheidung befasste sich nur mit den Einwänden nach Artikel 83 EPÜ gegen Anspruch 1 des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 bis 9 sowie mit Einwänden gegen Anspruch 1 des Hauptantrags nach Artikel 123 (2) EPÜ und mit Einwänden nach Artikel 53 c) EPÜ gegen die Ansprüche 20 bis 22 und nach Regel 80 EPÜ gegen die Ansprüche 20 bis 22 des Hauptantrags.
30. Würde die Kammer die Angelegenheit nicht an die Einspruchsabteilung zurückverweisen, müsste sie sich zum ersten Mal mit allen übrigen Erfordernissen des EPÜ befassen. Dies geht über die Aufgabe einer gerichtlichen Überprüfung der angefochtenen Entscheidung durch die Kammer, wie sie sich nun auch ausdrücklich aus Artikel 12 (2) VOBK 2020 ergibt, hinaus. Außerdem haben sowohl die Beschwerdeführerin als auch die Beschwerdegegnerin II die Zurückverweisung beantragt, und die Beschwerdegegnerin I hat sich nicht dagegen ausgesprochen.
31. In Anbetracht dessen liegen besondere Gründe im Sinne von Artikel 11 VOBK 2020 vor, die eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung rechtfertigen.
32. Daher wird die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung, einschließlich der Behandlung der Fragen der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1, und der verbleibenden Aspekte der ausreichenden Offenbarung und der Ausnahmen von der Patentierbarkeit (Artikel 53 c) EPÜ), zurückverwiesen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur
weiteren Entscheidung zurückverwiesen.