European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2019:T026518.20190206 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 06 Februar 2019 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0265/18 | ||||||||
Anmeldenummer: | 04028569.4 | ||||||||
IPC-Klasse: | G07F 7/08 G07B 15/02 G07F 7/00 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zur automatisierten Erfassung der Benutzung kostenpflichtiger Transportmittel und zur Abrechnung des Fahrpreises | ||||||||
Name des Anmelders: | mcity GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.4.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit - nach Änderung Erfinderische Tätigkeit - (ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde betrifft die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung mit der Nummer 04028569 zurückzuweisen.
II. Am Ende der mündlichen Verhandlung beantragte die Anmelderin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf Basis eines während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrags, enthaltend:
- Ansprüche 1 bis 5 wie während der mündlichen Verhandlung eingereicht
- Beschreibung Seiten 1 bis 19 wie während der mündlichen Verhandlung eingereicht
- Figuren 1 bis 3 wie ursprünglich eingereicht
III. Es wird auf die folgenden Dokumente Bezug genommen:
D1: WO 02/056237 A2
D5: DE 199 57 660 A1
D7: WO 01/20557 A1
D5 wurde bereits in der ursprünglichen Beschreibung der Anmeldung genannt.
Das Dokument D7 wird in D1 bezüglich der Kommunikation genannt (internationale Anmeldung PCT/EP 00/08292, Seite 6, Zeilen 23 bis 30 der D1). Beide Dokumente wurden von der Kammer in das vorliegende Verfahren eingeführt.
IV. Der unabhängige Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
Verfahren zur automatisierten Erfassung der Benutzung kostenpflichtiger Transportmittel zur Personenbeförderung und zur Abrechnung des Fahrpreises, wobei mindestens ein im Bereich des Transportmittels angeordneter Sender unidirektional Datentelegramme aussendet, die von einem Endgerät des das Transportmittel nutzenden Nutzers empfangen und weiterverarbeitet werden, wobei die folgenden Schritte durchlaufen werden:
- Empfangen und Speichern eines von einem Sender gesendeten Datentelegramms, welches eine Standortinformation über den Standort des Senders und/oder Fahrpreis- oder Tarifinformationen enthält,
- Empfangen und Speichern mindestens eines weiteren von einem Sender gesendeten Datentelegramms,
- Weiterverarbeitung der empfangenen Daten unter Berücksichtigung von auf dem Endgerät befindlichen Daten und Algorithmen,
- Abbuchen von Wert- oder Geldeinheiten von einem in einem Speicher des Endgeräts gespeicherten vorbezahlten Guthaben in Abhängigkeit von dem Ergebnis der Weiterverarbeitung,
- wobei eine Anzeige eines verbleibenden Guthabens auf einem Display des Endgerätes erfolgt,
dadurch gekennzeichnet, dass
- mit dem vom Sender gesendeten Datentelegramm ein Zählerstand und eine Fahrzeugidentifikation des Transportmittels übermittelt werden, wobei der Zählerstand nur inkrementiert wird, wenn das Fahrzeug fährt,
- aufgrund einer Veränderung des Zählerstandes die Abbuchung von Wert- oder Geldeinheiten erfolgt, und
- die Wert- oder Geldeinheiten nur abgebucht werden, wenn die Veränderung des Zählerstandes einen festgelegten Schwellenwert überschreitet.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Artikel 123(2) EPÜ
Anspruch 1 beruht auf dem ursprünglichen Anspruch 1 sowie auf dem vorletzten und dem letzten Absatz der Seite 5, dem die Seiten 7 und 8 überbrückenden Absatz, dem die Seiten 9 und 10 überbrückenden Absatz sowie dem dritten Absatz auf Seite 13 der ursprünglich eingereichten Beschreibung.
Anspruch 2 enthält nur Merkmale des ursprünglichen Anspruchs 2. Anspruch 3 beruht auf dem zweiten Absatz der Seite 9 der ursprünglichen Beschreibung. Die Ansprüche 4 und 5 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 3 und 5.
Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass die Anforderungen des Artikels 123(2) EPÜ erfüllt sind.
3. Stand der Technik
3.1 D1
Das Dokument D1 betrifft die Erfassung von elektronischen Fahrkarten/Billetten 10 durch eine in einem Transportmittel 20 angeordnete Sende-/Empfangseinheit 32 (Figur 1). Im Rahmen der Erfassung werden den Billetten von der Sende-/Empfangseinheit Informationseinheiten INF1 übermittelt, wobei diese Übermittlung ohne Adressierung, das heißt unter Verwendung einer Broadcasttechnik, an alle Billette stattfinden kann. Auf Basis der empfangenen Informationseinheiten INF1 kann auf dem Billet von einem fiktiven Konto eine Abbuchung eines Geldbetrages erfolgen. Die mit einem Billet durchgeführten Fahrten werden in einem Bordrechner über eine Billet-ID registriert, welche die Billete in Antwort auf empfangene Informationseinheiten INF1 mit Informationseinheiten INF2 an die Sende-/Empfangseinheit schicken. Mithilfe dieser Registrierungen erfolgt eine endgültige Abrechnung der zu entrichtenden Fahrpreise. Der Guthabenstand auf dem Billet wird beim nächsten Aufladen des Billets synchronisiert. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass auf die Informationseinheiten INF2 oder auf die Synchronisierung verzichtet werden kann.
3.2 D7
In Bezug auf den technischen Ablauf der Kommunikation mit den Billetten verweist D1 (Seite 6, Zeilen 23 bis 30) auf D7. Auch in D7 wird das Senden von Informationseinheiten (die hier als INF3 statt als INF2 wie in D1 bezeichnet werden) vom Billet zur Sende-/Empfangseinheit nicht als optional dargestellt, auch wenn die Billets nicht auf jede einzelne empfangene Informationseinheit (die in D7 als INF2 statt als INF1 wie in D1 bezeichnet werden) antworten (siehe Figur 3).
3.3 D5
Das Dokument D5 betrifft ein Verfahren zur Bestimmung und Abrechnung des Fahrpreises in öffentlichen Verkehrsmitteln. Dabei führen Fahrgäste elektronische Fahrberechtigungen mit, auf denen ein Guthaben gespeichert ist. Während der Fahrt sendet eine im Fahrzeug angeordnete Vorrichtung Zählimpulse aus. In Abhängigkeit von den empfangenen Zählimpulsen werden von den Guthaben auf den Fahrberechtigungen Beträge abgebucht.
Dabei können die Fahrberechtigungen eine individuelle Kodierung aufweisen, die von der im Fahrzeug angeordneten Vorrichtung erkannt (und damit registriert) werden kann. Dies ist nach D5 jedoch nicht notwendig, sondern lediglich vorteilhaft, um eine nutzungsgerechte Abrechnung, eine zuverlässige Erhebung von Marktdaten und eine verbesserte Kontrolle zu ermöglichen (Spalte 4, Zeilen 19 bis 28; siehe auch die Ansprüche 1 bis 4, die die Erkennung der Kodierungen nicht enthalten).
4. Artikel 54 EPÜ 1973, Neuheit
4.1 D5
D5 offenbart, im Wortlaut des Anspruchs 1, ein
Verfahren zur automatisierten Erfassung der Benutzung kostenpflichtiger Transportmittel zur Personenbeförderung und zur Abrechnung des Fahrpreises (siehe Zusammenfassung), wobei mindestens ein im Bereich des Transportmittels angeordneter Sender unidirektional Datentelegramme (Zählimpulse) aussendet (Anspruch 2), die von einem Endgerät (Fahrberechtigung) des das Transportmittel nutzenden Nutzers (Fahrgast) empfangen und weiterverarbeitet werden (siehe auch Spalte 4, Zeilen 2 bis 15 und Spalte 3, Zeilen 28 bis 54), wobei die folgenden Schritte durchlaufen werden:
- Empfangen und Speichern eines von einem Sender gesendeten Datentelegramms (Zählimpulse; Spalte 3, Zeilen 46 bis 49), welches eine Standortinformation über den Standort des Senders und/oder Fahrpreis- oder Tarifinformationen enthält (Spalte 5, Zeilen 13 bis 18),
- Empfangen und Speichern mindestens eines weiteren von einem Sender gesendeten Datentelegramms (das gesamte System der D5 beruht auf einer Mehrzahl von Zählimpulsen),
- Weiterverarbeitung der empfangenen Daten unter Berücksichtigung von auf dem Endgerät befindlichen Daten und Algorithmen (Spalte 5, Zeilen 13 bis 18),
- Abbuchen von Wert- oder Geldeinheiten von einem in einem Speicher des Endgeräts gespeicherten vorbezahlten Guthaben in Abhängigkeit von dem Ergebnis der Weiterverarbeitung (Spalte 5, Zeilen 13 bis 18),
- wobei eine Anzeige eines verbleibenden Guthabens auf einem Display des Endgerätes erfolgt (Spalte 4, Zeilen 45 bis 57).
4.2 Unterscheidende Merkmale
Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von D5 durch den kennzeichnenden Teil, das heißt, dadurch, dass
a mit dem vom Sender gesendeten Datentelegramm ein Zählerstand und eine Fahrzeugidentifikation des Transportmittels übermittelt werden, wobei der Zählerstand nur inkrementiert wird, wenn das Fahrzeug fährt,
b aufgrund einer Veränderung des Zählerstandes die Abbuchung von Wert- oder Geldeinheiten erfolgt, und
c die Wert- oder Geldeinheiten nur abgebucht werden, wenn die Veränderung des Zählerstandes einen festgelegten Schwellenwert überschreitet.
Auch das Dokument D1 offenbart keines der Merkmale a, b und c.
D7 offenbart zwar die Übermittlung eines Zählerstandes (Fahrtabschnittsnummer, siehe Figur 7 und Seite 21, Zeile 19 bis Seite 23, Zeile 22) an die Billette, dieser wird dann jedoch anders verwendet als nach dem kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1. Ein Schwellwert, bei Überschreitung dessen eine Abbuchung erfolgt, wird nicht bestimmt. Stattdessen wird in D7 gar keine Abbuchung auf dem Billet vorgenommen.
D7 offenbart daher nur jeweils einen Teil des Oberbegriffs und des Kennzeichens des Anspruchs 1.
In Anbetracht des verfügbaren Standes der Technik ist der Gegenstand des Anspruchs 1 daher neu nach Artikel 54 EPÜ 1973.
5. Artikel 56 EPÜ 1973, Erfinderische Tätigkeit
5.1 Nächstliegender Stand der Technik
Die grundsätzliche Aufgabe der Anmeldung ist, ein offenes Be In/Be Out-System zur Abrechnung von Fahrpreisen zu schaffen, bei dem vermieden wird, dass die elektronischen Fahrkarten/Nutzerendgeräte (womöglich gleichzeitig) Daten senden müssen. Zu diesem Zweck ist die Kommunikation zwischen den im Transportmittel angeordneten Sendern und den Nutzerendgeräten, auf denen die Abbuchung beruht, unidirektional ausgestaltet (siehe Seite 4, Absätze 3 und 4), auch wenn optional zusätzlich Daten von den Nutzerendgeräten ausgelesen werden können (siehe Seite 18, Absätze 2 bis 4). Damit wird die Komplexität bidirektionaler Verfahren vermieden (siehe auch Seite 3, Absatz 2).
Sowohl bei D1 als auch bei D7 erfolgt die Kommunikation zwischen den Fahrkarten und den im Fahrzeug angeordneten Sende-/Empfangsmitteln ausdrücklich bidirektional (D1, Anspruch 1 Erfassung eines Billettes, und Anspruch 2, bidirektional kommuniziert; D7, Anspruch 1, bidirektionale Kommunikation).
Bei dem in D5 offenbarten System ist das Senden von Daten von den Fahrberechtigungen an die im Transportmittel angeordnete Einrichtung lediglich optional und auch nicht direkt mit der Abbuchung von Guthaben auf der Fahrberechtigung verbunden.
Das in D5 vorgestellte System entspricht daher am ehesten der in der Anmeldung genannten Aufgabe. Als nächstliegender Stand der Technik im Rahmen des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes muss daher D5 angesehen werden.
5.2 Technischer Effekt
Durch die oben genannten unterscheidenden Merkmale a, b und c in Kombination kann das Nutzerendgerät feststellen, ob Zählerstände, die von einem anderen Fahrzeug als dem bisher benutzten stammen,
- nur empfangen werden, weil sich der Sender dieses anderen Fahrzeugs zufällig (und damit kurzzeitig) in Reichweite des Empfängers des Nutzerendgerätes befindet (beispielsweise weil sich zwei Buslinien kreuzen; in diesem Fall wird die Veränderung des Zählerstandes des anderen Fahrzeugs unterhalb des Schwellenwertes bleiben),
oder
- ob sie empfangen werden, weil der Nutzer in das andere Fahrzeug umgestiegen ist (in diesem Fall wird der Zählerstand des anderen Fahrzeugs den Schwellwert ab einer bestimmten Zeit überschreiten).
5.3 Objektives technisches Problem
Das ausgehend von D5 zu lösende objektive technische Problem kann dann so formuliert werden, dass zuverlässiger festgestellt werden soll, welche Transportmittel der Nutzer tatsächlich verwendet hat.
5.4 Erfinderische Tätigkeit
Das Dokument D5 selber gibt dem Fachmann keinerlei Hinweis, sich mit dem genannten Problem zu beschäftigen.
Bei einem bidirektionalen System wie in D1 stellt sich das genannte Problem nicht in derselben Weise, da das Billett jedes Nutzers in dem jeweils benutzten Fahrzeug registriert wird. D1 erwähnt auch weder das genannte Problem noch einen Zählerstand.
In D7 wird das Problem der Parallelfahrt oder des Kreuzens zweier Transportmittel genannt (Seite 12, Zeilen 14 bis 17). Wie bei einem bidirektionalen System zu erwarten besteht die Lösung jedoch in der Verwendung der Informationseinheiten INF3, die von den Billetten an die im Transportmittel angeordnete Sende-/Empfangseinrichtung zurückgesendet werden (Seite 12, Zeilen 7 bis 13).
Unabhängig von diesem Problem wird in D7 zwar das Merkmal a offenbart (siehe Figur 7, wobei die Fahrtabschnittsnummer n, n+1,... dem Zählerstand und die Fahrzeugnummer 936 der Fahrzeugidentifikation entsprechen). Die gemäß diesem Merkmal mitgeschickten Information werden jedoch für die Lösung eines anderen Problems verwendet, nämlich um zu vermeiden, dass eine ungerechtfertigte Erfassung der Benutzung eines Transportmittels über eine Endstation hinaus erfolgt (siehe Seite 22, Zeilen 7 bis 9).
5.5 Einschätzung der Prüfungsabteilung
Anspruch 1 des vorliegenden Hauptantrags stellt eine Weiterentwicklung des Anspruchs 1 des der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrags 3 dar.
In diesem Zusammenhang stellt die Kammer fest, dass der Einwand der Prüfungsabteilung hinsichtlich mangelnder erfinderischer Tätigkeit (siehe Punkt 28 der erstinstanzlichen Entscheidung) nicht unberechtigt war, da das damals vorliegende zusätzliche Merkmal sehr allgemein gehalten war. Insbesondere war aus diesem Merkmal der Beitrag des Begriffes Zählerstand zu einem technischen Effekt nicht zu erkennen.
Dies ist, wie oben dargelegt, bei dem kennzeichnenden Teil des vorliegenden Anspruchs 1 jedoch nicht mehr der Fall, weshalb der damalige Einwand nicht mehr zutrifft.
5.6 Schlussfolgerung
Aus dem oben Gesagten folgt, dass der Fachmann, ausgehend von D5 unter Berücksichtigung des anderen verfügbaren Standes der Technik sowie seines allgemeinen Wissens nicht ohne Ausübung einer erfinderischen Tätigkeit zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen würde. Das Vorhandensein eines erfinderischen Schrittes im Sinne von Artikel 56 EPÜ 1973 muss daher anerkannt werden.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Vorinstanz mit der Maßgabe zurückverwiesen, ein Patent in folgender Fassung zu erteilen:
Ansprüche:
Nr. 1 bis 5 des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrages
Beschreibung:
Seiten 1 bis 19 wie in der mündlichen Verhandlung eingereicht
Figuren:
Nr. 1 bis 3 wie ursprünglich eingereicht