T 0251/18 (PS-Schaumstoffe mit geringem Metallgehalt/BASF) of 14.5.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T025118.20200514
Datum der Entscheidung: 14 Mai 2020
Aktenzeichen: T 0251/18
Anmeldenummer: 09738211.3
IPC-Klasse: C08J9/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: PS-SCHAUMSTOFFE MIT GERINGEM METALLGEHALT
Name des Anmelders: BASF SE
Name des Einsprechenden: Total Research & Technology Feluy
Kammer: 3.3.09
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 83 (2007)
Schlagwörter: Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach Rücknahme der Anträge auf mündliche Verhandlung durch beide Parteien
Ausreichende Offenbarung - Hauptantrag (ja)
Zurückverweisung an die erste Instanz - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin ("Beschwerdeführerin") richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Streitpatent zu widerrufen.

II. Die Einsprechende ("Beschwerdegegnerin") hatte den Widerruf des Patents im gesamten Umfang auf Grundlage der Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit) und Artikel 100 b) EPÜ beantragt.

III. Im Rahmen des Verfahrens vor der Einspruchsabteilung wurde unter anderem folgendes Dokument eingereicht:

E11: Auszug aus Wikipedia zu "Blähgraphit".

IV. Anspruch 1 des Hauptantrags, der der angegriffenen Entscheidung zugrunde lag, lautet wie folgt:

"Expandierbares Styrolpolymerisat, enthaltend wenigstens ein Flammschutzmittel als Komponente (A), 0,01 bis 0,8 Gew.-%, bezogen auf Komponente (A), wenigstens eines Metalls als Komponente (B) und athermane Partikel als Komponente (C), wobei die athermanen Partikel Graphit sind."

V. Die Einspruchsabteilung hat unter anderem entschieden, dass Anspruch 1 des Hauptantrags die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ erfülle, jedoch die Erfindung im Umfang des Hauptantrags nicht so deutlich und vollständig offenbart sei, dass ein Fachmann sie ausführen könne.

VI. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin einen Hauptantrag und Hilfsanträge 1 bis 7 ein. Der einzige für die vorliegende Entscheidung relevante Antrag ist der Hauptantrag. Anspruch 1 des Hauptantrags entspricht Anspruch 1 des Hauptantrags, der der angegriffenen Entscheidung zugrunde lag (siehe den vorstehenden Punkt IV).

VII. Die Parteien wurden zu einer mündlichen Verhandlung geladen. Die Kammer erließ eine Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK, in der sie ihre vorläufige Meinung erläuterte und erklärte, dass der Hauptantrag das Erfordernis nach Artikel 83 EPÜ erfülle. Darüber hinaus wurde mitgeteilt, dass die Kammer beabsichtige, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Angelegenheit zur weiteren Prüfung, insbesondere der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit, an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen. Die Parteien wurden aufgefordert mitzuteilen, ob sie ihren Antrag auf mündliche Verhandlung aufrechterhalten, sollte die Kammer bei ihrer Auffassung bleiben.

Daraufhin zog die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf mündliche Verhandlung unter der Bedingung zurück, dass die Kammer bei dieser Auffassung bleibe. Auch die Beschwerdegegnerin zog ihren Antrag auf mündliche Verhandlung unter der Bedingung zurück, dass ausschließlich über die Frage der Ausführbarkeit entschieden werde. In der Folge wurde die Ladung zur mündlichen Verhandlung aufgehoben.

VIII. Die Argumente der Beschwerdeführerin können, soweit für die vorliegende Entscheidung relevant, wie folgt zusammengefasst werden:

Die Erfindung sei im Umfang des Hauptantrags im Lichte der Beschreibung und unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens ausführbar.

IX. Die Argumente der Beschwerdegegnerin können, soweit für die vorliegende Entscheidung relevant, wie folgt zusammengefasst werden:

Die Erfindung sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. In Anspruch 1 sei Graphit als Komponente (C) erwähnt. Da Blähgraphit als Beispiel für Graphit auch ein Flammschutzmittel sein könne, seien somit Überlappungen zwischen den Komponenten (A) und (C) möglich. Darüber hinaus bestehe eine Konfusion zwischen den Komponenten (A) und (B), da beispielsweise die Metallverbindung Aluminiumhydroxid (Al(OH)3) auch ein Flammschutzmittel sei. Somit seien auch Überlappungen der Komponenten (A) und (B) möglich. Ferner sei die Quelle der Metalle unbekannt und es gebe keine Untergrenze für die Komponenten (A) und (B).

X. Anträge

Die Beschwerdeführerin beantragte, dass die angefochtene Entscheidung aufgehoben wird und das Patent im Umfang des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrags aufrechterhalten wird, hilfsweise auf Grundlage von einem der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 7.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, dass die Beschwerde zurückgewiesen und das Patent im vollen Umfang widerrufen wird.

Entscheidungsgründe

HAUPTANTRAG

1. Ausführbarkeit

1.1 Anspruch 1 des Hauptantrags betrifft ein expandierbares Styrolpolymerisat, enthaltend wenigstens:

- ein Flammschutzmittel als Komponente (A);

- 0,01 bis 0,8 Gew.-%, bezogen auf Komponente (A), wenigstens eines "Metalls" als Komponente (B); und

- athermane Partikel als Komponente (C), wobei die athermanen Partikel Graphit sind.

1.2 Die Beschwerdegegnerin ist der auch in der angefochtenen Entscheidung vertretenen Auffassung, dass die Erfindung im Rahmen des Hauptantrags nicht ausführbar sei. Die Beschwerdegegnerin stellt dabei darauf ab, dass Überlappungen zwischen den Komponenten (A) und (C) sowie den Komponenten (A) und (B) möglich seien, was zu einer Konfusion führe. Ferner sei die Quelle der Metalle (als Komponente (B)) unbekannt und es gebe keine Untergrenze für die Komponenten (A) und (B).

1.3 Aus den folgenden Gründen kann die Kammer der Auffassung der Beschwerdegegnerin sowie der Einspruchsabteilung nicht folgen.

1.3.1 Die Beschwerdegegnerin argumentiert, dass sich aus E11 ergebe, dass Blähgraphit (ein Graphit als Komponente (C); siehe Absatz [0030] des Patents) auch ein Flammschutzmittel (Komponente (A)) sei, so dass die Komponenten (A) und (C) aus dem gleichen Material bestehen können. Auch könne nach Ansicht der Beschwerdegegnerin Aluminiumhydroxid gleichzeitig als Flammschutzmittel (Komponente (A)) und als Metallverbindung (Komponente (B)) angesehen werden, so dass auch diese beiden Komponenten aus dem gleichen Material bestehen können.

1.3.2 Die Beschwerdegegnerin konnte jedoch nicht zeigen, warum Überlappungen zwischen den Komponenten (A) bis (C) zu einer mangelnden Ausführbarkeit führen könnten. Selbst wenn Überlappungen zwischen den Komponenten (A) und (B) bzw. den Komponenten (A) und (C) möglich sind, so betrifft dies lediglich die Breite des begehrten Schutzbereiches, nicht jedoch die Ausführbarkeit der Erfindung.

1.3.3 Bei der Beurteilung der Ausführbarkeit ist nicht nur der Wortlaut eines Anspruchs (vorliegend Anspruch 1), sondern auch die Beschreibung und das allgemeine Fachwissen eines Fachmanns auf dem einschlägigen Gebiet heranzuziehen. Im vorliegenden Fall sind der Beschreibung ausführliche Erläuterungen zu den einzusetzenden Komponenten (A) bis (C) zu entnehmen (siehe die Absätze [0017] bis [0033] des Patents), die einem Fachmann eine Vielzahl geeigneter Materialien zur Herstellung eines expandierbaren Styrolpolymerisats vorschlagen. Auch die Beispiele 2, 4 and 5 des Patents beschreiben ein expandierbares Styrolpolymerisat, das Hexabromcyclododecan (HBCD) als Komponente (A), Graphit als athermanen Partikel der Komponente (C) und einen Metallgehalt im beanspruchten Bereich aufweist. Diese Beispiele verdeutlichen somit Wege zur Ausführung der Erfindung.

Die Beschwerdegegnerin konnte auch nicht zeigen, warum diese Angaben in der Beschreibung bzw. die Beispiele 2, 4 und 5 nicht geeignet sind, um Wege zur Ausführung der Erfindung zu verdeutlichen.

1.3.4 Anspruch 1 fordert die Anwesenheit eines "Metalls" als Komponente (B). Wie aus Absatz [0022] des Patents hervorgeht, wird darunter im Sinne des angegriffenen Patents nicht nur ein Metall in seiner elementaren Form, sondern auch als Verbindung verstanden. Die Mengenangabe bezieht sich jedoch auf das Metall in elementarer Form.

In Absatz [0023] des Patents ist beschrieben, dass die Menge des Flammschutzmittels an die Menge des Metalls gekoppelt ist. Dies ergibt sich auch bereits aus dem Wortlaut von Anspruch 1. Absatz [0023] des Patents ist weiter zu entnehmen, dass für den Fall, dass wenig Metall in dem Styrolpolymerisat vorhanden ist, auch die Menge an Flammschutzmittel gering gewählt wird. Ist aber relativ viel Metall in dem Styrolpolymerisat vorhanden, so muss auch die Menge an Flammschutzmittel entsprechend angepasst werden. Dies verdeutlicht den Zusammenhang der Komponenten (A) und (B).

Aus Absatz [0024] des Patents geht hervor, dass es bevorzugt ist, dass Metall nicht extra zu dem Styrolpolymerisat gegeben wird, sondern das Metall im Allgemeinen als Verunreinigung in das expandierbare Styrolpolymerisat gelangt. Als Beispiel dafür, wie metallische Verunreinigungen in das beanspruchte Polymerisat gelangen können, wird Abrieb von Stählen, beispielsweise aus einem Extruder, Kessel, Sieb etc., bei der Herstellung des expandierbaren Styrolpolymerisats, mechanisch und/oder durch Korrosion, genannt. Als weitere Quelle des in dem expandierbaren Styrolpolymerisat vorliegenden Metalls werden die bei der Herstellung des Polymerisats eingebrachten Stoffe, beispielsweise die athermanen Partikel, wie Graphit, erwähnt.

In den Absätzen [0023] und [0024] des Patents sind somit Erläuterungen zu finden, die erklären, wie das in Anspruch 1 geforderte Verhältnis der Komponenten (A) zu (B) einzustellen ist und welchen Ursprung Komponente (B) haben kann. Die Beschwerdegegnerin konnte nicht zeigen, dass ein Fachmann Schwierigkeiten dabei haben könnte, den Metallgehalt zu bestimmen und den wie in Anspruch 1 geforderten Gehalt der Komponente (B) einzustellen. Zumindest wurden keine nachprüfbaren Tatsachen vorgebracht, die Zweifel daran entstehen lassen könnten.

1.3.5 Anspruch 1 fordert - bezogen auf das gesamte Styrolpolymerisat - keine bestimmten Mengen der Komponenten (A), (B) und (C) und somit auch keine Untergrenze der Komponenten (A) und (B). Es wird lediglich verlangt, dass 0,01 bis 0,8 Gew.-%, bezogen auf Komponente (A), wenigstens eines "Metalls" als Komponente (B) vorhanden ist. Somit ist die Menge der Komponente (B) als Verhältnis zu der Komponente (A) angegeben, nicht aber bezogen auf das gesamte beanspruchte Styrolpolymerisat.

Die Beschwerdegegnerin argumentiert in diesem Zusammenhang, dass ohne Untergrenze für das Flammschutzmittel das verfolgte Ziel eines vorteilhaften Brandverhaltens nicht erreicht werden könne und auch kein technisches Problem gelöst werde. Dies sind jedoch Überlegungen, die nicht die Ausführbarkeit in Frage stellen können, sondern möglicherweise bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit von Bedeutung sein könnten. Das Fehlen einer Untergrenze für die Komponenten (A) und (B) kann somit keine mangelnde Ausführbarkeit stützen.

1.3.6 Die Kammer teilt darüber hinaus nicht die Ansicht der Einspruchsabteilung, dass die Komponenten (A), (B) und (C) in Anspruch 1 drei separate, d.h. voneinander getrennte, Komponenten sein müssen. Wie von der Beschwerdeführerin zutreffend festgestellt, enthält Anspruch 1 lediglich eine Auflistung von Inhaltsstoffen des beanspruchten Styrolpolymerisats. Wie diese Inhaltsstoffe anspruchsgemäß eingestellt werden bzw. welchen Ursprung sie haben, ist unerheblich. Auch kann die Kammer keinen Widerspruch zwischen dem Wortlaut von Anspruch 1 und der Beschreibung für den Fall erkennen, dass beispielsweise Metall (Komponente (B)) als Verunreinigung von Graphit (als Komponente (C)) vorliegt.

1.3.7 In der Entscheidung führt die Einspruchsabteilung aus, dass das Gewichtsverhältnis (B)/(A) schwierig zu bestimmen sei. Dies betrifft allenfalls einen Mangel an Klarheit, nicht aber eine Frage der Ausführbarkeit. Aus Absatz [0024] des Patents ist zu entnehmen, dass Metall über Verunreinigungen oder die bei der Herstellung des Polymerisats verwendeten Komponenten eingebracht werden kann. Nach Ansicht der Kammer konnte die Beschwerdegegnerin nicht zeigen, dass ein Fachmann Schwierigkeiten haben könnte, den Metallgehalt in einer der geforderten Komponenten bzw. in dem Styrolpolymerisat zu bestimmen und wie gefordert einzustellen.

1.4 Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die Einwände der Beschwerdegegnerin zur angeblich mangelnden Ausführbarkeit allenfalls die Breite des begehrten Schutzbereiches bzw. Fragen der Klarheit betreffen. Ein Fachmann kann ein expandierbares Styrolpolymerisat, wie in Anspruch 1 gefordert, ohne unzumutbaren Aufwand herstellen. Gleiches gilt in analoger Weise auch für die Ansprüche 2 bis 12 des Hauptantrags.

Somit erfüllt der Hauptantrag das Erfordernis nach Artikel 83 EPÜ.

2. Angesichts der Tatsache, dass im Umfang des Hauptantrags vor der Einspruchsabteilung nur Artikel 123(2) EPÜ und die Frage der Ausführbarkeit diskutiert wurden und ausschließlich darüber entschieden wurde, liegen besondere Gründe vor, die Angelegenheit zur weiteren Prüfung (Neuheit und erfinderische Tätigkeit) an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Prüfung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.

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