T 0236/18 () of 6.10.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T023618.20221006
Datum der Entscheidung: 06 October 2022
Aktenzeichen: T 0236/18
Anmeldenummer: 10759895.5
IPC-Klasse: A61M 1/14
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: GEHÄUSE MIT VERSCHLUSSKLAPPE
Name des Anmelders: Fresenius Medical Care Deutschland GmbH
Name des Einsprechenden: B. Braun Avitum AG
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 123(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja)
Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hilfsantrag (ja)
Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein)
Spät eingereichter Antrag - zugelassen (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
J 0014/19
T 2201/19
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechende legte Beschwerde gegen die Entschei-dung der Einspruchsabteilung ein, den Einspruch gegen das Europäische Patent Nr. 2 482 866 zurückzuweisen.

II. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 6. Oktober 2022 statt.

III. Die endgültigen für die Entscheidung relevanten Anträge der Parteien lauten wie folgt:

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Darüber hinaus beantragt sie, die Hilfsanträge 1a und 1b bis 9 nicht in das Verfahren zuzulassen.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt die Zurückweisung der Beschwerde, und somit die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt, sowie hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des Hilfsantrags 1a, eingereicht am 6. September 2022, oder eines der Hilfsanträge 1b bis 9, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung am 30. Juli 2018.

IV. Die folgenden Dokumente sind für die vorliegende Entscheidung von Bedeutung:

D1: US 2009/0107335

D8: Schriftlicher Bescheid der Internationalen

Recherchenbehörde vom 3. April 2012

D10: Auszug aus dem Buch "Fachpflege Nephrologie und

Dialyse" aus dem Jahr 2008 (G. Breuch, 4. Auflage,

2008, URBAN & FISCHER - Verlag München, ISBN

978-3-437-26252-4)

D15: Auszug aus dem Service-Handbuch der Patentinha-

berin zum Dialysegerät des Typs 5008 (mit seitens

der Beschwerdeführerin vorgenommenen Hervor-

hebungen)

D16: Auszug aus dem Buch "Dialyse für Einsteiger" (G.

Breuch und W. Servos, 1. Auflage, 2007, URBAN &

FISCHER - Verlag, München, ISBN 978-3-437-27790-0)

B1: WO 00/23140 A1

V. Anspruch 1 des Patents lautet wie folgt:

"Gerätegehäuse für ein Blutbehandlungsgerät, mit einer Gehäusewand (10) und einer Verschlussklappe (20), welche eine Öffnung (14) in der Gehäusewand (10) in einer ersten Position verschließt und wobei ein Koppelelement (30) über eine erste Drehachse (12) gegen die Gehäusewand (10) drehbar gelagert ist und die Verschlussklappe (20) über eine zweite Drehachse (34) gegen das Koppelelement (30) drehbar gelagert ist, wobei die Verschlussklappe (20) zumindest in einer definierten zweiten Arbeitsposition einrichtbar ist, bei der die Öffnung (14) der Gehäusewand nicht verschlossen ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

die Verschlussklappe (20) zumindest Teile (28, 29) eines extrakorporalen Blutbehandlungsmoduls umfassend mindestens eine Pumpe und/oder einen Durchflussmesser und/oder ein Ventil und/oder eine Absperrklemme aufweist."

Anspruch 1 des Hilfsantrags 1a enthält zusätzlich noch das Merkmal, "dass die Verschlussklappe (20) derart eingerichtet ist, dass diese der Schwerkraft folgend in die zweite Arbeitsposition wegklappbar ist".

VI. Die Argumente der Beschwerdeführerin zu den für die Entscheidung relevanten Punkten lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Hauptantrag - Unzulässige Erweiterung

Das Merkmal "umfassend mindestens eine Pumpe und/oder einen Durchflussmesser und/oder ein Ventil und/oder eine Absperrklemme" sei den ursprünglichen Anmeldungs-unterlagen nicht unmittelbar und eindeutig entnehmbar, da in diesen stets nur die Pluralformulierung "Pumpen", "Durchflussmesser", "Ventile" und "Absperrklemmen" verwendet worden sei (Anspruch 16, Seite 5, Zeilen 2 bis 4, Seite 6, Zeilen 12 bis 15). Ausführungsformen mit einer einzigen Pumpe seien von der ursprünglichen Offenbarung nicht umfasst.

Weiterhin sei die spezifische Kombination von lediglich vier (Pumpe, Durchflussmesser, Ventil, Absperrklemme) der ursprünglich, z.B. in Anspruch 16, offenbarten acht Komponenten des Blutbehandlungsmoduls den Anmeldungsun-terlagen nicht zu entnehmen. Die Anmeldung dürfe nicht als Reservoir gesehen werden, aus dem einzelne Merkmale beliebig miteinander kombiniert werden könnten.

Anspruch 1 sei daher gegenüber der ursprünglichen Offenbarung unzulässig erweitert.

Hauptantrag - Neuheit gegenüber D10, D15 oder D16

Der Wortlaut des sehr breit gefassten Anspruchs 1 lasse offen, wie die erste und die zweite Drehachse zueinan-der angeordnet seien und ob sie voneinander beabstandet seien. Die übermäßige Breite des Anspruchs sei bereits von der Prüfungsabteilung beanstandet worden (D8, Ab-schnitt 2.3). Darüber hinaus sei die nicht kollineare Anordnung der Drehachsen in der Beschreibung des Patents lediglich als bevorzugtes Ausführungsbeispiel genannt (Spalte 2, Zeilen 19 bis 21). Die Verwendung des Ausdrucks "insbesondere" in dieser Textstelle sei ein klarer Hinweis auf die fakultative Eigenschaft der kollinearen Drehachsen. Somit umfasse der Anspruchs-gegenstand auch Ausführungsformen, bei denen die Drehachsen der Verschlussklappe kollinear seien. Beansprucht sei also ein Gerätegehäuse mit einer Verschlussklappe, die über ein herkömmliches Scharnier mit dem Gehäuse drehbar verbunden sei.

Jede der Druckschriften D10, D15 und D16 offenbare ein Gerätegehäuse mit einer Verschlussklappe, an der Teile eines Blutbehandlungsmoduls, z.B. Pumpen, angebracht seien (D10, Figur 4.4; D15, Seiten 10-3 und 10-45; D16, Abb. 12.1). Es sei ein Scharnier mit einem Scharnier-stift als Koppelelement vorhanden, der über eine erste Drehachse gegen die Gehäusewand drehbar gelagert sei. Die Verschlussklappe sei über eine zweite, kollineare Drehachse gegenüber dem Scharnierstift drehbar gela-gert, wie in der Figur auf Seite 11 der Beschwerdebe-gründung dargestellt.

Die in D10, D15 und D16 gezeigte Verschlussklappe sei auch in einer definierten zweiten Arbeitsposition einrichtbar, nämlich in der vollständig geöffneten Stellung, die durch den Anschlag der Tür eindeutig definiert sei.

Daher sei der Gegenstand des Anspruchs 1 von D10, D15 und D16 neuheitsschädlich vorweggenommen.

Hauptantrag - Neuheit gegenüber D1

Die Druckschrift D1 offenbare in den Figuren 14 und 15 ebenfalls ein Gerätegehäuse mit allen Merkmalen des Anspruchs 1. Insbesondere weise die Verschlussklappe, die Tür 53, Teile eines extrakorporalen Blutbehand-lungsmoduls auf, nämlich Halterungen 531 für "acid/bicarbonate materials" sowie Haken 532. Da sich das Wort "umfassend" auf das Blutbehandlungsmodul beziehe, könne die Verschlussklappe beliebige Teile des Blutbe-handlungsmoduls aufweisen. Es sei nicht notwendig, dass die Teile, die an der Verschlussklappe angeordnet seien, zwingend eine der vier genannten Komponenten aufweisen. Die "acid/bicarbonate materials" stellten ebenso wie die Halterungen und Haken wesentliche, gängige Bestandteile eines Blutbehandlungsmoduls dar.

Außerdem verschließe die Tür 53 eine Öffnung des Gehäuses.

Daher sei der Gegenstand des Anspruchs 1 auch durch die Offenbarung D1 neuheitsschädlich vorweggenommen.

Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit

Die Druckschrift D15 offenbare kein Koppelelement, das über eine erste Drehachse gegen die Gehäusewand drehbar gelagert sei.

Die durch dieses Unterscheidungsmerkmal zu lösende objektive technische Aufgabe bestehe darin, eine höhere Flexibilität bei der Verschwenkbarkeit der Tür zu gewährleisten, um einen besseren Zugang in das Geräte-innere zu ermöglichen.

Zur Lösung dieser Aufgabe entnehme der Fachmann der Druckschrift D1 unmittelbar, dass die in den Figuren 14 und 16 gezeigte Scharnierplatte ("hinge plate 533") als Koppelelement eine höhere Flexibilität bei der Ver-schwenkbarkeit der Fronttür erlaube. Dabei spiele es keine Rolle, ob die Tür in D1 eine Öffnung in einer Gehäusewand verschließe. Sie gebe, ebenso wie die Türen in den Druckschriften D10, D15 und D16, die Teile des Gehäuses frei, die dahinter liegen. Ob diese Teile zu Wartungszwecken erreicht werden sollen oder zu anderen Zwecken, sei unerheblich.

Dieses Koppelelement sei eine stabile Metallplatte und könne daher auch eine schwere Tür halten. Über das Gewicht der Türen sei weder in D1 noch in D15 etwas gesagt.

Eine Umkonstruktion der Seitenwand und der daran ange-brachten Bauteile sei nicht notwendig, da gerade die Verwendung des Koppelelements dazu führe, dass die Tür mit diesen Bauteilen nicht kollidiere und daher die Tür um mehr als 90° verschwenkt werden könne.

Es bedürfe auch keines neuen Haltemechanismus der die Tür im geschlossenen Zustand in Position halte. Im Übrigen sei ein Haltemechanismus nicht Teil des Gegen-stands von Anspruch 1.

Eine Anpassung der Schlauch- und Kabellängen an die Verschwenkbarkeit der Tür sowie eine Anpassung der Tür oder der Gehäusewand an das verwendete Koppelelement gehöre zu den routinemäßigen Tätigkeiten des Fachmanns.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Zu demselben Schluss gelange man ausgehend von einer der Druckschriften D10 und D16 als nächstliegendem Stand der Technik.

Hilfsanträge - Zulassung

Die Hilfsanträge 1b bis 9 seien unzulässig, da sie verspätet eingereicht wurden. Sämtliche der Hilfsan-träge hätten im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren vorgebracht werden können. Sie sollten daher gemäß Artikel 12(4) VOBK 2007 nicht ins Beschwerdeverfahren zugelassen werden.

Der Hilfsantrag 1a, der nach der Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung eingereicht wurde, sei ebenfalls nicht zuzulassen. Das angebliche Versehen, das als Grund für die Einreichung angeführt wurde, stelle keinen außergewöhnlichen Umstand dar, der eine Zulassung nach Artikel 13(2) VOBK 2020 rechtfertigen könne.

Hilfsantrag 1a - Unzulässige Erweiterung

Die Aufnahme des Merkmals, dass "die Verschlussklappe derart eingerichtet ist, dass diese der Schwerkraft folgend in die zweite Arbeitsposition wegklappbar ist" stelle eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar, da es nur in Kombination mit der vertikalen Gehäusewand offenbart sei (Seite 2, Zeilen 30 bis 32). Durch die Formulierung "So kann..." werde ein funktionaler Zusammenhang zwischen der vertikalen Gehäusewand und dem Merkmal "der Schwerkraft folgend" hergestellt.

Daher erfülle der Anspruch 1 des Hilfsantrags 1a nicht die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.

Hilfsantrag 1a - Klarheit

Mit dem Merkmal "der Schwerkraft folgend" werde ledig-lich das zu erzielende Ergebnis definiert. Strukturelle Merkmale der Verschlussklappe, mit denen dieses Ergeb-nis erreicht werden könne, fehlten im Anspruch 1. Daher seien die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ nicht erfüllt.

Hilfsantrag 1a - Erfinderische Tätigkeit

Das zusätzliche Merkmal des Anspruchs 1, dass die Ver-schlussklappe der Schwerkraft folgend wegklappbar sei, löse die Aufgabe, ein leichteres Öffnen zu ermöglichen.

Ausgehend von D1 oder D15 würde der Fachmann zur Lösung dieser Aufgabe aus den vier möglichen Positionen der Verschlussklappe die Anordnung an der Unterseite aus-wählen, ohne erfinderisch tätig zu werden. Eine derar-tige Anordnung sei zudem durch handelsübliche Spülma-schinen und Backöfen, sowie aus der Druckschrift B1 (Figur 19) auch für Blutbehandlungsgeräte bekannt.

Die beiden Unterscheidungsmerkmale gegenüber dem Gerätegehäuse der D15 hätten keinen synergistischen Effekt, sondern würden zwei Teilaufgaben lösen. Das Merkmal "der Schwerkraft folgend wegklappbar" trüge nicht zu einer verbesserten Zugänglichkeit des Innen-raums bei.

Daher beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfs-antrags 1a nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

VII. Die Argumente der Beschwerdegegnerin zu den für die Entscheidung relevanten Punkten lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Hauptantrag - Unzulässige Erweiterung

Aus der Kombination der Merkmale der ursprünglich eingereichten Ansprüche 2 und 16 ergebe sich, dass ,,die Verschlussklappe zumindest Teile eines extrakorporalen Blutbehandlungsmoduls aufweise, wobei "die Teile eines extrakorporalen Blutbehandlungsmoduls Pumpen,[. . .], Durchflussmesser,[. . .] Ventile, [und/oder] Absperr-klemmen[. . .] aufweisen". Die Formulierung in Anspruch 1 stelle damit lediglich eine grammatikalisch korrekte Folgerung der Verwendung des Begriffs "Teile" oder "Elemente" dar. Es sei lediglich erforderlich, dass die Verschlussklappe mehrere Teile des extrakorporalen Blutbehandlungsmoduls ausweise. Das Vorhandensein dieser Teile im Plural sei auch in der ursprünglichen Offenbarung nicht als wesentlich dargestellt worden.

Das Streichen von einzelnen Merkmalen aus einer ein-zigen Liste, nämlich der in Anspruch 16 enthaltenen Liste von Blutbehandlungskomponenten, bewirke keine unzulässige Erweiterung. Durch die "und/oder"-Konstruk-tion sei die beanspruchte Auswahl bereits ursprünglich offenbart gewesen.

Anspruch 1 des Hauptantrags enthalte daher keine unzulässige Erweiterung.

Hauptantrag - Neuheit gegenüber D10, D15 oder D16

Bereits aus der verwendeten Terminologie einer "ersten" und einer "zweiten" Drehachse folge, dass die beiden im Anspruch 1 definierten Drehachsen nicht kollinear aus-gerichtet sein könnten. Ansonsten sei die Unterschei-dung zwischen der ersten und der zweiten Achse nicht nötig. Der Fachmann verstehe die Formulierung des Anspruchs so, dass es sich um zwei voneinander unter-scheidbare Drehachsen handeln müsse.

Die Druckschriften D10, D15 und D16 offenbarten jedoch eine Verschlussklappe, die über eine einfache Schar-nieranordnung mit einer einzigen Drehachse gegenüber dem Gehäuse drehbar gelagert sei. Das Merkmal, dass die Verschlussklappe über eine zweite Drehachse gegen das Koppelelement (den Scharnierstift) drehbar gelagert ist, sei in den genannten Druckschriften nicht gezeigt.

Überdies sei die Verschlussklappe der D10, D15 und D16 nicht in einer definierten zweiten Arbeitsposition einrichtbar. Unter dem Begriff "definierte Arbeits-position" sei eine definierte Lage zu verstehen, in der die Verschlussklappe über Haltemittel oder über die Schwerkraft gehalten wird.

Hauptantrag - Neuheit gegenüber D1

Das Gerätegehäuse der Druckschrift D1 weise keine Tür auf, die eine Öffnung in einer Gehäusewand verschließe. Die in Figur 14 gezeigte Tür 53 mache nicht das Innere des Gehäuses zugänglich.

Außerdem seien keine Teile eines extrakorporalen Blut-behandlungsmoduls an der Tür 53 vorgesehen. Aus den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 2 und 16 ergebe sich unmittelbar und eindeutig, dass sich das Wort "umfassend" nicht auf das Blutbehandlungsmodul im Allgemeinen, sondern auf die an der Verschlussklappe angeordneten Teile beziehe. Daher müssten wenigstens zwei der vier im Anspruch genannten Teile an der Verschlussklappe vorhanden sein, was aber in D1 nicht der Fall sei. Die von der Beschwerdeführerin genannten Halterungen und Haken bildeten keine Bestandteile eines Blutbehandlungsmoduls.

Daher sei der Gegenstand des Anspruchs 1 auch neu gegenüber D1.

Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit

Die Druckschrift D15 befasse sich nicht mit derselben Thematik wie das Streitpatent, nämlich eine verbesserte Wartung zu ermöglichen.

Dem Gerätegehäuse der D15 fehle ein Koppelelement, welches ermögliche, dass die Verschlussklappe über eine zweite Drehachse gegen das Koppelelement drehbar gelagert sei. Überdies sei die Tür 53 nicht in einer definierten zweiten Arbeitsposition einrichtbar.

Ausgehend von D15 könne die objektive technische Auf-gabe darin bestehen, eine höhere Flexibilität bei der Verschwenkbarkeit zu gewährleisten, um eine verein-fachte und verbesserte Wartung und Einstellung der im Geräteinneren befindlichen Komponenten zu ermöglichen.

Zur Lösung dieser Aufgabe habe der Fachmann keine Veranlassung gehabt, die in Figur 14 der D1 gezeigte Scharnierplatte 533 als Koppelelement bei dem in D15 offenbarten Gerätegehäuse vorzusehen.

Bei dem in D1 gezeigten Gerätegehäuse seien die Teile des extrakorporalen Blutbehandlungsmoduls nicht an den Türen, sondern an der Gehäusewand ("front panel" genannt) angeordnet, die von den Türen 53 abgedeckt würde. Somit verschließe die Tür nicht eine Wartungs-öffnung in einer Gehäusewand. Eine verbesserte Zugäng-lichkeit des Innenraums des Dialysegeräts zu Wartungs-zwecken werde in der D1 überhaupt nicht thematisiert.

Die D1 zeige zwar eine Aufhängung der Türen 53 über die Scharnierplatten 533, mit denen die Türen 53 in zwei Positionen geöffnet werden könnten. Diese beiden Öffnungspositionen seien aber nie im Zusammenhang mit einer besseren Zugänglichkeit zu den abgedeckten Teilen des Dialysegeräts oder im Zusammenhang mit einer erhöh-ten Flexibilität genannt. Der Beschreibung der D1 sei somit kein Vorteil einer Ausführungsform mit Scharnier-platte zu entnehmen.

Weiterhin offenbare die D1 gerade nicht, dass eine zweistufige Öffnung für jegliche Türenkonstruktionen geeignet wäre und auch bei Anbringung von Teilen eines extrakorporalen Blutbehandlungsmoduls vorgesehen werden könnte. Bei der Vorrichtung der D1 seien die Schläuche und Leitungen im Inneren des Gehäuses untergebracht, und könnten nicht, wie möglicherweise bei dem Gerät der D15, zwischen die Scharniere der Türen gelangen. Da an den Türen 53 keine Teile eines extrakorporalen Blutbe-handlungsmoduls vorgesehen seien, seien sie außerdem wesentlich leichter als die in D15 offenbarte Tür.

Die D1 könne daher dem Fachmann nicht den Hinweis geben, die durch die Teile des Blutbehandlungsmoduls wesentlich schwerere Tür der D15 mit einer Scharnier-platte zu halten. Aufgrund der starken Krafteinwirkung durch das Gewicht der Tür würde es zu Verformungen der Scharnierplatte kommen.

Eine größere Verschwenkbarkeit der Tür über zwei Dreh-achsen würde zudem eine Anpassung der Schlauch- und Kabellängen sowie einen neuen Haltemechanismus erfor-dern, was ein technisches Hindernis darstelle, und wozu die D1 auch keine Anregung gebe. Diese erforderlichen Maßnahmen seien für den Fachmann nicht naheliegend gewesen.

Überdies seien die Türen 53 der D1 auch nicht in einer zweiten Arbeitposition einrichtbar, wie im Anspruch 1 gefordert.

Daher sei der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 erfinderisch gegenüber der D15 in Kombination mit der D1. Die gleiche Argumentation gelte ausgehend von D10 oder D16 als nächstliegendem Stand der Technik.

Hilfsanträge - Zulassung

Die Hilfsanträge 1b bis 9 seien mit der Beschwerde-erwiderung, also zum frühestmöglichen Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren als Reaktion auf die Einwände der Beschwerdeführerin eingereicht worden. Im erstinstanz-lichen Verfahren habe keine Notwendigkeit zur Einrei-chung von Hilfsanträgen bestanden, da die Einspruchsab-teilung die Zurückweisung des Einspruchs in Aussicht gestellt habe. Aus diesem Grund seien die Hilfsanträge 1b bis 9 in das Verfahren zuzulassen.

Im Anspruch 1 des Hilfsantrags 1b (eingereicht als Hilfsantrag 1) sei das zusätzliche Merkmal aufgenommen worden, dass "die Verschlussklappe (20) derart einge-richtet ist, dass diese der Schwerkraft folgend in die zweite Arbeitsposition wegklappbar ist". Versehentlich sei dabei der Anspruch zusätzlich bezüglich der Teile des extrakorporalen Blutbehandlungsmoduls geändert worden. Dass diese Änderung unbeabsichtigt gewesen sei, ergebe sich schon aus der Beschwerdeerwiderung (Seite 15, Abschnitt VI, Hilfsantrag I), worin diese Merkmale nicht thematisiert worden seien, sowie aus der Arbeits-kopie des Hilfsantrags 1, worin die entsprechenden Merkmale nicht als geändert gekennzeichnet seien. Im Anspruch 1 des Hilfsantrags 1a sei lediglich dieser Fehler behoben worden. Da die Änderung nicht als über-raschend anzusehen sei und sich sowohl die Beschwerde-führerin (Seiten 11 und 12 des Schreibens vom 19. De-zember 2018) als auch die Beschwerdekammer (Mitteilung vom 8. August 2022) bereits mit dem Anspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags 1a befasst hätten, sei der Hilfsantrag 1a zuzulassen.

Hilfsantrag 1a - Unzulässige Erweiterung

Die Merkmalskombination des Anspruchs 1 ergebe sich aus Seite 2, Zeilen 7 bis 35 sowie aus den Figuren der Anmeldungsveröffentlichung. Insbesondere sei das Merk-mal "der Schwerkraft folgend wegklappbar" auf Seite 2, Zeilen 30 bis 32, offenbart. Dieses Merkmal stehe nicht mit der senkrechten Gehäusewand in Verbindung. Daher stelle die Aufnahme dieses Merkmals in den Anspruch 1 des Hilfsantrags 1a keine unzulässige Zwischenverall-gemeinerung dar. Die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ seien erfüllt.

Hilfsantrag 1a - Klarheit

Aus der Formulierung "der Schwerkraft folgend ... weg-klappbar" in Anspruch 1 folge klar, dass die Drehachsen parallel und horizontal ausgerichtet sein müssten. Daher liege kein Klarheitsmangel vor.

Hilfsantrag 1a - Erfinderische Tätigkeit

Ausgehend von D15 unterscheide sich der Gegenstand des Anspruchs 1 darin, dass die Verschlussklappe über zwei Drehachsen gegen die Gehäusewand gelagert sei und der Schwerkraft folgend in die zweite Arbeitsposition wegklappbar sei.

Diese Merkmale hätten den synergistischen Effekt, dass die Bedienelemente auch im geöffneten Zustand gut sichtbar seien und das Gehäuseinnere besser erreichbar sei.

An der Tür des in D15 offenbarten Geräts seien Elemente befestigt, die vertikal ausgerichtet bleiben müssten, um ein Auslaufen von Flüssigkeiten zu verhindern. Der Fachmann habe daher keine Veranlassung gehabt, die Tür der D15 über zwei Drehachsen nach unten wegklappbar anzuordnen. Weder die Druckschrift B1 noch das Allgemeinwissen über Geschirrspüler und Backöfen hätten den Fachmann dazu anregen können, da die Klappen dieser Geräte nur über eine Drehachse am Gehäuse gelagert seien.

Auch die D1 lehre nicht, die beiden Schwenkachsen horizontal statt vertikal auszurichten, da sie keinen Hinweis gebe, wie verhindert werden könne, dass die Klappe beim Öffnen herunterfalle.

Daher sei der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsan-trags 1a erfinderisch.

Entscheidungsgründe

1. Gegenstand der Erfindung

Die Erfindung bezieht sich auf ein Gerätegehäuse für medizinische Geräte (z.B. Dialysegeräte) mit einer Ver-schlussklappe für Servicezwecke. Bei diesen Geräten ist es notwendig, im Servicefall einfach an das Innere des Geräts zu gelangen. Dazu wird eine Verschlussklappe, welche über ein Scharnier oder Gelenk an einer Seite oder der Front des Geräts befestigt ist, aus dem Gehäuse ausgeklappt.

Das Gerätegehäuse gemäß Anspruch 1 des erteilten Pa-tents (Hauptantrag) enthält eine Gehäusewand (10) und eine Verschlussklappe (20), welche eine Öffnung (14) in der Gehäusewand (10) in einer ersten Position ver-schließt und wobei ein Koppelelement (30) über eine erste Drehachse (12) gegen die Gehäusewand (10) drehbar gelagert ist und die Verschlussklappe (20) über eine zweite Drehachse (34) gegen das Koppelelement (30) drehbar gelagert ist.

Die Verschlussklappe (20) ist zumindest in einer defi-nierten zweiten Arbeitsposition einrichtbar, bei der die Öffnung (14) der Gehäusewand nicht verschlossen ist, und die Verschlussklappe (20) weist zumindest Teile (28, 29) eines extrakorporalen Blutbehandlungs-moduls umfassend mindestens eine Pumpe und/oder einen Durchflussmesser und/oder ein Ventil und/oder eine Absperrklemme auf (Figuren 1 bis 3).

2. Hauptantrag - Unzulässige Erweiterung

Der Fachmann entnimmt der ursprünglichen Offenbarung, dass mindestens zwei Teile des Blutbehandlungsmoduls an der Klappe vorhanden sein müssen, aber dass dies nicht zwingend mindestens zwei Pumpen oder zwei Durchfluss-messer oder zwei Ventile oder zwei Absperrklemmen sein müssen. Der Fachmann versteht die Formulierung im ur-sprünglichen Anspruch 16 als exemplarische Auflistung der möglichen Teile des extrakorporalen Blutbehand-lungsmoduls, wobei entsprechend eines oder mehrere Teile aus dieser Liste zu wählen sind. Das Vorhanden-sein eines der aufgelisteten Teile im Plural ist über-dies in der ursprünglichen Anmeldung nicht als wesent-lich dargestellt. Daher liegt hier keine unzulässige Erweiterung vor.

Auch durch die Auswahl von nur einigen der in Anspruch 16 aufgelisteten Teile verstößt Anspruch 1 nicht gegen Artikel 123(2) EPÜ, da die Liste im Anspruch 16 durch die Verwendung des Ausdrucks "und/oder" bereits so formuliert ist, dass eine derartige Auswahl getroffen werden kann.

Anspruch 1 des Hauptantrags erfüllt daher die Erfor-dernisse des Artikels 123(2) EPÜ.

3. Hauptantrag - Neuheit gegenüber D10, D15 oder D16

Der Einwand der Beschwerdeführerin beruht auf der An-nahme, dass der Anspruchswortlaut eine kollineare Anordnung der ersten und zweiten Drehachse nicht aus-schließe, und eine nicht kollineare Anordnung auch in der Beschreibung lediglich als bevorzugte Ausführungs-form dargestellt werde (Spalte 2, Zeilen 16 bis 21 des Streitpatents).

Die Kammer ist dagegen der Auffassung, dass bereits aus der verwendeten Terminologie einer "ersten" und einer "zweiten" Drehachse folgt, dass die beiden im Anspruch 1 definierten Drehachsen nicht kollinear ausgerichtet sein können. Ansonsten wäre die Unterscheidung zwischen der ersten und der zweiten Achse nicht nötig. Der Fachmann versteht die Formulierung des Anspruchs so, dass es sich um zwei voneinander zu unterscheidende Drehachsen handeln muss.

In diesem Zusammenhang ist der Ausdruck "insbesondere" in dem von der Beschwerdeführerin zitierten Satz (Spalte 2, Zeilen 19 bis 21 des Streitpatents) eher als "vor allem" zu verstehen, und nicht als "bevorzugt".

Die Druckschriften D10, D15 und D16 enthalten Fotos von Dialysegeräten, bei denen eine Öffnung in der Gehäuse-wand von einer Tür verschlossen wird. Die Tür wird über eine nicht näher gezeigte Scharnieranordnung am Gehäuse gehalten. An der Tür sind Teile eines extrakorporalen Blutbehandlungsmoduls, nämlich z.B. Pumpen, angeordnet (D10, Figur 4.4; D15, Seiten 10-3 und 10-45; D16, Abb. 12.1). Die Verschlussklappe (Tür) ist in einer zweiten Arbeitsposition einrichtbar, nämlich in der vollständig geöffneten Stellung, die durch den Anschlag der Tür eindeutig definiert ist. Der Anspruch 1 erfordert nicht, dass die Verschlussklappe mittels Haltemitteln oder der Schwerkraft in dieser Stellung gehalten wird.

Allerdings offenbart keine der Druckschriften D10, D15 und D16 ein Koppelelement, welches ermöglicht, dass die Verschlussklappe über eine zweite, nicht kollineare Drehachse gegen das Koppelelement drehbar gelagert ist.

Überdies kann den Druckschriften D10, D15 und D16 auch nicht unmittelbar und eindeutig entnommen werden, dass die Geräte eine Scharnieranordnung wie in der Figur auf Seite 11 der Beschwerdebegründung gezeigt aufweisen, dass also ein Scharnierstift vorhanden ist, der drehbar gegenüber dem ersten Scharniergewerbe (und damit der Gehäusewand) gelagert ist, wobei gleichzeitig das zweite Scharniergewerbe (die Verschlussklappe) drehbar gegenüber dem Scharnierstift gelagert ist. Bei vielen gebräuchlichen Scharnieren ist der Scharnierstift nämlich nur in einer Scharnierhälfte drehbar gelagert. Ein Koppelelement im Sinne des Anspruchs 1 kann also keiner der genannten Druckschriften entnommen werden.

Daher ist der Gegenstand des Anspruchs 1 neu gegenüber diesen Druckschriften.

4. Hauptantrag - Neuheit gegenüber D1

Die Druckschrift D1 zeigt in den Figuren 14 und 15 ein Dialysegerät mit zwei Verschlussklappen, die über je eine Scharnierplatte (hinge plate 533) als Koppelele-mente gegen die Gehäusewand drehbar gelagert sind (Absatz [0106]). An den Türen sind Halterungen 531 und Haken 532 zum Befestigen von Komponenten zur Dialyse-flüssigkeitsherstellung angeordnet.

Nach Ansicht der Kammer kann sich das Wort "umfassend" im Anspruch 1 nur auf die Teile des Blutbehandlungs-moduls beziehen, die an der Verschlussklappe angeordnet sind. Die Verschlussklappe der D1 weist aber weder eine Pumpe, noch einen Durchflussmesser, ein Ventil oder eine Absperrklemme auf. Zudem können die Halterungen und Haken nicht als Teile eines Blutbehandlungsmoduls angesehen werden.

Aus diesem Grund ist der Gegenstand des Anspruchs 1 neu gegenüber der Druckschrift D1.

5. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D10, D15 oder D16

Ausgehend von D10, D15 oder D16 unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 darin, dass die Verschluss-klappe über eine zweite, nicht kollineare Drehachse gegen das Koppelelement (d.h. das nicht näher gezeigte Türscharnier) drehbar gelagert ist.

Die Kammer stimmt den Parteien zu, dass die objektive technische Aufgabe darin gesehen werden kann, eine höhere Flexibilität bei der Verschwenkbarkeit der Verschlussklappe zu gewährleisten, um einen besseren Zugang in das Geräteinnere zu ermöglichen.

Die Lösung dieser Aufgabe wird nach Ansicht der Kammer durch D1 nahegelegt. In den Absätzen [0105] und [0106] der D1 wird erklärt, dass das Kopplungselement (hinge plate 533) eine Öffnung der Tür in zwei unterschied-lichen Stellungen ermöglicht. Der Fachmann erkennt hieraus in Kombination mit den Figuren 10 bis 16 unmittelbar, dass die Scharnierplatte 533 eine höhere Flexibilität bei der Öffnung gewährleistet, auch wenn dieser Vorteil nicht explizit in der Beschreibung der D1 erwähnt wird.

Insbesondere teilt die Kammer die Meinung der Beschwer-deführerin, dass es für die Flexibilität bei der Ver-schwenkung nicht darauf ankommt, ob die Tür in D1 eine Öffnung in einer Gehäusewand verschließt. Sie gibt, ebenso wie die Türen in den Druckschriften D10, D15 und D16, die Teile des Gehäuses frei, die dahinter liegen. Ob diese Teile zu Wartungszwecken erreicht werden sollen oder zu anderen Zwecken, ist unerheblich. Der Fachmann würde also die Lehre der D1 heranziehen, ob-wohl dort nicht von einer Wartung der im Gehäuseinneren liegenden Teile die Rede ist.

Weiterhin spielt es keine Rolle, dass an der Tür der D1 keine Teile des Blutbehandlungsmoduls angeordnet sind. Der Fachmann würde, falls erforderlich, die Scharnier-platte der D1 dem Gewicht der Türen in D10, D15 oder D16 anpassen, sowie die Längen der Schläuche und Kabel entsprechend dem größeren Öffnungswinkel wählen.

Der Figur 15 der D1 entnimmt der Fachmann, dass eine Umkonstruktion der Seitenwand nicht notwendig ist, da die Scharnierplatte gerade den Abstand zwischen der Seitenwand und der Tür vergrößert. Auch ein neuer Ver-schluss- oder Haltemechanismus für die Tür ist nicht erforderlich.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

6. 1. Hilfsantrag - Zulassung

Die Beschwerdegegnerin reichte Hilfsantrag 1a am 6. September 2022 ein, und damit nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung. Die Zulassung dieses Antrags in das Beschwerdeverfahren unterliegt somit den Bestimmungen des Artikels 13 (2) VOBK 2020. Dieser besagt, dass Änderungen des Beschwerdevorbringens grundsätzlich unberücksichtigt bleiben, es sei denn der Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

Für die Beurteilung der Zulassung des Hilfsantrags 1a sind auch die Eingaben der Parteien in Bezug auf Hilfs-antrag 1b relevant, der mit der Beschwerdeerwiderung als Hilfsantrag 1 eingereicht wurde. Die Zulassung des Hilfsantrags 1b ist nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 zu beurteilen. Die Beschwerdeführerin begründete ihren Antrag auf Nichtzulassung aller mit der Beschwerdeer-widerung eingereichten Anträge damit, dass diese im erstinstanzlichen Verfahren hätten eingereicht werden können, und dass die Beschwerdegegnerin keine Begrün-dung angegeben habe, warum dies nicht geschehen war. Wie von der Beschwerdegegnerin dargestellt, hat die Einspruchsabteilung in ihrer vorläufigen Meinung die Einspruchsgründe als nicht überzeugend beurteilt und hat dies mit ihrer Entscheidung, den Einspruch zurück-zuweisen, bestätigt. Darüber hinaus wurden die Anträge zum frühestmöglichen Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren eingereicht. Die Kammer sieht vor diesem Hintergrund keinen Anlass, ihr Ermessen gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 dahingehend auszuüben, dass diese Anträge nicht in das Verfahren zugelassen werden.

Hilfsantrag 1a entspricht dem Hilfsantrag 1b, bis auf das Merkmal "und an der Außenseite der Verschlussklappe (2) Bedien- und Funktionselemente (28) des Geräts ange-ordnet sind, die als Teile des extrakorporalen Blutbe-handlungsmoduls (28, 29) Pumpen, Durchflussmesser, Ventile und/oder Absperrklemmen aufweisen" (Merkmal B). Dieses Merkmal wurde in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1a ersetzt durch "umfassend mindestens eine Pumpe und/oder einen Durchflussmesser und/oder ein Ventil und/oder eine Absperrklemme", und damit dem Wortlaut des An-spruchs 1 des Hauptantrags angepasst. Im Vergleich zum Hauptantrag wurde im Hilfsantrag 1a, wie auch im Hilfs-antrag 1b, in Anspruch 1 folgendes Merkmal hinzugefügt: "dass die Verschlussklappe (20) derart eingerichtet ist, dass diese der Schwerkraft folgend in die zweite Arbeitsposition wegklappbar ist" (Merkmal M-1).

Das Einreichen von Hilfsantrag 1a stellt eine Änderung des Beschwerdevorbringens dar, mit dem ein geändertes Schutzbegehren ersucht wird (siehe auch T 2201/19, Gründe 5.3; J 14/19, Gründe 1.4-1.5). Somit stellt sich die Frage, ob die Beschwerdegegnerin stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt hat, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, die das Einreichen des Hilfsantrags zu einem so späten Zeitpunkt rechtfertigen.

Die Kammer ist der Auffassung, dass dies der Fall ist. Wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, beziehen sich ihre Erläuterungen zu Hilfsantrag 1b lediglich auf Merkmal M-1, nicht aber auf Merkmal B. Wie von der Kammer während der mündlichen Verhandlung festgestellt und von der Beschwerdeführerin auch nicht bestritten, gilt entsprechendes auch für die Argumente der Be-schwerdeführerin zu Hilfsantrag 1b. Auch hier wird nur Merkmal M-1 besprochen; unter anderem in Zusammenhang mit dem Argument, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1b nicht erfinderisch sei (siehe Ein-gabe vom 19. Dezember 2018, S. 11/12). Beide Parteien haben daher Hilfsantrag 1b so behandelt, als würde es sich um Hilfsantrag 1a handeln. Aus Sicht der Kammer liegen damit außergewöhnliche Umstände vor, die das Einreichen des Hilfsantrags 1a erst einen Monat vor der mündlichen Verhandlung rechtfertigen. Hilfsantrag 1a wird daher in das Beschwerdeverfahren zugelassen.

7. Hilfsantrag 1a - Unzulässige Erweiterung

Nach Ansicht der Kammer steht das Merkmal "der Schwer-kraft folgend wegklappbar" nicht in einem funktionalen Zusammenhang mit dem Merkmal, dass die Gehäusewand im Wesentlichen vertikal ausgerichtet ist. Die Formu-lierung "So kann die Verschlussklappe nach unten weggeklappt werden..." auf Seite 2, Zeilen 30 bis 32, ist dabei nicht im ausschließenden Sinne von "nur so kann..." zu verstehen.

Somit stellt die Aufnahme des Merkmals M-1 in den Anspruch 1 keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar. Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 1a erfüllt die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.

8. Hilfsantrag 1a - Klarheit

Aus der Formulierung "der Schwerkraft folgend wegklapp-bar" in Anspruch 1 ergibt sich, dass die beiden Dreh-achsen im Wesentlichen parallel und horizontal ausgerichtet sein müssen. Daher liegt kein Klarheitsmangel vor.

Die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ sind somit erfüllt.

9. Hilfsantrag 1a - Erfinderische Tätigkeit

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von den in D10, D15 oder D16 gezeigten Geräten zum einen durch das die zweite Drehachse betreffende Merkmal und zum anderen dadurch, dass die Verschlussklappe der Schwerkraft folgend in die zweite Arbeitsposition wegklappbar ist.

Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin zu, dass die beiden Unterscheidungsmerkmale zwei unabhängige Teil-aufgaben lösen. Das Merkmal "der Schwerkraft folgend wegklappbar" trägt nicht zu einer verbesserten Zugäng-lichkeit des Innenraums bei. Außerdem hat die Neigbar-keit in vertikaler Richtung nicht zur Folge, dass die Verschlussklappe im geöffneten Zustand vertikal ange-ordnet ist (wie in Figur 2 des Patents gezeigt). Die zweite Arbeitsposition könnte auch die in Figur 5 des Patents gezeigte Position sein, bei der die Bedien-elemente nicht vertikal angeordnet sind.

Wie bereits oben dargelegt, war die Lösung der ersten Teilaufgabe für den Fachmann naheliegend.

Die zweite Teilaufgabe kann darin gesehen werden, ein leichteres Öffnen der Klappe zu ermöglichen.

Die Lösung dieses Problems, nämlich die beiden Dreh-achsen horizontal anzuordnen, wäre für den Fachmann nicht naheliegend gewesen. Aus dem Stand der Technik gemäß B1 (Figur 19) und aus seinem allgemeinen Fach-wissen über Spülmaschinen und Backöfen sind dem Fach-mann zwar Geräte bekannt, bei denen eine Verschluss-klappe der Schwerkraft folgend weggeklappt wird. Aller-dings handelt es sich hierbei um Geräte mit lediglich einer Drehachse, um die die Klappe beim Öffnen nach unten geschwenkt wird. Dagegen könnte eine Tür, die über ein Koppelelement mit zwei Drehachsen mit dem Gehäuse verbunden ist, beim Wegklappen nach unten möglicherweise einknicken und herunterfallen. Daher hätte der Fachmann keine Veranlassung gehabt, bei einer solchen Tür die Drehachsen horizontal anzuordnen, wie im Anspruch 1 gefordert.

Die Druckschrift D1 offenbart ebenfalls nicht das Merkmal, dass die Verschlussklappe der Schwerkraft folgend wegklappbar ist. Die Argumentation bezüglich des zweiten Teilproblems gilt daher auch ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1a beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent in geändertem Umfang auf der Grundlage des Hilfsantrags 1a, eingereicht mit Schreiben vom 6. September 2022, und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.

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