European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2020:T008318.20201029 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 29 October 2020 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0083/18 | ||||||||
Anmeldenummer: | 08004305.2 | ||||||||
IPC-Klasse: | B66F9/075 B66F9/08 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Schwingungskompensation am Hubgerüst eines Flurförderzeugs | ||||||||
Name des Anmelders: | STILL GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Jungheinrich Aktiengesellschaft | ||||||||
Kammer: | 3.2.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: | |||||||||
Schlagwörter: | Einspruchsgründe - unzulässige Erweiterung (nein) Einspruchsgründe - mangelhafte Offenbarung (nein) Neuheit - Hauptantrag (nein) Neuheit - Hilfsantrag (ja) Patentansprüche - Klarheit Patentansprüche - Hilfsantrag (ja) Änderungen - unzulässige Erweiterung Änderungen - Hilfsantrag (nein) Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Europäische Patent 1975114 in geändertem Umfang gemäß dem in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag 3 aufrechtzuerhalten, haben sowohl die Patentinhaberin als auch die Einsprechende Beschwerde eingelegt.
II. Die Einspruchsabteilung befand in ihrer Entscheidung unter anderem, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des erteilten Patents sowie des Hilfsantrags 2 über den Inhalt der Anmeldung wie ursprünglich eingereicht hinausgehe (Artikel 100 c) und Artikel 123(2) EPÜ).
In der angefochtenen Entscheidung wurden neben anderen folgende Dokumente zitiert:
E1: DE 32 10 951 C2,
E2: Kulla, Jyrki, "Active Control of a Mast
Structure Using Support Excitation", Vortrag,
European Congress on Computational Methods in
Applied Sciences and Engineering, ECCOMAS 2004,
Juli 2004,
E6: DE 103 05 902 A1,
E7: DE 196 41 192 A1,
E8: DE 1 0 2004 048 519 A1, und
E12: WO 2008/006928 A1.
III. Am 29. Oktober 2020 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.
Die Beschwerdeführerin Patentinhaberin (nachfolgend: Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung des Einspruchs; hilfsweise beantragte sie, das Patent in geändertem Umfang auf der Basis eines der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 21 aufrechtzuerhalten. Diese Hilfsanträge entsprechen den der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsanträgen 1 bis 21, wobei die Hilfsanträge 1, 2, 3 und 4 zu den Hilfsanträgen 4, 1, 2 und 3 umnummeriert sind.
Die Beschwerdeführerin Einsprechende (nachfolgend: Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
IV. Der erteilte Anspruch 1 lautet wie folgt (Änderungen gegenüber dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1 gekennzeichnet durch die Kammer):
"Flurförderzeug, insbesondere Schubmaststapler,
mit einem Hubgerüst (4) und einem Stellglied (9) zum Bewegen des Hubgerüsts (4) relativ zu einem Fahrzeugrahmen (1) des Flurförderzeugs, [deleted: dadurch gekennzeichnet, dass] wobei mindestens ein Sensor (10, 14) zum Erkennen eines elastischen Schwingens des Hubgerüsts (4) vorgesehen ist, der mit einer elektronischen Steuervorrichtung (15) in Wirkverbindung steht, mit welcher das Stellglied (9) zum Verschieben des Hubgerüsts (4) ansteuerbar ist,
[deleted: derart, dass durch eine Bewegung des Stellglieds (9) dem Schwingen des Hubgerüsts (4) entgegen gewirkt wird.]
dadurch gekennzeichnet, dass
bei einem erkanntem Schwingen des Hubgerüsts (4)
durch eine aktive Ausgleichsbewegung des Stellglieds (9) dem Schwingen des Hubgerüsts (4) entgegen gewirkt wird."
Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1, der dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrag 2 entspricht, unterscheidet sich von dem erteilten Anspruch, 1 indem der folgende Wortlaut durch das hervorgehobene Merkmal ergänzt wird:
"bei einem erkanntem Schwingen des Hubgerüsts (4) durch eine aktive und periodische Ausgleichsbewegung des Stellglieds (9) dem Schwingen des Hubgerüsts (4) entgegen gewirkt wird.", und
indem zusätzlich folgendes Merkmal hinzugefügt wird:
"und die Schwingungsbewegung zumindest annähernd gestoppt wird.".
Die abhängige Ansprüche 3 und 10 bis 16 entsprechen den erteilten abhängigen Ansprüchen 3 und 10 bis 16 und lauten wie folgt:
"3. Flurförderzeug nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass das Hubgerüst (4) mittels des Stellglieds um eine im Wesentlichen horizontale Achse (7) neigbar ist.",
"10. Flurförderzeug nach einem der Ansprüche 1 bis 9, dadurch gekennzeichnet, dass die elektronische Steuervorrichtung (15) derart ausgeführt ist, dass die Bewegung des Stellglieds (9), die dem Schwingen des Hubgerüsts (4) entgegen wirkt, unter Berücksichtigung mindestens eines Betriebsparameters des Flurförderzeugs ermittelt wird.",
"11. Flurförderzeug nach Anspruch 10, dadurch gekennzeichnet, dass ein Betriebsparameter von der momentanen horizontalen Position und/oder der momentanen horizontalen Bewegungsgeschwindigkeit des Hubgerüsts (4) gebildet ist.",
"12. Flurförderzeug nach Anspruch 10 oder 11, dadurch gekennzeichnet, dass ein Betriebsparameter von der momentanen Neigung und/oder der momentanen Neigungsgeschwindigkeit des Hubgerüsts (4) gebildet ist.",
"13. Flurförderzeug nach einem der Ansprüche 10 bis 12, dadurch gekennzeichnet, dass ein Betriebsparameter von der momentanen Hubhöhe und/oder von der momentanen Hub- oder Senkgeschwindigkeit des Hubgerüsts (4) gebildet ist.",
"14. Flurförderzeug nach einem der Ansprüche 10 bis 13, dadurch gekennzeichnet, dass ein Betriebsparameter von dem Gewicht einer mit dem Hubgerüst ( 4) angehobenen Last gebildet ist.",
"15. Flurförderzeug nach einem der Ansprüche 10 bis 14, dadurch gekennzeichnet, dass ein Betriebsparameter von der momentanen Fahrgeschwindigkeit des Flurförderzeugs gebildet ist.", und
"16. Flurförderzeug nach einem der Ansprüche 10 bis 15, dadurch gekennzeichnet, dass ein Betriebsparameter von dem momentanen Bremszustand des Flurförderzeugs gebildet ist.".
Entscheidungsgründe
1. Hauptantrag - Patent wie erteilt
1.1 Unzulässige Erweiterung - Artikel 100 c) EPÜ
Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ steht der Aufrechterhaltung des europäischen Patents nicht entgegen, da der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.
1.1.1 Nach etablierter Rechtsprechung der Beschwerdekammern besteht das Grundprinzip des Artikels 100c) EPÜ (vgl. Artikel 123(2) EPÜ) darin, dass jede Änderung an den die Offenbarung betreffenden Teilen eines europäischen Patents (der Beschreibung, der Patentansprüche und der Zeichnungen) nur im Rahmen dessen erfolgen darf, was der Fachmann der Gesamtheit dieser Unterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens - objektiv und bezogen auf den Anmeldetag - unmittelbar und eindeutig entnehmen kann (G 2/10, Punkt 4.3, mit Verweis auf G 3/89 and G 11/91). Zu prüfen ist also, ob der Fachmann unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens den beanspruchten Gegenstand als - explizit oder implizit - unmittelbar und eindeutig in der ursprünglichen Fassung der Anmeldung offenbart ansehen würde.
1.1.2 Im vorliegenden Fall unterscheidet sich der ursprünglich eingereichte Anspruch 1 von dem erteilten Anspruch 1 durch das Ersetzen des folgenden Wortlauts (Hervorhebung durch die Kammer):
"mindestens ein Sensor (10, 14) zum Erkennen eines
elastischen Schwingens des Hubgerüsts (4) vorgesehen ist, der mit einer elektronischen Steuervorrichtung (15) in Wirkverbindung steht, mit welcher das Stellglied (9) zum Verschieben des Hubgerüsts (4) ansteuerbar ist,
derart, dass durch eine Bewegung des Stellglieds (9) dem Schwingen des Hubgerüsts (4) entgegen gewirkt wird."
mit:
"mindestens ein Sensor (10, 14) zum Erkennen eines
elastischen Schwingens des Hubgerüsts (4) vorgesehen ist, der mit einer elektronischen Steuervorrichtung (15) in Wirkverbindung steht, mit welcher das Stellglied (9) zum Verschieben des Hubgerüsts (4) ansteuerbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass bei einem erkanntem Schwingen des Hubgerüsts (4) durch eine aktive Ausgleichsbewegung des Stellglieds (9) dem Schwingen des Hubgerüsts (4) entgegen gewirkt wird."
1.1.3 Die Einsprechende trägt vor, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 über den Inhalt der Anmeldung wie ursprünglich eingereicht hinausgehe, und die Anspruchsänderung eine unzulässige Verallgemeinerung darstelle. Insbesondere gehe die allgemeine aktive Ausgleichbewegung aus [0006] der A1-Schrift (d.h. den ursprünglich eingereichten Unterlagen) nicht hervor, da dort keine aktive Ausgleichsbewegung erwähnt werde, sondern nur Bewegungsimpulse und periodische Ausgleichbewegungen. Eine aktive Ausgleichbewegung werde lediglich in dem konkreten Ausführungsbeispiel in [0029] offenbart. Die in [0006] offenbarte Bewegung sei nicht nur auf aktive Bewegungen beschränkt. Darunter fielen ebenso Systeme, in denen z.B. die Steuervorrichtung die spezifischen Eigenschaften (Ventile, Viskosität...) eines Hydraulikzylinders als Stellglied ansteuern würden, um den Schwingungen entgegenzuwirken.
1.1.4 Die Kammer teilt diese Ansicht nicht und folgt derjenigen der Beschwerdegegnerin. Gemäß [0006] sowie Anspruch 1 wie ursprünglich eingereicht ist ein Sensor zum Erkennen eines elastischen Schwingens des Hubgerüsts vorgesehen, der mit einer elektronischen Steuervorrichtung in Wirkverbindung steht, mit welcher das Stellglied zum Verschieben des Hubgerüsts ansteuerbar ist, derart, dass durch eine Bewegung des Stellglieds dem durch den Sensor erkannten Schwingen des Hubgerüsts entgegen gewirkt wird. Mit anderen Worten wirkt die durch die Steuervorrichtung zum Verschieben des Hubgerüsts angesteuerte Bewegung des Stellglieds dem Schwingen des Hubgerüsts entgegen. Dies stellt eindeutig und unmittelbar nichts anderes als eine aktive Ausgleichbewegung des Stellglieds dar, da die Bewegung des Stellglieds zum Verschieben des Hubgerüsts durch die Steuervorrichtung veranlasst und nicht nur als passive Reaktion auf das Schwingen ausgelöst wird, sodass dem Schwingen des Hubgerüsts aktiv entgegen gewirkt wird.
1.1.5 In der angefochtenen Entscheidung hat die Einspruchsabteilung zudem entschieden, dass in dem erteilten Anspruch 1 zusätzlich die folgenden Merkmale fehlen, die in Verbindung mit sämtlichen Merkmalen des erteilten Anspruchs 1 im [0006] offenbart sind (siehe Punkt 2.4.12 der angefochtenen Entscheidung):
- mit dem Sensor wird die Schwingungsbewegung des Hubgerüsts gemessen,
- die elektronische Steuervorrichtung wertet dieses Messsignal aus, und
- das Stellglied wird derart ansteuert, dass die Schwingungsbewegung zumindest annähernd gestoppt wird.
Es ist jedoch festzustellen, dass diese Merkmale - wie von der Patentinhaberin vorgetragen - aus den in dem Anspruch 1 enthaltenen Merkmalen bzw. aus dem ersten Satz von [0006] resultieren. Der die Schwingung erkennende Sensor steht in Wirkverbindung mit der elektronischen Steuervorrichtung, welche wiederum das Stellglied ansteuert. Somit umfasst das Erkennen der Schwingung durch den Sensor zwangsläufig das Erfassen eines die Schwingung charakterisierenden Messwertes, der anschließend an die mit dem Sensor in Wirkverbindung stehende elektronische Steuervorrichtung übertragen werden kann. Die elektronische Steuervorrichtung steuert bei einem erkannten Schwingen das Stellglied derart an, dass durch eine Bewegung des Stellglieds dem Schwingen entgegen gewirkt wird. Dies kann nur dann erfolgen, wenn das Erkennen sich auf den elektronischen Messwert bezieht, damit die Steuervorrichtung die Ausgleichbewegung entsprechend berechnen kann. Somit sind die Begriffen "Messen" und "Erkennen" im vorliegenden technischen Zusammenhang gleichzusetzen.
Daraus folgt dann auch, dass die Steuervorrichtung das Messsignal des Sensors auswertet, um die Schwingung zu Erkennen und anschließend das Stellglieds zur Erzeugung einer Ausgleichsbewegung anzusteuern.
Weiterhin ist die Kammer überzeugt, dass das Merkmal "annähernd gestoppt wird" - wie von der Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung ausgeführt (siehe Punkt 2.7.5.3) - den Gegenstand des Anspruchs nicht weiter beschränkt. Dieses Merkmal ist die Konsequenz der aktiven Ausgleichbewegung des Stellglieds, die dem Schwingen entgegenwirkt und dadurch die Aufgabe der Erfindung löst. "Entgegenwirken" und "zumindest annähernd stoppen" bedeuten vorliegend somit dasselbe (siehe mehr unten unter Punkte 2.2 und 2.3).
1.1.6 Infolgedessen geht der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 schon aus dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1 hervor. Die Änderungen im Wortlaut des erteilten Anspruchs 1 stellen somit lediglich eine Umformulierung dar, die den Gegenstand des ursprünglich eingereichten Anspruchs 1 letztendlich unverändert lässt.
1.2 Neuheit - Artikel 100(a) i.V.m. Artikel 54 EPÜ
Der Gegenstand des erteilten Anspruch 1 ist nicht neu gegenüber E12 (Artikel 54(3) EPÜ). Somit steht der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ der Aufrechterhaltung des erteilten europäischen Patents entgegen (Artikel 101(2) EPÜ).
1.2.1 Die Patentinhaberin vertritt die Auffassung, dass der zur Dämpfung der Schwingung erzeugte Beschleunigungsimpuls in E12 durch die Bewegung des Fahrzeuges ("moving the truck") oder durch die Bewegung der Last auf der Lastgabel ("moving the load") erfolge (vgl. Seite 6, Zeile 15 ff. von E12), nicht jedoch durch die Bewegung eines Stellglieds zum Verschieben des Hubgerüstes verursacht werde, wie von erteiltem Anspruch 1 verlangt.
1.2.2 Die Kammer teilt diese Ansicht nicht. Auf Seite 3, Zeile 14 bis 21 von E12 sind zunächst die unterschiedlichen Möglichkeiten für eine Bewegung zur Erzeugung des Impulses für eine Ausgleichsbewegung beschrieben. Eine dieser Möglichkeiten ist eine Bewegung eines Stellglieds (Aktuator) zum Verschieben des Hubgerüstes (Pfeil 4 in Figur 1a). Anschließend wird in der Beschreibung mit Bezug auf die Figuren 4 und 5 offenbart, wie erfindungsgemäß die Erzeugung der Ausgleichsbewegung in zumindest zwei Impulse unterteilt wird, um Schwingungen im Mast zu dämpfen. Dabei entspricht die Überlagerung dieser zumindest zwei Impulse der von dem Fahrer oder dem Mastersystem anforderten Bewegung dieses Stellglieds (siehe Seite 5). Da das offenbarte Verfahren für die Erzeugung des Impuls für jede Bewegung der Figur 1a dasselbe ist, wird allgemein in der Beschreibung des Verfahrens auf ein Stellglied zum Bewegen des Fahrzeugs (Pfeil 3 in Figur 1a) oder zum Bewegen der Last (Pfeile 4, 6 und 7 in Figur 1a) Bezug genommen, die zugleich stellvertretend für die anderen Aktuatoren stehen. Folglich geht es aus der Offenbarung der E12 unmittelbar und eindeutig hervor, dass das darin als erfindungsgemäße gekennzeichnete Verfahren jeder der gezeigten Bewegungen in Figur 1a zuzuordnen ist.
2. Hilfsantrag 1
2.1 Ausführbarkeit - Artikel 100(b) EPÜ
Das europäische Patent hat die Erfindung gemäß dem Gegenstand der abhängigen Ansprüche 3 und 10 bis 16 so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
2.1.1 In ihrer Beschwerdebegründung trägt die Einsprechende zum ersten mal vor, dass die Erfindung gemäß den Unteransprüchen 3 sowie 10 bis 16 nicht ausführbar sei.
Insbesondere bewirke ein (und dasselbe) Stellglied gemäß Anspruch 3 das Verschieben eines Hubgerüstes sowie dessen Neigung um eine im Wesentlichen horizontale Achse. Insofern sei der Unteranspruch 3 nicht ausführbar im Zusammenhang mit der Festlegung auf eine Verschiebung des Hubgerüsts durch das Stellglied gemäß Anspruch 1, da ein derartiges Stellglied nicht ausführbar wäre.
Weiterhin gäben die abhängigen Ansprüche 10 bis 16 keinerlei Hinweis darauf, in welcher Form die diskutierten Betriebsparameter des Flurförderzeugs berücksichtigt werden sollten. Das Patent gebe mit seinen Ausführungsbeispielen auch nicht einen groben quantitativen Zusammenhang zwischen den einzelnen Betriebsparametern und der angesteuerten aktiven Ausgleichsbewegung an. Wie diese Berücksichtigung einfließen könne, lasse das Patent im Dunkeln.
2.1.2 Die Zulassung dieser erst mit der Beschwerdebegründung eingereichten Einwände hinsichtlich mangelnder Ausführbarkeit wurde von der Patentinhaberin in Frage gestellt, weil die Ansprüche, auf die sich die neu erhobenen Einwände beziehen, schon im erteilten Patent vorhanden sind. Da die Einwände im Ergebnis aber nicht geeignet sind, die Ausführbarkeit der Erfindung in Frage zu stellen, kann die Frage ihrer möglichen Nicht-Zulassung dahingestellt bleiben.
Was den Einwand gegen den Anspruch 3 betrifft, folgt die Kammer der Ansicht der Patentinhaberin. Ein doppelwirkendes Stellglied, das das Hubgerüst verschieben und um eine horizontale Achse neigen kann, gehört zum Fachwissen. Zudem ist der Begriff "Stellglied zum Bewegen des Hubgerüsts" breit auszulegen und kann prinzipiell auch in einem einzigen Bauteil wie dem neigbaren Schubschlitten in dem Ausführungsbeispiel bestehen, der zwei Stellelemente aufweist, welche jeweils die unterschiedlichen Bewegungsrichtungen des Schlittens und somit des Hubgerüstes realisieren.
Die Kammer ist hinsichtlich der Ausführbarkeitseinwände gegen die Ansprüche 10 bis 16 davon überzeugt, dass der Fachmann den Gegenstand dieser Ansprüche anhand seines Fachwissens ohne Weiteres ausführen kann. Gemäß [0033] des Patents verarbeitet die Steuervorrichtung noch weitere Signale von unterschiedlichen Sensoren, die Betriebsparameter des Flurförderzeugs kennzeichnen, etwa die Position des Schubschlittens, die Höhe der Lastgabel, das Lastgewicht, die momentane Fahrgeschwindigkeit und den Bremszustand. Mit dieser zusätzlichen Information kann das schwingende System präziser erkannt werden. Inwieweit, d.h. quantitativ, die Steuereinrichtung jeden Parameter für die Ausgleichbewegung berücksichtigen wird, lässt das Patent offen. Allerdings liegt es für den Fachmann im Bereich des Üblichen, eine derartige Regelung auszuführen.
2.2 Klarheit - Artikel 84 EPÜ
Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ist klar.
2.2.1 Die Einsprechende trägt vor, dass das Merkmal "zumindest annähernd gestoppt wird" unter anderem die Art und Weise angebe, wie das Stellglied angesteuert wird. Die Ansteuerung der aktiven Ausgleichbewegung werde von Dauer und Stärke definiert in der Form, dass das Stellglied so lange angesteuert werde, bis die Schwingungsbewegung "zumindest annähernd gestoppt wird". An dem Merkmal sei unklar, wann die Schwingungsbewegung "annähernd gestoppt" sei und wann die Schwingungsbewegung noch nicht annähernd gestoppt sei.
Die Kammer ist diesbezüglich der Meinung der Patentinhaberin und der Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung. Dieses Merkmal schränkt den Gegenstand des Anspruchs 1 nicht weiter ein, sodass durch seine Aufnahme keine Unklarheiten entstehen. Wegen der systemeigenen passiven Dämpfung kommt jedes schwingendes System irgendwann zum Stillstand, wenn die auslösende Kraft wegfällt. Gemäß Anspruchs 1 wird die aktive Ausgleichbewegung des Stellglieds mit der Steuervorrichtung angesteuert, wenn ein Schwingen des Hubgerüsts erkannt wird. Folglich ist die aktive Ausgleichbewegung die Folge eines noch erkannten Schwingens des Hubsgerüsts. Eine aktive Ausgleichbewegung verkürzt die Zeit zum Stillstand gegenüber einem freischwingenden System. Daraus folgt, dass die Schwingungsbewegung des Hubgerüsts mit der Ausgleichbewegung gemäß Anspruch 1 irgendwann gestoppt wird und zwar zügiger als bei dem freischwingenden System, sodass die Schwingungen des Hubgerüsts weitgehend verhindert werden. Wann genau dies geschieht, ist im Patent unspezifiziert. Die Dauer und Stärke der aktiven Ausgleichbewegung und somit die Dauer bis zum Stillstand ist offen gelassen, da im Patent keine Zeitkonstanten angegeben sind.
2.2.2 Zudem führt die Einsprechende aus, dass im Anspruch 1 ein Widerspruch vorhanden sei, da die Formulierung "insbesondere einen Schubmaststapler" auch Flurförderzeuge umfasse, die nicht als Schubmaststapler ausgebildet seien. Solche nicht als Schubmaststapler ausgebildeten Flurförderzeuge könnten aber nicht mit einem Stellglied zum Verschieben des Hubgerüstes ausgestattet sein. Jedoch enthalte der Anspruch 1 ferner im Oberbegriff das Merkmal, dass ein "Stellglied zum Verschieben des Hubgerüsts ansteuerbar ist". Das beanspruchte Flurförderzeug besitze somit ein Stellglied zum Verschieben des Hubgerüsts. Damit sei aufgrund der konstruktiven Merkmale die Bauart der beanspruchten Flurförderzeuge auf Schubmaststapler beschränkt.
Die Kammer stellt zunächst fest, dass der angebliche Widerspruch schon Bestandteil des erteilten Anspruchs 1 ist, da beide Formulierungen darin enthalten sind. Somit wäre die behauptete Unklarheit im erteilten Patent bereits vorhanden und unterläge gemäß der Entscheidung der Große Beschwerdekammer G 3/14 keiner Klarheitsprüfung. Die Kammer sieht jedoch ohnehin keinen Widerspruch zwischen den genannten Merkmalen. Zu Beginn des Oberbegriffes sind allgemein Flurförderzeuge beansprucht. Anschließend wird im Oberbegriff konkretisiert, dass das Flurförderzeug ein Stellglied zum Verschieben des Hubgerüsts aufweist. Somit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 auf derartige Flurförderzeuge beschränkt, unabhängig davon, ob alle dieser Flurförderzeuge Schubmaststapler sind oder nicht. Selbst wenn letzteres der Fall wäre, wie die Einsprechende behauptet, würde allenfalls der optionale Charakter von "insbesondere" zu Beginn des Anspruchswortlauts verloren gehen.
2.3 Unzulässige Erweiterung - Artikel 123(2) EPÜ
Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 geht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht hinaus.
2.3.1 Wie oben unter Punkt 2.2.1 dargelegt, schränkt das zusätzliche Merkmal "und die Schwingungsbewegung zumindest annähernd gestoppt wird" den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht weiter ein.
Das zusätzliche Merkmal "periodische Ausgleichbewegung" findet seine Basis auch in Paragraph [0006] der Beschreibung der A1-Schrift. Aus dem letzten Satz dieses Absatzes geht unmittelbar und eindeutig hervor, dass es sich bei der Bewegung des Stellglieds, die dem Schwingen des Hubgerüsts entgegen wirkt, um eine periodische Ausgleichsbewegung handeln kann.
2.3.2 Die Einwände der Einsprechenden sowie der Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung gegen den Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 hinsichtlich unzulässiger Erweiterung entsprechen denjenigen, die für den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 erhoben wurden.
Insoweit kann auf die Ausführungen zum Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 (siehe Punkt 1.1 oben) verwiesen werden. Aus den dort und den vorstehend unter Punkt 2.3.1 genannten Gründen stellt daher der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 keine unzulässige Erweiterung des Inhalts der Anmeldung wie ursprünglich eingereicht dar.
2.4 Neuheit - Artikel 54 EPÜ
Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 ist neu gegenüber den Offenbarungen von E2 und E12. Insbesondere geht aus keiner dieser Entgegenhaltungen unmittelbar und eindeutig eine Ausgleichbewegung hervor, die periodisch ist.
2.4.1 Hinsichtlich E2 moniert die Patentinhaberin zunächst, dass die Einsprechende nicht ausreichend bewiesen habe, dass die Offenbarung der E2 vor dem Prioritätsdatum des strittigen Patents zugänglich gewesen sei. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben, da das Flurförderzeug von E2 nicht die Neuheit des Anspruchs 1 vorwegnimmt.
Sachlich ist die Einsprechende der Ansicht, dass in der linken Abbildung der Figur 6 sowohl die grüne als auch die rote Linie eine periodische Ausgleichsbewegung zeigten. Eine periodische Bewegung sei eine Bewegung, bei der mindestens eine Periode existiere, sodass die Funktionswerte sich nach der Periode wiederholten. Die Richtung der Bewegung, also das Vorzeichen, bleibe dabei außer Acht. Die periodische Ausgleichsbewegung sei also definiert als:
es existiere eine reelle Zahl T (Periode), sodass für alle t aus einem Definitionsbereich D gelte:
|v(t+T)| = |v(t)|
Diese Bedingung erfüllten in E2 sowohl die grüne als auch die rote Linie der Figur 6 linke Seite.
Die Kammer legt jedoch den Begriff "periodisch" im Kontext des Anspruchs derart aus, wie die Einspruchsabteilung dies in ihrer Entscheidung dargelegt hat, nämlich als innerhalb einer bestimmten Zeit (d.h. einer Periode) wiederkehrend. Die Periode der Bewegung muss zunächst zumindest zweimal vorkommen, damit man bereits im allgemeinen Sprachgebrauch überhaupt von einer Periodizität sprechen kann. Zudem bezieht sich im vorliegenden Kontext die Periodizität nicht nur auf die Größe der Bewegung, sondern auch auf ihre Richtung (d.h. Vorzeichen inkludiert). Dies ist entscheidend in schwingenden Systemen, um einen Ausgleich auszuführen, da eine vom Wert her gleich lange Strecke der Bewegung des Stellglieds in die falsche Richtung die Schwingung des Hubgerüsts weiter fördern würde. Somit ist für den angesprochenen Fachmann vollkommen klar, dass die beanspruchte Periodizität der Ausgleichbewegung nicht nur den absoluten Wert der Bewegung, sondern auch ihre Richtung beinhaltet. Folglich stellt keine der in der linken Abbildung der Figur 6 gezeigten Linien eine periodische Funktion im Sinne des Anspruchs dar.
2.4.2 Was der Offenbarung von E12 anbelangt, trägt die Einsprechende vor, dass El2 sich nicht auf den in Figur 4 die Schwingung ausgleichenden zweiten Impuls beschränke, sondern auch angebe, spätere mögliche dämpfende (d.h. ausgleichende) Impulse einzusetzen (vgl. überbrückender Absatz zwischen Seiten 4 und 5). Selbstverständlich werde auch hierbei bei den zusätzlichen Impulsen der konstante zeitliche Abstand gemäß der ersten Eigenfrequenz eingehalten. Somit sei eine periodische Ausgleichbewegung in E12 offenbart.
Die Kammer stimmt der Einsprechenden nicht zu und folgt der Auffassung der Patentinhaberin. Aus der zitierten Passage zwischen Seiten 4 und 5 von E12 geht zwar unmittelbar und eindeutig hervor, dass mehr als ein Gegenimpuls dem schwingungsanregenden ersten Impuls folgen kann. E12 schweigt jedoch darüber, wie genau das Ausmaß, die Einwirkzeit und die Zeitabstände zwischen diesen folgenden Impulsen tatsächlich durchgeführt werden. Wie die Einsprechende behauptet, können diese nachfolgenden Impulse in gleichmäßigen Zeitabstände erfolgen, es ist aber in E12 auch nicht ausgeschlossen, dass die Zeitabstände aperiodisch aussehen können. Infolgedessen ist in E12 eine periodische Ausgleichbewegung nicht unmittelbar und eindeutig offenbart.
2.5 Erfinderische Tätigkeit - Artikel 56 EPÜ
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 wird ausgehend von E1 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen oder mit E6, bzw. ausgehend von E6 in Kombination mit E1, E7 oder E8 nicht nahegelegt.
2.5.1 Die Patentinhaberin wendet sich gegen die Zulassung des Angriffs ausgehend von E1 in Kombination mit dem Fachwissen. Die Frage einer möglichen Nichtzulassung kann jedoch dahin gestellt bleiben, da die Angriffslinien der Einsprechenden sachlich nicht überzeugen.
2.5.2 Ausgehend von E1 argumentiert zunächst die Einsprechende, dass sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von dem darin offenbarten Flurförderzeug lediglich dadurch unterscheide, dass statt des Lasttragmittels der Hubmast in horizontaler Richtung verschoben werde. Insbesondere gehe eine aktive und periodische Ausgleichbewegung in E1 aus der Spalte 9, Zeile 17 ff, da die Ausgleichsverschiebung des Lastträgers im Zeitintervall zwischen t3 und t4 wiederkehrend erfolge.
Die Argumentationslinien ausgehend von E1 können die Kammer bereits deswegen nicht überzeugen, da - wie von der Patentinhaberin dargelegt - in der in Bezug genommenen Passage von E1 keine periodisch Ausgleichbewegung unmittelbar und eindeutig offenbart ist. Gemäß dieser Passage wird zwar tatsächlich eine Ausgleichbewegung des Lastträgers zwischen t3 und t4 angesteuert. Obwohl diese in dem Zeitintervall zwischen t3 und t4 durchgeführt wird, folgt jedoch aus der Passage nicht zwangläufig eine Periodizität der Ausgleichbewegung, da es offen gelassen wird, genau wann die Ausgleichbewegung antritt und wie sie aussieht. Zur Frage, ob diese Bewegung überhaupt in gleichmäßigen Zeitabständen angesteuert ist und vom Wert her gleich ist, schweigt die Passage von E1. Infolgedessen scheitern diese Angriffslinien hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit, da die von dem Einsprechenden durchgeführte Auslegung des nächstliegenden Stand der Technik nach E1 falsch ist.
2.5.3 Ausgehend von E6 trägt die Einsprechende im Wesentlichen vor, dass sich das Flurförderzeug des Anspruchs 1 von demjenigen aus E6 durch die beanspruchte aktive und periodische Schwingungsausgleichbewegung unterscheide. Diese aktive und periodische Ausgleichbewegung sei in E1 (siehe Punkt 2.5.3 oben), E7 ( von der Einsprechenden wird keine spezifische Passage zitiert) oder E8 (siehe [0005]) offenbart. Die Einsprechende sieht die Aufgabe im Vorsehen einer Dämpfung und ist der Ansicht, dass der Fachmann die in E1, E7 oder E8 offenbarten aktiven und periodischen Ausgleichbewegungen in das Flugförderzeug von E6 implementieren würde.
Aus ähnlichen Gründen wie für die Angriffslinien ausgehend von E1 überzeugen die Angriffslinien ausgehend von E6 die Kammer nicht. Keine der Entgegenhaltungen E1, E7 oder E8 offenbart eine periodische Ausgleichbewegung, sodass der Fachmann aus diesen Dokumenten keine Lehre über eine aktive und periodische Ausgleichbewegung bekommen kann. Wie oben unter Punkt 2.5.3. ausgeführt, offenbart E1 keine periodische Ausgleichsbewegung. E7 befasst sich mit einer aktiven, aber aperiodischen Schwingungsdämpfung (siehe Spalte 2, Zeile 28 ff.). Schließlich wird in E8 nicht die aktive Ausgleichbewegung des Stellmotors konkretisiert und folglich wird keine periodische Ausgleichbewegung offenbart.
2.6 Demzufolge genügt der Hilfsantrag 1 der Patentinhaberin den Erfordernissen des EPÜ. Die der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegende Beschreibung bedarf nach Auffassung beider Parteien, der die Kammer sich anschließt, keiner weiteren Anpassung.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten auf der Grundlage der Ansprüche 1-17 des Hilfsantrags 1 wie eingereicht mit der Beschwerdebegründung, der Beschreibung wie der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegend und der Figuren wie erteilt.