T 2703/17 () of 8.3.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T270317.20210308
Datum der Entscheidung: 08 März 2021
Aktenzeichen: T 2703/17
Anmeldenummer: 11158966.9
IPC-Klasse: B65G 1/137
G06Q 10/08
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: System zur Ergänzung eines Kleingüterlagers
Name des Anmelders: Ferrometal OY
Würth Industrie Service GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Böllhof Verbindungstechnik GmbH
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(a) (2007)
European Patent Convention Art 54 (2007)
European Patent Convention Art 56 (2007)
European Patent Convention Art 100(b) (2007)
European Patent Convention Art 100(c) (2007)
European Patent Convention Art 114 (2007)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4) (2007)
RPBA2020 Art 013(2) (2020)
Schlagwörter: Spät eingereichte Beweismittel - zugelassen (nein)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (nein)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Spät vorgebrachte Argumente - Vorraussetzungen des Art. 13 (2) erfüllt (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0766/91
T 0919/97
T 0084/17
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) legte form- und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent 2 390 204 zurückgewiesen wurde.

II. Der Einspruch richtete sich gegen das erteilte Patent im gesamten Umfang und stütze sich auf die Einspruchsgründe der mangelnden Neuheit und mangelnden erfinderischer Tätigkeit nach Artikel 100 a) EPÜ, sowie auf mangelnde Ausführbarkeit nach Artikel 100 b) EPÜ und unzulässige Erweiterung nach Artikel 100 c) EPÜ.

III. Mit ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 22. Oktober 2020 teilte die Kammer ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, wonach die Beschwerde zurückzuweisen sein dürfte.

IV. Die Beschwerdeführerin hat zu der Mitteilung mit einem auf den 1. Februar 2021 datierten Schriftsatz Stellung genommen.

V. Am 8. März 2021 fand die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Wegen der Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.

VI. Die Entscheidung wurde am Schluss der mündlichen Verhandlung verkündet.

VII. Die Beschwerdeführerin beantragte zuletzt:

die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung

und

den Widerruf des Patents.

VIII. Die Beschwerdegegnerinnen beantragten zuletzt

die Zurückweisung der Beschwerde,

hilfsweise,

bei Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, die Aufrechterhaltung auf Basis eines der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 6.

IX. In der vorliegenden Entscheidung wird auf die folgenden Dokumente Bezug genommen:

A4: EP 2 071 508 A1;

A5: EP 2 098 464 A1;

A6: US 2007/0203809 A1;

A18: www.hebezeuge-fördermittel de: Hebezeuge

Fördermittel, Berlin 49 (2009) 9, Seiten 420

bis 423;

A19: https://industrieanzeiger.industrie.de/

allgemein/die-seele-der-beschaffung-ist-eine-

kleine-scheibe/;

A18b: Dokumenteninformation zu Dokument A18 des

TIB Leibniz- Informationszentrum Technik und

Naturwissenschaften Universitätsbibliothek;

A19b: Dokumenteninformation zu Dokument A19 des

TIB Leibniz- Informationszentrum Technik und

Naturwissenschaften Universitätsbibliothek;

A19c: Technischer Einkauf 2002 des Industrie-

anzeiger, Auszüge;

A20: Jürgen Bauer, Produktionscontrolling und

-management mit SAP® ERP,

ISBN 987-3-8348-0376-4, Seiten 152 bis 160,

2009.

X. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:

"Verfahren zur Ergänzung eines Kleingüterlagers, wobei zum Kleingüterlager eine große Anzahl Lagerungseinheiten (2), wie Kästen, Paletten oder dergleichen gehören, die zwecks Erkennung der in ihnen zu lagernden Kleingütern alle mit Identifizierungstranspondern (3) ausgerüstet werden,

- wobei in der Lagerungseinheit (2) ein RFID-Transponder (3) als Identifizierungstransponder verwendet wird,

- wobei eine entleerte Lagerungseinheit (2) von ihrem Einsatzort entfernt wird,

- wobei die entnommene Lagerungseinheit (2) zwecks Registrierung der entnommenen Lagerungseinheit (2) in einen Lesbarkeitsabstand zum Lesegerät (4) des RFID-Transponders (3) gebracht wird und

- wobei die registrierte Information an den für die Kleingüterzugabe Verantwortlichen übermittelt wird, und

- wobei die Übermittlung der registrierten Information die Ergänzung des Kleingüterlagers mit denselben Kleingütern wie denen, die in der entleerten Lagerungseinheit (2) waren, auslöst bzw. triggert."

XI. In Hinblick auf die getroffene Entscheidung der Kammer bedarf es keiner Wiedergabe der Hilfsanträge 1 bis 6.

XII. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Parteien wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.

Entscheidungsgründe

1. Revidierte Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020)- Übergangsbestimmungen

Das vorliegende Verfahren unterliegt der revidierten Fassung der Verfahrensordnung, die am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist (Artikel 24 und 25 (1) VOBK 2020), mit Ausnahme von Artikel 12 (4) bis (6) VOBK 2020, anstelle dessen Artikel 12 (4) VOBK 2007 weiterhin anwendbar ist (Artikel 25 (2) VOBK 2020).

2. Zulassung der Dokumente A18 bis A20 in das Verfahren (Artikel 12 (4) VOBK)

Die Beschwerdeführerin führte in Punkt 3 der Beschwerdebegründung erstmalig die Dokumente A18, A19 und A20 als Stand der Technik ins Verfahren ein. Sie erläutert zu diesen Dokumenten, dass sie hochrelevant seien, denn das Dokument A18 nehme den Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag neuheitsschädlich vorweg und das Dokument A19 sei hochrelevant hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag. Mit Dokument A20 würde eine Argumentationslücke geschlossen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung aufgetan habe.

2.1 Die Beschwerdeführerin trug dazu vor, dass es sich bei den Dokumenten A18 und A19 um Veröffentlichungen aus dem Internet handele. Damit sei das rechtzeitige Auffinden dieser Dokumente erschwert worden, was auch an der Vielzahl schwer recherchierbarer Dokumente im Internet liege. Zudem handele es sich bei dem Dokument A18 um eine Veröffentlichung, die nicht im Rahmen einer Fachzeitschrift erfolgte und bei dem Dokument A19 um eine Veröffentlichung in einem nur entfernten technischen Gebiet (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 8, letzter Absatz und Seite 9, Absatz 3).

2.2 Mit Schriftsatz vom 5. März 2020 wurde durch die Beschwerdeführerin zudem erstmals das Dokument A19c vorgelegt und ferner erstmalig in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgetragen, dass das Dokument A19c deshalb prima facie relevant sei, weil es den Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag neuheitsschädlich vorwegnehme.

2.3 Die Offenbarung des Dokuments 19c unterscheide sich von der Offenbarung des Dokuments A19 allein durch eine Abbildung, die aus Sicht der Beschwerdeführerin wesentlich für die Begründetheit des auf dem Dokument basierenden Neuheitseinwands ist.

2.4 Dabei macht die Beschwerdeführerin auch geltend, dass die Kammer aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes nach Artikel 114 (1) EPÜ die Pflicht habe, alle relevanten Dokumente und den damit verbundene Patentierbarkeitseinwände zu prüfen, auch die, die verspätet vorgebracht wurden.

2.5 Die Vorlage der Dokumente A18 bis A20 wird von den Beschwerdegegnerinnen als verspätet gerügt. Sie beantragten, diese Dokumente nicht im Verfahren zu berücksichtigen.

2.6 Die Kammer teilt die Zweifel der Beschwerdegegnerinnen an der Zulässigkeit dieser Dokumenten.

2.7 Selbst wenn, wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, das Europäische Patentamt den Sachverhalt gemäß Artikel 114 (1) EPÜ von Amts wegen ermitteln muss, so braucht es gemäß Artikel 114 (2) EPÜ Tatsachen und Beweismittel, die von einem Beteiligten verspätet vorgebracht wurden, nicht zu berücksichtigen.

Grund dafür ist, dass das Beschwerdeverfahren vor der Beschwerdekammer maßgeblich den Bestimmungen der Verfahrensordnung für die Beschwerdekammern unterliegt und gemäß dessen Artikel 12(4) VOBK 2007 die Kammer befügt ist, Tatsachen, Beweismittel oder Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können und müssen.

Gemäß Artikel 12 (2) VOBK 2020 ist im Hinblick auf das vorrangige Ziel des Beschwerdeverfahrens, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen, das Beschwerdevorbringen in erster Linie auf die Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel zu richten gewesen, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde lagen.

2.8 Der sich aus Artikel 114 (2) EPÜ ergebende Ermessensspielraum wird daher für das Beschwerdeverfahren in Artikel 12 (4) VOBK 2007 dadurch näher bestimmt, dass das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers nach Artikel 12 (1) a) VOBK von der Kammer berücksichtigt wird, wenn und soweit es sich auf die Beschwerdesache bezieht und die Erfordernisse nach Artikel 12 (2) VOBK 2007 erfüllt sind. Demnach hat die Kammer nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 vorliegend die Befugnis, die Dokumente A18 bis A20, die als für die Neuheit und erfinderische Tätigkeit relevante Dokumente erstmals im Beschwerdeverfahren genannt wurden, nicht in das Verfahren zuzulassen, wenn diese Beweismittel bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können.

2.9 Die Beschwerdeführerin beruft sich darauf, dass die Kammer die Dokumente A18 bis A20 bereits deshalb in das Verfahren zulassen muss, weil sie jeweils prima facie relevant für die Frage der Patentfähigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag seien.

2.10 Bei der Ausübung ihres durch Artikel 12 (4) VOBK 2007 eingeräumten Ermessens kann die Kammer die Zulassung eines Dokuments in das Beschwerdeverfahren davon abhängig machen, ob das Dokument prima facie relevant ist. Sie ist aber nicht dazu verpflichtet (vgl. T 84/17 vom 22. 09. 2020, Nr. 2.2.3 der Gründe). Für die Kammer sind im gegebenen Fall ebenso verfahrensökonomische Erwägungen und das Gebot der Fairness gegenüber den Beschwerdegegnerinnen erhebliche Erwägungsgründe für das Ausüben ihres in Artikel 12 (4) VOBK 2007 gewährten Ermessens.

2.11 Die von der Beschwerdeführerin vorgetragene Rechtfertigung für das verspätete Vorlegen der Dokumente, dass eine Recherche im Internet besonders erschwert sei, und dass das Dokument A19c aufgrund des Ablaufs der im Unternehmen der Beschwerdeführerin geltenden Aufbewahrungsfrist für Dokumente von 10 Jahren sich nicht mehr ohne besonderen Aufwand auffinden ließ, sind nicht überzeugend. Alle diese Dokumente, waren ausweislich der Dokumente A18b und A19b über das Leibniz Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften bei sorgfältiger Recherche ohne weitere Schwierigkeiten auffindbar. Im übrigen fällt allgemein die gemessen an dem jeweiligen Verfahrensstadium im Einspruchs- und Einspruchsbeschwerdeverfahren rechtzeitige Vorlage von Dokumenten zur Stützung der geltend gemachten Einspruchsgründe in den Verantwortungsbereich und die Sphäre der Einsprechenden. War ein rechtzeitiges Einreichen der Dokumente aus den von der Einsprechenden geltend gemachten Gründen nicht möglich, kann sich dieser Umstand, unabhängig davon, ob insoweit ein der Einsprechenden vorwerfbares Handeln oder Unterlassen vorliegt, jedenfalls nicht zum Nachteil der Patentinhaberin im vorliegenden Einspruchsbeschwerdverfahren auswirken.

2.12 Es bestehen daher keine nachvollziehbaren rechtfertigenden Gründe, weshalb die Dokumente A18 bis A20 nicht bereits mit Ablauf der Einspruchsfrist oder zumindest im Laufe des Einspruchsverfahrens vorgelegt wurden. Im Ergebnis hat die Beschwerdeführerin vielmehr verhindert, dass die Einspruchsabteilung über die nunmehr auf diese Dokumente gestützten Einwände zur mangelnden Neuheit und mangelnden erfinderischen Tätigkeit des Hauptantrags eine Entscheidung treffen und die Patentinhaberin zu diesem Einwand Stellung nehmen konnte. Dies widerspricht dem vorangingen Ziel des Beschwerdeverfahrens, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen (vgl. Artikel 12 (2) VOBK 2020) und steht im Widerspruch zur gebotenen Verfahrensökonomie und zur gebotenen Fairness im streitigen Verfahren.

Die Kammer übt daher das ihr aus Artikel 12 (4) VOBK 2007 zustehende Ermessen dahingehend aus, die Dokumente A18 bis A20 und entsprechend alle auf diesen Dokumenten basierenden Einwände zur mangelnden Neuheit und zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit nicht in das Verfahren zuzulassen.

3. Unzureichende Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ)

3.1 Die Beschwerdeführerin bemängelte unter Punkt 2 der Beschwerdebegründung die in der angefochtenen Entscheidung in den Punkten 18 und 20 getroffene Feststellung, dass der Gegenstand des Streitpatents ausführbar ist, und trug dazu insbesondere vor, dass der in der angefochtenen Entscheidung unter Punkt 18 der Entscheidungsgründe vorgenommene Verweis auf das allgemeine Fachwissen eine platte Behauptung sei und daher eine Überprüfung der Argumentation unmöglich mache.

3.2 Gemäß der gefestigten Rechtsprechung der Beschwerdekammern liegt jedoch die Beweislast für die Feststellung einer unzureichenden Offenbarung im inter-partes-Verfahren grundsätzlich bei der Einsprechenden, die nachzuweisen hat, dass ein fachkundiger Leser des Patents anhand seines allgemeinen Fachwissens und ohne unzumutbarem Aufwand nicht in der Lage wäre, die Erfindung auszuführen. (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, Kapitel II.C.9).

3.3 Die von der Beschwerdeführerin angeführten Entscheidungen T 919/97 und T 766/91 der Beschwerdekammern stehen in keiner Weise im Widerspruch zu diesem Grundsatz. Beide betreffen die Vorlage von Beweismitteln durch die Prüfungsabteilung bei Verneinung der Patentfähigkeit im Erteilungsverfahren und sind daher für den vorliegenden Sachverhalt und insbesondere für die Frage der Beweislast im streitigen Einspruchsverfahren nicht einschlägig.

3.4 Selbst wenn das Streitpatent, wie von der Beschwerdeführerin geltend gemacht, keine Angaben dazu machte, wie ein Merkmal der Erfindung in der Praxis umgesetzt werden könne, so obliegt es dennoch, auch weil die angefochtene Entscheidung die Ausführbarkeit anerkannt hat, zunächst der Beschwerdeführerin, wenigstens glaubhaft darzulegen, weshalb es das allgemeine Fachwissen dem Fachmann nicht ermöglichen würde, das Merkmal in die Praxis umzusetzen.

3.5 Einen solchen Beweis oder für ein Glaubhaftmachen geeignete Tatsachen wurden von der Beschwerdeführerin auch nicht nach dem entsprechenden Hinweis der Kammer in Punkt 11.5 der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK vorgelegt.

3.6 Der Beschwerdeführerin gelingt es damit nicht, die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung zu der bestehenden Ausführbarkeit darzulegen.

4. Ursprüngliche Offenbarung des Gegenstands von Anspruch 1 (Artikel 100 c) EPÜ)

4.1 Die Beschwerdeführerin rügte unter Punkt 1 der Beschwerdebegründung die in der angefochtenen Einscheidung unter Punkt 15 getroffenen Feststellungen, dass der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 ursprünglich offenbart war und zudem nicht auf einer Zwischenverallgemeinerung beruht.

4.2 Die Einspruchsabteilung hat unter Punkt 16 der Entscheidungsgründe festgestellt, dass das dem ursprünglichen Anspruch 1 hinzugefügte Merkmal 1.5

"wobei die Übermittlung der registrierten

Information die Ergänzung des Kleingüterlagers mit denselben Kleingütern wie denen, die in der entleerten Lagerungseinheit (2) waren, auslöst bzw. triggert"

in den ursprünglichen Unterlagen zwar nicht ausdrücklich genannt wurde, aber für den Fachmann vom Inhalt mitumfasst wurde.

4.3 Die ursprüngliche Unterlagen offenbaren auf Seite 7, Zeile 37 bis Seite 8, Zeile 2, dass eine in die Rückführungsstation verbrachte Lagerungseinheit das Signal für einen Ergänzungsbedarf ist.

4.4 Die Kammer teilt das Verständnis der Beschwerde­führerin, dass die Meldung "Ergänzungsbedarf" zunächst lediglich eine Verbrauchsinformation darstellt und keine Nachlieferung auslöst (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 2, Absatz 2). Der Fachmann entnimmt aber aufgrund der Offenbarung auf Seite 10, Zeilen 28 bis 36, den ursprünglichen Unterlagen, dass ein Anwender den leeren Kasten in die Rückführstation 5 bringt und damit ohne weitere Handlungen bewirkt, dass die Information über den entleerten Kasten entweder sofort oder zu festgelegten Zeiten weiter übermittelt wird, wodurch Ergänzungen rechtzeitig im Regal eintreffen. Damit wird entgegen der Darstellung der Beschwerdeführerin (vgl. Beschwerdebegründung, Seiten 3 und 4, übergreifender Absatz) in den ursprünglichen Unterlagen ein Zusammenhang zwischen Bedarfsmeldung und Lagerergänzung offenbart. Vor dem Hintergrund der Erfindung, dass die Verwaltung von Kleingüterlagern, d.h. die Verbrauchsüberwachung und Lagerergänzung, möglichst automatisch und individuell erfolgen können soll (vgl. ursprüngliche Offenbarung, Seite 2, Zeilen 22 bis 27), ist es für den Fachmann damit eindeutig entnehmbar, dass ein Bringen der leeren Lagerungseinheit zu der Rückführstation das auslösende Moment für die Ergänzung des Lagers darstellt.

4.5 Die Einspruchsabteilung hat zudem zutreffend festgestellt, dass das Hinzufügen des Merkmals 1.5 zu dem ursprünglichen Anspruch 1 nicht auf einer Zwischenverallgemeinerung beruht (vgl. angefochtene Entscheidung, Punkt 15 und Beschwerdebegründung, Seite 2, Absatz 2).

4.6 Die Beschwerdeführerin bemängelt zudem, dass Merkmal 1.5 offen lässt, in welcher Form und wann ein Verbrauch eine eventuelle Nachlieferung auslöst (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 5, Absatz 3), was nicht ursprünglich offenbart war.

4.7 Jedoch sind, nach Ansicht der Kammer, in der ursprünglichen Offenbarung die Erfassung des Verbrauchs und eine darauf veranlasste Nachlieferung nicht untrennbar miteinander verknüpft. In der von der Beschwerdeführerin angeführten Passage auf Seite 8, Zeilen 12 bis 1, wird zwar ein Zusammenhang zwischen dem Signal für einen Ergänzungsbedarf und einer präzisen Vorausplanung bzw. einer umgehenden Reaktion auf mögliche Änderungen des Kundenverbrauchs hergestellt, dieser ist jedoch ausdrücklich als mögliche Eigenschaft des Systems aber nicht als notwendiges Zusammenwirken zwischen Signal und tatsächlicher Ergänzung offenbart.

4.8 Der Beschwerdeführerin gelingt es damit nicht, die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung zu der Zulässigkeit der Änderungen darzulegen.

5. Neuheit des Hauptantrags (Artikel 100 a) und Artikel 54 EPÜ)

5.1 Dokument A4

5.1.1 Die Beschwerdeführerin rügt die Entscheidung der Einspruchsabteilung, dass der Gegenstand von Anspruch 1 neu gegenüber dem Dokument A4 ist und trägt vor, dass auch das Merkmal 1.5 der Fig.1 des Dokuments A4 zumindest implizit zu entnehmen sei (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 13, Absatz 6).

5.1.2 Dem kann die Kammer nicht zustimmen. Die Fig.1 ist lediglich eine beispielhafte und übersichtsartige Darstellung eines "parts management system" (vgl. Dokument A4, Absatz [0039]). Der Fig.1 kann in Zusammenschau mit der Beschreibung des Dokuments A4 nicht entnommen werden, dass eine Ergänzung mit denselben Kleingütern wie denen, die in der entleerten Lagerungseinheit waren, durch das Regalmanagementsystem ausgelöst bzw. getriggert würde (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 13, Absatz 6). Ein Versand von Teilen aus dem "warehouse" an die Fertigungslinie erfolgt vielmehr auf Anweisung eines (in Fig. 1 nicht dargestellten) Fertigungsmanagementsystems (vgl. Dokument A4, Spalte 10, Zeilen 22 bis 25).

Die Kammer kommt somit zu der Überzeugung, dass das Merkmal 1.5 der Offenbarung des Dokuments A4 nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen ist.

5.1.3 Der Beschwerdeführerin gelingt es damit nicht, die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung zu der bestehenden Neuheit gegenüber Dokument A4 darzulegen.

5.2 Dokument A5

5.2.1 Die Beschwerdeführerin rügte ferner die Entscheidung der Einspruchsabteilung, dass der Gegenstand von Anspruch 1 neu gegenüber dem Dokument A5 ist.

In der angefochtenen Entscheidung hatte die Einspruchsabteilung unter Punkt 22.2 festgestellt, dass das Dokument A5 nicht offenbart, dass

- "die entleerte Lagerungseinheit in einen Lesbarkeitsabstand zum Lesegerät eines RFID-Transponders gebracht wird".

Die Einspruchsabteilung hatte damit im Ergebnis festgestellt, dass das Merkmal 1.3 des Anspruchs 1

"wobei die entnommene Lagerungseinheit (2) zwecks Registrierung der entnommenen Lagerungseinheit (2) in einen Lesbarkeitsabstand zum Lesegerät (4) des RFID-Transponders (3) gebracht wird"

nicht in dem Dokument A5 offenbart ist. Darüber hinaus hatte die Einspruchsabteilung an gleicher Stelle festgestellt, dass das Dokument A5 nicht das Merkmal 1.5 des Anspruchs 1 offenbart.

5.2.2 Die Kammer ist von dem Argument der Beschwerdeführerin nicht überzeugt, dass in Dokument A5 implizit offenbart sei, dass Quellbehälter gescannt und registriert würden, so dass das Merkmal 1.3 durch das Dokument A5 offenbart sei (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 14, Absätze 7 und 8),

5.2.3 Die Kammer teilt die von den Beschwerdegegnerinnen vertretene Auffassung, dass das Dokument A5 lediglich offenbart, dass ein RFID-Lesegerät dort vorgesehen ist, wo die Zielbehälter angeordnet sind. Es ist aber nicht offenbart, dass leere Quellbehälter an einen Ort gebracht werden, wo sie mittels eines RFID-Lesegeräts identifiziert werden (vgl. Beschwerdeerwiderung, Seite 32, Absatz 2). Es bleibt offen, welcher Zusammenhang zwischen der Identifizierung eines Zielbehälters mittels eines RFID-Lesegeräts und einer möglichen Identifizierung eines leeren Quellbehälters bestehen könnte.

5.2.4 Der Beschwerdeführerin gelingt es damit nicht, die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung zu der bestehenden Neuheit gegenüber Dokument A5 darzulegen.

5.3 Im Ergebnis gelingt es der Beschwerdeführerin nicht darzulegen, dass die Feststellungen der Einspruchsabteilung zur Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag fehlerhaft sind.

6. Erfinderische Tätigkeit des Hauptantrags (Artikel 100 a) und Artikel 56 EPÜ)

6.1 Ausgehend von Dokument A6

6.1.1 In der angefochtenen Entscheidung wird in Punkt 23.1 von dem Dokument A6 als nächstliegendem Stand der Technik ausgegangen. Die Wahl des Dokuments A6 als möglicher Ausgangspunkt für eine Diskussion der erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 wurde weder von der Beschwerdeführerin noch von der Beschwerdeführerin in Abrede gestellt und die Kammer schließt sich diesem Ausgangspunkt an.

6.1.2 Die von der Beschwerdeführerin vertretene Auffassung, dass entgegen der Feststellung der Einspruchsabteilung das Dokument A6 beispielsweise mit der in Absatz [0022] genannten und in Fig.1 gezeigten Keksschachtel (oder mit anderen Umverpackungen) eine Lagerungseinheit im Sinne des Streitpatents offenbare (vgl. Beschwerdebegründung, Seiten 17 und 18, übergreifender Absatz) teilt die Kammer nicht. Vielmehr teilt sie die Überzeugung der Beschwerdegegnerinnen, dass die Keksschachtel oder die Fruchtdosen keine Lagerungseinheit mit gelagerten (losen) Kleingütern darstellen (vgl. Beschwerdeerwiderung, Seite 36, erster Absatz).

6.1.3 Der Gegenstand gemäß Anspruch 1 gemäß Hauptantrag gibt klar wieder, dass die Lagerungseinheiten im Sinne des Streitpatents zum Kleingüterlager gehören (vgl. hierzu Anspruch 1: "[...] wobei zum Kleingüterlager eine große Anzahl Lagerungseinheiten (2), wie Kästen, Paletten oder dergleichen gehören [...]") und deshalb nicht mit zu lagernden Gütern, wie im Falle von Dokument A6 die offenbarten Verkaufsgüter ("items"), gleichgesetzt werden können. Damit trifft die Feststellung der Einspruchsabteilung zu, dass das Dokument A6 keine mit einem Identifizierungstransponder ausgerüstete Lagerungseinheit offenbart, woraus folgt, dass das Merkmal 1.2, wonach "eine entleerte Lagerungseinheit (2) von ihren Einsatzort entfernt wird" und das Merkmal 1.3 gleichfalls nicht im Dokument A6 offenbart sind.

6.1.4 Da die Beschwerdeführerin jedoch ihrem weiteren Vortrag zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit eine Offenbarung der Merkmale 1.2 und 1.3 in dem Dokument A6 als notwendige Voraussetzung zugrunde legte, kann dem weiteren diesbezüglichen Vortrag nicht gefolgt werden.

6.1.5 Damit gelingt es der Beschwerdeführerin nicht, die Unrichtigkeit der Feststellungen der Einspruchsabteilung zu der erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 des Streitpatents ausgehend von dem Dokument A6 überzeugend darzulegen.

6.2 Ausgehend von Dokument A5

6.2.1 Die Beschwerdeführerin erhob erstmals in der mündlichen Verhandlung einen Einwand zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ausgehend von Dokument A5 als nächstliegendem Stand der Technik.

6.2.2 Gemäß Artikel 13 (2) VOBK bleibt eine Änderung des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

6.2.3 Das erstmalige Vorbringen des Einwands zu mangelnden erfinderische Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ausgehend von Dokument A5 als nächstliegendem Stand der Technik im Verlauf der mündlichen Verhandlung stellt eindeutig eine solche Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdeführerin nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung dar.

6.2.4 Die von der Beschwerdeführerin vorgetragene Rechtfertigung, dass sie dadurch überrascht wurde, dass die Dokumente A18 bis A20 von der Kammer nicht in das Verfahren zugelassen wurden, entsprechen keinen außergewöhnlichen Umständen. Artikel 12 (4) VOBK 2007 gibt der Kammer eindeutig die Befugnis, Tatsachen und Beweismittel nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten werden können. Das Ausüben dieser Befugnis ist eine prozessuale Möglichkeit, mit der zu rechnen ist und deren Ausübung allein keine Überraschung für die Beteiligten darstellen kann.

6.2.5 Daneben besteht zwischen einer Nichtberücksichtigung der Dokumente A18 bis A20 und der Auswahl des Dokuments A5 als Startpunkt für die Diskussion der erfinderischen Tätigkeit kein erkennbarer sachlicher Zusammenhang, so dass sich auch deshalb aus dem Vortrag der Beschwerdeführerin keine außergewöhnlichen Umstände ergeben würden.

6.2.6 Durch das Fehlen außergewöhnlicher Umstände bleibt das Vorbringen der Beschwerdeführerin zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ausgehend von dem Dokument A5 gemäß Artikel 13 (2) VOBK unberücksichtigt.

6.3 Damit gelingt es der Beschwerdeführerin nicht, die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung zur erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag darzulegen.

7. Ergebnis

Weil es der Beschwerdeführerin nicht gelingt, zu einem der vorgetragenen Einspruchsgründen die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung darzulegen, ist die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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